Zehn Uhr 15. Es klingelt an unserer Wohnungstür. Ohne groß nachzudenken, mache ich mich selbstverständlich auf den Weg zur Türe mit dem klar definierten Ziel, diese selbstredend zu öffnen.

Etwa eine halbe Stunde werde ich für den Weg zur Tür brauchen, da meine Mitbewohnerin und ich am Wochenende der 54. Kalenderwoche des kommenden Jahres unseren Flur verlängert haben. Zwischen den zahlreichen Angeboten zu Penisverkürzungen in meinen Telefax-Postfach war ich nämlich vor einiger Cait auf ein Angebot für eine Flurverlängerung gestoßen. Nicht ganz billig und auch ein bisschen Nepp dabei, aber unser Wohnungsflur ist nun beeindruckende drei Kilometer lang – von innen! Nicht von außen! Das ist ja der Reiz an diesem Angebot gewesen.

Und wie das so ist, steht man gerade dann, wenn es klingelt, am anderen Ende vom Flur, sodass ich zur Tür hinüber rufe:

„Kommeeeee! Halbes Stündchen Geduld, bitte!“

Ich nehme mir einen Regenschirm mit auf den Weg, da ich natürlich nicht weiß, wie am anderen Flurende das Wetter ist. Greife zum Handy und rufe das Zeit-Ministerium an:

„Guten Tag, Flotho mein Name. Meine Kundennummer brauchen Sie vermutlich? … 0-8-1-5-1-8-7-9. … Ja, genau. Mondstraße. Also, ich würde gerne von meinem Zeitkontingent eine halbe Stunde abbuchen. Es hat an meiner Tür geklingelt. Ich zahle per ‚PayPal‘, Quicklogin ist aktiviert … Ja, danke. Ist die halbe Stunde direkt freigeschaltet? … Okay, dann gehe ich mal los.“

Ach, verdammt! Jetzt erst sehe ich, dass der Dampfer anlegt. Mit dem wäre ich schon in 15 Minuten an der Tür. Nehme ich den jetzt? Vielleicht gebe ich dann einfach die gesparte Viertelstunde wieder zurück.

Also warte ich, bis der Dampfer angelegt hat und schon begrüßt mich auch Kapitän Dattobar Dampfer. Mit ihm verbindet mich ein dunkles Geheimnis, womit wir uns gegenseitig erpressen könnten und mitunter auch tun.

Kann ich ja kurz mal erzählen. Damals, als ich Dattobar auf einem Soziopathenkongress getroffen hatte, kamen wir auf die geniale Geschäftsidee, groß in die Kartonagen-Fabrikation einzusteigen. Weil man einfach mal was wagen muss, um Großes zu erreichen, kauften wir also umgehend Pappe und falteten sie zu Kartons, die wir unter anderen „Amazon“ offerierten. Amazon stand damals ganz am Anfang, verschickte lediglich Bücher. Denn zu jener Zeit war es nicht möglich, größere Dinge per Post zu verschicken, weil es keine Kartonagen gab, die groß genug waren. Dattobar und ich fanden aber die Lösung: Wir klebten mit Klebeband zwei Kartons aneinander und schnitten danach die sie trennenden Wände heraus. Als Ergebnis erhielten wir einen doppelt so großen Karton, den wir zum Preis für zwei kleine verkaufen konnten. Ziemlich genial.

Lief alles super. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir an die Börse gingen. Wir wurden gierig und verwickelten uns in Insidergeschäfte. Parallel dazu entwickelten zwei südkoreanische Brüder einen noch größeren Karton – der aus drei aneinandergeklebten bestand. Auf die Idee waren wir nicht gekommen; unser Geschäft lief dann nicht mehr so super und wir verschleppten aus Faulheit die Insolvenz. Außerdem verschickten wir online Hunde, was aus Tierschutzaspekten mindestens gewagt war, zumal drei von vier Hunden dabei starben. „Schrödingers Hund“ hieß damals unsere Firma, fanden wir ganz ulkig, doch der Oberhund, Gebieter über die Hunde dieser Welt, fand das „echt daneben“, er drohte mit Konsequenzen und wir brachten ihn um – das aber heimlich. Und mit diesem Mord erpressen wir uns heute noch gegenseitig. Auch blöd irgendwie, aber gut, man steckt nicht drin. Wobei wir durchaus drinsteckten, der Spruch passt hier also einmal nicht.

