Nach einem Berlin-Aufenthalt in Spandau (das „Berlin-Spandau-Paradoxon“) bin ich vergangene Nacht wohlbehalten in meine Heimat zurückgekehrt. Dass ich Düsseldorf einmal mit „Heimat“ in einem Satz erwähne, ohne dass „Münster“ in diesem auftaucht, hätte ich nie erwartet, doch das Leben überrascht den Lebenden ja gerne immer mal wieder mit Überraschungen, mit Wendepunkten, die übrigens ein gutes Stilmittel für Kurzgeschichten sind.

Berlin wird künftig wohl eine dritte Heimat für mich werden, wobei mich nach wie vor viele Leser unermüdlich darauf hinweisen, dass mein eigentlicher Arbeitsort Spandau nicht Berlin ist. Das jedoch hält mich nicht davon ab, weiterhin von Berlin zu sprechen, wenn ich Spandau meine. Natürlich ist mir klar, wie jene Richtigstellungen gemeint sind. Auch ich weise Menschen zurecht, die mir weismachen wollen, dass das Münsterland kongruent zu Münster sei, doch Freunde, Spandau ist nun einmal Berlin. Letztlich aber ist es mir auch ziemlich egal, da ich dort lediglich arbeite, mitnichten lebe, was aber nicht bedeutet, dass ich die drei Tage pro Woche, die ich dort arbeite, tot bin. Denn ich lebe dort mit vier weiteren Männern in einem Energiesparhaus (das „Tod-Leben-Paradoxon“). Dieses Haus steht in einem Ort namens Falkensee und man darf sich Falkensee exakt so vorstellen, wonach es klingt. Bis vor wenigen Minuten war ich der Meinung, Falkensee gehöre zu Spandau und damit zu Berlin, stelle jedoch gerade fest, dass Falkensee so sehr Berlin ist wie Nordkirchen Münster.

Vor ziemlich genau zehn Jahren habe ich für mich das Experiment Wohngemeinschaft ernüchtert aufgegeben. Ich bin ganz klar ein Mensch, der sich am wohlsten fühlt, wenn andere exakt das nicht mitbekommen, der also seinen Rückzugsraum braucht. Daher war mir Vorfeld einigermaßen unwohl bei dem Gedanken, wieder in eine WG zu ziehen, auch wenn ich meine mitwohnenden Arbeitskollegen seit Jahren kenne und schätze. Doch muss ich sie, sagen wir mal, 18 Stunden pro Tag erleben?!

Muss ich nicht. Denn der für ich nötige Rückzug ist dort möglich, auch wenn ich mir vermutlich bereits den Ruf des Spalters eingehandelt habe, doch das offene Ansprechen meines mir typischen Lebenswandels hat gezeigt, dass man es akzeptiert, sodass ich nach meinen ersten Tagen in der Falkensee-WG für mich bilanzieren kann, dass es funktioniert, da wir nicht in irgendeiner Bruchbude leben, sondern in einem doch recht großen Haus, das über mehrere Aborte und Nasszellen verfügt.

Neben der Rückzugsmöglichkeit, während der ich beispielsweise Kontakt mit meiner Mitbewohnerin in Düsseldorf aufnehme oder einfach nur lese, war mir ungemein wichtig, mich auch in Berlin im Sport ergehen zu können. Es ist schlicht eine Bedingung für mich, da ich aus dem Lauf- und Kraftsport mehr als nur sportliche Betätigung und die daraus resultierende Befriedigung ziehe.

Achja, wo ich gerade „Befriedigung“ schreibe: Mein Zimmernachbar fragte doch tatsächlich, ob ich mir morgens immer so laut einen keulen würde, da ihn mein Stöhnen offenbar auf diesen Gedanken gebracht hatte. Abgesehen davon, dass ich die Antwort natürlich hier nicht geben will, obwohl wir doch alle gleich sind, was das angeht, wies ich ihn darauf hin, dass dieses lustvolle Stöhnen an sich ein sehr angestrengtes Stöhnen als Begleiterscheinung meines Hanteltrainings ist. Aber ich zolle ihm Respekt, dass er mir eine einstündige Onanier-Orgie zugetraut hat!

Mehr denn je ist mir in diesen Tagen bewusst geworden, dass der Sport an sich auch ein Rückzugsort ist.

Und laufen kann man in Falkensee, soweit ich es nach zwei Läufen beurteilen kann, ziemlich gut, da wir nahe einem Wald wohnen: Bredower Forst nennt er sich, sofern ich mich da jetzt gerade nicht vertue, da mir noch der Überblick fehlt. Das überhaupt ist das Spannende an den ersten Läufen in einer neuen Gegend: dass man nicht weiß, was einen hinter der nächsten Abbiegung erwartet, dass man nicht weiß, welche Tiefe der Wald mit sich bringt, dass man nicht weiß, wie man wieder zurückkommt. Aus letzterem Grunde habe ich mein Handy mitgenommen, was ich sonst selten tue, damit „Google Maps“ mich im Notfall wieder zurücklotsen kann – und das wurde notwendig, da ich mich nach 30 Minuten bereits verirrt hatte.

 

Ich verachte übrigens diese Menschen, die meinen, jeden Furz auf ihrem öffentlichen Facebook-Profil posten zu müssen und sich dann auch noch als „Person des öffentlichen Lebens“ einordnen. Einfach nur arm! Habt Ihr kein Leben?! Darum besucht meine Facebook-Seite!

