Bei meinem Zahnarzt steht wirklich eine Schale gefüllt mit grünen Äpfeln an der „Anmeldung“. Die Äpfel sehen aus wie gemalt, fast meint man, sie seien aus Wachs. Sie sind wohl echt und natürlich Show. Denn wie viele „Patienten“, die in dieser Praxis vermutlich „Klienten“ genannt werden, nehmen sich wirklich einen dieser Äpfel? Ich nehme mal an, sie verschwinden abends in den Taschen der zahlreichen dort Angestellten, damit sie nicht vergammeln. Die Angestellten. Die durchweg hübschen Zahnarzthelferinnen. Oder wie auch immer man sie derzeit politisch korrekt betitelt.

Meine Zahnarztpraxis ist keine herkömmliche mehr. Sie wird inzwischen von einem riesigen Gebäudekomplex in Düsseldorf beherbergt, gegenüber vom Landgericht. Und jetzt kommt es: Sie hat einen „Youtube“-Kanal, wo Videos wie dieses zu sehen sind:

Was für Selbstdarsteller! Würde mir nie passieren …

(Ohne Scheiß, sitzt da bei Minute 0:13 Coach Eddy?! Hahahahahahahahahah! Der ist ja Düsseldorfer. Ich werd bekloppt! influencer unter sich!)

Vor zwei Wochen habe ich zwecks Terminabsprache die Telefonnummer der Praxis gegoogelt. Seitdem werden meine „Fitness“-Videos von einem Werbespot dieser Praxis unterbrochen, Algorithmen sei Dank. Doch was bringen diese spots, wenn ich doch schon lange Klient dieser Praxis bin?! Jener Arzt, den wir zu Beginn obigen Videos sehen, hat mir beispielsweise vor einigen Jahren mein Implantat verpasst. Zu einem günstigen Preis, was man angesichts dieser Hochglanzpraxis gar nicht meinen möchte.

Mein Leben ist von zwei Konstanten gezeichnet: Da ist zum einen meine Mitbewohnerin, die hoffentlich Konstante bleibt, und zum anderen die Tatsache, dass ich – wohl genetisch bedingt – völlig gesunde Zähne habe, sehe ich mal von dem einen inzwischen durch das Implantat Ersetzten ab, der etwas aus der Reihe fiel – im Wortsinne. Ansonsten habe ich keine Karies oder Zahnstein, bei letztem weiß ich nicht mal, was es eigentlich ist. Ich habe also einfach mal Glück, was das angeht. Und im Grunde würde ich deshalb auch nie zum Zahnarzt gehen, da ich Ärzte ohnehin erst dann aufsuche, wenn ich mir selbst einen Tumor diagnostiziert habe. Ich habe nicht einmal einen Hausarzt. Mir ist natürlich bewusst, dass sich das Schicksal jederzeit auch für mich etwas Übles ausdenken kann. Doch bis dahin bin ich der Meinung, dass der Gang zum Arzt eine sofortige Diagnose mit sich bringt, die mich in einen Strudel unnötiger Behandlungen führen würde. Tatsächlich gibt es zahlreiche Untersuchungen zu diesem Aspekt: Manche Dinge sollten nicht behandelt werden; Leserinnen wissen um den Konflikt der Monographie. Und vermutlich meint der Autor hier eher die Mammografie.

Darum schenke ich mir auch eigentlich die halbjährliche Kontrolle meiner Zähne. Eigentlich. Denn ein- bis zweimal im Jahr gönne ich mir eine Zahnreinigung, im Zuge derer mit oftmals eine Kontrolle aufgezwungen wird.

„Sie werden nichts finden!“, sage ich jedes Mal, wenn der Arzt oder wie gestern die Ärztin, sich über mich beugt. Ich lehne mich damit sehr weit aus dem Fenster, da ich zum einen glaube, Ärzte finden immer etwas (allein schon, um an mir zu verdienen), und dass zum anderen auch ich sicherlich irgendwann die ersten Anzeichen körperlichen Verfalls erleben werde.

