Arbeitnehmer müssen immer flexibler werden, feste Arbeitscaiten beispielsweise gibt es in vielen Berufszweigen nicht mehr. Manch einer arbeitet in Teilzeit und mein Immunsystem stellt nun die nahe liegende Frage: Warum nicht auch teilzeitkrank sein?

Mittwochabend, als ich im ICE von Berlin nach Düsseldorf saß, fing es an. Weil ich keinen Platz mehr hatte reservieren können, fand ich mich auf dem Boden zwischen den Waggons sitzend wieder. Nicht, dass ich gesucht hätte. Eine Zugbegleiterin kam des Weges und teilte mir mit, dass in Wagen 25 noch freie Plätze seien.

„Nein, das passt schon, hier habe ich mehr Platz!“, gab ich zurück, da ich es tatsächlich inzwischen komfortabler finde, einfach auf dem Boden zu sitzen, dort dann zu lesen oder Serien zu gucken. Entscheidend dabei ist, auf welche Seite man sich setzt, denn in Hannover ging es los: Ausgerechnet die Tür auf der Seite, an der ich saß, wurde zum Ein- und Ausstieg, sodass ich beim Halt im Bahnhof meinen Platz temporär räumen musste.

„So also fühlen sich Zwangsgeräumte. Hausbesetzer“, sinnierte ich und überlegte sogleich, welche Seitentür (ein ICE hat ausschließlich Seitentüren) sich wohl als nächstes öffnen würde, also in Bielefeld, dem nächsten Halt.

Ich setzte darauf, dass es dort die rechte Fahrseite sein würde, und blieb links sitzen. Eine Mitte übrigens gibt es nicht, da würde man komplett im Weg sitzen.

Bielefeld. Es öffnete sich abermals die linke Tür.

Nun, alle 30 bis 60 Minuten kurz mal aufzustehen, war an sich ja cain Problem. Allerdings fiel es mir auffallend schwer. Und als sich plötzlich in meinem Hals ein seltsamer Brocken Schleim löste, der den Rachen qualvoll langsam herunterfloss, ahnte ich:

„Ohoh, das fühlt sich nicht gesund an. Und dann noch dieses Kratzen im Hals …“

Seit weit mehr als einem Jahr war ich nicht mehr erkältet. Für mich untypisch, da ich in jeder Saison zwei bis drei Mal in einer Apotheke stehe und mich mit Mittelchen eindecke, die freilich keine einzige Erkältungs- oder Grippeursache bekämpfen. Und mir ist auch völlig egal, dass viele dieser Mixturen vielleicht sogar ungesund sind. Ich weiß, es liegt im Trend, bei Erkältungen gar nichts zu unternehmen. Ich muss diesen albernen Trend aber nicht mitmachen, es bleibt jedem selbst überlassen, ob er das nachplappert, was er in Lifystyle-Magazinen liest oder sieht (die ohnehin mitunter kaum redaktionell unabhängige Inhalte feilbieten). Heute sind die Patienten ja schlauer als die Ärzte … Und so hilfreich wie die meisten (nicht alle) Hausmittelchen sind Pharmazeutika allemal – nämlich gar nicht. Ich verweigere mich diesem Esoterik-Quatsch und auch der Homöopathie, aber: Jeder, wie er mag! Warum die so erfolgreich wurde, wissen wir inzwischen, dem liegt ein Irrtum zugrunde. Ich nehme Kügelchen höchstens, um die fetten Pillen runterzuwürgen, die meine Leber herausfordern. Wenn ich vom Auto angefahren werde, renne ich ja auch nicht zum Heilpraktiker, der mit einer Wünschelrute das Gehirn zurück in den Schädel wünschelt.

Zurück in den ICE 544. Dort saß ich also und fühlte mich irgendwie erschöpft. Und ja, jetzt tönen gleich wieder die Leserinnen von wegen „Männergrippe“. Auch so ein Trend, der inzwischen völlig unoriginell geworden ist.

(Der Autor scheint heute leicht gereizt zu sein …)

Mittwochabend wieder zuhause, verschwand ich zügig im Bett, um gestern morgen planmäßig wieder aufzuwachen. Noch fühlte sich alles blendend an, ich las etwas im Bett und plante mein Sportprogramm. Doch kaum war ich aufgestanden, fühlte ich eine enorme Schwere im Kopf, die diesen gen Boden zog, sodass ein Kopfstand die einfachere Alternative zum Durchdentaggehen gewesen wäre.

Den täglichen Lauf trat ich nicht an, daran war nicht zu denken. Und wenn ich auf das Laufen verzichte, dann muss das schon etwas heißen. Gegen 15 Uhr suchte ich wieder mein Bett auf, schlief eine Stunde, wachte auf und befand:

„Ich bin krank.“

Seit Jahren schlucke ich täglich Zink und ergebe mich im Krafttraining. Beides Methoden, die das Immunsystem stärken, insbesondere dem Training spreche ich eine enorme Prophylaxewirkung zu. Und dennoch: Beide Maßnahmen schienen nun nach langer Zeit versagt zu haben. Ich lag da und erklärte mich für handlungsunfähig, was ungefähr so ist, als würde sich ein Nicht-Zurechnungsfähiger für nicht zurechnungsfähig erklären.

17 Uhr: Ich war wieder gesund. Mein Immunsystem hatte offenbar den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen Viren oder Bakterien gewonnen! Ein Hoch auf Zink und Kraftsport! Und genau diesen ging ich sofort an.

