Der Begriff der Inspiration ist dem Lateinischen entlehnt, das ich mal in der Schule gelernt habe. Wenn ich mich richtig entsinne, habe ich das Große Latinum mit einer geschmeichelten Dreiminus bekommen, konnte Latein dennoch nie sprechen. Überhaupt ist das das Verrückte an dieser Sprache, dass so ziemlich alle, die sie lernen, sie nicht ein einziges Mal sprechen. Latein ist dennoch eine wertvolle Sprache, da sie das Bewusstsein für Grammatik enorm schärft und mir das Beherrschen des Deutschen schwer vereinfacht hat. Deutsch ist oftmals ausgesprochen logisch.

Ich bitte den Leser, künftig mehrere „Es“ und „Ds“ bereitzuhalten. Mir ist vor geraumer Cait Eierschale in meine Tastatur gefallen. Lange hat diese die E-Taste blockiert, inzwischen scheint sie teilweise zum D heruntergerutscht zu sein. Mitunter blockieren diese zwei im utschen doch recht wichtigen Buchstaben. Besonders ärgerlich, will man gerade „im Deutschen“ schreiben. Dennoch will ich versuchen, diesen neunten Teil der heiteren Serie „Das SeppoABC“ zu vollenden. Eine Serie, auf die ich gerne immer dann zurückgreife, wenn mir nichts anderes einfällt. Wenn mir also Inspiration fehlt.

Aus dem Lateinischen kommend meint Inspiration so etwas wie „Beseelung“ oder wörtlich übersetzt „hinein hauchen“. Ich inspiriere also immer dann meine Brille, wenn ich sie zum Putzen anhauche. Leider macht die Brille nicht viel aus dieser Inspiration. Inspiriert wird jeder von irgendetwas zu allem Möglichen. Der eine wird inspiriert vom Schauspiel der Natur und lichtet sie ab, ein anderer fühlt sich inspiriert von der rechten Ideologie einer aufstrebenden Partei und pöbelt laut rum. Inspiration kann sich also konstruktiv, aber leider auch sehr, sehr destruktiv auswirken. Womöglich aber auch in gar keiner Weise, nämlich dann, wenn man nicht weiß, wie man sie umsetzen soll.

Ich selbst setze sie mal in Texte um, mal aber auch in Gelaber in Moderationen (www.seppo.tv). Meine Mitbewohnerin wiederum nimmt Zeichenwerkzeuge in die Hand und: zeichnet. Der Laie würde von Malen sprechen, ich beispielsweise, aber Malen ist wohl was ganz anderes als Zeichnen. Oder auch nicht. Ich habe leider keinen Zugang zum Zeichnen. Was so vielen Menschen ein Leichtes ist, Gesehenes oder Imaginiertes einfach erkennbar auf ein Blatt Papier zu bringen, vermag mein Gehirn nicht zu leisten. Ich schiebe es auf die Genetik. Im Kunstunterricht sollten wir einmal einen Stuhl malen. Unserer Lehrerin, Frau Vogt oder Voigt, war es sehr wichtig, dass wir nachher nicht einen Stuhl gemalt haben würden, sondern nur die Abbildung eines Stuhles. Wenn ich also zu ihr sagte:

„Hier, Frau Vogt oder Voigt, ich bin fertig. Das ist mein Stuhl“,

dann sagte sie:

„Nein, Sebastian, das ist kein Stuhl. Das ist nur die Abbildung eines Stuhles.“

Das scheint also für malende Künstler ein sehr wichtiger Aspekt zu sein. Ich wiederum bleibe dabei, dass es ein Stuhl war, was ich ihr aber nicht sagte, damit sie nicht den korrekten Eindruck bekommen konnte, dass ich auf diese Malerei keine Lust hatte und einfach nur mein Ausreichend bekommen wollte, da mich die Fünf im Bio-LK schon in Bedrängnis gebracht hatte. Wegen Kunst nicht zum Abi zugelassen werden?! Lächerlich. Angesichts meines Bildes sagte sie auch zurecht:

„Wenn ich diesen Stuhl sehe, Sebastian, glaube ich, dass es eine gute Idee war, Kunst nicht als Leistungskurs zu wählen.“

„Das ist kein Stuhl, das ist nur die Abbildung eines Stuhls, Frau Vogt oder Voigt!“

Und mal ehrlich: Kunst als Leistungskurs?! Kein Wunder, dass das Abitur an Wert verliert …

Kunstlehrer haben mich noch nie inspiriert. Aber was ist es, was mir als Eingebung zum Schreiben dient? Dass ich das nicht auf Anhieb sagen kann, liegt in der Natur des Begriffes, da die Idee zu einem Werk, dessen Entstehung also, dem Empfänger jener Inspiration meist unerklärlich bleibt. Es sind Geistesblitze, die aus dem Nichts kommen. Zumindest aus dem, das für unser Bewusstsein das Nichts ist.