Skeptisch werde ich, wenn mir der Arzt vorschlägt, doch einmal meinen Kopf zu röntgen. Auch da sage ich dann sofort:

„Sie werden nichts finden!“

Das führt zu heiterem Gelächter, bevor auch ich dann bemerke, dass in diesem Fall mein Spruch etwas unpassend ist. So oder so, ich verweigere das Röntgen, da ich mir sehr sicher bin, dass das bereits Teil einer Überdiagnostik ist, völlig unnötig, denn solange nichts wehtut, lasse ich bei mir nicht eingreifen. Auch eine versteckte Karies, die nur auf dem Röntgenbild zu sehen wäre, wird für mich erst dann interessant, wenn man sie bloßen Auges erkennt.

Lustig sind sie auch noch! Ich sollte auch dazu sagen, dass mir in dieser Praxis keine unnötigen Behandlungen aufgedrängt werden. Und ich sollte erwähnen, dass in diesem Artikel Produktplatzierung stattfindet, da ich meine Seele verkauft habe.

Das Plus der Praxis ist sicherlich, dass dort in 25 Sprachen behandelt wird. Nicht gleichzeitig. Und Deutsch ist auch dabei, da darf ich die beruhigen, die hier den Untergang des Abendlandes wittern. Ich begebe mich nun auf dünnes Eis, wenn ich aufgrund der äußeren Erscheinung auf die Herkunft der Zahnarzthelferinnen dort schließe, die bestimmt anders genannt werden in jener Praxis, die den Besucher auch darüber informiert, dass sie über ein backoffice verfügt. Vermutlich heißen die Handlangerinnen dort teeth assistants, die Ärzte vielleicht teeth managers. Ich würde meinen, sie sind alle eher südländischer Herkunft. Oder Abstammung. Und alle hübsch. Haben was von Stewardessen. Stark geschminkt, unfassbar freundlich. Derart freundlich, dass mir nicht entgeht, dass es nicht authentisch ist. Was zu den Äpfeln passt. Dennoch ist es genau das, was ich will.

Mein Gebiss neigt dazu, sich einigermaßen schnell zu verfärben, was womöglich dem irren Kaffeekonsum zu verdanken ist. Manch Leser wird die Ablagerungen hinter den Zähnen kennen. Wartet man zu lange, suchen sie sich einen Weg durch die Zahnlücken nach vorn, sodass sie für alle sichtbar werden. Spätestens dann muss gehandelt werden, ist man so eitel wie ich. 90 Euro kostet mich der Spaß, der woanders auch für billiger zu haben ist. Doch woanders hat keinen eigenen Youtube-Kanal und nicht so hübsche Zahnarztassistentinnen. Die selbst haben natürlich strahlend weiße Zähne. Ich schäme mich fast, wenn ich mich da auf den Behandlungsstuhl lege, sich eine der Schönheiten über mich beugt und dann meine Ablagerungen sieht! Aber gut, dafür sind wir ja alle da: sie, um zu reinigen, ich, um gereinigt zu werden.

Vor so einer Zahnreinigung putze ich mir etwa dreimal die Zähne und schrubbe minutenlang meine Zunge, bevor ich zweimal mit Zahnseide die Taschen von Speiseresten befreie. Gestern erwusch ich mich dabei, wie ich meinem Bart eine extra Portion Bartbalsam gönnte, damit der Handlangerin ein maximal angenehmer Duft in die Nase steigt, wenn sie mir so nahekommt wie sonst nur meine Mitbewohnerin, die dieser Duft so betört.

