Ich bin ja Freund von Ritualen, von wiederkehrenden Ereignissen, von Traditionen. Vermutlich weil solche Dinge meinem Leben einen Rahmen geben, möglicherweise sogar Halt. Eine dieser

Puh, habe einen schweren Kater. Das Schreiben gestaltet sich ausgesprochen schwierig. Es begann damit, dass ich gerade im Text G20 den Namen Schornack tilgen musste, da er eigentlich für eine andere und vor allem reale Person vorgesehen war und im G20-Text leider fehlvergeben wurde. Der Leser muss sich nun also im Klaren darüber sein, dass aus dem linksradikalen Bombenleger Schornack nun rückwirkend Grommek geworden ist. Ich weiß, das ist gerade für Neuleser verwirrend, denen dessenthalben gesagt sei: Ignorieren Sie diesen kursiven Text. Sie haben von Schornack nie etwas gehört, sind anders als eingesessene Leser nun völlig frei von Vorurteilen die folgende Geschichte betreffend, die auch nur so gut sein kann, wie mein Blutalkoholspiegel es zulässt.

Eine dieser

Was wollte ich da eigentlich schreiben?! Achja!

Eine dieser Redundanzen

Das wollte ich schreiben! Aber das ist totaler Bullshit, da der Begriff überhaupt nicht passt und etwas völlig anderes meint. Mieser Start für Schornack als neue Figur in meinem heiligen Figurenuniversum …

Eine dieser wiederkehrenden Dinge ist Schornack. Ich möchte betonen, dass es sich hier nicht um eine ausgedachte Geschichte handelt. Lediglich der Name ist ausgedacht, wobei ich nicht ausschließe, dass die gemeinte Person tatsächlich Schornack heißt. Ist aber extrem unwahrscheinlich, denn niemand heißt Schornack.

Auftrag an den Leser: „Schornack“ googeln.

Und?

Unangenehme Überraschung, nicht wahr? Den Namen gibt es tatsächlich! Da glaubte ich, ich hätte einen tollen Namen kreiert und dann sowas: Jürgen Schornack, Rechtsanwalt in Berlin. Heidewitzka! Darauf erst einmal einen Müller-Thurgau von der „Total“-Tanke.

Unser Schornack, der kein Rechtsanwalt ist, sondern vermutlich erwerbslos, erleben meine Mitbewohnerin, die heute übrigens einen besonderen Tag verlebt, und ich jeden Sonntagnachmittag. Wir könnten die Uhr nach ihm stellen, was wir aber nicht tun, da wir beide keinen Grund sehen, jeden Sonntag irgendwelche Uhren neu zu stellen. Es ist ja nicht so, als würden wir sonntags feststellen, dass unsere Uhren falsch gingen. Und selbst wenn, würden wir sie wohl kaum nach dem Erscheinen Schornacks stellen, da auch Schornack sich womöglich mal um fünf Minuten verspätet oder verfrüht.

 

„Entschuldigen Sie bitte meine Verfrühung. Ich werde am besten später noch einmal wiederkommen.“

„Da nicht für.“

Im obigen Dialog wurde die unerträgliche Floskel „Da nicht für“ völlig falsch eingesetzt. So geht es richtig:

„Ich bedanke mich für das mir zugewiesene Seelenheil.“

„Da nicht für.“

 

Meist sind wir gerade in der Küche oder in der „Stube“, wie meine Oma, derzeit Staub, immer das Wohnzimmer nannte. Alle Wohnzimmer. Omas Welt war im Grunde eine gemütliche Stube. Ach, noch einmal Oma sein …

Übrigens: Stillende Väter irritieren den Betrachter, nicht aber den Gestillten.

Also meist sind wir gerade irgendwo in unserer Wohnung, als wir Schornacks Rufen von draußen hören. Wir hören viel. Wir hören beide sehr gerne. Wir frönen dem Hören. Und da unser Fenster, das Schlafzimmer und Außenwelt voneinander trennt, im Grunde immer weit geöffnet ist, entgehen uns Schornacks Rufe im Grunde nie.

