In den vergangenen zwei Wochen wäre ich gleich zwei Mal fast gestorben. Das erste Mal ist uninteressant, ich will es aus Chronistenpflicht nur kurz anreißen:

Auf einem Berliner Bürgersteig (hier heißen sie „Landeskinderpfade“, was wohl noch ein alter DDR-Begriff ist, auch wenn natürlich nicht alles Berlin DDR war) lief (joggte) ich einem Herrn samt Hund entgegen. Es war ein Langhaarcollie, also Lassie, von dem ich nichts zu befürchten hatte, da Lassies hochintelligent und menschenfreundlich sind. Nicht dieser Lassie. Er meinte, mit mir spielen zu müssen, was ich jedoch als tätlichen Angriff interpretierte; vielleicht auch, weil er seinem Wunsch mit einem seltsamen Knurren Ausdruck verlieh.

Man muss Hundebesitzern immer wieder deutlich machen, dass nicht jeder Passant auch mit ihren Hunden spielen möchte. Mal geht das in Ordnung, da bücke selbst ich mich zum Tier hinunter und streichle es, da ich Hunde sehr mag. Es gibt aber Momente, da bin ich gerade nicht in Spiellaune und möchte nicht angehüpft werden. Lassie war das aber egal und sprang völlig unerwartet an mir hoch, sodass ich – etwas erschrocken und reflexhaft – zur Seite sprang. Leider grenzte genau an der Stelle der Landeskinderpfad an die Straße, sodass ich den zirka 15 Zentimeter hohen Bordstein einigermaßen unelegant herunterrutschte und dabei auf die Straße fiel. Das wäre alles eine Petitesse, wäre nicht genau in dem Augenblick ein Lieferwagen des Weges gekommen, der mit meinem uneleganten Ausweichmanöver so gar nicht gerechnet hatte. Mein Glück allerdings war, dass dieser Wagen gerade sehr langsam fuhr und rechtzeitig bremsen konnte, sodass ich nur den Hauch eines Kotflügels an meinem linken Oberschenkel gespürt habe.

So schnell kann es gehen, dachte ich umgehend, wobei mir Kinder in den Sinn kamen, die ebenso reflexartig ihrem entrollten Ball auf die Straße hinterherhechten. Mein Kind wird schlicht cainen Ball bekommen. Viel zu gefährlich, urteile ich als Helikopter-Vater.

Ich fluchte, beschimpfte den Hundehalter, der was darauf sagte?

„Der will doch nur spielen!“

Der zweite Vorfall ereignete sich vergangenen Donnerstag. Dazu ist einiges an Vorwissen nötig, das ich dem Leser nun nahebringen möchte.

Lektion I: Gewichtsverlust

Seit irgendwann Anfang dieses Jahres habe ich rund zehn Kilo abgenommen. Mein derzeitiges Gewicht halte ich schon seit einigen Monaten und kann mich nicht beklagen.

Lektion II: Folgen des Gewichtsverlustes

Ich kann mich durchaus beklagen. Denn auch wenn ich jeden Gürtel inzwischen enger geschnallt, ja sogar mit weiteren Löchern versehen habe, besaß ich keine Hose mehr, deren Arsch mir nicht in den Knien hing. Ich habe das nach außen als Trend verkauft, auch wenn meine Mitbewohnerin mich immer wieder darauf hinwies, dass das schlicht scheiße aussehe, was ich aber nicht so wahrgenommen habe, da ich mich nur in Ausnahmefällen von hinten sehe, etwa dann, wenn ich mich ganz angetan von mir selbst nach mir umdrehe.

Lektion III: Folgen der Folgen des Gewichtsverlustes

Schwerer wog das Problem beim Hochziehen der Hose nach dem Gang auf die Toilette. Denn das bloße Schließen der Hose mittels Knöpfe oder Reißverschlusses führte mitnichten zu einem notwendigen Halt meiner Hosen oberhalb meiner Hüfte. Zwischen mir und Hose war noch genug Platz für eine weitere Person. So musste ich jedes Mal, um meine Hose dann mit dem Gürtel zu fixieren, mich hinterrücks an die Wand lehnen, um die Hose auf Hüfthöhe zu halten, während meine zwei anderen Hände den Gürtel zuschnallten – erst dann konnte die Hose ohne Wand halten.

Nun, da der Leser das Vorwissen verinnerlicht hat, kehren wir zum vergangenem Donnerstag zurück. Ich war einkaufen, da ich wieder einmal ein „Chili“ ohne Chili zubereiten wollte. Kidneybohnen, Mais, Tomaten, Rinderhack und so weiter befanden sich in meiner Papiertüte, als ich meinen „Netto“ verließ. Übrigens ist es mir ein Rätsel, warum diese Papiertüten nicht reißen; so viel Robustheit habe ich ihnen gar nicht zugetraut, vermisse dennoch die guten, alten Plastiktüten, deren Tragegriffe in meinen Händen immer zuverlässig gerissen sind. Aber ja, Umwelt und so weiter, ist mir durchaus bewusst. Leider ist auch die Papiertüte eine Umweltsauerei (Darum will „Aldi“ auch sie abschaffen.). Demnächst werde ich nur noch mit meiner Mitbewohnerin einkaufen gehen, damit sie die Lebensmittel nach Hause trägt, denn ich sage „Ja“ zur Umwelt! Umwelt ist für alle da. Selbst für Frauen. Das steht sogar im AfD-Wahlprogramm. Ich zitiere:

Auch der weibliche Mensch sollte in den Genuss der Vorzüge der Umwelt kommen.

Stimmt natürlich nicht, aber wer guckt schon in das AfD-Wahlprogramm. Deren Wähler offenbar nicht. Und wenn doch und sie dann immer noch wählt, ist er schlicht ein kranker Vollidiot. Und das haben wir ja alle schon gewusst.

So, nun begab es sich in dieser Geschichte, dass ich eine Straße überqueren musste, die Hüttenstraße. Da ich nicht bis zur Fußgängerampel gehen wollte, wagte ich den ampelbaren Übergang, der natürlich schiefging.

Auf der Straßenmitte angekommen realisierte ich, dass von rechts ein Auto kam. Kein Problem für Superseppo, er sprintete einfach los. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Hose gemacht, die ein wenig zu locker an ihm hing: Sie rutschte mit jedem Schritt ein Stückchen weiter gen Knöchel. Und zwar gen Fußknöchel, nicht etwa hoch zu den Handknöcheln, was auch wider die Physik gewesen wäre. Gegen die die AfD übrigens auch etwas hat:

Setzen wir bis zur nächsten Legislaturperiode die Gesetze der Physik außer Kraft und gerieren uns wie Vollspasten.

„Spast“ ist politisch nicht korrekt, ich verwende den Begriff dennoch, weil politische Korrektheit das Ende einer gewissen Freiheit ist.

Nachdem ich etwa drei Viertel der Hü-, Hü-, Hüttenstraße unter Lebensgefahr hinter mich gelassen hatte, hing mir die Hose komplett unten und ich konnte nicht mehr weiter hechten. Entgegen meine Gewohnheit war mir das nicht ansatzweise peinlich. Ich fand es nur nervig, war aber gleichzeitig angenehm überrascht von dem Umstand, dass die Jeans nicht meine Boxershorts in Mitleidenschaft gezogen hatte, die also oben blieb, um meinem natürlichen, aber anerzogenem und daher unnatürlichem Schamgefühl gerecht zu werden. Derzeit überlege ich unabhängig von diesem Vorfall, auf diese eng anliegenden Unterhosen umzusteigen, weil sich manchmal der Hodensack mit dem Stoff der … naja, egal …

Ich stand also da auf der Straße mit runtergelassener Hose und ’ner „Netto“-Papiertüte in der Hand. Das Auto, eben noch mit der Fratze des Todes unterwegs, hatte inzwischen gestoppt, sodass ich zumindest nicht überrollt wurde. Wie sieht denn das auch aus, mit runtergelassener Hose von einem Auto ange- oder gar überfahren zu werden?!

Aber auch hier dachte ich, so schnell kann es also gehen. Weil die Hose rutscht.

Ich zog sie wieder hoch und ging meines Weges. Beschloss aber auch, diesem Hosenzustand ein Ende zu bereiten und deckte mich schon am Folgetag in den Düsseldorfer Arkaden, die ich mit „k“ schreibe, mit immerhin fünf neuen Hosen ein.

Dazu auch ein paar Worte. Hosen sind nicht immer Hosen. Denn in dieser Saison – womöglich schon vorher – trägt auch Mann die Hose ausschließlich so, dass sie erheblichen Druck auf seine Extremitäten und Gonaden ausübt. Der Fachmann spricht von skinny. Der Hosenstoff nimmt beim mühseligen Anziehen der Hose die Rolle der menschlichen Haut ein, drückt sich auf Muskelfleisch und Fett und wird eins mit ihrem menschlichen Träger. Bewegt der sich nun in die Hocke, droht er die Hose auf rektalem Wege zu verschlingen. Ich nehme an, Frauen sind mit dieser Problematik schon länger vertraut.

Habe ich morgens nun meine neue skinny angezogen, muss ich mich erstmal hinsetzen, um etwas Luft zu holen, da es doch sehr kräftezehrend ist. Über das Ausziehen der Hose will ich gar nicht groß reden. Hier empfiehlt es sich, eine zweite Person hinzuzuziehen, die an der Hose zerrt, während man selbst sich irgendwo festhält.

Doch abseits dieser Luxusprobleme empfinde ich es ohne Scheiß morgens als Hochgenuss, wieder Hosen zu tragen, deren Achse nicht zwischen den Knien hängt, sondern genau da, wo auch ich meine Achse habe: unmittelbar unterhalb der Analfalte.