Es gibt das Phänomen der Graphomanie, das eine Störung oder sogar Krankheit beschreibt. Alfred Krupp, Stahlmagnat, litt offenbar darunter, wie ich kürzlich lesen durfte. Mitunter hat er ein und derselben Person mehrere Briefe am Tag (!) geschrieben, sodass man wohl tatsächlich von einem Schreibwahn sprechen kann. Dem Absender ist dabei oftmals egal, was er mit seinem Geschreibsel beim Empfänger auslöst: Hauptsache, er publiziert, wobei ihm die Qualität seines Auswurfes zunehmend egal wird. Graphomanie meint das exzessive, krankhafte Schreiben.

Als ich das so las, dachte ich sofort an mich. Wie oft ergreift mich der Drang, etwas zu schreiben! Und wie oft ist es mir dabei fast gleichgültig, was ich schreibe! Leide ich also unter Graphomanie? Manch einer wird das nun umgehend bejahen, obwohl ich für mich sage: Nein, ein Wahn ist es bei mir ebenso wenig wie krankhaft. Aber ich tue es halt sehr gerne. Zu einer wirklichen Sucht gehört mehr, beispielsweise eine Entzugserscheinung, die mit tatsächlichen körperlichen Beschwerden einhergeht. So weit ist es bei mir noch nicht. Und trotzdem: Ohne Schreiben geht es bei mir nicht. Aber jeder wird ja so sein Hobby haben, ohne das er nicht könnte. Womöglich macht den Menschen erst zum Menschen, dass er zu einer Kultur neigt, dass er einen wie auch immer gestalteten kreativen Zwang verspürt, also im Wortsinne: den Drang, etwas zu kreieren, etwas zu erschaffen. Die Grenzen zum Wahn sind wohl fließend, aber auch wenn heute jeder Küchenpsychologe ist, weil „man ja so vieles liest“, ist manch Diagnose dann doch etwas übertrieben. Nicht alles, was ein wenig von der Norm abweicht, was auch immer die Norm ist, ist gleich pathologisch.

Es gibt freilich Tage, an denen ich den Drang verspüre, etwas zu schreiben, aber nicht ansatzweise weiß, was ich schreiben soll. Dabei hilft dann manch unerwartete Inspiration. Gestern war so ein Tag, an dem mir von außen einiges an Ideen zugetragen worden ist, wobei ich eine hervorheben möchte.

So war ich auf einer Autofahrt von Berlin nach Düsseldorf Zeuge eines Telefonates, bei dem ich nur einen der Gesprächspartner hören konnte, nämlich denjenigen, der mit im Auto saß und ganz nebenbei die erstaunliche Fülle von Funklöchern in Deutschland verfluchte, wobei ich ganz bei ihm bin. Sobald man Berlin verlassen hat, ist man für viele Kilometer von der Außenwelt abgeschnitten. Für ein Land, das über keine nennenswerten Rohstoffe verfügt und somit nur Bildung und Infrastruktur als wirtschaftliches Argument in die Waagschale der Globalisierung werfen kann, ist das ein Armutszeugnis und leider kein Luxusproblem. Es wäre nicht falsch, in gewissen Bereichen den Anspruch „Weltspitze“ für sich zu deklarieren. Nun, wie dem auch sei, ging es in diesem Telefonat um Körbchengrößen von Büstenhalter des sympathischen Textilherstellers „H&M“.

Beim Thema Körbchengröße halte ich mich gerne raus, weil ich diese Größeneinheit nicht verstehe, da sie in meinem Alltag auch keine Rolle spielt. Jene Maßeinheit besteht aus zwei Werten. Der eine beschreibt den Brustumfang, und zwar den maximal horizontalen. Das verstehe ich schon mal nicht. Maximal horizontal?! Ja, gemessen bei aufrechter Haltung und normaler Atmung. Wenn Frauen also BHs anprobieren – sofern sie das überhaupt tun?! -, müssen sie sich aufrecht hinstellen und normal atmen. Das schließt eine BH-Anprobe während eines asthmatischen oder epileptischen Anfalles schon einmal aus: Ein BH, der während eines solchen Anfalles optimal passt, verliert diese Passform umgehend unter Normalzustand, bei aufrechter Haltung und normaler Atmung also.

