Die Enttäuschung sitzt tief. Nein, was sage ich?!, es sitzen sogar zwei Enttäuschungen tief. Zum einen die darüber, dass ich selbst versagt habe, was ich mir immer nur schwer verzeihen kann, und zum anderen die, dass ich Weihnachten zu früh eingeläutet habe. Denn bis Samstag ging ich davon aus, dass gestern der erste Advent sein würde.

Nur deshalb überhaupt besuchte ich den neuen „Rewe“ bei uns in der Ecke, der mir endlich eine Alternative zu meinem ungeliebten „Netto“ ist, der mal ein geliebter „Kaiser’s“ war. Kaiser’s hätte Kerzen gehabt, Netto hat sie nicht. Und derer vier habe ich dringend gebraucht für unseren Adventskranz, den ich nun letztendlich eine Woche zu früh aufgebaut habe.

Ja, ich, nicht etwa meine Mitbewohnerin, die da klar das bessere Händchen dafür hätte, doch leider war sie abkömmlich. Anhand von Fotos aus dem vergangenen Jahr rekonstruierte ich den Aufbau des Kranzes, der bei uns aus einer Porzellanschale besteht – und einigen „Sternen“, Kugeln und anderem Gedöns, für dessen Anordnung mir leider der Sinn fehlt, sodass die Ablichtungen mir dabei sehr halfen. Außerhalb der Saison übrigens stehen dort zwei grüne Kerzen drin.

„So, drei weiße Kugeln an den linken Rand der Schale … wo kommen die schwarzen Sterne hin? … links … zwei zwischen Kerzen zwei und drei“, kommentierte ich mein Tun, weil ich es immer kommentiere.

Via Facebook informierte mich meine Mitbewohnerin, dass es in diesem Jahr bei uns keine roten Kerzen mehr geben würde. Sie schlug graue vor. Sehe edler aus und da hatte sie Recht. Und da ja schon zwei Tage später der erste Advent sein würde, wie ich dumm und naiv annahm, kam der neu eröffnete Rewe ins Spiel.

Und ja, Rewe bietet Kerzen an! (Leider auch „Teelichter“, was immer noch falsch ist.) Und viele andere Dinge, die wir gar nicht brauchten. Letztlich kaufte ich für sehr viel Geld ein, was wohl an den Steakmessern gelegen haben dürfte, die ich ebenfalls im Anflug eines unkontrollierten Kaufimpulses erwarb, da ich dachte, wir hätten keine.

Als ich die Waren auf das Kassenband legte, überschlug ich die zu zahlende Summe. Großer Gott, das könnten 50 Euro werden, vielleicht 60! Dafür, dass ich nur Kerzen brauchte, nicht wenig.

„98,24 bitte“, sagte der Rewe-Handlanger. Ich lag mit meinem Näherungswert offenbar wenig nahe am offiziellen Ergebnis. Mir schoss das Blut in den Kopf. Aber gut, war halt der neue Rewe mit seinem verlockenden Angebot. Wieder Zuhause:

„Wir haben doch Steakmesser!“, war das erste, was meine Mitbewohnerin sagte, als ich ihr unseren neuen Steakmesser mit Klingenhüllen präsentierte.

„Wir haben schon welche?!“

„Ja, hier, guck“.

„Ach, ich dachte, das wären Pizzamesser! Dann benutzen wir die neuen Steakmesser eben als Pizzamesser.“

„Und was soll dieses neue Sieb?“

Ich hatte auch ein Abtropfsieb gekauft. Aus Metall. Weil ich kein Plastik mehr in der Küche haben will.

„Das ist doch viel zu klein, Seppo!“

„Ja, aber es ist aus Metall. Edelstahl. Spülmaschinenfest.“

„Und was will uns die durchgestrichene Spülmaschine auf dem Etikett sagen?“

„Oh, es ist nicht spülmaschinengeeignet. Fast möchte man meinen, mir ist da ein Fehlkauf unterlaufen.“

„Und wozu brauchen wir diese vier Knopfzellen?!“

Die hatte ich auch gekauft. Sehr teuer. 16 Euro für alle vier.