Runde eins. Sehr ausführlich kratzt die vermutlich türkische Schönheit nun den groben Dreck von meinen Zähnen. (Meine Recherche ergibt, dass sie Massoudah heißt und dann doch eher afghanischer Abstammung ist. Ich sag ja, dünnes Eis. Wobei, warum eigentlich?!) Mit dieser Spitzhacke. Ich habe jedes Mal Angst, sie rutscht damit mal in meiner Mundhöhle aus und zerfetzt mir den gesamten Gaumen damit. Ob sowas passiert?! Dass ich dabei Schmerzen habe, lasse ich mir natürlich nicht anmerken und hoffe, dass ihr meine Gänsehaut entgeht und die Tatsache, dass ich mich am Behandlungsstuhl festkralle. Runde eins ist die unangenehmste. Danach wird’s wie spa.

Runde zwei. Der Sandstrahl! Ein Highlight. Auf den freue ich mich jedes Mal. Ich merke förmlich, wie die Zahnzwischenräume wieder frei werden, wie wieder Speichel durch sie hindurch fließen kann. Dass mir der feine Sand ins Gesicht spritzt, ist mir egal, zumal man in dieser Praxis vorher eine Schutzbrille aufgesetzt bekommt.

Nun soll ich meinen Mund ausspülen. Sie will dazu den Behandlungsstuhl aufrichten, ich aber sage:

„Lassen Sie ruhig, geht so“, und mache einen crunch, nein, einen kompletten sit-up, um zum mit aromatisierten Becher zu gelangen. Das muss sie doch beeindrucken!

Doch es geschehen nun zwei Dinge, die nicht geplant waren.

„Was ist da drin in dem Wasser?“, will ich wissen, da ich das Aroma nicht soooo toll finde.

„Oh, sorry, das ist der falsche Becher! Den links, bitte!“, klärt sie mich leicht panisch auf.

„Falscher Becher?! Was war da drin?“

„Haben Sie es runtergeschluckt?“

„Nein.“

„Gut. Den links nun.“

„Was war drin?“

„Geht gleich weiter, Herr Flotho.“

Gut, sie will es mir nicht sagen und ich sollte es vielleicht auch nicht wissen. Ich spüle also meine blutüberströmte Mundhöhle aus, will mich wieder zurücklehnen und finde die Rückenlehne nicht. Krache nach hinten, da ich vergessen habe, dass ich ein Aufrichten des Stuhls ja abgelehnt habe; der Stuhl befindet sich noch in der Waagerechten.

„Huch! Herr Flotho! Ist was passiert?“, fragt sie erschrocken.

„Nein, nein. Alles bestens. Etwas schwungvoll heute.“

Ich schüttele den Kopf ob meiner Tölpelhaftigkeit, aber eben nur innerlich, denn sonst würde die schöne Frau in meinem Mund abrutschen, als sie jetzt poliert. Runde drei nämlich. Die Politur, wenn ich das richtig spüre. Die solle ich dann mit der Zunge verteilen und den Überschuss ausspucken.

„Ich schlucke immer“, informiere ich sie, woraufhin sie mich seltsam irritiert anguckt. Das weiß ich nach 30 Sekunden peinlicher Stille dann endlich zu deuten und ergänze:

„Also ich schlucke immer die Politur. Die schmeckt so minzig.“

„Sollte man eigentlich nicht.“

„Zu spät.“

Wieder guckt sie mich verständnislos an und ich weiß längst, dass sie gleich zu ihren Kolleginnen gehen und erzählen wird:

„Warum kriege ich immer die Idioten?!“

Zum Schluss drückt sie mir einen Waschlappen in die Hand. Damit solle ich den Sand aus meinem Gesicht entfernen. Dieser Service ist neu und der Waschlappen sehr heiß. Zu heiß.

„Vorsicht, heiß!“, sagt sie als ich mir schon meine Wangen verbrüht habe.

