Ich habe meinen Manager verärgert. Kraftold Kramer, so sein Name, zitierte mich heute in seine Künstleragentur, bei der ich seit 2013 Klient bin. Und irgendwie halte ich mich für das stärkste Pferd in seinem Stall. Dennoch bin ich agenturintern in die Kategorie E eingeordnet. Nun bedarf es Hintergrundwissens, aber keine Sorge, ist weder schwierig noch prüfungsrelevant: Erfolgreiche Kunden, also so richtige Stars, laufen bei ihm in der Kategorie A – ich aber nicht. Das sagt er einem nicht offen, aber das steht in meiner Klientenakte, in die ich einen Blick erhaschen konnte, als ich für wenige Minuten alleine in seinem Büro war. Fand da auch die Akte von Tamme Hanken – und auf ihr prangte ein B! Natürlich stellte ich Kraftold damals umgehend zur Rede:

„Wie kann es sein, dass jemand, der Pferde wieder einrenkt, bei dir unter B läuft und ein aufstrebender Star wie ich unter E?! Und ist Tamme Hanken nicht tot?!“

„Tamme Hanken funktioniert tot besser als du lebendig. Das ist der Grund. Und er hat eben was mit Tieren gemacht. Und er hatte Zuschauer. Er steht kurz davor, in Kategorie A eingeordnet zu werden. Posthum.“

Das war natürlich ein massiver Schlag ins Gesicht, sodass ich mir überlegte, wie es mir gelingen könnte, wenigstens in Kategorie D aufzusteigen, ohne mich umzubringen, in der Hoffnung, tot besser zu laufen, was ich aber nicht mehr überprüfen würde können.

Ich fragte meine Mitbewohnerin um Rat: „Pass auf, ich werde nicht wahrgenommen. Ich muss mich irgendwie in den Vordergrund drängen.“

„Noch mehr als eh schon?! Lass uns aber später drüber sprechen, da kommt gleich was bei ‚Kabel 1‘, da renkt jemand Pferde ein. Vielleicht solltest du irgendwas mit Tieren machen!“

Ja! Tiere! Tiere gehen immer! Natürlich nicht jedes Tier. Es gibt Tiere, mit denen man nicht fühlt. Die man selbst heute noch öffentlichkeitswirksam töten kann, ohne dass ein mangelernährter Veganer gleich einen Hasskommentar hinterlässt. Mücken beispielsweise. Würde ich mich mit einer Mücke ablichten lassen, würde das keine Regung beim Zuseher auslösen. Aber mit einer Katze! Katzen gehen immer!

Neuleser müssen nun wissen, dass ich drei Tage pro Woche in Berlin lebe; zusammen mit fünf Kollegen in einem Energiesparhaus, in dem tropische Pflanzen sehr gut gedeihen könnten. Es hat berufliche Gründe, warum wir dort zusammen leben. Ursprünglich drehten wir dort die Ersatzvariante von RTLs „Sommerhaus der Stars“. Denn so wie es für das Dschungelcamp Ersatzkandidaten gibt, falls jemand schon vor der Sendung stirbt, gibt es eine ganze Ersatzssendung für diese andere unsägliche Sommerloch-Show. Erst nachher allerdings hatte man uns gesagt, dass es nicht zu einer Ausstrahlung kommen würde, da wir noch unbekannter seien als die Erstbesetzung. Ich bin also selbst für den TV-Recyclinghof zu unbekannt. Da wir dort also nun unverrichteter Dinge leben, um den Vertrag zu erfüllen, wollte ich die Tage dort nutzen, um mich in Sachen social media zu pushen.

„Jungs, wir brauchen eine Katze. Christopher, du musst mich mit einer Katze fotografieren. Und es muss so aussehen, als würde der Katze das irgendwie gefallen.“

„Wo sollen wir eine Katze herbekommen?!“

„Baumarkt?“, schlägt Kollege Butzi vor.

