Also es zieht sich doch wie ein hartnäckiger, in die Leiste schneidender Bindfaden des Bündchens einer meiner boxershorts durch mein Leben, dass es gerne samstags gegen zehn Uhr an unserer Wohnungstür klingelt. Heute waren es nicht die Zeugen Jehovas, jedenfalls noch nicht, die dort ihre Aufwartung machten, sondern mein guter und seltsamer Freund Merugin. Seiner Gewohnheit gleichsam hat er seinen Besuch nicht angekündigt, denn wann immer er kommt, kommt er spontan und als Folge eines Notfalls.

„Seppo, mach auf! Ich bin’s!“, ruft er von draußen.

„Das darf ja nicht wahr sein! Um zehn!“, sagt meine Mitbewohnerin, die neben mir im Bett „Minions Rush“ spielt, während ich in der „Krafttraining-Enzyklopädie“ lese, die mehrere Kilogramm wiegt, sodass man als Trainingsanfänger dieses Werk nicht lange in der Hand halten kann. Kurz überlege ich, das Buch mit zur Tür zu nehmen, um Merugin damit zu erschlagen, wovon ich aber absehe, da ich ahne, dass ihm wieder etwas Interessantes passiert sein muss.

Also schreite ich zur Tür, während ich mich über den heutigen Sonnenschein freue, und öffne sie, da alles andere inkonsequent wäre. Denn wenn ich schon einmal da bin …

„Merugin. Morgen“, begrüße ich und drohe mit einer Umarmung, die ich freilich nicht ausführen will.

„Seppo! Halt! Nicht anfassen!“

„Keine Sorge. Also das musst du bei mir wirklich nicht fürchten, so gut solltest du mich kennen.“

„Manchmal kommst du mit Stirnküssen um die Ecke, da ist meine Angst durchaus berechtigt! … Seppo, ich bin heute aufgewacht und … naja, ich bin porös!“

Porös also. Natürlich. Was auch sonst. Ich blicke ihn an mit einer Mimikmischung, die sich aus Fragen und Resignation zusammensetzt.

„Im Ernst. Guck, mein linker Arm. Er ist nicht da.“

Und in der Tat, er ist nicht an Merugin befestigt, wie man es gewohnt ist. Merugin zeigt mir den Inhalt einer Tüte, die er in der verbliebenen rechten Hand mit sich trägt. Womit zeigt er eigentlich?!

„Hier. Das ist mein linker Arm. Heute Morgen passiert.“

„Ich sehe nur … was ist das? Asche!“

„Ja, ich sag ja, ich bin porös. Wollte mich beim aus dem Bett Steigen aufstützen, da sackte ich weg und der Arm zerfiel zu Staub. Oder zu Asche“, erklärt er nicht ganz zu Unrecht aufgeregt.

„Ja, und was hat das nun mit mir zu tun?“, frage ich unbeteiligt.

„Nun, man will so etwas ja anderen mitteilen!“

„Ja, okay. Das hast du ja nun getan.“

Gerade will ich die Tür wieder schließen, da sackt Merugin nach rechts zu Boden. Wegen meiner trainierten Explosivkraft (Hier schmunzelt der eingebildete Autor selbst …) kann ich den armen Kerl noch rechtzeitig stützen.

„Merugin! Dein Bein! Es zerbröselt!“

„Ich sag doch, ich bin porös!“

Nun, da ich ja inzwischen Ernährungswissenschaftler bin, ist mir die Ursache dieses Symptoms natürlich geläufig, sodass ich Merugin erklären kann:

„Zu wenig Proteine. Kaum Muskeln, die dein Endoskelett unterstützen könnten. Wärst du mal bei deinem Exoskelett geblieben!“, sage ich im Scherz und bitte den Versehrten herein.

„Setz dich in die Küche. Ich wollte eh jetzt meine Vorbereitungen für meine kommenden Berlin-Tage treffen.

„Koffer packen?“, fragt er, während sein Ohr zerbröselt.

„Nein. Ich koche vor. Damit ich meine kohlenhydratarme Ernährung auch in Berlin fortsetzen kann.“

Neuleser müssen wissen, dass ich einige Tage der Woche in Berlin weile, da ich dort unabkömmlich bin. Diese Serie begleitet meine Reisen.