So, Dattobar Dampfer wurde Schiffskapitän, weil ich mein ganzes Geld in einen Dampfer inklusive Fluss gesteckt hatte. Auch über diese Investition kann man sicher trefflich streiten. Aber jeder hat ja so seine Dampfer-Phasen.

„Komm an Bord, Seppo!“

„Jawoll! Fährste mich zur Tür? Hat geklingelt. Könnte Merugin sein, der seine Firma versehentlich ‚Scheidenpilz OHG‘ genannt hat.“

„Womit handelt er?“

„Mit Seidenfilz.“

„Oh, übel. Aber ja, ich fahre dich rüber, würde aber kurz einen Zwischenstopp im Kühlraum machen. Wegen meiner Mutter.“

Achja, der Kühlraum. Ehemals unser Wohnzimmer. Seit einiger Zeit lagern meine Mitbewohnerin und ich dort Menschen ein. „Menschen“ und „Lager“ ist immer eine nichts Gutes versprechende Kombination, aber wir reden hier nicht von einem Arbeitslager oder so. Vielmehr frieren wir die Menschen ein, die uns tierisch auf den Sack gehen, und „lagern“ sie eben in diesem Kühlraum. Dattobar lagert dort seine Mutter, er will sie vielleicht auftauen und um Geld anpumpen, genaues weiß man nicht. Es geht mich auch nichts an, denn wen unsere Kunden warum einlagern, ist uns egal, Hauptsache, die Rechnungen werden bezahlt.

Nach fünf Minuten legen wir am Kühlraum an. Es ist frisch, ähnlich wie am Tiefkühlregal eines Supermarktes. Ich stolpere über ein gefrorenes Bein.

„Verdammt, hier liegt ein loses Bein herum!“, fluche ich.

„Oh, abgebrochen?“

„Ja, wir lagern ja Menschen ausschließlich im Ganzen ein, nicht nur teilweise. Wir müssen den Rest von dem Typen finden.“

„Oder von der Frau!“

„Nein, ist ein Männerbein. Hier, die vielen Haare. Ich hoffe, es ist ein Männerbein!“

„Kann man das Bein einfach wieder drandengeln?“

„Keine Ahnung, bin ich Metzger?! Sowas ist bislang noch nicht passiert. Vielleicht meine Mitbewohnerin heute Abend fragen, die kann gut nähen.“

„Oder aber!“, ruft Dattobar.

Oder aber was?!“

„Oder aber wir nehmen das andere Bein auch noch ab, dann fällt es nicht auf.“

Sehr gute Idee, finde ich, doch wir kommen nicht dazu, da das Walross zu uns stößt.

„Kommt ihr an einer Apotheke vorbei? Ich hab einen eingewachsenen Fußnagel“, fragt es uns.

„Schwierig, ich muss gleich an der Tür sein, es hat geklingelt. Was ich dir aber anbieten kann, ist, dich einzufrieren, bis wir an der Apotheke waren“, biete ich an.

„Heute ist Feiertag. Reformationstag für alle. Apotheke zu“, gibt Dattobar zu bedenken, als Noahs Arche auf ihn herabfällt.

„Scheiße, ich muss echt das Regal mal wieder festschrauben. Sorry, Dattobar. Wird’s denn gehen?“

Er antwortet mir nicht, sodass ich ihn einfach einfriere und zum Walross lege. Vielleicht brauche ich ihn noch einmal für andere Geschichten. Sein Name gefällt mir.

Am Flughafen angekommen, zettele ich den lang ersehnten Fluglotsenstreik an, um mir diesen Kindheitstraum zu erfüllen. Erich Honecker steht erbost am Flugsteig und fragt mich:

„Wie zur Hölle komme ich jetzt nach Chile?!“

„Ich könnte sie auf meinem Dampfer mitnehmen. Ich sähe sie aber lieber in den Fängen der Justiz. Zufällig bin ich Richter“, erwähne ich, „Ich könnte sie verurteilen zum Tragen eines albernen Hutes.“

„Gebongt!“, sagt Erich und setzt sich den Hut auf, den uns der verrückte Hutmacher reicht, der ziemlich einen an der Waffel hat.

Zusammen fahren wir nun endlich zur Tür. Ich öffne sie und dort steht Merugin:

„Hat sich erledigt, Seppo. Bis später!“

Komischer Tag, denke ich.


Fotos von dieser Reise poste ich bei Insterburg & Co. sowie auf Facebook.