Zwei große Überraschungen erlebte ich in Berlin. Also Spandau. Also Falkensee. Erstens: Es war arschkalt. Liegt aber nicht an Berlin, war es wohl überall in diesen Tagen. Ich lief in Sommerklamotte bei minus zwei Grad um sechs Uhr morgens, teilweise fiel Schnee. Meine Hände waren derart kalt, dass ich sie aufgab. Und es stimmt: Es gibt definitiv die falsche Kleidung zu richtigem Wetter! Ich hatte sie mit im Koffer, später am Leibe. Ich hätte genau so gut nackt laufen können, vermeide das aber wegen der Stolpergefahr.

Dennoch waren es zwei sensationelle Läufe, auch wenn ich befürchte, bereits jetzt schon alles gesehen zu haben, was Falkensee zu bieten hat, denn groß ist es nicht. So schön es ist, im Wald zu joggen, so langweilig wird es, fehlt einem die Abwechslung. Die jedoch habe ich ja in Düsseldorf; heute Morgen lief ich bei angenehmen sieben Grad plus! mitten durch die Stadt, was Abwechslung genug ist, sodass ich mich auf die Waldläufe in der kommenden Woche wieder freuen kann.

Auf der zirka sechsstündigen Heimfahrt beschäftigte ich mich gestern mit dem Online-Einkauf diverser Einrichtungsgegenstände für mein Zimmer dort in Berlin. Spandau. Falkensee. Unabdingbar neben einer elektrischen Zahnbürste ist für mich eine analoge Wanduhr, die nicht hörbar tickt. Bestellt. Ebenso notwendig ist ein Stuhl. Den brauche ich nicht zum Sitzen, sondern für den Sport. Vielleicht trete ich in diesem Punkt noch einmal in Verhandlungen mit meinem Arbeitgeber. Ikea-Stuhl. Reicht völlig. Erstmal nicht bestellt. Radiowecker! So altmodisch bin ich noch, denn ich kann mich schlecht vom Handy wecken lassen. Gestern morgen um fünf Uhr klingelte mich notgedrungen mein güldenes S7 wach, worauf ich derart erschrak, dass ich mir meinen Kopf an der ungewohnten Dachschräge über dem Bett stieß, was aber immerhin einen schnellen „Wacheffekt“ mit sich brachte. Doch ich habe es erst nach gefühlten zehn Minuten hinbekommen, diese verdammte Wecker-App zur Räson zu bringen, da ich irgendwie über keinerlei Kenntnis über den notwendigen Wischeffekt verfügte. Ich brauche einen Radiowecker mit Digitalanzeige, am besten klassisch rot, auf den ich morgens draufschlagen kann, wenn er mich mit dem ihm so eigenen enervierenden Piepton weckt. Keinesfalls soll er mich mit Musik wecken, da Musik am Morgen für mich ein Mordmotiv darstellt. Musik am Morgen verachte ich in etwa so wie Menschen, die gerne am Lagerfeuer sitzen und singen. Ich sag ja, Spalter. Radiowecker also bestellt und da ich schon einmal dabei war, bestellte ich noch weitere Sportgeräte. Über einen kleinen Tisch denke ich inzwischen auch nach. Man stellt ja gerne mal was ab. Vieles kaufe ich nur, um etwas zum Abstellen zu haben.

„Wo darf ich dieses hin tun?“

„Stellen Sie es doch einfach auf mein kleines Tischchen ab!“

Adiletten. Brauche ich auch noch. Werden gleich bestellt. Ja, ich bin Adiletten-Träger. Man kann mich gerne als unsozial bezeichnen, jedoch nicht als asozial. Adiletten machen noch keinen Asozialen. Mein Zimmernachbar trägt Birkenstock. Wenn das erlaubt ist, müssen auch Adiletten drin sein. Hier in Düsseldorf laufe ich seit neun Jahren mit denselben Adiletten rum. Spricht sehr für „Adidas“. Die Adilette. Auch so ein Wort, das beim vierten Aussprechen albern klingt. An sich schon beim ersten.

Überraschung Nummer zwei: Es gibt dort einen „Netto“-Supermarkt. Doch Netto ist hier nicht gleich Netto. Der Netto dort verkauft sich optisch so:

Mit Hund im Logo!

Hund im Bürohooo?!

Ein paar hundert Meter weiter finde ich dann einen Netto der mir bekannten Netto-Handelskette, des Edeka-Discounters also. Musste ich sofort googeln und so erfuhr ich, dass es sich beim Netto mit Hund um eine Supermarktkette mit Ursprung in Dänemark handelt, die eigentlich mit dem Edeka-Netto nichts zu tun hat. Eigentlich. Denn Edeka hat an jener Netto-Kette zumindest einen 25-prozentigen Anteil, was aber nichts mit dem Netto-Discounter zu tun hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die zwei „Peek & Cloppenburgs“, die es ebenfalls völlig unabhängig voneinander gibt.

Ja, das sind so Dinge, die mich beschäftigen, was für ein ansonsten sorgloses Leben spricht, was freilich die Realität nicht ganz trifft. Aber ich meine, Hund im Logo! Wie sympathisch! Ich war noch nicht drin im Hunde-Netto, aber er ist jetzt schon mein Lieblingssupermarkt!

Es gibt zahlreiche Eindrücke, die ich hier niederschreiben könnte, doch es sind schlicht zu viele. Ich könnte erwähnen, wie ich – nicht allein natürlich – am Zusammenbau von mehr als 80 Schubladen beteiligt war, wie sich der Aufbau eines neuen TV-Studios anfühlt und überhaupt: wie sich gerade beruflich die Dinge entwickeln, die verquickter mit dem Privaten gar nicht sein könnten. Warten wir es optimistisch mit guten Eindrücken aus dieser ersten Woche ab. Eines aber bilanziere ich nach dem gestrigen Stau auf der A10 schon zu Beginn der Rückfahrt: Autofahrten über diese Distanz sind eine Vergewaltigung knappen Zeitbudgets. Ich werde künftig Bahnfahrer.