Ich bin absolut ungeeignet, mit mehreren Menschen (Menge > 0) zusammenzuwohnen. Das wusste ich bereits, bevor ich mit Pavel, einst meinem besten Kumpel, vor etwa zehn Jahren in eine Zweier-WG zog, nachdem wir beide aus dem Studentenwohnheim geflogen waren, weil wir dessen Parkplatzbeschrankung unbrauchbar gemacht hatten.

Dass mir verschiedene Dispositionen von Menschen ziemlich schnell auf den Caiger gehen, also Macken im Sinne von Eigenheiten, war mir bewusst und Pavel hat diese meine Intoleranz durchaus befeuert. Das Unvermögen, an sich harmlose Macken zu ertragen, ist vermutlich meine größte Macke, der ich mir bewusst bin wie auch der Tatsache, dass der Fehler nicht beim Macken-Inhaber, sondern bei mir zu finden ist, zumal ich nicht behaupten kann, selbst frei von weiteren Eigenheiten zu sein, die andere nerven und nicht nachvollziehen können.

Natürlich bildet meine Mitbewohnerin dabei eine Ausnahme, und zwar in beide Richtungen: Ihre Macken, die ich jetzt spontan gar nicht benennen könnte, stören mich nicht im Geringsten und meine Merkwürdigkeiten erträgt sie mit dem standhaften Kreuz, über das nicht wenige starke Frauen verfügen. Mit ihr zusammenzuwohnen ist somit ein beiderseitiges Vergnügen, das ich nicht missen möchte, zumal sie auch noch hübsch anzusehen ist.

Nun lebe ich seit rund drei Monaten zwei Tage pro Woche in einer WG mit vier Männern. Das hat sich aufgrund beruflicher Turbulenzen mit gutem Ausgang so ergeben und natürlich war ich ausgesprochen skeptisch, bevor das Experiment startete. Gerne übrigens hätte ich noch eine Frau dabei gehabt, aber nun putzen wir eben selbst, das aber nicht oft, wobei das natürlich ungleich verteilt ist, und dass ich nicht zu den Eifrigsten zähle, verschweige ich an dieser Stelle auch gerne nicht.

In der Wohngemeinschaft mit meiner Mitbewohnerin verhält es sich genau anders: Ich mag es, wenn die Wohnung steril ist, Putzreiniger können mir nicht aggressiv genug sein. Wenn nicht mindestens die zwei äußersten Hautschichten meiner Hände nach einem Reinigungsvorgang mit diversen Scheuermitteln oder Chlorreinigern weggeätzt sind, habe ich nicht ausführlich genug geputzt. Krümel auf dem Boden machen mich rasend und Dinge, die sich nicht an ihrem ihnen zugewiesenen Platz befinden, werden umgehend verräumt; ein paar Beispiele:

Für meine Armbanduhrensammlung gibt es einen Armbanduhrenkasten. Für meinen Bartkamm gibt es einen festen Platz, wo er morgens auf mich wartet, damit ich ihn in meine Tasche stecken kann. Meine „Fishermen’s Friends“ liegen auf der Kommode an der Tür vom Schlafzimmer, damit ich sie ebenfalls unmittelbar nach dem Prozess des Ankleidens beim Verlassen des Schlafzimmers (Wir schlafen in einem Ankleidezimmer!) in die Hose stecken kann. Nächste Station ist meine Patte, wie man in Münster Portemonnaies nennt. Sie verschwindet als vorletzter Gegenstand in meiner Hose, bevor ich an der letzten Station noch zwei Papiertaschentücher („Solo Talent“) in der rechten Tasche placiere, da ich mir etwa zwei Mal pro Tag die Nase putze.

Jeder Tag beginnt damit, dass ich Dinge verräume, die am falschen Ort liegen. Der Leser fragt sich, wie es überhaupt zu einer solchen Fehlzuordnung von Gegenständen kommen kann, wenn ich doch so pingelig bin. Hier kommt nun meine Mitbewohnerin ins Spiel, die Dinge immer dort abstellt oder -legt, wo sie entscheidet, sie nicht mehr zu benötigen. Das sind oftmals auch die Dinge, die sie dann später sucht. Ich hingegen: suche nie. Denn alles hat seinen Platz; ein paar Beispiele:

Korkenzieher? Kein Problem: in der Korkenzieher-Schublade.

Glühbirnen? Kein Thema, in der Glühbirnen-Schublade.

