Für mich war spätestens heute Morgen klar, dass ich keinen grippalen Infekt habe, sondern mindestens die Malaria. Nicht wenige Symptome deuteten immerhin darauf hin. Und so entschied ich, das erste Mal seit vielen Jahren einen Arzt aufzusuchen, galt es doch, den Ausbruch der Seuche auf möglichst wenige Menschen zu begrenzen. Ich opferte also wissentlich die im Wartezimmer Sitzenden sowie den Arzt, für den es aber Berufsrisiko ist.

Da ich cainen Hausarzt habe, stand ich vor der Frage:

Wie geht man zu einem Arzt?

Meine Mitbewohnerin legte mir einen Arzt an der Ellerstraße nahe, hier in Düsseldorf-Oberbilk.

„Ellerstraße?! So weit?! Wie soll ich das schaffen?!“, protestierte ich und zog in Betracht, in die Notaufnahme des nahen Krankenhauses zu gehen, wo ich mir schon eine Bindehautentzündung behandeln ließ, die ich selbst zuvor als Augenkrebs diagnostiziert hatte. Ich fahre ja nicht wegen Lappalien in die Notaufnahme! Auch damals nicht, als sich mein Samenleiterkrebs als Leistenbruch entpuppte.

„Ob ich einen Krankentransport bestelle?“, überlegte ich laut.

„Du hast eine Erkältung! Mehr nicht!“

„Ich weiß nicht. Fieber. Dann das perverse Schwitzen. Guck, was alles aus meinem Mund herauskommt! Und dann googel das mal, du landest sofort bei Malaria.“

Ich ging ins Netz und googelte etwas anderes:

arzt düsseldorf oberbilk

Ein Suchergebnis brachte mich zu einer Arztpraxis, die direkt neben meiner Apotheke liegt, die sich wiederum nur wenige Häuser weiter unseres befindet – mit Malaria im Anfangsstadium also noch durchaus zu erreichen.

„Denk an deine Versichertenkarte!“, rief mir meine Mitbewohnerin noch zu, als sie die Wohnung verließ.

Versichertenkarte?! Hab ich auch sowas? Ich gucke ins Portemonnaie. Finde meine neue EC-Karte, die man nun nicht mehr irgendwo reinstecken muss, da sie über NFC verfügt; ich finde meinen 2010 abgelaufenen Presseausweis, meine „SPD-Card“, mit der SPD-Mitglieder günstig Autos erwerben konnten (ein Privileg, das inzwischen abgeschafft wurde, weil es nicht mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist), meinen Führerschein, meinen Ausweis und, siehe da!, eine weitere Karte, geschmückt von meinem Konterfei, zehn Jahre jünger als mein derzeitiges Ich.

„Wo muss ich die reinstecken?!“, fragte ich, „Ach, du bist ja schon weg!“, sodass die Frage ungehört im Raume verblasste.

Ich wählte die Nummer des vorgeschlagenen Arztes an, teilte meine Symptome samt Diagnose mit:

„… und wollte da mal rübergucken lassen. Wie ist vorzugehen?“

„Machen Sie sich am besten sofort auf dem Weg, wir schließen eigentlich gleich“, informierte man mich.

Ich zerrte mich aus dem Bett, schleppte meinen geschundenen Leib (Christi) (nicht: Laib Brot) ins Badezimmer, wo ich mich einigen Rotzes entledigte: durch Gurgeln mit Salzwasser, was extrem wirksam ist. Die Farbe des Sputums konnte ich nicht genau erkennen, da seit gestern Abend meine Augen wie irre tränen, als würde ich mein eigenes Leid weinend beklagen, was freilich nicht meine Art ist. Überhaupt saß ich seit gestern Abend nur noch mit einem Geschirrtuch vor meinen Augen so da, weil irgendetwas sie permanent zu reizen schien. Malaria-Bakterien womöglich. Obwohl Malaria nicht bakteriell übertragen wird. Aber vielleicht leide ich unter einer neuen, noch unbekannten Form? Nicht unwahrscheinlich. Malario Seppo.

Nachdem ich geduscht hatte, zog ich mich an, wobei ich auf eine Jacke verzichtete, da mein Hemd bereits wieder durchgeschwitzt war, wie das bei Malaria nun einmal der Fall ist. Betrat dann wenige Minuten später die Arztpraxis und war erstaunt, dass man mich nicht an der Tür empfing. Was also war zu tun?

Etwa drei Meter von mir entfernt befand sich eine Art Pult. Hinter diesem Pult saß eine ältere Dame, die auf einen Kathodenstrahl-Monitor starrte. Ich beschloss, zu ihr zu gehen, weil sie möglicherweise weitere Informationen zum weiteren Vorgehen für mich hatte.

„Guten Tag, mein Name ist Flotho. Ich bin krank.“

Mir war sehr wichtig, nicht meine Diagnose zu nennen, da ich mal gelesen habe, dass man das als Patient keinesfalls tun sollte, da Ärzte dazu neigen, sich an dieser zu orientieren. Ist die dann falsch, würde auch der Arzt auf eine falsche Fährte geführt werden. Ich setzte fort:

„Welche Schritte werden nun eingeleitet?“

„Ihre Verischertenkarte?“

„In meinem Portemonnaie.“

„Schön. Könnte ich sie mal sehen?“

„Achso, natürlich.“

„Waren Sie schon einmal bei uns?“

„Nein. Ist das ein Problem?“

„Nein. Wie heißt Ihr Hausarzt?“

„Äh, ich habe keinen. Aber ich hätte noch meinen Kinderarzt. Doktor Juretko. Aber ich glaube, der praktiziert nicht mehr.“

„Schön. Wenn Sie hier noch Platz nehmen?“

„Dann was?“

„Nehmen Sie bitte noch Platz.“

Ich tat wie mir geheißen und setzte mich auf einen Stuhl vor jenes Pult. Das irritierte die Empfangsdame:

„Im Wartezimmer.“

„Achso, ich dachte, das wäre hier das Wartezimmer.“

Das übrigens ist abseits der anderen hier geschilderten Dinge wirklich passiert. Ich hatte keine Ahnung, dass es da noch ein Wartezimmer gibt.

