04.05

Einigermaßen nebelfeucht werde ich wach. Gewohnt greife ich nach rechts, ungewohnt allerdings ist Nichts. Erst dann realisiere ich, dass dort, wo sonst meine Mitbewohnerin liegt, eben jenes Nichts ist, da ich mich nicht bei ihr in Düsseldorf aufhalte, sondern in Falkensee bei Berlin, aber in Brandenburg. Feucht bin ich, da ich in einem Energiesparhaus untergebracht bin, das seine Aufgabe übertrieben ernstnimmt: Nichts kommt rein, aber leider auch nichts raus. Ich greife zum Handtuch neben dem Bett und trockne mich ab. Will das Dachfenster öffnen, stehe also auf und freue mich, dass ich mich nicht an der Dachschräge gestoßen habe. Ich lächle das Lächeln eines Siegers, stoße das Fenster nach oben und bette mich wieder, da der Wecker erst um fünf Uhr eins geht. Eins, da ich beim Stellen des Weckers übereifrig war und keine Lust hatte, noch einmal 59 mal auf „minute“ zu drücken.

05.01

Der Wecker reißt mich brutal aus dem Schlaf; ich schnelle hoch und ramme mir den Kopf wie gewohnt an der Dachschräge. Feucht bin ich nicht mehr. Ich kontrolliere den Boden, ob der feucht geworden ist, aber da es nicht geregnet hat, wurde das offene Dachfenster nicht zum Problem. Ein Vabanquespiel, das Öffnen des Fensters – immer wieder. Denn: In Falkensee regnet es eigentlich allzeit.

Ich bin alles andere als ausgeschlafen, stehe aber vor einigen Aufgaben; ich muss mich also zusammenreißen. Der Morgenablauf hier in Falkensee ist ein anderer als der in Düsseldorf, wo ich mit einem Kaffee zunächst einmal rund 90 Minuten im Bett liegen bleiben würde – lesend. Hier lese ich unten in der Küche. Denn das Untergeschoss ist einigermaßen klimatisiert und vor allem: frei von Dachschrägen. Das hiesige Bett nutze ich nur für das Nötigste. Dieses Bett muss mich für asexuell halten. Naja, teilweise …

Ziel ist es, in voller Laufmontur das Zimmer zu verlassen. Dazu gehört die GPS-Uhr, der „iPod“, das Handy sowie mein Schlüsselbund. An das alles zu denken, ist morgens um fünf Uhr nicht unbedingt einfach.

05.06

Ich vergewissere mich, alles dabei zu haben und wechsele die Etage. Dabei passiere ich die erste Etage, aus der in aller Regel sanftes Schnarchen zu vernehmen ist. Ich kann es keiner der drei dort schlafenden Personen zuordnen, habe aber zumindest einen Verdacht. Ich schnarche vermutlich auch, aber eben in der zweiten Etage. Meine Mitbewohnerin allerdings sagte mir, dass ich, seit ich Kraftsport betreibe, nicht mehr schnarche.

Wie dem auch sei, die Küche erwartet mich schon. Anders als der Kaffee. Herkulesaufgabe Nummer zwei. An sich hat unsere Kaffeemaschine hier in Falkensee einen timer. Auf den ist allerdings alles andere als Verlass, sodass ich die Maschine manuell wie in der Staincait selbst befüllen muss. Eine für mich im verschlafenen Zustand unerträglich nervige Aufgabe, zumal ich etwa zehn Minuten auf den fertigen Kaffee warten muss. In Düsseldorf ist das anders, da kocht meine Mitbewohnerin. Den Kaffee.

05.11

War klar, ich habe oben im Zimmer etwas vergessen. Also gehe ich wieder hoch. Öffne die Zimmertür und erschrecke: Warum zur Hölle liegt Kollege Butzi in meinem Bett?! Entwarnung. Ich hab mich im Zimmer geirrt. Schließe sanft die Fremdtür, mache einen seitlichen Schritt nach links und stehe vor der eigentlichen Zieltür, die ich nur noch zu öffnen brauche. Tue dieses, wundere mich, dass ich nicht im Bett liege, entledige mich meiner Brille, auf der noch Fettspritzer vom Kochen am Mittwoch mir die Klarsicht verhageln, und setze meine Kontaktlinsen ein, da ich mit Brille nicht laufe. Bei der Gelegenheit greife ich meine Kopfhörer, die ich ebenfalls vergessen hatte. Wegen einer komplizierten Situation stecken sie nicht permanent im iPod; dazu später nicht mehr.

Ich gehe wieder runter, vorbei am sanften Schnarchen, und versuche, sehr, sehr leise zu sein. Der Kaffee ist nun „durch“, erst ein erster Schluck wird meine Stimmung heben. Denn um diese Zeit habe ich keineswegs Lust auf das Laufen und den Sport. Ich hasse beides.

05.13

Betont leise will ich dem Schrank eine der Tassen entnehmen, wobei ich die nebenstehende umwerfe.

„Verdammt!“, flüstere ich.

Immer dann wenn man besonders leise sein will, ist man besonders laut. Ich lausche, ob das sanfte Schnarchen noch zu vernehmen ist … ja, schnarcht noch … nicht wach geworden.

