In Münster kennt ihn jeder. Es wird Cait, dass nun die ganze Welt Kenntnis von ihm nimmt. Typisch deutsch, immer gleich die ganze Welt. Aber warum auch nicht?! Denn:

Der Mann mit dem blauen Hut
Der mit dem Rücken zur Straße steht
Und sich schnell noch eine Zigarette dreht

Das singen in Münster die Kinder, wenn sie ihn sehen. Meine Mitbewohnerin und ich sahen ihn vergangene Woche, als wir als Stargäste in jener meiner Heymadstadt waren, wovon nur die wenigsten Münsteraner Notiz genommen hatten. Rund 300.000 gibt es, weniger also als Leser des seppologs. Ob der Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht, dazugehört?

Nein.

Ich entstamme dem Bonzenviertel Münsters, Hiltrup. Meine Eltern sind keine Bonzen und auch für mich sieht es nicht danach aus, als würde ich es noch werden. Jedenfalls verhält es sich so wie die Katze zum Sprungbrett, dass wir ihn auf dem Weg von Hiltrup in die Innenstadt sahen. Er, der Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht, steht immer, also wirklich immer an ein und derselben Bushaltestelle in der Nähe des „K+K“-Marktes. Und er steht dort immer mit dem Rücken zur Straße, was überhaupt keinen Sinn ergibt. Kommt der Bus, bemerkt der Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht, das gar nicht. Aber ist es nicht arrogant anzunehmen, dass er überhaupt auf ihn warte, auf den Bus?! Vielmehr glaube ich, dass er es gar nicht nötig hat, auf irgendwelche Busse zu warten!

 

„Da isser wieder!!!!! Da, guck!!!!“, rufe ich.

„Wer? Was denn wo?!“, ruft meine beifahrende Mitbewohnerin.

„Der Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht!“

„Der Typ da?“

„Ja, der mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht!“

„Der dreht nix! Der raucht schon.“

„Ja, aber so heißt es in dem Kinderlied über ihn. Der ist bestimmt schon 90 Jahre alt. Ganz Münster kennt ihn!“

„Weiß er das?“

„Hat er nicht nötig.“

„Hat man ihn jemals gefragt?“

„Man spricht doch nicht einfach den Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht, an!“, empöre ich mich.

„Warum denn nicht?!“

„Weil … ja, warum sollte man ihn einfach so ansprechen?!“

„Fahr da hinten rechts ran. Wir fragen ihn.“

Hm, ich bin hin und her gerissen, aber nicht so gerissen wir ein Fuchs. Ich kenne den Mann mit dem blauen Hut usw., seit ich ein Kind bin.

„Seit ich ein Kind war!“

Ja, war. Ich habe nie mit ihm gesprochen. Er sieht auch gar nicht so aus, als würde er sprechen. Wenn ich ihn nun anspreche, zerstöre ich vielleicht einen Mythos, denke ich bei mir.

Doch da ich sehr langsam denke, bemerke ich nicht, dass wir bereits aus dem parkenden Auto ausgestiegen sind und uns dem Mann mit dem blauen Hut nähern. Meine Mitbewohnerin erstarrt anders als ich in das Gegenteil von Ehrfurcht und eröffnet das Gespräch:

„Entschuldigung …“

Der Mann mit dem blauen Hut dreht unbehelligt seine Zigarette weiter, die er bereits raucht, und wendet sich uns auch nicht zu. Doch meine Mitbewohnerin, ich und der kleine Vogel auf dem Laternenmast über uns spüren, dass der Mann mit dem blauen Hut uns sehr wohl registriert, was meine Mitbewohnerin veranlasst, dem „Entschuldigung“ noch etwas hinzuzufügen:

„Sie sind doch der Mann mit dem blauen Hut.“

Was für eine Frage an einen Mann gerichtet, der ganz offensichtlich einen blauen Hut trägt! Ich bin in größter Sorge, dass der Mann mit dem blauen Hut sich von der Chuzpe meiner Mitbewohnerin beleidigt fühlt. Doch der Mann … er antwortet!

„Ja, der bin ich. Der Mann mit dem blauen Hut.“

„Der mit dem Rücken zur Straße steht?“, fragt meine Mitbewohnerin weiter.

„Und sich schnell noch eine Zigarette dreht. Genau der bin ich. Was kann ich für die junge Lady tun? Wird sie gar belästigt von diesem Eierkopf?“

Ich sehe mich nervös nach einem Eierkopf um, bevor ich realisiere, dass diese Bezeichnung offenbar auf mein Haupt gemünzt ist.

„Nein, im Moment nicht“, sagt meine Mitbewohnerin.

„Was ist dann der Zauberhaften Begehr?“

„Ich hörte, dass Sie in Münster so etwas wie eine Legende sind.“

„Das mag so sein.“

„Also Sie wissen, dass ein jeder hier sie kennt?“, fragt meine Mitbewohnerin, die auf seltsame Art des Mannes mit dem blauen Hut, der mit dem Rücken zur Straße steht und sich schnell noch eine Zigarette dreht, Kaktus Duktus übernommen hat.

„Natürlich weiß ich das.“

„Und Sie stehen wirklich immer hier?“

„Ja, immer.“

„Und wann schlafen Sie? Wann essen Sie? Wann gehen Sie zur … also, ich meine …“

„Toilette?“

„Ja!“

„Ich weiß nicht, meine Kleine, ob du das Lied über mich kennst.“

„Ich hörte davon.“

„Heißt es in dem Lied, dass ich zur Toilette gehe? Dass ich esse? Dass ich schlafe?“

„Nein.“

„Siehst du!“

Ha! Mir gefällt der Mann mit dem blauen Hut, der mit dem Dings, äh, Rücken zur … und sich eine Tüte … also ich mag ihn. Seine Antwort ist so … so … naja … so bestechend. Ich ahne, er hat solche Dinge, wie Essen, Schlafen und naja gar nicht nötig! Und das Tolle: Er hausiert nicht damit. Er steht einfach nur so da, mit seinem blauen Hut, mit dem Rücken zur Straße! An einer Bushaltestelle! Ihn interessiert gar nicht, ob da nun ein Bus kommt oder nicht! Er steht auf eine erstaunlich lässige Weise über den Dingen! Und das hängt er nicht an die große Glocke!

Meine Mitbewohnerin will noch mehr wissen:

„Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„Aber natürlich.“

„Wie alt sind Sie?“

„Sehen Sie?!“

Erstaunlich! Er antwortet nicht, doch die Fragende ist derart zufrieden, als habe der Mann mit dem blauen Hut geantwortet!

„Dann stören wir nicht mehr weiter. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag!“, verabschiedet sich meine Mitbewohnerin.

„Ich empfehle mich“, sagt der Mann mit dem blauen Hut, der nicht einmal zu uns geblickt hat. Er hat es nicht nötig.

„Was für ein Mann!“, sagt mir meine Mitbewohnerin im Weggehen.

„Ja. Und hast du gesehen? Den Hut?“

„Ja, blau.“

„Ein blauer Hut. Du weißt, was das heißt?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Und das ist das Verrückte daran.“