„Baumarkt?! Eine Katze?!“, rufe ich bass erbost.

„Was? Katze? Nein, ich wollte fragen, ob wir für die Moskitonetze heute noch zum ‚Bauhaus‘ fahren.“

„Du hast doch ‚Antibrumm‘!“, gibt Simon zurück.

„Freunde, es hat hier gerade mal um mich zu gehen. Ich habe folgenden Plan: Hier laufen so viele Katzen rum, wir leihen uns eine aus. Und das Antibrumm brauchen wir auch“, interveniere ich.

„Wozu?! Und wie kommt es, dass du noch nicht im Bett bist, obwohl es schon halb zehn ist?!“, fragt Christopher.

„Wir mischen das Antibrumm in eine Wurst. Haben wir noch die Grillwürstchen? Mischen wir rein, bieten es einer Katze an, die frisst sie dann und fällt in Ohnmacht, ich streichle sie dann und du machst ein Foto. Das poste ich dann.“

„Häh?!“

„Das wirkt dann warmherzig. Dann denken meine follower, ich seit total liebevoll und gucken dann meine Sendungen.“

„Du hast eine Facebook-Seite?!“, fragt Karl.

„Natürlich hat er. Er postet doch jeden Furz! Kürzlich ein Video davon, wie er saugt“, nörgelt Ulf, unser Mann fürs Licht.

„Ulf! Guter Lampen-Ulf! Das Video war doch lustig! Es zeigt, dass auch Leute wie ich saugen. Außerdem habe ich damit nur die Facebook-Live-Video-Funktion testen wollen.“

„Wie viele haben geguckt?“

„Zwei!“

„So viele?!“, Christopher ironisch.

„Darum machen wir ja jetzt das Katzenfoto. Dann denken alle, ach guck, der ist ja sympathisch, dem könnte ich auch beim Saugen zugucken!“, erkläre ich geduldig den social-media-Laien.

Gesagt, getan. Wir fahren mit dem Auto durch das beschauliche Falkensee nahe Berlin, finden zwei geeignete Katzen, von denen wir eine versehentlich überfahren (Ulf saß am Steuer! Ulf ist leider sehbehindert, praktisch blind, was ihn zu einem schwierigen Licht-Techniker macht. Aber fahren kann er ganz gut.), schnappen aber unbeschadet die zweite. Eine schwarze. Locken sie mit der Wurst an, um die die Mücken wegen des Antibrumms eine Dings machen, und warten, bis das Tier benommen auf der Straße liegen bleibt.

„Torkelt schon!“, stelle ich fest, „Schnappen wir sie uns.“

Zurück an unserem Haus legen wir die Katze auf den Rücken.

„Es soll so aussehen, als würde ich ihren Bauch kraulen!“

„Du weißt schon, dass Katzen das eigentlich nicht mit sich machen lassen?“

„Doch, die schon. Das zeigt dann, dass sie so viel Vertrauen in mich hat! Das hagelt dann likes!“

„Denk an die militanten Katzenfreunde!“, mahnt Ulf.

„Die können mich mal.“

Und so entsteht dieses Foto:

Christopher: „Sie sieht aus wie tot.“

Ich: „Quatsch. Quicklebendig.“

„Woran willst du das erkennen?“

„Der Schwanz zuckt.“

Nun habe ich dieses Foto heute auf meiner Seite gepostet und die Resonanz war atemberaubend. Zwölf likes! Sollte ich deshalb heute bei Kraftold erscheinen? Wollte er mich etwa hochstufen?

Kurz vor Zehn, ich sitze vor Kraftolds Büro. Mir gegenüber sitzt seine Sekretärin, die ich in ein Gespräch verwickeln will. Ich glaube, sie steht auf mich.

„Er will mich bestimmt hochstufen! Kategorie C vielleicht. Oder B! Wegen des Katzenfotos!“

Sie trocken und unbeeindruckt: „Lebt die Katze noch?“

„Das ist ja nicht der Punkt. Ich werde hochgestuft! Meinen Sie nicht auch?“

„Ich bin nur für Kategorie A zuständig.“

„Ach?“

„Sie können jetzt reingehen.“

Ich tue, wie mir geheißen.

„Kraftold!“, rufe ich voller Elan, „Wird Kategorie E heute um ein Mitglied ärmer? Zwinker, zwinker?!“

„Setz dich, Seppo. Ja, wird sie.“

„Es war das Katzenfoto, richtig?“

„Richtig. Du bist nun F.“

F?!?!?!

„Wie, F?! Du alter Scherzbold! Also, D oder gar C?“

„F.“

„Ist F besser als E?“

„Schlechter. Dein Marktwert ist gesunken. Im Grunde, da bin ich jetzt mal ganz ehrlich, ist dein Marktwert gar nicht mehr in Euro auszudrücken.“

„Aber was ist dann erst mit Kunden in Kategorie Z?!“

„Es geht nur bis F.“

„Aber das Foto!“

„Seppo, was bitte soll denn ein Foto auf deiner Facebook-Seite, auf der du eine Katze wiederbelebst?!“

„Sie war nicht tot! Sie war benommen.“

„Du postest permanent Dinge, die niemanden interessieren. Kürzlich sah ich dir beim Saugen zu! Wen zur Hölle soll das interessieren?!“

„Vielleicht wird so ‚Vorwerk‘ auf mich aufmerksam. Ich könnte mir in der Welt der Staubsauger eine gewisse Glaubwürdigkeit aneignen und dann deren testimonial werden!“

„Seppo, wir haben drei Klagen am Hals. Tierschutzverbände. Und der Hersteller von Antibrumm ist ebenfalls sehr unglücklich. Und was war das für ein Video, das du vom Klo gepostet hast?! Hast du den Verstand verloren?! VOM KLO?! Du sitzt da auf dem Klo und machst ein Video?!“

„Ja, also da gebe ich zu, das war etwas ungelenk. Hat mich neun follower gekostet.“

„Wenn du wenigstens nur so getan hättest, als würdest du da sitzen, aber man sieht ja, dass das echt war!“

„Ja, das war blöd. War ich selbst etwas überrascht.“

„Seppo, social media funktioniert anders. Es beginnt bei der Länge deiner Videos! Maximal 90 Sekunden! Nicht vier Minuten! Und es geht auch um Inhalte. Deine Videos sind frei von Inhalten!“

„Ich dachte, es genügt, wenn ich zu sehen bin.“

„Es wird Zeit, dass wir dir jemanden zur Seite stellen, der jeden post vorher absegnet und dich bei der Schlagzahl etwas bremst.“

„Sowas hatte ich schon. Das hat nicht gut funktioniert. Diese ganzen social-media-Regeln sind mir einigermaßen egal, solange es um meine eigene Seite geht.“

„Das mit ’solange es um meine eigene Seite geht‘ hast du jetzt nur gesagt, falls dein Arbeitgeber mitliest, oder?“

„Ja. Und wenn ich Lust habe, zehn Mal pro Stunde etwas zu posten, dann tue ich das. Es wird nichts bringen, mir einen Aufpasser an die Seite zu stellen.“

„Wird es dieses Mal, sonst muss ich die Kategorie G einführen.“

Tja, und in diesem Moment sitze ich im ICE 844 nach Düsseldorf, Wagen 21, Platz 45, wie immer. Nur dass nun neben mir Social-Sontuel sitzt,

(Mano, das ist wirklich kein von deinem Namen abgeleiteter! Obwohl, es würde passen!)

der mir auch beim Verfassen dieses Artikels, bei dem zwei Katzen zu schweren Schaden gekommen sind, über die Schulter schaut. Ich hoffe, er zensiert nicht die Szene, in der das Blut –