Kritiker würden nun einwenden, dass man unter keinen Umständen Sport treiben darf, wenn man in irgendeiner Form angeschlagen ist. Im Grundsatz stimme ich dem zu, allerdings wäre das etwas zu pauschal ausgedrückt. Anders als früher rät die Medizin nicht mehr stets zur Bettruhe, das Gegenteil setzt sich als Erkenntnis in der Forschung durch. Freilich sollte man mit 40 Grad Fieber auf den Marathon verzichten, doch lockere Bewegung kann Wunder wirken. Diese Erfahrung schon mehrfach mitgenommen zu haben, darf ich für mich beanspruchen. Und auch gestern stellte ich während des Sports fest, dass ich ihn problemlos bewältigen konnte. Auch Stunden danach war ich fit, als sei nichts gewesen. Mit zwei Stunden Dauer war das meine kürzeste Grippe überhaupt.

Die sich gegen Abend dann zurückmeldete.

Das hat er von seinem Sport! Herzmuskelentzüdung!

Weit gefehlt, es ging ja noch weiter. Übrigens, dieses „Herzmuskelentzündung“, was ich gar nicht bestreite, höre ich überwiegend nur von Nicht-Sportlern als Argument. Es wäre aber auch zu viel verlangt, dass Menschen nur über die Dinge ihre Meinung kundtun, von denen sie auch wirklich Ahnung habe. Beispiel? Ich weiß bis heute nicht, ob man Griechenland unter die Arme greifen sollte oder nicht. Ich habe keine Meinung dazu. Warum nicht? Weil ich mir die nur dann erlauben dürfte, hätte ich vollständige Ahnung von der Materie. Und mit Verlaub, die haben die wenigsten von uns davon. Was leider auch für viele Bundestagsabgeordnete galt und gilt, die darüber abstimmen mussten. Dieses Problem wurde aber nie bestritten.

Heute Morgen erwachte ich sehr frisch und ausgeschlafen. Wie jeden Morgen las ich zwei Stunden und sah auch im anstehenden Lauf überhaupt cain Problem. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man läuft, während sich bis dahin unbemerkt ein Infekt ausbreitet: Das Tempo ist spürbar niedriger, man ist über Gebühr erschöpft und weiß sofort:

„Kacke, du bist ja krank!“

Das Gefühl hatte ich heute nicht und auch der Kraftsport verlief ohne Zwischenfälle. Ich wagte es sogar, für den Erwerb neuer Hosen „in die Stadt“ zu fahren.

In der ersten Umkleidekabine brach ich in Schweiß aus. Sofort wusste ich:

„Kacke, du bist ja krank!“

Jeder Schritt wurde zur Qual, die Rückfahrt erlebte ich im Delirium. Dennoch kam ich mit fünf Hosen nach Hause, nachdem sich bei „Jack and Jones“ Heiteres an der Kasse ereignet hatte:

Verkäufer: „Du weißt, auf die Karten bekommst du 30 Prozent Rabatt!“
Ich: „Welche Karten? Diese hier? Das ist mein EC-Karte.“
Verkäufer: „Auf die Carton!“

Offenbar hatte ich eine Hose der Marke (oder der Art?!) „Carton“ erworben, auf die es Rabatt gab …

Wieder zuhause wurde mir alles zu anstrengend. Extreme Müdigkeit und nun auch Gliederschmerzen. Ganz klassisch für das, was ich als grippalen Effekt oder eben Grippe kenne (was albernerweise nicht dasselbe ist). Der Kopf saß zu, der Rotz lief.

Nahm mir aber noch vor, alle „Schildchen“ von den Hosen zu entfernen. Fünf Hosen à vier Schilder bedeuteten also das Abschneiden von 20 nervigen Zettelchen, die keinen Verbraucher jemals interessiert haben. Am meisten nerven mich diese Büroklämmerchen, mit denen sie die Schilder teilweise befestigen. Braucht kein Mensch. Ich meine auch gar nicht Büroklammern, sondern diese anderen da, zum Zusammendrücken. Die müssen doch einen Namen haben!

Zu mehr sah ich mich körperlich nicht mehr in der Lage. Ich legte mich ins Bett und schlief eine Stunde.

Jetzt, wieder aufgewacht, fühle ich mich unfassbar fit. Überlege aber auch, mich für morgen krankschreiben zu lassen; aber eben nur teilzeitkrank, da ich annehmen muss, dass mein Immunsystem täglich von 15 bis 17 Uhr zusammenbricht, es sich aber ebenso schnell wieder erholt.

Ich möchte den Leser bitten, von Diagnosen in den Kommentaren abzusehen, was natürlich für die Klugscheißer, die im Netz leider eine sehr laute Stimme haben (unter meiner Leserschaft aber zum Glück kaum vertreten sind), natürlich eine schwierige Herausforderung ist. Ich habe meine eigene Diagnose: Womöglich bin ich etwas angeschlagen, mehr aber auch nicht. Mich fasziniert jedoch der Rhythmus meines Befindens. War ich nun seit gestern gleich zwei Mal krank? Und was geschieht morgen um 15 Uhr? Rafft es mich dann abermals dahin?

Wichtig wäre es aber ohnehin erst einmal, bis heute Abend nicht ein weiteres Mal krank zu werden.


Zum Abschluss noch ein Leserquiz: Warum ergibt das heutige Beitragsbild durchaus Sinn? Und achso, der Beruf des Heilpraktikers ist natürlich ein ehrenwerter und nur bei gespaltenen Schädeldecken nicht hilfreich. Ansonsten: top! Weiter so! Nicht alles so ernstnehmen.