Zwei Wochen Urlaub bedeuteten für mich auch zwei Wochen ohne Kraftsport, was es so bislang noch nicht gab. Zwölf schweißtreibende Sporteinheiten sind mir entgangen, auch wenn ich kurz vor dem Urlaub meiner Mitbewohnerin vorsichtig einen Vorschlag unterbreitete:

„Und wenn ich nur ein, zwei Hanteln mitnehme? Ins Auto würden die ja noch locker passen. Auf die Langhantel würde ich verzichten. Vielleicht aber noch die kettlebells? Und das TRX-Band könnte noch in den Fußraum passen.“

„Du hast eindeutig große Teile deines Verstandes verloren.“

„Aber schon nach wenigen Tagen des Nichtstuns degenerieren die Muskeln! Zwei Jahre des Trainings werden so leichtfertig aufs Spiel gesetzt!“

„Wir werden wandern, viel wandern. Das muss reichen. Außerdem werden wir auch laufen gehen! Und ich glaube nicht, dass nach zwei Wochen schon die Muskeln …“

Den Rest hatte ich schon gar nicht mehr gehört, da ich genau diesen Punkt in meinen Sportbüchern nachschlagen musste.

„Moment, ich darf dich kurz unterbrechen: Hier steht, dass … Moment … Seite 96 müsste das sein … nein, falsches Buch. Wo ist denn dieses rote Buch?!“

„Dein Parteibuch?!“

„Was? Nein. Achso, ein Scherz. Lustig. Wenn die AfD an die Macht kommt, werde ich wegen dieses Parteibuches in einem Arbeitslager … Ah! Hier, da ist es. Warum steht es denn zwischen zwei blauen Büchern?! Wer hat hier in meine Ordnung eingegriffen?!“

„Ich hab’s derweil gegoogelt: Muskeln bauen tatsächlich schon nach weniger als zwei Wochen ab. Fasern bilden sich zurück … aber!“

Aber?“

„Die Zellinformationen bleiben erhalten. Also sobald du wieder mit dem Krafttraining anfängst, ‚erinnert‘ sich der Muskel an die frühere Beanspruchung und baut sich umso schneller wieder auf.“

„Ich traue nur meinen Büchern. Hier steht … dass … Moment, Seite 141, dass … ja, genau … der Aufbau geht umso schneller.“

Das ausfallende Training war für mich der saure Apfel, was andere nicht nachvollziehen können, deren saurer Apfel höchstens ein saurer Apfel ist.

Und so begutachtete ich mich börsentäglich im Urlaub vor dem Spiegel, um festzustellen, ob diverse Umfänge sich bereits verkleinert haben.

Ich ahne natürlich, dass insbesondere die Damen unter den Lesern an dieser Stelle mit ihren Augen rollen. Aber da ich weiß, was Frauen so alles vor dem Spiegel treiben, kann ich darüber nur müde lächeln. „Jedem das seine“, würde ich sagen, wäre dieser Spruch nicht schwer vorbelastet, sodass ich es mit einem „Jeder, wie er will“ versuche.

Wieder zuhause in Düsseldorf wurden vier Dinge umgehend erledigt:

Erstens: Toilettengang. Eine Vollsperrung der A3 auf der Rückfahrt führte uns durch die beschaulichen Vororte Bonns in einen albern langen Stau ohne Möglichkeit, Blasen zu entleeren.

Zweitens: Koffer auspacken. Wäsche in 30-Grad-, 40-Grad und 60-Grad-Haufen einteilen. Weißwäsche bekam einen gesonderten Haufen.

Drittens: 40-Grad-Wäsche anwerfen. Noch am selben Tag wollte ich alle meine im Urlaub getragenen Hemden waschen, trocknen und bügeln.

Viertens: Krafttraining; Bauch und Bizeps.

Ich habe mir in zwei Jahren des Trainierens zu meinem eigenen Erstaunen einen leichten Waschbrettbauch angeeignet. Für mich ein Graus, gerade den im Urlaub zu riskieren, und wer selbst Kraftsport betreibt, weiß, dass nur wenige Prozentpunkte mehr an Körperfett das Ende eines jeden Sechserpacks bedeuten.

Wenn man nach zwei Wochen der Pause seinen Bauch wieder penetriert mit Planken, crunches und Gewichten, der weiß, dass er das noch zwei Tage später wird spüren können. Und so kam es. Dass ich ausgesetzt habe, spiegelte sich auch in meinem gesunkenen Leistungsniveau wider.

„Meine Muskeln erinnern sich an gar nichts!“

„Gemach, morgen wird es schon wieder einfacher sein.“

Inzwischen, heute, habe ich den fünften Tag des Aufbautrainings hinter mir und stelle fest, dass ich gar nicht mehr sagen kann, welche Muskelpartien mir gerade wehtun, da ich so etwas wie einen Ganzkörper-Schmerz verspüre. Und damit cain Missverständnis aufkommt: Das ist kein schlechtes Gefühl, es ist der Lohn der Arbeit, es zeigt, ich habe die richtigen Reize gesetzt, der Muskelaufbau läuft wieder. Nur muss man mir eben Zeit geben, wenn ich mich aus einem Stuhl erheben soll; doppelt soviel Zeit brauche ich zum Aufstehen aus einem Sessel.

Beim Kraftsport ist es eminem wichtig, dass man nicht einer Monotonie verfällt. Auf die Weise würde man dem Muskel keine neuen Reize setzen, er würde sich nicht weiter- und sich im schlimmsten Fall eher zurückentwickeln – „negativer Trainingseffekt“. Aber wie erhält man neuen Antrieb?