Kurioserweise erlebe ich diese Momente sehr häufig beim Duschen. Ich stehe so da, seife mich ein und habe plötzlich eine Idee zu einem Text. Dann muss alles sehr schnell gehen: Ich entseife mich, reiße die Tür der Dusche auf, greife zum Handtuch und trockne nur das Nötigste ab, während ich im Kopf bereits tippreif formuliere. Komme ich dann auch noch auf – meiner Meinung nach! – geniale Formulierungen, werde ich panisch, da ich größte Angst habe, diese wieder vergessen zu haben, sobald ich am Laptop sitze. Das für mich Faszinierende ist, dass ich, während ich im Kopf bereits schreibe, auf einer weiteren, parallelen Ebene darüber nachdenke, wie ich gerade im Kopf schreibe. Auch wenn ich Technologie-Optimist bin, glaube ich nicht, dass künstliche Intelligenz es jemals mit unserem Gehirn wird aufnehmen können. Zumindest solange nicht, bis wir unser Hirn nicht vollständig verstanden haben werden.

In einem ununterbrochenem Prozess schreibe ich dann, den Laptop erreicht, alles sofort nieder. Formuliert ist ja schon. Und dann erst frage ich mich selbst, wie ich eigentlich auf den jeweiligen dem Text zugrunde liegenden Gegenstand gekommen bin. Spontane Erklärung: Unser Gehirn ist zwangsläufig voll von Erfahrungen. Die werden gefiltert, gespeichert oder aussortiert, manche bleiben auf Ewig im Verborgenen, während andere wiederum durch die zufälligsten Reize von außen reaktiviert werden. Bei mir sind es beispielsweise oftmals Gerüche, die uralte Kindheitserinnerungen in mein Bewusstsein zurückholen können.

Neben diesen Geistesblitzen besteht Inspiration bei mir ganz ohne Tarnung aus der Beobachtung des Alltages. Relevante Dinge entgehen mir oft. Das muss ich leider zugeben, nicht selten halte ich mich für ziemlich doof. Das meine ich ganz ernst, nicht kokett. Mitunter bin ich von mir schockiert und zweifele am Grad meiner Intelligenz. Stattdessen fallen mir Kleinigkeiten auf, Nichtigkeiten, die ich dann auch trotz ihrer Irrelevanz nicht vergesse. Sie spenden mir für mein Dasein nicht den geringsten Nutzen. Dachte ich lange. Aber irrelevante Details können manchmal plötzlich sehr wichtig werden. Und dann komme ich.

Für ein gewisses Humorverständnis ist der Blick fürs Unwesentliche wesentlich. Ich bin nicht in der Lage, auch nur einen Witz zu erzählen. Ich kann mir weder ihre Geschichte noch Pointe merken. Das könnte aber auch daran liegen, dass mir der Kalauer an sich nicht liegt, ich selten einen wirklich humorig finde. Zumal ich unterscheide zwischen „lustig“ und „humorig“. Mich inspiriert Humor, der sich aus dem Unscheinbaren nährt, er Umwege macht, der ein bisschen Mitdenken erfordert. Das Brachiale liegt mir nicht, ist mir zu billig und erfordert auch kein künstlerisches Handwerk. Und vor allem: Es überrascht nicht. Die Kunst besteht darin, aus Belanglosigkeit einen Gegenstand zu machen, zu dem man plötzlich mehr als 1.000 Wörter niederschreiben kann. Dass der Leser sich am Ende fragt:

„Er hat über nichts geschrieben! Warum habe ich trotzdem bis zum Ende gelesen?!“

Eine wesentliche Quelle der Inspiration ist bei mir das Geschriebene anderer. Ich lese extrem viel. Aber nicht Romane etwa, sondern Zeitungen und Magazine ohne Ende. Und ich meine nicht „Landlust“ oder „TV14“, sondern Gehaltvolles, was auch Lokalprint ausschließt. Ich bange um das gedruckte Wort, da digitales Lesen ein ganz anderes, oft minderwertiges ist. Mir kann niemand weismachen, er lese oft lange Texte am Rechner. Und wenn doch, hat er ein anderes Verständnis von „lang“. Dieser Text beispielsweise ist mit seinen 1.652 Wörtern nicht lang.

Auf diese Weise erweitert das über viele Jahre angehäufte Wissen, das nicht immer unmittelbar anwendbar ist, den eigenen Horizont enorm, was – und das ist eine nun sehr laienhafte und subjektive Erklärung – Querverknüpfungen ermöglicht: im Denken wie im Schreiben. Man stellt Assoziationen her, die ohne diese Grundlagen gar nicht möglich wären. Ein Beispiel: Da mache ich Urlaub in Österreich. Vergesse fast, eine Vignette zu kaufen. Denke sofort an Dobrindt mit seiner bescheuerten „Ausländer-Maut“. Erweitere den Zusammenhang. Deutschland hat so seine Probleme, die nicht angegangen werden. Wie das bei jeder Regierung so ist, wenn der Reformstau noch nicht groß genug ist. Statt sich also ums Wesentliche zu kümmern, beschließt der Bundestag diese völlig unnötige Maut. Keiner will sie haben! Sie führt ja nicht einmal zu Mehreinnahmen – das Gegenteil scheint sogar wahrscheinlich zu sein. Es gibt gar keinen Volkswillen, der der Maut zugrunde liegt. Kein Bürger ist während der vergangenen Legislaturperiode für die Einführung einer Maut für Ausländer auf die Straße gegangen. Aber ausgerechnet die beschließen wir! Warum? Damit ein CSU-Minister sich für höhere Posten empfehlen kann, damit er keine Schlappe erleiden muss.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist keine generelle Kritik an hiesiger Politik. Ich halte sie für eine der besten der Welt. Da ficht mich das alberne Gepöbel rechtsnationaler Parteien nicht an. Die verfolgen doch nur ein Ziel: Macht um jeden Preis, um die dann missbrauchen zu können. Per definitionem haben rechte Parteien eben nicht das Gemeinwohl im Hinterkopf, wenn sie zu regieren versuchen.

Und immer wieder komme ich eben auf exakt dieses Thema. Auch so etwas kann also inspirieren. Die Wut auf die Gestrigen, auf die, die sie wählen. Die bewusst Hass säen, die spalten, die sich als Opfer gerieren. Dabei ist die freie Gesellschaft das Opfer. Wie zerbrechlich diese geworden ist, in der ich aufgewachsen bin mit dem Gefühl, sie sei selbstverständlich, sie sei eben das logische Ergebnis jahrhundertelanger Zivilisierung gerade mit der Erfahrung des Hitler-Regimes, ist mir spätestens bewusst geworden, als die Nazis wieder in den Bundestag eingezogen sind. Wie ich mich schäme für Teile dieses Landes. Gerne würde ich mich jedem Ausländer erklären, mich entschuldigen. In letzter Zeit sage ich oft den Satz: Deutsche sind und bleiben Nazis, unbelehrbar. Das ist plakativ und defätistisch, das ist mir bewusst. Aber die Wut und auch die Fassungslosigkeit inspirieren mich zu solchen Gedanken. Wenn eine Partei nicht vollständig aus Nazis besteht, sie aber Nazis in ihren Reihen duldet, derzeit sogar wieder protegiert, dann ist sie inakzeptabel. Wer eine solche Partei wählt, aus welchen Gründen auch immer, der wählt schlicht dumm. Man kann Merkel hassen ohne Ende, kein Ding, aber diese Form des Protestes ist fahrlässig.

Inspiration resultiert eben auch aus Offenheit. Ein Abschotten steht ihr im Wege. Die USA schotten sich ab. Dabei war es doch ihre Offenheit, die weltweit zum american way of life inspiriert hat. Aber auch auf individueller Ebene, auf der persönlichen, ist Offenheit ein Tor zur Inspiration. Spießigkeit – richtig! verstanden – ist das Gegenteil, das nicht über den eigenen Tellerrand Hinaussehen. Offen durch die Welt zu gehen, das macht Inspiration aus.


Alle bisherigen Teile der Serie von A bis H: hier!


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