Ein Leben im Rampenlicht. Ein Leben für den Zuschauer – für den Menschen. Grenzenlose Aufopferung beschreibt mein Dasein als jetzt schon unsterbliche Fernsehikone wohl am besten. Der Druck durch die Öffentlichkeit, aber auch durch den Neid der Kollegen ist dabei nicht zu unterschätzen, wenn die eigenen Beliebheitswerte in nicht mehr messbare Bereiche hochschießen. Und immer wieder fragt man sich in den wenigen stillen Momenten: Ist es überhaupt ein lebenswertes Leben, wenn die eigenen Belange keine Rolle mehr spielen?

Wie es ist, das Leben als Vollzeit-Entertainer, beschreibt diese 40-teilige seppolog-Serie

Show-Dino und doch Mensch geblieben


TEIL II
ÜBER RUHM, NATÜRLICHE SCHÖNHEIT UND NEID


2013: Es ist das Jahr, in dem der ägyptische Staatspräsident Mursi einen Karriereknick verarbeiten muss, jenes Jahr, in dem Papst Benedikt XVI. freiwilliger als Mursi zurücktritt. Das Jahr, in dem ich die Unterhaltungsbranche aufmische, das Fernsehen praktisch komplett neu erfinde. Nach nur wenigen Wochen on air bin ich von der Mattscheibe der gleichgeschalteten Zuschauer nicht mehr wegzudenken. Die Feuilletons der noch alten Bundesrepublik feiern nicht ganz zu Unrecht meine unkonventionelle Art, „den Zuschauer abzuholen“, wie es in dieser harten Branche heißt, wenn der TV-Konsument alles einschaltet, worin ich auftrete. Es ist noch die Zeit des großen Familienfernsehens, als es das Jugendphänomen pussy slapping noch nicht gibt, als Frauen erstmals zaghaft und orientierungslos an die Wahlurnen der Bonner Republik schreiten, obwohl Frauen politisch völlig unerfahren sind. Heute erst wissen wir, dass das Frauenwahlrecht ein Irrweg war, die Wähleranalysen zeigen, dass sämtliche Wähler der AfD ausschließlich Frauen sind. Männer sind einfach zu klug, um … kleiner Spaß! Vermutlich ist es genau andersherum … Aber ich muss hier in meiner Rolle bleiben …

Im November 2013, nachdem ich den Chefredakteursposten der „Emma“ abgegeben hatte, werde ich – wegen Mangels an Moderatorenpersonal, was kein Scherz ist! – Teil einer dreistündigen Live-Sendung im nordrhein-westfälischen Regionalsender „NRW.TV“, der im Mai 2016 medial erstmals wahrgenommen werden wird, als er den steinigen Weg der Insolvenz bestreitet. Ein unter Denkmalschutz gestellter Studiokomplex mit angeschlossenen Filmstudios im Düsseldorfer Medienhafen zeugt noch heute von meiner alten Wirkungsstätte, wo ich das Fernsehen neu erfunden habe.

Im Takt einer täglichen Live-Show mit etwa 300.000 Zuschauern jeden Tag, die den WDR zittern ließen (Inzwischen wissen wir, dass er in der Folge den Standort Düsseldorf in großen Teilen verlässt.), verliert auch ein noch so geerdeter Showstar mitunter jeglichen Bodenkontakt. Zumal ich umgeben bin von Kollegen, die mit einem ähnlichen, aber nicht ganz so hohen Ausmaß an Ruhm fertigwerden müssen. Für uns alle kommt der Erfolg praktisch über Nacht: gestern noch ein Plebejer, heute plötzlich eine lebende Legende.