Ich nehme meinen ersten Schluck Kaffee ein, gefolgt von etwa 35 weiteren. Ich habe heute gezählt.

Meine Vitalfunktionen erreichen nun einen messbaren Bereich. Mein Herz beginnt zu klopfen und ich verspüre so etwas wie „gute Laune“. Die Sonne scheint und ich habe vergangene Woche endlich eine annehmbare Laufstrecke hier gefunden, die mir allerdings ein Rätsel ist. Gleich mehr dazu. Denn zuerst genieße ich den Kaffee wie in einer tollen Kaffee-Werbung bei meiner Sonntagszeitung, deren Lektüre mir am Sonntag ja nicht mehr vergönnt ist. Meine Erwartungen werden bestätigt: Es wimmelt von Nachrufen auf Helmut Kohl. Zurecht auch und ich lese sie gerne. Und verstehe immer mehr, warum er auf Kriegsfuß mit den Medien stand; ganz Unrecht hatte er dabei nicht.

Lese ich hingegen, freilich und gottseidank nicht in der F.A.S., über und von Kai Diekmann und dessen Verhältnis zu Kohl, breche ich, denn Diekmann nehme ich nichts ab.

Heute will ich um sieben laufen, verhältnismäßig spät. Ich habe somit rund eineinhalb Stunden, um dafür auch bereit zu sein, was – so offen darf ich sein – auch die Verdauung betrifft. Denn alles, was noch drin ist, entwickelt sich beim Laufen zu einer zementartigen Masse, die sich immer tiefer durch die Därme drückt, bis es kein Halten mehr gibt. Und der Leser möge mir glauben: Es gibt dann auch kein Halten mehr. Läufer werden wissen, was ich meine …

07.00

Ich aktiviere die Laufuhr, suche eine passende playlist für meinen heutigen Lauf, die aber mit Musikgeschmack nur in Teilen etwas zu tun hat. Mir geht es eher darum, mit möglichst viel bpm zu laufen, da das ungemein motiviert. Aber auch „Wizo“ oder „Berliner Weisse“ sind treue Laufbegleiter.

Die Uhr piept und vibriert; sie will mir sagen, sie hat Empfang. Es geht los.

07.01

Noch nicht ganz. Wie jeden Morgen scheitere ich an unserer Haustür. Vielmehr an ihrem Schloss. Es ist kein normales Schloss. Wir müssen eine Art Schlüsselkarte vor einen Sensor halten und dann den Knauf drehen. Irgendwie. Klappt bei mir meist beim dritten Mal. Heute nicht.

07.02

Ich verlasse das Haus durch ein Fenster und laufe los. Ich freue mich tatsächlich auf die Strecke, die ich hier entdeckt habe. Sie führt Richtung Norden. Erst durch Wald, dann durch ein Wohngebiet ohne Straße, dafür mit viel Sand, bevor ich dann plötzlich im Süden Falkensees lande. An der Hauptstraße, der Nauener Straße. Ich bin verwirrt, sehe mich um, kann nicht begreifen, wie Laufen gen Norden mich in den Süden geführt hat. Ich bin fasziniert und laufe die Runde ein zweites Mal. Achte sehr genau darauf, wo Richtungswechsel kommen, doch wieder wähne ich mich im Norden, als ich im Süden herauskomme. Das kann nur bedeuten, dass ich entweder einmal die Welt umrundet habe (unwahrscheinlich) oder einfach im Wald die Orientierung verloren habe (wahrscheinlich).

08.05

Das Rätsel will ich mir erhalten und gucke wieder zuhause nicht bei „Google Maps“ nach, wie genau ich denn nun lief.

Ich bin etwa so nass wie vier Stunden zuvor. Schleunigst trinke ich ein Glas Wasser: null komma fünf Liter. Ich muss das genau wissen, da ich dann 500 Gramm beim Wiegen abziehen muss. Richtig gelesen, ich wiege mich jeden Tag. Vor und nach dem Laufen. Vor und nach dem Schlafen. Vor und nach dem Wiegen.

Zwei leere Gläser nehme ich mit nach oben, wechsele also in die oberste Etage, wo es heißer ist als draußen. Ich füttere die Amphibien, die sich wegen des feuchten Klimas in meinem Zimmer angesiedelt haben und bereite mich für das Krafttraining vor. Ich ziehe mich aus. Bei diesem Wetter braucht es beim Training keine Kleidung. Die Unterhose bleibt, da man andernfalls mit der Hantel am Penis hängen bleiben kann. Das ist kein Witz, das geschieht tatsächlich.

Die zwei Gläser befülle ich nun mit Wasser. In das eine vermenge ich Proteinpulver, in das andere Magnesium und Zink. Und ich gebe zu, dass ich gerade beim Schreiben denke, was auch der Leser denken muss: Was zur Hölle ist das für ein kurioser Typ?! Ich kenne ja die Antwort und bin bestätigt.

Es folgen knapp zwei Stunden Krafttraining, heute etwas weniger, weil ich aus unerfindlichen Gründen etwas später als sonst laufen ging. Und was soll ich sagen? Man startet ungemein fit in den Tag, habt man es derart hand.