Ich habe mich immer gegen Fotoshootings gewehrt. Weil ich ein Problem damit habe, mich vor Industrieruinen zu stellen und angestrengt nachdenklich nach rechts oder links zu gucken. Wobei man ja nach links gucken soll, denn der westeuropäische Betrachter möchte, dass Fotomotive gefälligst aus seiner Perspektive nach rechts blicken. Frauen können das eh besser. Sich ablichten lassen. Frauen müssen sich dabei, das habe ich kürzlich gelesen, mit der Hand leicht in das Haar fassen. Das wirke irgendwie dynamisch, was meiner Meinung nach dem Konzept des statischen Bildes widerspricht. Die F.A.S. schrieb im Dezember, es handele sich um eine Form der Kommunikation, nicht selten sexueller Natur. Es geht immer um Sex, keine Frage. Finde das auch nicht weiter schlimm, der Mensch ist letztlich ein sexuelles Wesen, eine Eigenschaft, die von verschiedenen Institutionen immer wieder bekämpft wird – erfolglos, was zu denken geben sollte.

Beim Mann ist es nicht anders. Auch das Stehenlassen eines Bartes hat letztlich mit Sex zu tun. Man darf es ganzu nüchtern und unaufgeregt betrachten. Aber wenn ich diese Griffe ins Haar sehe, den dabei dezent geöffneten Mund der Dame, dann fühle ich mich nicht etwa erotisiert, dann muss ich lachen, sehe nur die ungewollte Komik auf diesen immer gleichen Bildern, die sich doch so viele junge Frauen, so genannte Mädels, zum Vorbild nehmen. Die eine Hand mit dem Zeigefinger voraus in den Rachen, die andere ins Haar. Freue mich jetzt schon wieder auf „Germany’s next Topmodel“, wenn der nächsten Magersüchtigen die langen Haare auf Geheiß Heidis abgeschnitten werden, da die Alternative nur das Verlassen der Show sein würde. Und ich meine, jeder weiß doch um die großen Weltkarrieren, die die Agentur „ONEeins fab“ möglich macht. Und damit sind wir wieder bei den Ruinen:

„Ich stehe vor einer Ruine und fasse mir ins Haar, während der Wind mein Kleid umweht. Übrigens bin ich völlig unpassend gekleidet“, scheint die jeweils Abgelichtete sagen zu wollen.

Warum eigentlich immer Ruinen?! Wegen der Diskrepanz zwischen Hintergrund und Motiv? Da hinten das einsturzgefährdete Haus, hier vorne in der Bildmitte die weibliche Schönheit als Kontrast? Es mag abgedroschen klingen, aber inszenierte Schönheit ödet mich an. Wer sie erst inszenieren muss, ist in Wahrheit gar nicht schön. Was finden Männer schön? Das, was sie morgens nach dem Aufwachen neben sich liegen sehen. Wenn der Anblick als schön betrachtet werden kann, ja, dann liegt da eine Schönheit, die die Inszenierung nicht nötig hat.

Noch schlimmer als den sinnlosen Griff ins Haar finde ich das Berühren des eigenen Mundes, das lediglich angedeutet wird. Es soll vermutlich abermals erotisch wirken. Ich aber sehe darin einen Hilferuf, fürchte, die Abgelichtete leide unter Zahnweh.

Ich betrachte das alles aus der Sicht des Mannes und erwähne nur der Vollständigkeit halber, dass auch Männer sich zunehmend albern ablichten lassen. Ich sehe es bei Instagram, wo ich vorwiegend Männern folge, die entweder wie ich laufen oder Kraftsport betreiben. Während die Frau sich meist vor dem Badezimmerspiegel selfiefisiert, steht der Mann dabei meist im Fitnessstudio und zeigt allen Ernstes seinen Bizeps oder gleich die gestählte Brust. Und geilerweise kommentieren das andere Männer mit beispielsweise

„respect, bro!“

Eine faszinierende Echokammer, in die ich da geraten bin und ja, mich hat es auch schon gejuckt, das eine oder andere Bild dort zu posten, aber noch hat mein Verstand die Oberhand über den Rest. Und wenn wir schon dabei sind: Dort wimmelt es von Frauen mit enormen Waschbrettbäuchen, die nun wirklich Geschmackssache sind, die dann zu ihrem selfie schreiben:

„Wie werde ich das Bauchfett los?“

Sie wissen natürlich, dass sie über caines verfügen, aber genau das wollen sie von ihrem Publikum hören. Fishing for compliments in Reinform. Mich juckt es immer wieder, in die Kommentare zu schreiben:

„Du bist wirklich fett. Ändere gefälligst Dein Leben, verschone andere mit Deinem Anblick, Schwabbel!“

Es ist freilich eine Scheinwelt irgendwo, eine Welt aber auch der absoluten Körperdisziplin, der Leistung. Es sind legitime Ziele, die sich die Menschen dort gesetzt haben. Aber Ruinen?!

Umso lustiger, dass ich heute ein Fotoshooting habe, das vor dem Hintergrund aus Düsseldorfer Industrieruinen stattfinden wird. Ruinen in dieser Stadt zu finden, ist erschreckend einfach, man muss sich nur ein paar hundert Meter vom Stadtkern entfernen, schon fühlt man sich wie in einer Bavaria-Filmkulisse eines Streifens, der im Nachkriegsdeutschland spielen könnte oder in einem kommunistischen osteuropäischen Land der achtziger Jahre. Ich stelle es mir also so vor, dass ich mich vor eine zerfallene Mauer stelle, nach rechts oder links gucke und auf Anweisungen der Fotografin warte.