„Ach, das geht“, versichere ich ihr und wische meinen Schweißausbruch mit dem heißen Lappen weg. Problematischer ist eher der Sand im Bart. Ich erinnere mich noch an meinen vergangenen Besuch im September 2016: Damals wurde ich nahezu bedrängt, mir den Bart im „Kunden-WC“ zu waschen. Nun aber gibt es ja den heißen Lappen. Doch Bartträger wissen, dass man einen Bart nicht einfach mal so reinigen kann. Da bedarf es schon einer gewissen Ausrüstung.

Die Zahnreinigung ist vollendet, ich solle mich nun an der Anmeldung abermals anmelden wegen der Kontrolle. Wenn einer der rund 20 Ärzte (!) dort mich einschieben kann. Das passt mir eigentlich gar nicht, da ich ja habe, was ich will, doch was ich will, ist in diesem Moment nicht entscheidend. Denn Massoudah begleitet mich zur Anmeldung, wo dann mit einer Kollegin das weitere Vorgehen in die Wege geleitet wird, ehe ich einwenden kann, dass ich eigentlich nach Hause möchte, weil ich noch einen Geburtstagskuchen backen muss.

„Nehmen Sie gerne noch mal in der waiting area Platz, Herr Flotho!“

Ich tue willenlos, wie mir geheißen, weil auch diese Dame ausnehmend hübsch ist und sie mir mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit jeden Willen raubt. Und sitze dann da und warte. Fahre mir mit meiner Zunge über die vordere Zahnfront und freue mich darüber, wie glatt sie ist.

„Herr Flotho!“

Ah, die Blonde ruft. Julija heißt sie, ergibt meine Recherche. Ich könnte mit ihr Serbisch sprechen, doch für einen entsprechenden Sprachkurs bleibt mir caine Cait, da Julija mich nun mitnimmt. Wohin auch immer, denn die Praxis ist weitläufig.

Wir stehen vor einem Aufzug und ich denke, dass es unfassbar nett ist, dass sie mit mir nun nach oben fährt! Wie verrückt! Sie kommt mit! Was für ein Service! Und dieses Lächeln! Wie sie mit mir spricht! Unfassbar freundlich. Wenn eben auch nicht echt. Oder doch, ich kann ihr da schlecht etwas unterstellen. Und warum sollte sie auch unfreundlich sein?

Die Aufzugtür öffnet sich und ich stelle enttäuscht fest, dass Julija nicht mitkommt. Sie sagt mir noch, wo ich zu drücken habe – die „3“ – und was dann passiert. Dass ich dann oben in der waiting area Platz nehmen möge.

Oben angekommen fühle ich mich irgendwie so allein wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte mich an Julija gewöhnt. Gott sei Dank kommt dann Seare, die des Mazedonischen mächtig ist. Es sei denn, ich täusche mich, und es ist Sebile. Da ich massive Probleme habe, mir Gesichter zu merken, sie auseinanderhalten zu können, kann ich das im Nachhinein nicht mehr mit bestimmter Sicherheit sagen. Bitte nicht übelnehmen, Seare und Sebile. Wer von Euch beiden auch immer mich dann durch den weiteren Prozess begleitet hat: super Arbeit! Es folgt die Kontrolle durch Zahnärztin Dr. med. dent. Nina Wollenweber. Sie hat offenbar einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen als ihre Ahnen. Und auch ihr sage ich:

„Sie werden nichts finden.“

Und ich hatte Glück sowie Recht.


Einige Anmerkungen: In dieser Praxis ist nicht die Rede von einer waiting area, mich inspirierte lediglich das „backoffice“ zu dieser Bezeichnung. Ich verachte „Denglisch“, daher ist die waiting area als Übertreibung zu betrachten. Des Weiteren hoffe ich, niemandem zu nahe getreten zu sein, sollte ich mich bei der Zuordnung der Namen vertan haben. Dort arbeiten gefühlt mehrere hundert Menschen und ich verweise noch einmal auf meine Gesichtsblindheit. Super Praxis, ich kann nichts Schlechtes sagen, und bekomme weder Geld noch kostenlose Behandlung für diesen Artikel.