„Für unser kleines Weihnachtsdorf im Flur!“

„Weihnachtsdorf?!“

„Achso, ich habe uns so kleine Häuschen mit LED-Beleuchtung gekauft. Für den Flur. Mit kleinen Rentieren. Die leuchten aber nicht.“

„Waren da keine Batterien dabei?!“

„Doch, aber im neuen Rewe gab es Knopfzellen. Und bevor unser Weihnachtsdorf am 24. ohne Stromreserve dasteht, dachte ich, ich nehme die gleich mit.“

„Und was ist das hier?!“

„Ah, das hab ich in der ‚Tchibo‘-Ecke gefunden. Das sind so kleine LED-Kerzchen. Die flackern sogar! Die brauchen auch Knopfzellen.“

Wirklich stolz war ich aber auf die vier Kerzen, die ich gekauft habe.

„Die sind weiß, nicht grau“, begutachtet meine Mitbewohnerin die wachsenen Leuchtmittel.

„Ja, es gab nur weiß oder beige.“

„Warum hast du nicht die beigen gekauft?“

„Weil du dann gefragt hättest, warum ich nicht die weißen gekauft habe. Außerdem musste es schnell gehen, übermorgen ist erster Advent. Und ich wollte vermeiden, dass wir erst am dritten die erste Kerze anzünden. Bei allem, was ich tue, stecken durchaus Gedanken dahinter!“

„Das macht mir ja so Angst.“

Mit den Kerzen ging ich ins Wohnzimmer, um den Adventskranz zu vervollständigen. Man möchte meinen, vier Kerzen symmetrisch zu verteilen, sei selbst für Idioten caine große Herausforderung. Ich scheiterte daran und rief meine Mitbewohnerin zur Hilfe:

„Kannst du dich um die finale Ausrichtung der Kerzen kümmern? Es will mir nicht gelingen.“

„Warum eigentlich ist übermorgen der erste Advent, Seppo?!“

„Weil das mal festgelegt wurde.“

„Erst am dritten ist der erste!“

„Am dritten Dezember?!“

„Ja, nicht diesen Sonntag! Nächsten!“

„Na, tolle Wurst, ich prüfe das … OKAY GOOGLE!“

Mein Versuch, das Handy zu einer Suche mittels „Google Assistant“ zu bewegen. Es reagierte nicht.

„OKAAAAAY GOOOGLE!“

Nichts geschah.

„Unfassbar. Wie oft reagiert dieses Handy, wenn kein Mensch ‚Okay Google‘ gerufen hat! Und wenn man es mal ruft, bleibt es stumm.“

„Bitte sprechen Sie jetzt.“

„Ah! Jetzt! Wann ist der erste Advent?“

„Der erste Advent ist am dritten Dezember.“

Verdammt. Das kam mir ungelegen, war ich doch schon voll auf Advent eingestellt. Daher habe ich nun höchstflexibel beschlossen, einen fünften Advent einzuführen, der einen Sonntag vor dem ersten stattfindet.

„Warum soll ich mich eigentlich nach jahrhundertealten Traditionen richten? Ich lasse mir nicht länger vorschreiben, wann der erste Advent ist! Und wer sagt, dass es nur vier sein müssen?! Wir brauchen eine fünfte Kerze! Die darf dann auch beige sein. Das könnte eine ganz neue Tradition werden! Der beige Advent! Ich will, dass es am Sonntag hier nach Kerzenwachs duftet! Nach ausgeblasener Kerze!“

Ich blase oft Kerzen aus, um sie sofort wieder anzuzünden. Des Duftes wegen.

Mein Handy vibrierte. Eine WordPress-Nachricht. Mein von mir verfasster Nachruf wurde rebloggt. Schon wieder.

„Verrückt, einige halten mich immer noch für tot. Schön zu sehen, dass die meisten es bedauern.“

„Meine Eltern sind auch drauf reingefallen. Haben aber seltsam gelassen reagiert.“

„Ja, ist halt Weihnachten.“


Und nun zurück auf die Plätze, um die fünfte Adventswoche zu genießen. Leisten Sie mir Folge bei Instagram und Facebook!