Der dritte Teil meiner Urlaubsaufarbeitung führt uns dieses Mal über eine Strecke von einem Kilometer Länge, die meiner Mitbewohnerin und mir Ausblicke in bis zu 150 Meter Tiefe ermöglichte. Bis zum Schluss hatte ich geglaubt, wir würden eine Höhle durchwandern, da ich die Bezeichnung „Klamm“ für das, war wir da sahen, nicht kannte. Nur mit Kenntnis dieser Unwissenheit kann der Leser nachvollziehen, warum ich gegenüber meiner Mitbewohnerin mehrfach bemerkte:

„Für eine Höhle ist das recht wenig höhlig hier, oder? Mehr so eine Freilichthöhle!“

„Seppo, ‚Klamm‘, es nennt sich ‚Klamm‘, weil es eine Klamm ist und eben keine Höhle!“

„Aber es war doch von Höhlenklamm die Rede!“

Höllen! Höllenklamm!“

„Wir sind in der Hölle? Was wirft uns das Göttliche Gericht denn vor?! Da parke ich einmal auf einem Behindertenparkplatz und werde gleichgestellt mit Hitler.“

„Hitler hat bestimmt zu seiner aktiven politischen Zeit nicht ein Knöllchen bekommen.“

Tatsächlich ist eine Klamm eine Art Schlucht mit Anleihen einer Höhle, wovon sich im Höllental bei Grainau, etwa eine Stunde von unserem Urlaubsort entfernt, auch der Name ableitet. Und weil Bilder stärker sind als jedes Wort, steigen wir mit diesem Video unserer Klamm-Wanderung in dieses durchaus spannende Erlebnis ein:

Auch an dieser Stelle muss ich wieder feststellen, dass Videos und Fotos es nicht abzubilden vermögen, wie steil es in den Bergen und eben in dieser Klamm vor sich geht. Der Leser muss mir also glauben, dass diese Wanderung enormen Eindruck bei uns hinterlassen hat. Nachdem wir … ja, nachdem wir wieder einmal … wie sooft in diesem Urlaub … berghoch …

„Wie kommt man eigentlich in die Höhle? Müssen wir etwa wieder berghoch wandern?“, frage ich kurz vor der Abfahrt meine Mitbewohnerin.

„Ja, die Schlucht liegt nicht in einem Tal. Es ist übrigens eine Klamm, keine Höhle.“

Es ist der vorletzte Tag unseres Wanderurlaubes und beide sind wir des ewigen Bergaufwanderns überdrüssig. Inzwischen sind uns selbst die drei Treppenstufen vor unserer Ferienwohnungstür zu viel und abends suchen wir nur noch Restaurants auf, die man ebenerdig erreicht. Wir sind zu Barrierefreiheitstrittbrettfahrern geworden. Die Wanderungen der vergangenen Tage haben unsere Lust auf Gipfel weitestgehend ausgereizt.

„Gibt es cainen Hubschrauber?“

„Die gibt es. Von der Bergrettung.“

„Wovor rettet man Berge?“

„Man muss erst verunglücken, bevor die einen holen. Es ist also ein gutes Zeichen, dass wir noch nicht in einem Hubschrauber flogen. In diesem Urlaub.“

Wir fahren los, und da uns der Weg nach Grainau durch Österreich führt, kaufen wir selbstverständlich eine Vignette; acht Euro 90 für zehn Tage.

„Ob die Dobrindt noch auf ihre Autobahnen lassen?“

„Autobahn geht gar nicht.“

Stolz klebe ich die Vignette an die Windschutzscheibe und setze meine Mitbewohnerin davon in Kenntnis, dass diese ihre Gültigkeit verliert, sobald sie von der Scheibe abfällt.

„Behalte sie also im Auge!“

Während wir so fahren und auf die Vignette starren, merken wir erst wieder in Deutschland, dass wir nicht einen Meter österreichische Autobahn gefahren sind.

„Hätten wir uns sparen können!“, bilanziert meine Mitbewohnerin.

„Hätten wir caine gekauft, hätten wir plötzlich auf eine Autobahn gemusst. Dann hätte man uns erwischt und inhaftiert.“

Wir sehen unterwegs die Zugspitze, die wir in diesem Urlaub ignorieren, also nicht besteigen, und eine „Dixi“-Toilette, deren Urinal ich für das Waschbecken halte.

„Die haben jetzt sogar Waschbecken in den Dixi-Klos!“, erzähle ich begeistert meiner Mitbewohnerin.

„Echt? In meinem war ein Urinal.“

„Und ich hatte schon Sorge, man würde mich dafür belangen, in ein Waschbecken geschifft zu haben.“

Wir stehen am Fuße der Zugspitze, durch die sich die Touristenattraktion seit 100 Jahren zugänglich für Mensch und Tier zieht. Und wir müssen da hoch. Natürlich.

„Das geht ja wieder recht steil nach oben“, stelle ich resigniert fest.

„Und du hast wieder nur ein Hemd an!“

„Ha! Dieses Mal habe ich ein Thermohemd drunter! Atmungsaktiv. Atmungsproaktiv sogar! Und die Jacke hab ich dabei! Im Rucksack!“

„Hast du Tee gekocht?“

„Ja.“

„Ingwer?“

„Ja. Mit einer Ingwer-Knolle …“

„… verfeinert. Ich ahnte es. Den kannst du alleine trinken.“

Der Aufstieg ist nervig, aber machbar, nach einer Stunde erreichen wir den Eingang der Klamm, die ich noch immer für eine Höhle halte. Doch ich werde skeptisch angesichts der Menschen, die uns aus der Höhle entgegenkommen.

„Warum sind die alle so nass?“, frage ich naiv.

„Weil es eine Klamm ist.“

„Und in einer Klamm wird man klamm?!“

Wird man. Denn Wasser spielt in dieser Klamm eine tragende Rolle:

Panta rhei.

Bevor wir uns in das Abenteuer stürzen, kehren wir in die nahe Berghütte ein, wo ich wieder einmal Wurst konsumiere. Zwei Wiener mit Brot und Senf. Ich esse die Wiener, sie das trockene Brot mit Senf. Wir sind also gestärkt, ich mehr als sie, es kann losgehen.

Das Naturschauspiel, das sich uns jenseits des Kassenhäuschens bietet, ist wirklich deftig beeindruckend. Schwer fällt es mir, Fotografien anzufertigen, da ich mit zwei Ängsten zu kämpfen habe. Da ist zum einen meine leichte Höhenangst, die sich immer dann bemerkbar macht, wenn die entsprechenden hohen Standorte wenig oder gar nicht befestigt sind. Am Ende werde ich zweimal mich auf die Fresse gelegt haben, da ich mich beim Stolpern an einem Seil festhalte, das leider nicht stramm, sondern locker als Geländer fungiert. Es gibt nach, ich liege bass erstaunt am Boden, feststellend, dass ich keine gute Figur beim Gutefigurmachen mache. Recht wackelig bewege ich mich also durch die Klamm und daraus resultiert zum anderen Angst Nummer zwei: die, mein Handy fallenzulassen, wofür es freilich einen rationalen Grund nicht gibt.

„Was klammerst du dich so an deinem Handy fest?! Es wird dich kaum halten, wenn du abrutschst!“

Antworten kann ich nicht, da ich mich darauf konzentrieren muss, nicht in die Tiefe zu stürzen und gleichzeitig pulitzerwürdige Fotos zu schießen:

Bereits beim Aufstieg fiel uns auf, wie herrlich frisch die Luft ist. Sie riecht gut, sogar irgendwie belebend.

„Atme mal“, empfehle ich meiner Mitbewohnerin.

„Ich atme schon die ganze Zeit!“

„Riecht nach Winter, oder? Das ist das Wasser. Vielleicht Schmelzwasser? Auf jeden Fall riecht es kalt.“

„Wie riecht denn warmes Wasser?!“

„Warm halt.“

Es ist auch tatsächlich kalt, denn nun betrachten nicht nur wir das Wasser von oben, jetzt betrachtet uns auch das Wasser von oben. Da wir auf dem unsicheren Untergrund beim Gehen meist auf den Boden gucken müssen, entgeht uns der Wasserfall über unseren geneigten Häuptern, bis er uns auf diese fällt.

„Ah, darum waren die Leute eben nass. Wegen des Wassers!“, kombiniere ich und Nick Knatterton hätte nicht besser kombiniert.

„Das kam überraschend.“

„Die Natur schlägt zurück. Dafür haben wir vier Euro Eintritt bezahlt! Man hätte uns warnen sollen!“

„Es steht vorne am Kassenhäuschen geschrieben.“

„Achso.“

Laut ist es in der Tat. Und deshalb höre ich auch nicht, als meine Mitbewohnerin mich vor dem nächsten Wasserfall warnt.

„Ja, geht es denn noch?! Wer hat denn diese Klamm konstruiert! Ich hatte mich auf eine Höhlenwanderung eingestellt! Meine Frisur!“

 

Der Rückweg verläuft zügiger, ist es doch dieselbe Strecke, auf der man bereits alles gesehen hat. Außerdem will man ins Trockene, ins Auto also (in das mit der Vignette). Doch das „zügiger“ nimmt meine Mitbewohnerin, die nun vor mir läuft, sehr ernst: Ich zählte am Ende 14 Ausrutscher. Ganze 14 Mal ist sie am Ende trotz ihrer Wanderschuhe auf dem nassen Untergrund ausgerutscht. Beim ersten Mal denke ich noch „Hoppala!“. Beim zweiten Mal „Herrje!“. Das dritte Mal registriere ich mit „Huch!“ und beim vierten Mal verziehe ich nur noch die Augen. Beim fünften Mal bin ich abgestumpft und nehme mir vor, nur bis sieben mitzuzählen. Das achte Ausgleiten aber sieht so lustig aus, dass ich bis 14 mitzähle.

Beim Abstieg nach Verlassen der Klamm bitte ich sie, weiterhin vor mir zu laufen.

„Warum?“

„Weil du mich sonst mitreißt, wenn du weiterhin permanent ausrutschst!“

Letztlich bildete diese Wanderung den perfekten Abschluss unseres Urlaubes, wenn dieser auch noch nicht ganz zuende war. Doch nach mehreren Wanderungen und Bergbesteigungen waren wir uns einig, dass wir nichts mehr unternehmen würden, das im Zusammenhang mit Bergen steht. Für einen Urlaub in den Bergen natürlich ein gewagter Beschluss, doch wussten wir, dass diese Klammbegehung nicht mehr zu toppen sein würde. Weißte Bescheid.


Das Verfahren dürfte ja nun bekannt sein: Auf meiner Facebook-Seite veröffentliche ich nach und nach weitere Fotos dieses Urlaubes, die zu sichten einiges an Arbeit bedeutet, was wir der digitalen Fotografie zu verdanken haben.

Ich weise gerne noch auf den ersten sowie auf den zweiten Urlaubsbericht hin, die uns den Forggensee und den Tegelberg etwas näherbringen. Im übertragenen Sinne, keine Sorge.