„Gib mir einen nachdenklichen Blick, Sebastian! Bisschen cooler!“

Sie nennt mich nicht Seppo. Da fängt es ja schon an. Da fühle ich mich gar nicht angesprochen. Und „cool“ geht bei mir sowieso nicht. Ich kann „cool“ persiflieren, aber nicht cool dabei sein, was mich strenggenommen enorm cool macht. Aber exakt das ist der Punkt, der mir bei diesen Shootings, diesen Geschossen, auf den Zeiger geht: Man muss sich verstellen. Plötzlich geht es eben nicht darum, sein Selbst irgendwie zu zeigen, sondern es geht darum, ein Ideal zu transportieren. Man überhöht sich plötzlich für den Betrachter. Ich finde das ziemlich arm. Der, den wir auf den heute entstehenden Fotos sehen werden, wird im schlimmsten Fall gar nichts mit meiner Person zu tun haben. Der Fotograf hat womöglich genaue Vorstellungen davon, wie man trendgemäß derzeit gucken soll, aber er sollte auch das jeweilige Motiv kennen. Was bedeutet: Cool ist nicht bei mir. Gewollte Coolness ist albern, zieht sich selbst ins Lächerliche und nehme ich mir nicht ab.

Ich bekam von einem Leser des seppologs das Angebot, mich beim Sport ablichten zu lassen. Ich denke noch darüber nach. Ich weiß, er liest dieses. Bitte um Nachsicht, dass es so lange dauert. Finde Deine Fotos allerdings großartig, insbesondere die erotischen Aufnahmen, sah sie mir alle an …

Also erklärte ich der Fotografin bereits im Vorfeld:

„Ich kann dir exakt zwei Gesichter von mir anbieten.“

Man „bietet an“. Man „macht“ keine Gesichter, man „bietet“ sie an.

„Ich kann aus dir 100 Gesichter rausholen!“, erwiderte sie selbstbewusst.

„Nein, das kannst du nicht, ich habe nur zwei. Das eine ist so“, sagte ich und guckte sie entsprechend an.

„Du guckst wie immer.“

„Exakt. Und nun das zweite, so“, sagte ich und guckte sie an wie zuvor, hob dabei aber eine Augenbraue an. Denn mehr geht nicht bei mir. Nicht auf Kommando. Erst seit drei Jahren weiß ich überhaupt, wie man auf Fotos lächelt. Ich habe es lernen müssen wie ein Hund, der das Lächeln seines Herrchens imitiert. Und so sieht es bei mir dann auch aus. Ich verkrampfe völlig, wenn es darum geht, statische Bilder von mir anfertigen zu lassen. Ganz anders verhält es sich bei einer Bewegtbildkamera, die mich überhaupt erst zum Leben erweckt.

Die besten Aufnahmen von mir sind Schnappschüsse aus der Hand eines gewissen Tims. Das sind dann die ungestellten Bilder, die eben ehrlich sind. Tim liebt es, wenn man sie danach noch mit Filtern überarbeitet, die Fotos … sepia …

In einigen Stunden werde ich mich also durch Industrieruininen bewegen und den nachdenklichen lonesome rider geben. Über die Rolle lasse ich durchaus mit mir reden. Selbst freue ich mich aber mehr auf die hoffentlich entstehenden outtake-Fotos. Die Fotografin soll also immer draufhalten, wenn ich gerade beispielsweise eine Mauer erklimme und dabei runterstürze. Das sind Fotos, die mich widerspiegeln würden, nicht diese gestellte Kacke. So gerne ich mich selbst inszeniere, versuche ich immer dabei, auf eine gewisse Weise, die mir zu beschreiben schwerfällt, glaubwürdig zu bleiben. Ich will nicht täuschen, ich will nicht blenden. Wer sich geblendet fühlt, merkt nur gerade nicht, dass er verarscht wird.

Ein Shooting beim Sport, während des Laufens, das wäre wieder glaubwürdig. Solche Fotos werde ich demnächst gebrauchen können, da fühle ich mich wohl.

Ganz gesellschaftskritisch könnte ich abschließend fragen, warum viele von uns meinen, überhaupt Fotos von sich anfertigen lassen zu müssen. Das ist natürlich das Ergebnis der sozialen Medien, der optimierten Selbstdarstellung undsoweiter, alles kein Geheimnis, aber eben alles auch nicht dramatisch schlimm. Jede Technologie hatte ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Generationen unterscheiden sich voneinander und es werden auch wieder andere Zeiten kommen, in denen andere Werte wieder in den Vordergrund rücken. Derzeit gilt, dass alles kann, aber eben nichts muss. Der Absender hat viele Freiheiten, der Adressat aber auch, denn er kann wegsehen, woandershin. Wir tun immer so, als seien wir Sklaven von Trends und Technologien, aber wer nicht die Kraft besitzt, sich davon zu lösen, sofern er es denn will, der ist selbst schuld. Ich beklage die Industrieruinen als redundante Kulisse, stehe aber gleich selbst davor. Ja, warum denn nicht? Ich will mir mal ein Bild davon machen.


Toller Schlusssatz. Wegen der Doppeldeutigkeit. Wollte ich noch dazusagen. Wie auch dieses: Die Fotos werden hier nicht veröffentlicht, sie dienen einem anderen Zweck. Außerdem will ich mich nicht dem Vorwurf aussetzen müssen, ich sei ein Selbstdarsteller. Hahahahaha, mit einem schallenden Lachen verabschiede ich den Leser in diesen sonnigen Sonntag, an dem keine Sonne scheint. Besuche er noch folgende Dinge:

Meine Homepage, gerade neu. Müssen noch neue Fotos drauf.
Dann mein Instagram-Gedöns, weil es da Fotos von Industrieruinen gibt.
Zu guter Letzt meine Facebook-Seite, die mich allerdings selbst gnadenlos langweilt.