Geladene Akkus? Natürlich in der Batterien-Schubalde, rechts neben den noch zu ladenden leeren Akkus.

Kontaktlinsenreinigungsflüssigkeit? Schnell gefunden, im Kontaktlinsenreinigungsflüssigkeitenschränkchen.

Schwarzes Paar Socken für die Beerdigung? Ich habe genau ein schwarzes Paar Socken (der Rest sind Socken mit „Simpsons“-Motiven) für exakt diesen einen Zeck. Wo zu finden? In dem Kästchen neben der Sockenschublade, in der ich auch meine einzige Fliege aufbewahre. Die Fliege allerdings trage ich nicht bei Beerdigungen.

Egal, welches Utensil gebraucht wird, alles ist katalogisiert und am entsprechenden Platz. Bei mir. Denn es gibt eine Tabuzone: Das Zimmer, das das Finanzamt für ein Arbeitszimmer hält, von mir aber „Zone“ genannt wird. Räumte ich dort auf, würde meine Mitbewohnerin mich mit einem ihrer Kampfsportgriffe zügig gen Ohnmacht bringen. Es handelt sich um ihr Zimmer. Dort aufzuräumen wäre aber auch eine Herkulesarbeit. Halte ich mich dort auf, schmerzt mein Gehirn.

Nicht nur im vorauseilenden Gehorsam erwähne ich, dass meine Mitbewohnerin mitnichten eine Chaotin ist! Vermutlich ist sie völlig normal, was Ordnungssinn angeht, wohingegen ich natürlich der Gestörte bin. Da mache ich mir auch keine Illusionen, sehe aber auch keinen Behandlunsgbedarf. Ich schlafe schlicht besser, wenn die Dinge aufgeräumt sind. Und für mich spricht ja auch der Umstand, dass eine äußere Aufgeräumtheit Zeichen einer inneren ist. Und ich war nie aufgeräumter als heuer.

Aber den bekackten TAN-Generator zu finden, ist fast unmöglich! Meiner ist leider hinüber, also nutze ich den meiner Mitbewohnerin, so ich ihn denn finde. Bei mir hätte er einen festen Platz, bei ihr werden Geld-Überweisungen zum Glücksspiel.

Eine strikte Ordnung gibt es auch beim Falten der Handtücher. Vor fünf Jahren habe ich ein System entwickelt, sie so zu falten, dass sie zum einen ins Badezimmerregal passen und sich zum anderen elegant entfalten, entnimmt man sie diesem. Erst seit drei Jahren hält sich meine Mitbewohnerin an diese Falttechnik, für die ich auch Lehrgänge anbiete. Allerdings verweigert sie das korrekte Einordnen von Handtüchern: Frisch gewaschene Handtücher werden natürlich unter die noch im Regal vorhandenen gelegt und nicht etwa auf! Nur auf meine Weise wird auch wirklich jedes Handtuch aktiver Teil der Handtuch-Rotation.

Inzwischen ist der gesamte Aufgabenbereich „Wäsche“ meiner. Das hat den simplen Grund, dass ich eben nicht so drauf bin, meinen Mitmenschen mein Ordnungssystem aufzudrängen. Denn ich weiß natürlich, dass ich es übertreibe. Und wenn ich es eben so haben will, muss ich selbst dafür sorgen. Aber frische Handtücher oben auf den Stapel legen?! Mal im Ernst. Das unterste liefe ja Gefahr, nie benutzt zu werden, was eine Überbeanspruchung der übrigen bedeuten würde! Nein, das geht nicht, das würde mich beunruhigen.

Am Wochenende erwarten wir Gäste. Das impliziert für mich einen Putzmarathon von Donnerstag bis Samstagmorgen. So läuft das bei Flothos in Düsseldorf – nicht aber in Berlin, in jener Männer-WG.

Zunächst einmal hat das schlicht Zeitgründe. Außerdem sind wir alle nicht besonders chaotisch oder dreckig. Es ist ja hinreichend bekannt, dass es die Männer sind, die weniger Dreck und Chaos hinterlassen als Frauen. Mehr als Saugen und Wischen fällt gar nicht an und in den Badezimmern schließe ich einfach immer die Augen, wenn ich sie betrete. Hin und wieder schwinge ich die Klobürste, mal mache ich den Spiegel sauber, aber viel mehr passiert da nicht. Möchte aber meinen Zimmernachbarn Butzi hervorheben, und zwar lobend, der vergangene Woche unser Badezimmer, das wir uns teilen, grundgereinigt hat. Setzt mich natürlich in Zugzwang – ich bin dann wohl im vierten Quartal dran.