Stand also auf und ging in einen separaten Raum, wo andere Menschen saßen.

„Moinsen“, begrüßte ich sie, weil ich ja eine ganz passable Erziehung genossen hatte.

„Mmmm“, kam es zurück.

Die Menschen dort sahen sehr traurig aus. Ich vermute, sie waren ebenso krank wie ich.

Ich wechsle mal eben ins Präsenz, weil ich da besser schreiben kann. Weißte Bescheid, Lektorin (die übrigens auch kränkelt).

Das Angebot von Zeitungen oder Magazinen im Wartezimmer ist kläglich. Ob da Methode hintersteckt? Denn: Wenn ich nun, infiziert mit Malaria, sagen wir mal die „Auto-Bild“ anfasse, lese und wieder zurücklege, würde ja der nächste Leser dieser Gazette möglicherweise an Malaria erkranken. Keine Zeitungen dort anzubieten, ist also ganz im Sinne der Seuchenabwehr.

Doch überhaupt ist das Wartezimmer sehr lieblos ausgestattet. Neben mir steht eine Zimmerpflanze, die kaum noch Blätter trägt, aber ordentlich gedüngt ist. Wie alt sie wohl ist? Meine älteste Zimmerpflanze ist etwa zehn Jahre alt. Wie alt werden Pflanzen?! Was muss diese Pflanze hier im Warteraum nicht schon alles erlebt haben? Wenig schönes, möchte ich meinen. Nur sitzende, traurige Menschen, die gelegentlich durch ein Husten auffallen, das sie nicht unterdrücken konnten. Und so huste auch ich in meine Ellenbeuge, mit der ich mir danach den Schweiß von der Stirn ziehe.

Offenbar hat man die Brisanz meiner Erkrankung erkannt, denn lange muss ich nicht warten, bis ich drankomme.

„Herr Flotho?“, ruft eine Dame, die zur Tür hereinkam.

„Ja, was gibt’s?“

„Nun ja, Sie sind dran.“

„Ach, so schnell? Verrückt. Moooment. Ich stehe kurz auf.“

Gegenüber meiner kranken Person sitzt eine blonde Dame. Sie hat Husten. Lächerlich. Wegen Husten zum Arzt! Andere tragen Malaria-Parasiten in sich! Sie guckt mich einigermaßen unwirsch an, weil sie vermutlich schon vor mir da war und sich nun fragt, warum ich – ohne Termin! – schon drankomme.

„Malaria vermutlich …“, murmele ich ihr im Weggehen zu, „Prioritäten! Seuchenschutz!“

 

Der Arzt entpuppt sich als Ärztin, was mir klar wird, als ich sage:

„Wo ist der Herr Doktor?“

„Ich sitze vor Ihnen.“

Frauen sind also zum Medizinstudium zugelassen. Wie leichtsinnig! Aber gut, ich nehme, was kommt, habe schließlich nicht mehr so viel Zeit.

Ich schildere die Symptome, was viel Cait in Anspruch nimmt. Sie steht danach auf, greift zu einer Holzlatte, etwa 15 Zentimeter lang, und bittet mich, den Mund zu öffnen. Und dann sagt sie kurz:

„Ahh.“

Das kann ich nicht einordnen, öffne aber dennoch meinen Mund und allen Ernstes schiebt sie diese Latte in meinen Rachen! Was für ein seltsamer Fetisch, denke ich völlig aus der Fassung gebracht.

Und wieder sagt sie: „Ahhh!“, dieses Mal mit Nachdruck.

Was, ah?!?!?!, denke ich, was hat sie denn?! Ich würde ja fragen, kann aber nicht, wegen der Latte im Mund.

„Sagen Sie bitte doch einmal ‚ah‘!“, konkretisiert sie.

Achso, denke ich, ich soll „ah“ sagen. Warum soll ich „ah“ sagen?! Aber gut, also:

„Ahhhhh.“

Großer Gott, klingt das erbärmlich. Ich höre mich an wie ein kleiner Junge. Was für ein erbärmliches „Ah“!

„Da ist aber einiges drin“, sagt sie. Sie sagt aber nicht, was.

 

Schließlich verlasse ich die Praxis mit einem gelben Blatt Papier, auf dem unter „Diagnose“ nichts von „Malaria“ steht, sondern ein seltsamer Code aus Zahlen und Buchstaben. Vermutlich will man keine Panik in der deutschen Bevölkerung auslösen und deshalb nicht „Malaria“ draufschreiben.

Wieder zuhause regele ich mein baldiges Ableben, verteile mein Vermögen, schreibe diesen Text und lege mich ins Bett. Und denke an das Gespräch gestern mit Sabrina USA: Wenn sie krank ist, schwört sie auf ein bestimmtes Medikament, das ich hier wickmedinait nicht nennen möchte. Leider mache dieses Medikament auf Dauer abhängig, aber es ermöglicht einen wohligen Schlaf. Und den kann ich gebrauchen. Auch meine Mitbewohnerin, die ich heute durch die Nacht gehustet hatte. Sie ist die wirklich Leidtragende hier. Man mag sich kaum ausmalen, wie sie litte, würde ich meine Erkrankung an die große Glocke hängen und rumjammern! Nein, ich nicht.


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