Herr Sonderlich wohnt in der Wolkengasse 33a. Gleich nebenan in dem Haus mit der Nummer 33b wohnt Jonas. Jonas würde aber lieber in dem Haus mit der 33a wohnen. Denn in dessen Garten steht dieser seltsame Baum.

„Das ist ein ganz gewöhnlicher Apfelbaum!“, sagt Jonas‘ Vater, wenn Jonas mal wieder in Herrn Sonderlichs Garten stiert. Jonas tut das nämlich oft. Wegen dieses Baumes.

„Jonas, du hast da was im Gesicht!“, sagt Jonas‘ Vater dann immer.

„Ja? Was denn?“, fragt Jonas dann, obwohl er die Antwort ja kennt.

„Ein Fragezeichen.“

„Ein Fragezeichen?“

Jonas ist erst sechseinhalb, er versteht seinen Vater oft nicht.

„Was ist ein Fragezeichen, Papa?“, will er dann immer wissen.

„Das ist … also am Ende eines Satzes … was lernt ihr denn in der Schule?!“

„Wir singen jeden Morgen ein Guten-Morgen-Lied, wenn Frau Surbier reinkommt. Und dann lernen wir einen neuen Buchstaben. Es gibt ganz viele.“

„Ahh. Ein guter Anfang. Es gibt 26.“

„Aber es gibt auch ein A mit zwei Punkten drüber.“

„Äh, ja. Gibt es auch.“

Jonas‘ Vater erklärt Jonas, dass man ein Fragezeichen im Gesicht hat, wenn man neugierig und mit staunenden Augen in den Garten des Nachbarn guckt und den Mund nicht mehr schließen kann.

„So wie du gerade, Jonas.“

„Aber Papa, der Baum von Herrn Sonderlich sieht so komisch aus.“

„Der Baum von Herrn Sonderlich, der auch komisch aussieht, ist ein Apfelbaum und sieht ganz normal aus. Und vor allem, Jonas, geht uns der Baum von Herrn Sonderlich nichts an. Wir haben doch auch einen schönen Baum!“

„Ja, einen Birnenbaum. Aber ich mag keine Birnen und in der Schule wissen meine Freunde gar nicht, was Birnen überhaupt sind.“

„16 Jahre lang hat uns eine Birne … Jonas, wo willst du hin? Wir müssen zur Schule!“

Jonas aber rennt zum Gartenzaun, wo Herrn Sonderlichs Baum steht. Er hüpft hoch und versucht, eine der roten Früchte zu greifen. Aber Jonas ist noch zu klein und außerdem – schockschwerenot! Da kommt Herr Sonderlich aus dem Haus mit der 33a! Jonas rennt zurück zu seinem Vater, hüpft schnell in das Auto, mit dem er jeden Morgen zur Schule gebracht wird. Jonas findet das toll, aber er hat mitbekommen, dass Direktor Pörtgen das verbieten will. Erwachsenensache, denkt Jonas, der auch nicht weiß, was Direktor Pörtgen meint, wenn er mal wieder einen Verkehrskollaps vor der Schule beklagt. Direktor Pörtgen tut das nämlich immer.

„Guten Morgen!“, ruft Jonas Vater Herrn Sonderlich zu, „Schöne Äpfel!“

Herr Sonderlich murmelt etwas Unverständliches zurück und guckt zu seinem Baum. Jonas sieht das und fragt seinen Vater:

„Hat Herr Sonderlich jetzt Fragezeichen im Gesicht?“

„Äh, ja“, lacht Jonas‘ Vater, „sieht ganz so aus.“

Und es sind wirklich seltsame Äpfel, denkt Jonas‘ Vater noch, als er die Autotür zuzieht.

„Was lernt ihr gleich in der ersten Stunde?“, will Jonas‘ Vater wissen.

„Rechnen.“

„Kurvendiskussion?“

„Was?!“

„Was rechnet man in der ersten Klasse?“

„Wir rechnen, wie viele Äpfel jemand hat, wenn er welche abgibt.“

„Äpfel, immer Äpfel … Rechnen ist wichtig, Jonas. Ohne Rechnen würde dein Papa gleich nicht in dieses miefige Großraumbüro fahren können.“

Jonas hat wieder Fragezeichen im Gesicht.

Wie auch Herr Sonderlich. Denn irgendetwas stimmt nicht mit seinem Flummibaum. Da rumpelt doch was, denkt Herr Sonderlich, den alle Kinder in der Wolkengasse sonderlich finden, weil er eine sonderlich lange Nase mit sich herumträgt.

„Was rumpelt denn da?“, fragt er jetzt laut.

Und das hört auch Frau Hinkearm, die Nachbarin von gegenüber. Und das findet sie sonderlich. Sie findet es sonderlich, dass Herr Sonderlich in seinem Garten steht und mit seinem Apfelbaum spricht.

Was geht da vor sich?, denkt sie sich, als sie durch ihr Fenster lugt. „Menschen sollten nicht mit Bäumen sprechen“, sagt sie sich.

Dass Frau Hinkearm ihn beobachtet, sieht Herr Sonderlich sofort. Aber er findet das nicht sonderlich sonderbar, denn Frau Hinkearm beobachtet alles und jeden. Und viel interessanter als Frau Hinkearm ist gerade sowieso das Rumpeln, das aus dem Flummibaum kommt.

Flummibäume sind sehr selten. Kaum jemand hat schon einmal einen Flummibaum in seinem Leben gesehen. Was Herr Sonderlich sonderlich findet. Denn eigentlich ist das mit dem Flummibaum keine große Sache. Man muss einfach einen Flummi in der Erde verbuddeln und regelmäßig gießen. Wenn man sich gut dabei anstellt, kann man schon im dritten Sommer die ersten roten Flummis ernten. Doch dieses Rumpeln, das gehört nicht zu einem Flummibaum, das ist also sehr sonderlich.

So beschließt Herr Sonderlich, auf Expedition zu gehen.

„Ich muss auf den Baum.“

So einfach aber ist das nicht, denn Flummibäume mögen es nicht, wenn man auf sie draufklettert. Flummibäume werfen einen dann herunter.

„Ich muss da rauf kommen, ohne dass der Baum es bemerkt!“, denkt Herr Sonderlich. Doch er weiß, dass er zu schwer ist. Jeder Baum würde ihn sofort bemerken. Doch dann fällt ihm der Nachbarsjunge ein. Der ist nicht mal halb so groß wie Herr Sonderlich und sicher nicht einmal halb so schwer!

Der könnte doch auf meinen Baum und nach dem Rumpeln sehen!“


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