Und tatsächlich koche ich am Vortag der Abreise immer das eine oder andere vor,stets dazu gehören zwölf Eier und Protein-pancakes, die ich inzwischen in einem Waffeleisen zubereite, da sie dann eher wie normales Essen aussehen, das mein Umfeld nicht permanent durch den Kakao zieht. Jene Waffelcakes bestehen aus whey-Isolaten, was im Grunde hochkonzentriertes Eiweiß aus Molke ist, das schnell vom Körper verdaut und zu den Muskeln transportiert wird. Die Waffeln sind geschmacksneutral, man kann sie jedoch auch ordentlich salzen, sodass sie nach Pfeff-, nein, Salz schmecken, was irgendwie ganz interessant ist.

„Wer will denn geschmacksneutrale Waffeln?!“, fragt Merugin, was diesem schwerfällt, da sein Unterkiefer zerbröselt.

„Niemand. Sie sättigen aber extrem und ich esse sie schon auf der Zugfahrt nach Berlin. Man kaut sehr lange daran, weil sie trockener nicht sein könnten.“

„Lachen deine Kollegen dich nicht aus?“

„Ja. Würde ich ja auch an ihrer Stelle. Vermutlich zerreißen sie sich das Maul über mich. Aber damit muss ich klarkommen. So als Asket. Und: Es gibt ja immer zwei Seiten, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Verstehe ich nicht.“

„Denk nochmal nach.“

„Jetzt verstehe ich es.“

„Siehst du … oh, deine Nase!“

Auch zerbröselt.

Das Tolle an jenen Waffeln ist, dass sie lange haltbar sind, ich nehme an, so etwa zwei bis drei Jahre. Das gilt näherungsweise auch für die Eier, die ich vorkoche.

„So, Merugin: Auch sehr gesund sind die Eier. Eier gehören zu den nahrhaftesten Lebensmitteln überhaupt, da verwertet der Körper einfach alles von.“

„Und dein Cholesterinspiegel? Ich meine, wie viele Eier isst du pro Tag?!“

„Das können schon mal sechs bis zehn sein. Und Eier haben keinen Einfluss auf den Cholesterinspiegel. Das ist nach wie vor unwahr. Meiner übrigens ist leicht zu niedrig.“

„Und dein Magen akzeptiert die Eier?!“

„Ja.“

Ich koche immer 14 Eier, um genau zu sein, da zwei während des Kochens gerne aufplatzen. Immer zwei. Muss einem Naturgesetz folgen. Ich steche sie vorher auch nicht an, da mir dabei immer mindestens ein rohes Ei in der Hand zerbricht und das Anstechen ohnehin keine Wirkung hat. Angeblich habe auch das Abschrecken keinen Einfluss auf das Pellverhalten des Eis und tatsächlich habe ich teilweise Chargen dabei, bei denen ich die Eihaut partout nicht abbekomme, was mich beim Pellen jedes Mal rasend macht, da ich diesen Mechanismus einfach noch nicht durchschaut habe.

„Merugin, ich bereite dir nun ein Protein-Notfall-Paket! Ein Omelett mit stummen E aus sechs Eiern, einen Protein-Isolate-Shake, den du nicht selber wirst shaken können – dein rechter Arm ist inzwischen ebenfalls zerbröselt – sowie einen Quark.“

„Sterbe ich nicht nach so viel Protein?!“

„Du armer Trottel!“, schimpfe ich ihn, als ich sehe, dass sein Kopf zerbröselt, „Ich werde dir das alles direkt in die Speiseröhre kippen müssen!“

Meine Eier sind nun fertig und unser Waffeleisen standesgemäß eingesaut, da ich jedes Mal zu viel Teig reinfülle, um schneller fertig zu werden. Und ich sehe mich morgen schon wieder im Zug nach Berlin sitzen, vier Stunden lang an drei Waffeln kauend, mich auf die Eier freuend, während meine Kollegen am Abend die allabendliche Frage diskutieren:

„Zum Chinesen? ‚Rewe‘ hat ja zu. Oder zu ‚Keb-Up‘? Oder will wer was mit bestellen? Welche Hausnummer haben wir eigentlich? Ansonsten, Tim, hast du noch Ravioli? … Seppo isst ja nichts.“

Doch, Eier.