„Ich brauche neue Gerätschaften für den Sport!“, deklarierte ich gestern feierlich gegenüber meiner Mitbewohnerin. Allerdings via Facebook, da wir derzeit räumlich getrennt leben. Sie war leider offline, weshalb sie vorerst cainen Einfluss mehr auf mein Handeln hatte. Erst, als es bereits zu spät war …

Ich fragte meine Lektorin, ob ihr noch ein Gerät einfiele, womit ich mein Heimstudio noch anreichern könnte.

„Medizinball“, schlug sie vor.

„Ja, dachte ich auch schon dran.“

„Andererseits solltest du vielleicht die Finger von Bällen lassen.“

So gut also kennt sie mich schon. Sie hat recht, Ball und Seppo ist wie Kim und Wasserstoff.

„Boxsack?“

„Hält unsere Decke nicht aus, fürchte ich.“

Irgendwie kam dann einer von uns auf diese stehenden Boxsäcke.

„Perfekt! Ich guck direkt mal bei Amazon“, ich euphorisch, „was gebe ich da ein?! ‚Boxsack auf Boden stehend‘?!“

„Die haben irgendeinen Namen“, meine Lektorin.

„Ich versuche es mit ‚Stehboxsack‘!“, und erhielt sogar entsprechende Ergebnisse, die allerdings unter „punchball“ liefen, „Sie heißen übrigens ‚punchball‘.“

Wenn es um Konsumanschaffungen geht, bin ich niemand, der hadert. Für unser Wirtschaftssystem, das Unkenrufen zum Trotz ein einigermaßen gutes mit Verbesserungsbedarf ist, bin ich der ideale homo oeconomicus, auch wenn dessen Konzept inzwischen auch von Wirtschaftswissenschaftlern in Zweifel gezogen wird, was übrigens der FDP um die Ohren fliegen müsste, aber alles ist besser als die AfD: Ich fackelte nicht lange, ich kaufte. Teuer war das erwählte Teil nicht, entsprechende Tests dessen kamen zu guten Ergebnissen. Ein Narr, wer da nicht zuschlägt – im doppelten Sinne.

Stolz informierte ich meine Mitbewohnerin, die übrigens kickboxt, darüber, dass in unserem Wohnzimmer bald ein weiteres Gerät im Weg rumstehen wird.

„Wir haben da doch keinen Platz mehr für! Man stolpert jetzt schon über deine Kugelhanteln!“, ihre Reaktion.

„Der Boxstehsack, nein, der Stehboxsack ist aber mannshoch, da kann man nicht drüber stolpern. Höchstens vorlaufen. Aber er böge sich dann ja zurück. Käme dann allerdings ebenso elastisch zurückgeschnellt. Könnte für heitere Momente sorgen.“

„Die Dinger sind scheiße. Ist der nicht viel zu niedrig?“

„Der ist höhenverstellbar! Und die Rezensionen sind alle positiv!“, besänftigte ich.

Verdammt, die Rezensionen. Die hatte ich gar nicht gelesen. Schnell holte ich das nach.

… ist der punchball für eine Körpergröße von 1,79m viel zu niedrig …

… schrieb dort einer. Ich bin ein Meter 80 hoch.

„Verdammt! Sie hat recht! Warum hat sie immer recht?! Ich muss das Teil abbestellen. Stornieren!“, dachte ich in möglichst heller Aufregung.

Also klickte ich mich in mein Amazon-Konto, das mir den Kauf einer neuartigen Bartcreme empfahl, die ich ohne nachzudenken in meinen virtuellen Einkaufswagen legte, da man ja nie weiß, durchsuchte die Übersicht meiner Bestellungen und klickte beim Boxstehboxsack auf „Stornieren“.

Im selben Moment erreichte mich eine E-Mail. Der Verkäufer meines Sackstehboxes freute sich, mir mitteilen zu können, dass er das Teil schon versandt habe.

Hilflos alarmierte ich meine Mitbewohnerin:

„Ich habe storniert, aber das Teil ist schon auf dem Weg!“

Insgeheim freute ich mich über diesen Umstand. Auf die Weise würde ich das stornierte Produkt vielleicht zumindest einmal antesten können. Zurückschicken würde ich es ohnehin müssen.

Es wurde heute Morgen noch komplizierter. Der Boxsacksteh-Hersteller informierte mich in einer weiteren E-Mail darüber, dass die Stornierung nicht möglich sei. Das überraschte mich nicht. Ich schrieb zurück, er möge die Stornierung als storniert betrachten. Daraufhin schrieb mir eine Helene vom selben Hersteller, dass eine Stornierung der Stornierung nicht möglich sei, da die Bestellung bereits storniert sei.

Nun habe ich überlegt, zurückzuschreiben, dass der zu entstornierende Artikel trotz Stornierung schon versandt sei; ob er denn nun dennoch als storniert zu betrachten sei. Doch diese Mail schenkte ich mir aus Sorge, die verhedderte Situation noch weiter zu verkomplizieren. Ich warte nun einfach mal ab, was geschieht.

Unabhängig davon werde ich mich schon morgen dem stationären Handel zuwenden, in der Hoffnung, dort einen Stehstehsack testen und vielleicht auch erwerben zu können. Am Ende werde ich vermutlich derer zwei besitzen. Für jede Hand einen.

Und weil ich ja noch keinen Boxboxsack habe, musste ich mangels gemeinfreier Fotos selbst zeichnerisch tätig werden. Bestimmt kaum aufgefallen.