Vorsichtig, Freundchen! Denn: Das kannst du nicht wissen. Es ist ähnlich dem Radiowecker-Phänomen: Ich bin oftmals erstaunt, aber nicht bass, dass ich bereits vom ersten Klingeln des Weckers wach werde. Jahrelang habe ich das geglaubt. Bis mir ein unfassbar genialer Gedanke kam, für den ich mich deshalb noch feiere, weil dessen Reifung nur etwa 20 Jahre benötigte. Wie kann ich denn wissen, dass es das erste Klingeln ist, von dem ich wach werde?! Was, wenn es das zehnte ist und ich die vorigen neun gar nicht wahrgenommen habe?! Tja. Dieser Gedanke hat mein Hirn in Fetzen gerissen, was man sich bildlich nur unter Zwang vorstellen möchte.

Schornacks Rufe könnten uns also durchaus entgehen! Wir merken es nur nicht. Denn folgende Frage ist brisant aber erlaubt: Ruft Schornack vielleicht auch samstags?

„Schornack ist wieder da!“, rief meine Mitbewohnerin auch am zurückliegenden Sonntag. Sie nennt ihn inzwischen auch Schornack. Wir geben den Dingen Namen.

Umgehend bewegten wir uns Richtung Schlafzimmer. Ich kam aus dem Wohnzimmer, sie aus der Küche. Wir trafen im Flur aufeinander, verhakten uns kurzzeitig im Türrahmen zum Schlafzimmer, da ich am Sonntag längs ging, berappelten uns, schlugen uns in den Bauch, wie wir es derzeit gerne tun und endeten am Fenster.

„Wo genau ist er?“, flüsterte meine Mitbewohnerin.

Ich lehnte mich vorsichtig Zentimeter für Millimeter aus dem Fenster. Er durfte uns nicht sehen. Denn wir hatten Angst, dass er uns anschrie. Schornack ist nämlich leider geistesgestört. Darum ruft er auch die ganze Zeit. Er schimpft vor sich hin. Und das sehr laut, sehr aggressiv.

„Er ist jetzt direkt unter uns!“, informierte ich meine Mitbewohnerin, die sich nun ebenfalls aus der Maueröffnung lehnte.

Es ist natürlich tragisch, dass dieser Mensch geisteskrank ist. Wir machen uns auch nicht lustig darüber. Aber wer will es uns verübeln, dass wir darauf reagieren, wenn jemand schreiend an unserem Haus vorbeiläuft?

„Er hat wieder seinen Rucksack bei sich“, sagte ich zu meiner Mitbewohnerin, was überflüssig war, da sich ihr ja dasselbe Bild bot wie mir.

„Das sehe ich.“

Er hat immer seinen Rucksack mit. Auf dem Rücken. Mit beiden Trägern.

Ab der achten Klasse, den „Amigo“ längst ausrangiert, trug ich meinen Rucksack – auch auf dem Fahrrad – stets nur mit einem Träger, den an der rechten Schulter. Eigentlich völlig dämlich, womöglich aber galt und gilt das als besonders lässig. Ich bin ja eh eher der Lässige. Ich bin superlässig. Ach, halt die Fresse, Seppo.

Schornacks Rucksack ist immer offen. Deshalb sehen wir immer die Wasserflasche, die er im Rucksack mit sich trägt. Die Flasche rechtfertigt seinen Rucksack.

„Er mag geisteskrank sein, aber er trinkt genug“, sagte einer von uns beiden.

„Ja, ist wichtig. Zwei Liter pro Tag. Nicht mehr, nicht weniger.“

„Ja, mehr als zwei Liter: Wasservergiftung.“

„Weniger als zwei Liter: Dehydrierung.“

„Tod. Unweigerlich ist Tod die Folge.“

„Kein Wasser mehr nach 18 Uhr!“

„Halt den Mund.“

„Ich?“

„Ja.“

Ich freue mich jetzt schon wieder auf kommenden Sonntag, wenn er wieder ruft. Wo er wohl immer hingeht? In den nahen Volksgarten womöglich? Ich überlege, ob ich mal mitgehe. Heimlich. Unbemerkt. Denn ich fürchte, dass er sehr aggressiv reagiert, wenn man ihn anspricht. Oder aber er freut sich. Vielleicht aber gucke ich Sonntag auch wieder Formel 1, um nach vier Stunden festzustellen, dass am kommenden Sonntag gar cain Rennen stattfindet.