Der zweite Wert der Einheit Körbchengröße bezieht sich auf den Unterbrustumfang und da bin ich raus, weil ich das nun wirklich nicht verstehe und auch gar nicht verstehen will. Es interessiert mich nicht. Ich kann mich nun weißgott nicht um alle Belange der Frau kümmern.

In jenem Telefonat ging es wohl darum, dass bei H&M, womöglich auch bei anderen Herstellern, mehrere BHs derselben Größe unterschiedlich ausfielen, was jene Kundin am anderen Ende der Leitung offenbar in eine gewisse Rage gebracht hatte. Und das kann ich verstehen: Da bestellt man sechs BHs derselben Größe und nur ein, zwei davon passen, während die anderen entweder zu groß oder zu klein sind oder zu was weiß ich. Welchen Zweck erfüllen dann noch Größenangaben? Auf H&M wartet ein geharnischter Brief jener Kundin, wenn ich das gestern richtig mitbekommen habe, ich hoffe, ich gebe da nichts falsch wieder.

Doch ich kenne das Problem mit Größenangaben bei Kleidungsstücken durchaus auch. In „Adidas“-Schuhen habe ich die Größe 43 1/3. Das ist ziemlich albern, da ich eher auf kleinem Fuße lebe. Meist bewegt sich meine Schuhgröße bei 41 bis 42. Online Schuhe kaufen geht bei mir im Grunde also gar nicht, da 42 nicht gleich 42 ist.

Bei der Weite von Hosen habe ich dasselbe Problem. Der eine Hersteller verpasst mir die Größe 31, bei anderen brauche ich 29. 29 klingt schon irgendwie nach Magersucht, also nach dem Ideal, das so viele Mädels anstreben. Sie kotzen sich regelrecht in die Hosen rein.

Größen sind also nicht genormt; das Gegenteil kann mir niemand weismachen. Bei Hemden beispielsweise brauche ich mal die Größe S, manchmal aber eben auch M. Small ist nicht gleich small, small ist bei „Esprit“ smaller als bei „Jack and Jones“ und dann gibt es das auch noch kombiniert mit „Slim Fit“, wobei es „Fat Fit“ nicht gibt.

Es ist seltsam. Denn ein Meter ist ja auch ein Meter. Das haben wir dem Ur-Meter zu verdanken, das sich so definiert:

In der Intention der bürgerlichen Dezimalmeterdefinition sollte ein Meter der zehnmillionste Teil des Viertels des meridionalen Erdumfanges sein, was etwa der Länge eines Sekundenpendels entspricht. (Wikipedia)

Metermäßig kann es also nicht zu Missverständnissen kommen, Meter bleibt Meter. Und eigentlich müsste es auch für Körbchengrößen eine entsprechende Definition geben, es bräuchte eine Musterbrust, die als Maßstab für alle Brüste der Welt – und es gibt viele Brüste, fast doppelt soviele, wie es Frauen gibt, lässt man die ebenfalls vorhandenen Männerbrüste einmal außer acht. Es braucht eine Ur-Brust, an der sich die Körbchengröße dann orientieren würde.

Das Textilopfer am Telefon regte an, diesen Missstand doch mal in meinem Blog, Sie lesen diesen gerade!, anzusprechen, da ich ja über eine nicht zu unterschätzende Medienmacht verfüge. Wenn ich also wie jetzt auf diesen ja im Grunde sogar Frauen verachtenden Missstand aufmerksam mache, können wir davon ausgehen, dass schon morgen die gesamte Medienwelt nur noch über dieses Thema schreiben und sprechen wird. Große Erleichterung für Kevin Spacey, der damit aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verschwinden dürfte, sodass die Staffeln sechs bis 21 von „House of Cards“ doch noch gedreht werden dürften. Spacey, der vielleicht wirklich ganz üblen Scheiß angestellt hat (was wir nicht wissen, da wir nur Vorwürfe kennen, die eben erst bewiesen werden müssen, die ich aber auch nicht in Abrede stellen will) ist gerade Opfer der typisch amerikanischen Hysterie, wenn es irgendwie um Sex geht. Diese Hysterie schwappt auch nach Deutschland rüber, was mir Sorgen bereitet. Der Angeklagte muss zunächst verurteilt sein. Jede vorschnelle Form des öffentlichen Prangers sollte die Menschheit eigentlich hinter sich gelassen haben.

