Natürlich werde ich von meinen zahlreichen Fans immer wieder gefragt, wie das so ist, das Leben als begnadeter TV-Entertainer, als eine maßgebliche Größe, als der Maßstab gar!, im deutschsprachigen Showgeschäft. Die Fernsehlandschaft ohne mich: kaum vorstellbar, vielleicht nicht zuletzt sogar surreal, eine Dystopie. Wie mein Alltag als ungemein vielschichtiger Unterhaltungskünstler aussieht, wie es möglich ist, dass ich trotz meines immensen Erfolges, wider den Ruhm, dennoch Mensch geblieben bin, beleuchtet ab heute die bescheidene neue 30-teilige seppolog-Serie

Show-Dino und doch Mensch geblieben


Teil I
Der Weg aus einfachen Verhältnissen in die High Society der Showbranche


Es ist das Jahr, als das Briefmonopol der Deutschen Post fällt. Das 60. Jahr seit der weltweit unumstrittenen Staatsgründung Israels. Jenes Jahr, in dem die CSU erstmals in Bayern die absolute Regierungsmehrheit verliert: 2008. Noch ahnt das prüde Fernsehdeutschland nicht, dass ein unerwarteter Player die Bühne betreten wird, um den deutschen Fernsehmarkt neu aufzurollen, um etablierte Showgrößen wie Peter Frankenfeld und Heinz Schenk zu stürzen. Noch fährt Frank Elstner mit „Nase vorn“ Zuschauerzahlen jenseits der 20 Millionen ein, noch ist „Dalli Dalli“ eine nicht wegzudenkende Instanz in einer Fernsehlandschaft, in der an Privatsender nicht zu denken ist.

Völlig orientierungslos irre ich ein Jahr nach dem Abschluss meines Wirtschaftspolitikstudiums mit Politikwissenschaft und Soziologie in den Nebenfächern durch Münster und warte vergeblich auf Bewerbungen von potenziellen Arbeitgebern. Ein kleines Brot finanziere ich mir durch die freie Mitarbeit beim Münsteraner Lokalradio „Antenne Münster“, wo ich schnell Aufsehen errege mit einer Reportage über den ersten Fahrradschlauch-Automaten in Münster. Schnell wird klar, dass ich mit meinem journalistischen Talent, mit meinem eisernen Willen, die Dinge klar beim Namen zu nennen, um auf Missstände aufmerksam zu machen (Der Fahrradschlauchautomat gab kein Wechselgeld!) in das neue Massenmedium Fernsehen gehöre. Denn nichts will ich mehr als eine Kamera auf meiner Schulter zu tragen.

Die Ablehnung des WDR-Landesstudios Münster erkläre ich mir sofort und unverblendet mit dessen Angst vor meinem investigativen Ansatz, der erst Jahre später wieder Einzug in die deutschen Redaktionen fand (nicht im WDR, die machen nach wie vor Wohlfühlgeschichten). Ich spüre direkt: Das korrupte Mediensystem scheut meine kritischen Nachfragen.

Die „Deutsche Welle“ scheint mir zu klein, sodass ich mich für den weltweit größten Regionalsender aller Zeiten entscheide, der das Fernsehen (mehr als einmal) neu erfunden hat. „Fernsehgeschichte“ ist das Stichwort, das ich ab 2008 immer wieder höre und ja, auch ich habe mich immer gefragt, wo sie denn geschrieben wird, jene Fernsehgeschichte: in Düsseldorf. Im Medienhafen, wo heute keinerlei Medien mehr ansässig sind, wo man aber noch kostenlos parken kann (ganz am Ende, an so ’nem „Container“; nicht erwischen lassen, bestimmt nicht erlaubt, zumal der Parkplatz mit Leichen gepflastert ist, was man so hört).

Eine erste Festanstellung lehne ich ab, will ich das Geschäft doch von der Pike (auszusprechen wie „Nike“) auf erlernen. So bestehe ich darauf, acht Monate unbezahlt als Praktikant zu arbeiten. Nur so kann ich unabhängig und glaubwürdig arbeiten.

Die verschiedenen Redaktionen jenes Senders streiten sich um meine Mitarbeit, sodass ich mich für die Nachrichtenredaktion entscheide, worunter alle anderen Redaktionen schwer leiden. Während die Qualität der „NRW News“ steil nach oben schießt, sacken andere Formate hoffnungslos ab. Im nordrhein-westfälischen Landtag macht sich Nervosität breit; vorbei die Zeiten, in denen die da oben ungestört von einer aggressiven vierten Macht Dünkelpolitik betreiben können. Schnell sprechen sich meine Nachrichtenbeiträge in den Landtagsfraktionen herum, in denen ich dem damaligen Innenminister Ingo Wolf Feuer unter dem Podex mache, wenn es um die Berichterstattung zu der Aktion „NRW mit Gurt“ geht, in der Testimonial Manuel Neuer für das Anschnallen im Auto wirbt. Ich frage ihn im Interview:

„Schnallen Sie sich denn auch immer an?“

„Nein.“

Das sagt er wirklich. Ich stehe mit dem Mikro vor ihm und kann es nicht glauben. Der Pressesprecher jener Aktion unterbricht das Interview:

„Das kannst du so jetzt nicht in eine Kamera sagen!“, was nun auch Manuel Neuer aufgeht, der schnell korrigiert: „Ja. Wegen der Unfälle.“

(Diese Anekdote ist nicht ausgedacht. So ist es damals wirklich passiert.)

Die Regierung Rüttgers stürzt. Sternstunde des investigativen Journalismus, schnell wird den Verantwortlichen klar: Dieser Mann, ich!, muss weiter Nachrichtenbeiträge produzieren. Vor die Kamera darf er nicht.

Doch ich schiele schon in meine Zukunft und erkenne, dass die Tage unseres derzeitigen Nachrichtenmoderators gezählt sind, da er Tomaten nicht von Erdbeeren unterscheiden kann und dem Zuschauer im Hochsommer ein frohes Weihnachtsfest wünscht. Diesen Mann will ich beerben. Leider kommt mir dann ein anderer in die Quere, weil er die teureren Anzüge trägt und noch besser blenden kann als ich, während mein Chefredakteur mir sagt, ich trüge eine unmögliche „Nicht-Ficker-Brille“. Schnell sattle ich auf Kontaktlinsen um, lasse mir den Magen verkleinern und trinke Botox, da zeitgleich HD als Bildformat eingeführt wird. Wie unansehnlich viele Moderatoren eigentlich sind, sieht der Zuschauer jetzt erst hochauflösend.

Es geht ruppig zu in der Branche. Zunächst versuche ich, mich hochzuschlafen, doch an meinen körperlichen Diensten ist niemand, nicht mal irgendeine Praktikantin, interessiert. Nach einer versehentlichen Nacht mit dem Hausmeister ändere ich meine Strategie und streue Gerüchte über diverse Suchterkrankungen der etablierten Moderatoren. Und ich habe Erfolg!

2011 findet man den Moderator des Frühstücksfernsehen erhängt im Foyer auf. Schnell biete ich dem Intendanten des Senders an, die Sendung zu übernehmen, so traurig der Suizid des offensichtlich suchtkranken Moderators auch sei. Doch es sei wohl auch besser für ihn, zumal der Zuschauer nach einem neuen, nach meinem, Gesicht sicher lechze.

Trotz Internets boomt der Werbemarkt im Privatfernsehen, jedoch nicht bei meinem Haussender, auch wenn „Rosaxan“ sich bestens verkauft. Ich verzichte also auf zwei Drittel meines üppigen Lohnes und wasche anderweitig illegale Einnahmen in der „Sebastian Flotho-Stiftung“, die sich für bedürftige Moderatoren einsetzt, also insbesondere für mich. Noch heute firmiert die sie auf Malta, muss sich aktuell jedoch zügig nach einem neuen Geschäftsmodell umsehen, denn auch andere sind plötzlich investigativ unterwegs. Als Entgegenkommen meines Senders moderiere ich dann auch die Morgensendung „Guten Abend, NRW“ – sie schlägt ein wie eine Bombe, auch wenn ich das AKW-Unglück in Japan versehentlich vergesse zu vermelden, was meiner Karriere aber keinen Abbruch tut, da es ohnehin niemand merkt. Derweil kopieren „RTL plus“ und die „Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS)“ – die ab 2018 „Sat.1“ heißen wird, weil die Verleger aussteigen, da Verlegerfernsehen in Deutschland nicht funktioniert – das ungewöhnliche Morgenformat und werben später sogar unsere Moderatoren ab, die teilweise sehr natürlich im Fernsehen wirken.

Ich hingegen wechsle in das seichte Fach, nachdem ich mehrfach von den Reportern ohne Grenzen bedroht wurde, da ich ihre Arbeit im Handstreich in den Schatten stelle.

Während die Öffentlich-Rechtlichen zu Unterhaltungssendungen nicht mehr in der Lage sind, erfinde ich das Showfernsehen neu. Mit der „NRW-Sitzgruppe“ erreichen mein Moderationskollege und ich aus dem Stand heraus 200 Zuschauer, die im Rahmen der Quotenerhebung plötzlich zu „200.000 Sehern gestern“ werden, was ich bis heute nicht verstanden habe. Mit einem innovativen Mix aus Ideenlosigkeit und Langeweile werden mein Kollege und ich allabendlich Teil von Familien der untersten Unterschicht: Unsere Zuschauer sind in der Regel betrunken oder tot.

Doch eines dürfen wir bis heute nicht unterschätzen: Man spricht nach wie vor von der „Sitzgruppe“. Also zwei, drei Kollegen zumindest. Hin und wieder.

Jene Sendung aber, in der alles improvisiert ist, ist für mich der Anfang. Auch der Anfang meiner Rolle, die ich ab sofort Tag für Tag vor der Kamera spielen will. Bei diesem Sender habe ich die einmalige Gelegenheit, mich auszuprobieren, ohne dass jemand mir Grenzen setzt. Gut, dann wird der Mindestlohn in Deutschland eingeführt … Aber inhaltlich herrscht eine Freiheit, die sich ein Nikolaus Brender beim ZDF offenbar nicht nehmen darf.

Heute moderiere ich große Shows wie die „HandyHelden„, die sich auch über likes auf ihrer Facebook-Präsenz freuen würden (Für entsprechende Unterstützung wäre ich den treuen Lesern ungewöhnlich dankbar!), wie auch weitere Sendungen rund um das Thema „Zocken“. Und natürlich fragt man mich dann, wie ich es schaffe, so normal zu bleiben, wo ich doch tagtäglich auf den Fernsehschirmen der Nation zu sehen bin. Technikkollegen wie Kameramänner und Kabelhilfen geraten ins Schwärmen, wenn sie nur meinen Namen hören

„Sebastian wer?!“

und schätzen es, dass ich das soziale Gefälle zwischen ihnen und mir ignoriere, während andere Moderatoren sich, wie jüngst publik geworden, den Kaffee umrühren lassen. Ich nicht. Bei mir streiten sich die Kollegen um die Frage, wer ihn mir heute wieder umrühren darf. Und so trinke ich, ganz Gutmensch, mehrere Tassen Kaffees pro Tag, damit jeder einmal den Kaffee eines Megastars rühren kann. So bin ich: ganz Mensch geblieben.


Im kommenden Teil dieser Serie beleuchtet das seppolog die Entstehung eines neuen Sendeformates, dessen Name sich an einen Klassiker orientiert. Außerdem geht es um die Frage, wie ein so normaler Mensch mit dem immensen Druck in der harten Branche fertig wird. Über Konkurrenz und Eifersucht im TV-Business: ein Show-Dino, der doch nur ein Mensch ist, so unglaublich das ist!


Alle bisherigen Folgen auch in der Mediathek: gamesnight.tv/handyhelden