Alle vier Mitbewohner haben natürlich so ihre Macken. Wie jeder Mensch eben. Den Ordnungssinn teile ich beispielsweise mit Tim, der den Ruf des Ordnungsnazis hat und diesen auch genießt, wie ich glaube. Ich täte das auch. Er achtet darauf, dass die Dinge gerade stehen, dass sie symmetrisch angeordnet sind. Das kann ich nachvollziehen. Außerdem führt er viele Excel-Tabellen über diverse Aspekte des Lebens. Listen finde ich ebenfalls gut. Tim ist überdies unser Taktgeber, ihm ist zu verdanken, dass wir nie zu spät irgendwo hin kommen.

Christopher, mein langjähriger Moderationskollege, ist Müllnazi. Er trennt bei uns den Müll. Ich selbst habe nichts gegen Mülltrennung, sie tut nicht weh. Ich bin nur inzwischen überfordert, bin es schon zuhause mit meiner Mitbewohnerin, die mir wöchentlich erklärt, dass jede, aber auch wirklich jede Verpackung in dem Gelben Sack zu landen hat. Christopher hat es mir nun auch erklärt. Doch Lebensmittelreste gehörten nicht in den Biomüll, sagte er mir. Das verstehe ich beispielsweise nicht. Wohin denn dann?! Christopher hat übrigens auch den Müll-

Wann immer ich meinen Mülleimer aus meinem Zimmer leere, achte ich darauf, dass Christopher das nicht mitbekommt. Denn ich habe aufgegeben. Das Trennen. Inzwischen weiß ich nicht mal, was eigentlich Restmüll ist. Was bleibt denn noch, wenn man Bio von Gelber Tonne getrennt hat?! Und kommt Kaffeeprütt nun in den Bio- oder Restmüll?! Ist ja irgendwie ein Lebensmittelrest. Inzwischen spüle ich vieles aus Verlegenheit das Klo runter.

Ruuuich, war nur Spaß. Zumindest bei Toiletten weiß ich sehr genau, was da reinkommt.

Butzi wäscht. Ich staune, wie oft ein Mensch waschen kann. Ich selbst wasche meine Kleidung nicht in Berlin, ich hole das in Düsseldorf nach. Butzi hingegen hat eine interessante Beziehung zur Berliner Waschmaschine entwickelt. Diese Waschmaschine ist in der Tat ein kracher Gerät: innen beleuchtet und völlig geräuschlos. Gottseidank, denn Butzi wäscht auch nachts, wenn ich im Zimmer neben dem – Achtung! – Hauswirtschaftsraum samt Waschmaschine und Trockner schlafe. Leider piept die Maschine penetrant, wenn sie die ihr anvertraute Wäsche als gereinigt erachtet. Butzi gelingt es, öfter Kleidung zu waschen, als er sie wechselt. Physikalisch unmöglich. Aber er! Er schafft das!

Ich werde hier von keinem meiner Mitbewohner schlecht reden. Denn da gibt es nichts Schlechtes zu sagen. Zu Kollegen Simon fällt mir nicht einmal eine Macke ein, die meine engen Toleranzgrenzen strapazieren würden. Und dass er, was motorisches Geschick angeht, mit mir auf derselben Höhe Tiefe ist, macht ihn für mich ja noch sympathischer.

Ich bin letztlich erstaunt, dass ich innerlich wider Erwarten nicht an der Berliner Wohngemeinschaft zerbrochen bin. Das liegt aber auch daran, dass ich eines habe, was ich grundsätzlich brauche: Rückzugsmöglichkeiten. So bin ich jeden Abend der erste, der sich von der Gruppe ins Bett verabschiedet. Oft ist man sogar irritiert, wenn ich noch mit am Esstisch sitze.

„Seppo, du bist ja noch da?!“

Mein Rückzug hat natürlich nichts mit Antipathie zu tun, sondern im Wesentlichen auch damit, dass ich bereits um fünf Uhr aufstehe.

Urprünglich sollte es in diesem Text um Macken gehen. Letztlich aber steht Ordnung im Vordergrund. Vermutlich, weil diese meine größte Macke ist. Wie entlarvend!


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