Ich will niemanden verteidigen, der in sexueller Hinsicht in einen Ausnahmezustand gerät, aber die Verdammung, die derzeit stattfindet, finde ich lächerlich, sie regt mich geradezu auf. Es ist aber auch schwierig, sich derzeit als Mann, der ich bin, zu dieser Debatte (die in einer Woche schon niemanden mehr interessiert) zu äußern, da man sich nur um Kopf und Kragen schreiben kann, wenn man nicht blind wie die meisten anderen sich der bereits vorgefertigten Massenmeinung anschließt. Es liegt mir auch fern, einen Weinstein zu verteidigen, denn sehr wahrscheinlich ist der Typ wirklich etwas gestört, da das Wichsen in eine Topfpflanze vor weiblichem Publikum zumindest Fragen aufwirft. Der Typ ist wahrscheinlich gestört und mindestens widerlich, auch wenn Sperma sich möglicherweise als Dünger eignet.

Aber ich will zumindest zu einem Gedanken anregen, vorab aber zur Sicherheit noch einmal ausdrücklich sagen: Man belästigt keine Frauen. Übrigens auch keine Männer. Man zwingt niemanden seinen Penis oder seine Vagina (Scheide, hihihi) auf, man hat auf jegliche Gewaltanwendung, ob seelischer oder körperlicher Natur, zu verzichten. Schöner ist es ohnehin, das Gegenüber tritt freiwillig mit einem in sexuellen Kontakt (Darum kann ich der Prostitution nichts abgewinnen; die Frau sollte es doch auch wollen, was hab ich denn davon, sie täte es aus anderen Motiven?!). Das steht außer Frage. Ich verteidige hier niemanden, der Frauen bedrängt. Aber ein Gedanke kam mir schon: Ich will nicht wissen, wie viele Frauen sich gedacht haben werden: Na, dann blas ich dem Typen eben schnell einen und bekomme auf lange Sicht einen „Oscar“ dafür. Auf die Erpressung muss man sich eben auch einlassen, damit es zu einer solchen überhaupt erst kommt.

Puh, dünnes Eis, aber noch einmal: So etwas tut man nicht. Und ich glaube auch – wir wissen es von einem britischen Musik-Manager -, dass zahlreiche junge Männer ebenso Opfer einer solchen sexuellen Erpressung wurden. Nein, das macht es nicht besser, aber man kann es ja mal erwähnen, um die Diskussion etwas anzureichern. Ich glaube auch tatsächlich, dass Männer zu einem nicht unerheblichen Teil Schweine sind, es liegt in unserer Natur, die wir aber dank der Zivilisierung bändigen können, die wir kontrollieren können müssen. Nicht jeden Gedanken muss man in die Tat umsetzen. Und was nicht geht, ist das Zwingen von Menschen zu sexuellen Handlungen durch Gewalt. Doch ein System, in dem ein Weinstein überhaupt gedeihen kann, ist an sich schon ein fragwürdiges: Es sind nicht nur Männer, die es möglich gemacht haben.

Würde mir jemand eine tolle Rolle anbieten, für die ich jedoch in sexuelle Vorleistung treten müsste, hätte ich die Wahl (Hier wichtig: Überhaupt vor so eine Wahl gestellt zu werden, ist nicht in Ordnung.). Ich würde abwägen. Käme sehr aufs Gegenüber an. Moralisch absolut verwerflich, gar keine Frage. Es ist und bleibt ein Machtmissbrauch. Aber diese Macht muss man einem erst einmal gegeben haben. Dass Weinstein nun tief fällt, ist völlig verdient; ich habe keinerlei Verständnis für ihn. Aber: Er bleibt in aller Munde. Kleiner Scherz, muss auch mal sein.

Mich nervt die Form der Diskussion. Sie wird so pauschal geführt. Weil natürlich in diesem Zusammenhang niemand es wagt zu relativieren. Es bleibt ein schwieriges Feld und ich bin auf die Reaktionen hier gespannt. Ich wünschte mir halt nur etwas Zurückhaltung, weniger Schnellschüsse, noch weniger Vorverurteilungen, denn nicht alle Männer, die einer Frau mal in den Ausschnitt gucken oder einen dämlichen Altherrenwitz ablassen, sind direkt Schweine. Ich weiß, das erschüttert manch Frauenbild. Und ey, gibt es nicht auch Frauen, die den ein oder anderen Mann innerlich lüsternd anblicken?!

Ich habe mich natürlich auch gefragt, ob ich mal nach derzeitiger Definition eine Frau ernsthaft sexuell belästigt habe. Durchaus habe ich der einen oder anderen Frau mal einen recht ansehnlichen Po bescheinigt. Das waren dann aber auch Frauen, die ich kannte und nicht solche, die in der Schlange an der Kasse meines „Nettos“ vor mir standen. Ich habe sie nicht auf ihren Po reduziert, sondern ihren fantastischen Charakter um einen tollen Po erweitert! Wenn das bereits unter sexuelle Belästigung fällt, dann bin ich wohl der Weinstein Oberbilks. Zum Sex gezwungen habe ich aber noch niemanden.

Achja, wie albern, fällt mir gerade ein: Ich wurde mal von einem Taxifahrer sexuell belästigt. Er legte seine Hand während der Fahrt zwischen meine Oberschenkel. #MeToo!!!!! Ich nutzte das aus, um in den Genuss einer kostenlosen Fahrt zu kommen. Nicht indem ich ihn ranließ, sondern indem ich ihm androhte, handgreiflich zu werden, aber auf andere als die von ihm gewünschte Art. Kurz überlegte ich danach, ihn bei der Taxizentrale anzuschwärzen, aber mein Gott, er hat halt mal geguckt, wie weit er gehen kann und stieß an eine zügige Grenze.

Hier kann man mir aber nun vorwerfen, dass ich in Kauf genommen habe, dass er beim nächsten Fahrgast weiter geht als bei mir. Daran habe ich damals, ich war 16, nicht gedacht.

Es hat mich in meiner sexuellen Entwicklung nicht weiter beeinträchtigt, obwohl ich auffallend oft Sex mit Taxifahrern habe … kleiner Scherz, habe ich nicht. Aber! Auch damit will ich nichts relativieren, will nicht sagen, „Frauen, habt Euch nicht so!“ Es ist und bleibt ein Unding, Menschen sexuell zu bedrängen, da Sexualität eben etwas sehr verletzliches sein kann. Und wenn sich herausstellt, dass Spacey oder auch ein Dustin Hoffman (was mich schwer deprimiert) wirklich schlimme Dinge getan hat, dann sollen sie dafür auch bestraft werden. Auch in der deutschen Medienlandschaft wurden Männer vorverurteilt. Ob nun Andreas Türck oder auch ein Kachelmann: Sie wurden vorverurteilt, insbesondere im Fall Kachelmann hat eine große Frauenrechtlerin eine äußerst beschissene Rolle gespielt und damit dem Feminismus massiv geschadet.

Vielleicht ist das Positive an der hysterischen Diskussion, dass Frauen und auch andere Menschen die vermutlich unerträgliche Scham genommen wird. Der sexuelle Missbrauch sollte Stigma sein für die Täter, nicht für die Opfer. Leider ist das de facto nicht der Fall.

Eingangs schrieb ich von Inspiration. Und so hat mich der Hinweis auf die Körbchengrößenproblematik auf ein weites Feld katapultiert. Und allein das ist schon irgendwie sexistisch.

Ich bin auf Eure Meinungen gespannt und lasse mich auch auf jeden Fall eines Besseren belehren, das gehört wohl zur Diskussion dazu.


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