Viele Moderationskollegen bleiben dabei auf der Strecke, verfallen dem Vegetarismus oder, fast schlimmer, stürzen sich in den nahen Rhein. Deutlich muss ich sagen, dass Ruhm nicht unter allen Umständen erstrebenswert ist: Man muss – wie ich – dafür gemacht sein. Es braucht Eigenschaften, über die ich, womöglich weil Gott es nicht anders wollte, von Geburt an verfüge: Bescheidenheit und Demut. Mit zunehmendem Ruhm bekomme ich im Laufe der Jahre den Spitznamen „Bodenhaftung“, während andere Kollegen abheben und den Kontakt zum Menschen verlieren. Ich hingegen breche ihn absichtlich ab, wenn es um mein Privatleben geht. Zu meinem damaligen Lebenspartner gehe ich auf Distanz, trenne mich zunächst geistig, dann räumlich:

„Es geht nicht mehr. Die Menschen da draußen brauchen mich mehr als ich dich! Ich muss Opfer bringen. Du bist mein erstes“, erkläre ich meinem in Tränen aufgelösten Gegenüber und beende damit meinen Versuch, mit einem vorgespielten outing mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Immerhin ist 2013, jenes Jahr, in dem Schwulsein in ist, bevor es später dann endlich normal ist.

Dünnes Eis, Seppo …

Den Kontakt zu meiner Familie breche ich selbstredend auch ab, zumal Stefan Niggemeier in der „F.A.Z.“ korrekt erkennt:

Flotho kann nicht nur gut aussehen. Flotho kann nicht nur geradeaus sprechen. Flotho kann Fernsehen. Flotho kann, nein, Flotho ist Entertainment pur! Deutschland braucht weniger Silbereisen, weniger Pflaume und noch weniger Olaf Kracht: Deutschland braucht mehr von diesem „Seppo“.

Niggemeier erkennt weiters, dass ich mein Wohl hinter das anderer stelle, dass ich ein Menschenfreund bin; einen „Gutmenschen“ nennt mich die „DB Mobil“, als jener Begriff noch positiv besetzt ist.

Seine Bescheidenheit ist geradezu erfrischend in einer Branche, die sich zunehmend bedroht sieht vom Einzug der DVD in die Videotheken, die einer rosigen Zukunft entgegensehen dürften.

Eine tägliche Sendung, die für Jugendliche produziert ist, verlangt ein enormes Tempo und vor allem extremen Ideenreichtum, der auch von Kollegen immer wieder eingefordert wird. Ich entwickle noch vor Joko und Klaas die „Show in der Show“, neudeutsch show-in-show-elements, was freilich von den Mit-Moderatoren kritisch beäugt wird. Erst als ich in ein Alter Ego schlüpfe (was in einem späteren Teil dieser kracher Serie noch ausgeführt wird), in die Rolle eines DDR-Schlagerstars, gewinne ich die Herzen nicht nur der Zuschauer, sondern auch die der Kollegen, die auch viele Jahre später neidlos anerkennen, dass mir die Rolle des „Jost Klampf“ praktisch auf den Leib geschneidert ist. Wie authentisch ich die Rolle spiele, begeistert Zehne von Zuschauern an den Bildschirmen, Kollegen gratulieren mir, feiern mich und finden das so gar nicht peinlich. Diese Unterstützung macht es mir leicht, weiterhin kreativ zu sein, denn nichts fickt einen mehr ab, als wenn man belächelt wird, wenn man Neues ausprobiert.

Mein Höhepunkt ist zu diesem Caitpunkt nicht einmal erreicht. Erst als ich meinen Heimatsender mit dem völlig neuartigen Format „Sitzgruppe“ für die Werbeindustrie komplett irrelevant mache, werde ich zur Ikone …

… und hebe doch nicht ab. Natürlich, es herrscht ein tiefer Graben zwischen Star-Moderatoren und dem Technikpersonal, das sich freilich auch in der Entlohnung widerspiegelt, wobei ich inzwischen Gagen erhalte, von denen VW-Manager heute noch träumen, während Kameramänner sich (zurecht) wie Lakaien fühlen, deren Lebenszweck darauf reduziert ist, mich in Szene zu setzen. Zur großen Überraschung setzt jedoch nicht die Kamera mich in Szene, sondern ich das Kamerabild. Kamerabilder, die mich zeigen, haben in den Medienwissenschaften inzwischen eine eigene Bezeichnung: der Goldenere Schnitt.

Neid spielt eine immer größere Rolle. Natürlich bestehe ich auf meinem eigenen Maskenpersonal, während die Moderationskollegen – und das muss man sich mal reinziehen! – selbst „abpudern“ müssen! Drei teilweise bildschöne Frauen holen optisch das Beste aus mir heraus. In ihren jüngst erschienenen Memoiren schreibt meine langjährige, persönliche Maskenbildnerin Lena von Hinten:

Immer wenn er sich auf meinen Stuhl setzte, glaubte ich, er sei bereits geschminkt! So gut sah er aus, dieser Unnahbare, der doch so nahbar war! Seit ich ihn pudern durfte, musste ich den Begriff der natürlichen Schönheit neu definieren.

Im Zuge dessen gebe ich meiner erste Makeup-Linie heraus: smoothseppo wird noch heute bei „QVC Beauty“ in Massen verkauft, in der Welt der editorial shootings ist die Serie ein Muss.

Mein Status bringt derweil Privilegien mit sich, die mir peinlich sind, die ich aber dennoch nicht ausschlage, denn ich habe sie mir (wenn auch nicht mit harter Arbeit) verdient: den persönlichen Bildmischer beispielsweise. Das ist jener Mensch hinter den Kameras, die auf mich gerichtet sind, der die verschiedenen Kamerabilder schneidet; er entscheidet also, wann welche Kamera dem Zuschauer welches Motiv zeigt. Als Moderator des Pöbels hat man keinen Einfluss darauf, ich hingegen werde über einen kleinen Knopf im Ohr inzwischen von jenem Bildregisseur gefragt, welche Kamera mich on air nehmen soll.

„Seppo, wäre es okay, wenn ich jetzt die Kamera zwei reinschneide? Du wärst dann von deiner Schoki-Seite zu sehen!“

„Von welcher von beiden?“

So ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis mir auch persönliche Handlanger in den Dienst gestellt werden, die die Kameras bedienen. Ich bezahle weniger als den branchenüblichen Lohn, da die Nachfrage nach diesem Job schlicht so hoch ist. Viele Kameramänner arbeiten ehrenamtlich für mich (Kürzlich noch traf ich einen von ihnen während einer charity-Veranstaltung in einer öffentlichen Suppenküche. Ich persönlich tischte ihm die subventionierte Suppe auf. Tränen der Dankbarkeit die Folge.).

2015: Es ist einsam um mich geworden. Kollegen wenden sich von mir ab. Hinter meinem Rücken tuscheln sie. Das bekomme ich mit, da ich Spitzel in meinen sozialen Umfeldern (eins) eingeschleust habe. Begriffe wie „Arroganz“, „Selbstherrlichkeit“, „Irrer“, „Narzisst“, „Verstandesarmer“ und „Selbstverliebter“ fallen, sodass ich natürlich zunächst denke, sie sprechen gar nicht von mir. Doch genau das tun sie.

„Bin ich wirklich selbstsüchtig?“, frage ich in einem schwachen Moment „Spitzelspacko“.

„Ja, klar“, antwortet er mir, bevor ich ihn geradewegs in die Suppenküche schicke.

„Wie, klar?!“

„Mal deine Facebook-Seite gesehen? Du postest jeden Furz! Und nun zähle mal die entsprechenden likes! Teilweise kommt man bis auf null!“

In jenen Tagen beschließe ich meinen Rückzug. Also, meinen zweiten Rückzug. Der endlose Erfolg und die für mich nach oben offene Karriereleiter kosten mich Familie und Freunde. Nicht selten beschleicht mich der Gedanke, eine neue, vollkommene Rasse von Mensch geworden zu sein, die sich über sieben Milliarden andere Menschen erhebt. Aber mich „Irren“ zu nennen?! Lachhaft!


Alle bisherigen Teile der Serie: hier!

Mehr Infos zu meiner steilen TV-Karriere auf meiner Homepage: