Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin, aber ich bin auf jeden Fall zutiefst erschüttert. Die Bundesseppoblik hat gewählt und ausgerechnet der rechtspopulistische Kandidat, Herr Kitzler, hat das Gros der Stimmen auf sich vereint. Ich bin nicht mehr länger Kanzler meiner eigenen Republik! Was zur Hölle habe ich falsch gemacht, dass mein Volk, aus zehn Mietparteien bestehend, sich zum Steigbügel des Rechten macht?!

Der Reihe nach. Es begann wohl damit, dass Familie Özüözü in unser Mehrparteienhaus eingezogen ist. Alle wussten, dass das Herrn Kitzler, der schon seit Jahrzehnten hier wohnt, missfallen würde: Schon vor fünf Jahren, als meine Mitbewohnerin und ich hier einzogen, begrüßte er uns mit:

„Solange hier keine Ausländer einziehen, ist alles prima. Dies ist ein sauberes Haus, wir haben hier unsere Regeln, Herr … äh …“

„Flotho. Sie wissen doch gar nicht, woher wir stammen!“

„Ich sehe es Ihnen doch an! Soll ich beim Tragen des Teppichs helfen?“

„Ja, ist aber ein Gebetsteppich!“

„Was?“

„Kleiner Spasssss, schaffen wir schon, danke!“

Wie dem langjährigen seppolog-Lesern womöglich noch bekannt ist, leidet Herr Kitzler inzwischen unter einer mittelschweren Demenz, er ist also nicht mehr zurechnungsfähig, weshalb man ihm vieles verzeiht, würde ich meinen. Nicht meinen allerdings würde ich, dass man einen Unzurechnungsfähigen zum Kanzler der Bundesseppoblik macht, die sich vor rund eineinhalb Jahren von Deutschland abgespaltet hat, was vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in Spanien recht aktuell erscheint und meine prophetischen Fähigkeiten nur unterstreicht … was aber letztlich Zufall ist.

Der Bundesseppoblik ging und geht es gut. Wirtschaftlich floriert sie als Enklave Düsseldorf-Oberbilks. Es gibt keine Konflikte mit benachbarten Nachbarn und wenn Hilfe gefragt ist, helfen wir gerne. Da ist beispielsweise Frau Genussleck von gegenüber. Sie verbringt große Teile des Tages damit, vor der Haustür zu stehen, um nach dem rechten zu sehen oder nach den Rechten. Frau Genussleck kocht zudem ausnehmend gerne, leider aber auch sehr schlecht, was meine Mitbewohnerin und ich wissen, seitdem wir bei ihr zu einem Staatsempfang waren. Es war damals mein erster Besuch als Kanzler der Bundesseppoblik in der Bundesrepublik, die übrigens bis heute nicht Notiz davon genommen hat, dass wir uns von ihr abgespaltet hatten, damit meine Chancen, einmal Kanzler zu werden, sich der Wirklichkeit annäherten.

Frau Genussleck kochte damals ein typisch Düsseldorfer Gericht, „Entchen auf Grotelwohl“. Bis heute weiß ich nicht, was ich da gegessen habe. Aber ich weiß, dass man dazu Thymian in rauen Mengen benötigt. Den hatte sie damals nicht, also fuhr großzügig wie eh und je die Bundesseppoblik Thymian nach gegenüber ein. Der bundesseppoblikanische Außenhandel war geboren – zoll- und barrierefrei. Im Gegenzug bekamen wir Johannisbeeren aus Frau Genusslecks Garten. Dem bundesseppoblikanischen Wirtschaftsminister, der auch ich war (Personalmangel), war sofort klar, dass alle profitieren, wenn jeder mit dem handelt, was er am besten, am effizientesten!, produzieren kann. Da wir über keinen Garten verfügen, also über caine Landwirtschaft, kamen wir nur auf diese Weise an Johannisbeeren. Das ist das simple Prinzip von Freihandelsabkommen: keine künstliche Verteuerung, die zudem den Arbeitsmarkt beschränken würde. Je mehr Johannisbeeren wir ihr abnahmen, desto häufiger durften ihre Enkelkinder ihren Johannisbeerstrauch abernten, wofür sie den ein oder anderen Euro zugesteckt bekamen. So funktioniert freies Wirtschaften jenseits von Protektionismus. Die erhöhte Finanzkraft konnten ihre Enkelkinder im anliegenden Kiosk umsetzen, der davon nun ebenfalls profitierte und wegen der erhöhten Nachfrage nach sauren Apfelringen durch die Enkelkinder deren Preise senken konnte.

Doch nun dieses: Frau Genussleck lebt mit einem Mann zusammen, der gerne die Hand erhebt, sie leider auch wieder senkt. Und zwar mit einiger Kraft auf Frau Genusslecks Haupt. Frau Genussleck erlitt also Gewalt in ihrem Staat und stand eines Tages nicht mehr einfach nur so vor ihrer Haustür, sondern samt Koffern. Frau Genussleck flüchtete vor ihrem schlagenden Mann, einem Tyrann ohnegleichen.

Bei uns in der Bundesseppoblik lebt Frau Fahrgescheit, die gute Seele unseres Staates. Beispielsweise deponiert sie stets meine Zeitungen vor unsere Wohnungstür, um mir den Gang nach unten zu ersparen. Das ist nett, das ist ganz menschliche und vor allem unkomplizierte Hilfsbereitschaft. Und so kam sie auch Frau Genussleck zur Hilfe, als diese um Asyl bei Fahrgescheits bat.

„Unsere Tür steht Ihnen immer offen!“, sagte Frau Fahrgescheit damals, als sie Frau Genussleck empfing. Was zweifellos eine Frage der Moral, der Menschlichkeit war. Herr Fahrgescheit hat etwas in sich hinein geknurrt, die Flüchtende aber letztlich akzeptiert. Das Geld reiche auch für drei, meinte er. Denn Herr Genussleck hat leider auch die ohnehin kümmerliche Rente seiner Frau einbehalten. Und auch der Außenhandel mit den Genusslecks kam zum Erliegen. Johannisbeeren müssen meine Mitbewohnerin und ich nun teuer aus dem „Netto“ importieren, der dafür Devisen nimmt. Und das nennt man Wohlstandsverlust, der eben dann eintritt, wenn Handel eingeschränkt wird: auf beiden Seiten, denn auch die Genussleck’schen Enkelkinder haben so ihr Zubrot verloren. Überschüssige Johannisbeeren werden nun einfach vor sich hin gammeln. Das wiederum nennt man Fehlallokation. Und der Preis von Apfelringen ist wieder gestiegen.

Dass Frau Genussleck nun in der Bundesseppoblik lebte, störte mehr und mehr Herrn Kitzler, obwohl es ihn direkt gar nicht betraf. Und so protestierte er gegen die Regierung der Bundesseppoblik, also gegen mich. Weniger mit Argumenten als mit Pöbeleien. Er hat Dinge von sich gegeben, die man vor einigen Jahren so noch nicht im Treppenhaus gehört hatte. Offenbar haben sich da Grenzen verschoben.

„Frau Genussleck trägt permanent unter ihren Schuhen Dreck ins Treppenhaus! Aber zum Putzen ist sie nicht eingeteilt! Schmarotzerin! Es kann nicht sein, dass ich den Dreck von Fremden wegputzen muss!“

Dass aber Frau Genussleck sich mit Frau Fahrgescheit beim Wischen des Treppenhauses abwechselt, sah er nicht.

„Das ist ja auch Frau Fahrgescheits Job! Wer putzt, muss weniger Miete zahlen! Wo kommen wir denn hin, wenn nun eine Fremde ihr diesen Vorteil wegnimmt?!“

Dass seine Argumention spätestens hier etwas bröckelte, merkte der Wütende nicht, der dann tönte:

„Ich werde zur Wahl des nächsten Kanzlers der Bundesseppoblik antreten!“

Das nahm ich nur lächelnd zur Kenntnis, da mir ja klar war, dass kein vernünftig denkender Mensch einen solch irrationalen Idioten wählen würde! Ich blieb gelassen und nahm mir vor, sein Ansinnen einfach auszusitzen. Nachzudenken, bevor ich übereifrig reagiere. Denn ich sah neben mir schlicht keine Alternative.

Dann kam der Möbelwagen. Nachbarin Lara war vor geraumer Zeit schon ausgezogen (ich ermordete sie vielmehr), ihre Wohnung nun renoviert, sodass Familie Özüözü den Zuschlag bekommen hat.

„Ich habe ja nichts gegen Ausländer“, kommentierte das Herr Kitzler, „aber als Nachbarn?! Was kommt als nächstes?! Holen die ihre Angehörigen nach?!“

„Das will ich hoffen“, antwortete ich, „ihr Sohn sitzt da noch im Auto draußen.“

„Ich habe ja nichts gegen Ausländer“, kommentierte das Herr Kitzler, „aber als Nachbarn?! Was kommt als nächstes?! Holen die ihre Angehörigen nach?!“

„Das sagten Sie doch bereits!“

„Was?!“

Da ging es los. Mit seiner fortschreitenden Demenz. Vieles vergaß er, aber eines wusste er immer: Ausländer sind per se ein Problem. Doch es ergab sich, dass ausgerechnet Herr Özüözü ein angesehener Alzheimer-Experte war, der in der Vergissmeinnicht-Klinik in Düsseldorf-Wersten forscht und arbeitet. Als er nach Deutschland kam, brachte er nicht nur seine Familie mit, sondern auch Fachwissen, von dem Alzheimer-Patienten profitieren könnten. Und weil er Großverdiener ist, zahlt er mehr in die Sozialkassen ein, als er jemals wieder rausbekommen würde. Von seinen Beiträgen profitieren somit auch Deutsche. Ohne Leute wie Özüözü würde das fragile soziale Netz schon lang in sich zusammengefallen sein.

Herr Kitzler weiß das vermutlich auch. Aber sagen tut er was anderes. Ich glaubte, jeder müsse ja wohl merken, dass Herr Kitzler es mit den Fakten nicht so genau nimmt, aber zu meiner Überraschung hat er die Mehrheit der Stimmen nun doch tatsächlich erhalten. Obwohl jeder weiß, dass er lügt, dass er wütet, dass er provoziert, dass er für alles Sündenböcke ausmacht:

wurde er gewählt.


Auf Instgram veröffentliche ich sämtliche Stimmzettel mit Namen und Anschriften. Bei Facebook poste ich Bilder mit meinen Beinen auf einem Tisch. Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen!