Vor etwa einem Jahr stürzte ich mich in ein intensiviertes Krafttraining, das mit einer gezielt erhöhten Zusepponahme von Eiweiß einhergeht. Grund dafür ist der höhere Bedarf des Körpers an Proteinen, sodass man entweder zehn Eier am Tag isst oder sich mit Proteinpulver behilft, da das notwendige Mehr an Eiweiß eben nicht immer über die Nahrung zugeführt werden kann. Eiweißpulver allerdings ist strenggenommen nichts anderes als ein Nahrungsmittel, da es mit „irgendwelcher Chemie“ nichts zu tun hat. Es ist schlicht Molkeeiweiß. Und schmeckt übrigens ziemlich gut. Nebenbei nehme ich seit einigen Wochen noch zusätzlich Kreatine zu mir, was eine diffizile Angelegenheit ist, weil man da viel falsch machen kann. Der Vollständigkeit halber: Kreatine haben nichts mit Anabolika zu tun.

Ein Nebeneffekt meiner damals umgestellten Ernährung – und nichts anderes meint der Begriff „Diät“ im originären Sinne –  war die Tatsache, dass ich ungewollt weniger Kohlenhydrate zu mir nahm. Damals stellte ich bereits nach einer Woche des low carbs fest:

  1. Ich verliere an Gewicht.
  2. Ich verliere häufiger als sonst an Urin.
  3. Und naja, eben auch an, na, Sie wissen schon.

Innerhalb nur weniger Wochen verlor ich zwölf Kilogramm an Körpergewicht, obwohl ich so viel Fett zu mir nehme wie nie zuvor. Daher machte ich mir zuletzt einiges an Sorgen, was meine Blutwerte angeht, aber alles im grünen Bereich … Im Laufe der Monate las ich mir vieles an Wissen an, sodass ich heute nicht mehr auf das populäre Halbwissen angewiesen bin, das nahezu jeder gewichtsunabhängig von sich gibt. Es wird wahnsinnig viel nachgeplappert, mitunter erschreckend unreflektiert. Diese ganzen gängigen Empfehlungen, von denen man immer wieder in Überschriften liest, die überall verbreitet werden, sind in aller Regel einfach falsch und bedienen nur Trends. Es mag arrogant wirken, ich weiß das, doch was ich teilweise im Alltag höre, macht mich innerlich aggressiv. Es beginnt schon mit der Regel, nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Es geht weiter mit den fünf Portionen Obst, die man essen solle. Wer eigentlich setzt diese Dinge in die Welt?! Hinter der ebenfalls völlig willkürlichen „Zwei-Liter-Wasser-am-Tag“-Regel steckt die Wasser abfüllende Industrie, die sich natürlich freut, wenn man ihre überteuerten Wässer kauft, die in den meisten Fällen unreiner als unser Leitungswasser sind. Ein nicht ganz unbekannter Getränkekonzern wirbt aktiv damit, dass bereits Schulkinder immer eine Flasche Wasser auf ihrem Pult griffbereit stehen haben sollten. Es ist totaler bullshit! Ständig hört man inzwischen „Ich muss mehr trinken“ und diesen ganzen Bla. Jeder hat immer eine Flasche Wasser bei sich. Es ist eine Seuche, es ist absoluter Bullenscheiß! Ich schreibe mich in Rage … Wir lassen uns zu Wassersäufern erziehen!

Und ich brauchte Monate, um zu verinnerlichen, dass eben nicht das (zu uns genommene) Fett es ist, dass uns im Extremfall fett macht. It’s the Kohlenhydrate, stupid, deren Aufnahme überhaupt erst zu einer Fetteinlagerung führt. Kaufe ich heute ein, interessiert mich auf der Zutatenliste nur ein Wert: der der Kohlenhydrate; Fett und Kilokalorien spielen für mich keine Rolle. Mir ist auch egal, was für ein Fett ich esse. Auch darauf soll man ja achten. Omega-3-Fettgedöns undsoweiter. Rechtsdrehend, linksdrehend, keine Ahnung, interessiert mich auch nicht. Vielleicht irgendwann mal. Achja, dazu fällt mir ein, dass ich einige Zeit lang las, man solle Olivenöl benutzen. Dann wurde Kokosöl modern. Ich bin gerade bei Sesamöl, las aber kürzlich, Sportler sollten auf Sonnenblumenöl umsteigen. Damit hatte ich eigentlich angefangen, aber wie man es macht, der nächste Trend kommt bestimmt. Wobei, Sesamöl schmeckt an sich ganz gut …

Ich schicke in diesem Zusammenhang einige Dinge immer gerne voraus: Mir liegt das Missionieren fern.

Übrigens, woran erkennt man einen Veganer? Daran, dass er Dir mitteilen wird, dass er einer ist.

Es ist die Freiheit eines jeden, selbst zu entscheiden, was er isst. Ich würde niemals sagen: „Esst, wie ich es tue!“ Und ich sage nicht einmal, dass low carb gesund ist. Aber auch nicht, dass es ungesund ist. Es ist noch umstritten, Studien kommen zu keinen klaren Ergebnissen.

Mein Ziel war nie gesunde Ernährung, die ich auch für überschätzt halte, da sie ohnehin Trends folgt. Zuletzt war es die Avocado, die jeder haben musste, obwohl sie eine Umweltsau ist. Oder Chiasamen: Ich esse sie gelegentlich, aber ihr Nutzen ist völlig ungeklärt. Ich empfehle somit grundsätzlich dogmenfreies Essen. Inzwischen dürfte doch jeder wissen, dass beispielsweise Kola im Grunde nur Zucker mit Wasser ist, so wie auch die light-Variante völliger Blödsinn ist.

Nicht nur meine körperliche Statur hat sich in den vergangenen zwölf Monaten derart verändert, dass ich mich inzwischen komplett neu eingekleidet habe, sondern auch mein Koch-Verhalten. Ein wenig gekocht habe ich schon immer, doch spätestens seitdem mein Verzicht auf Kohlenhydrate bewusstes Verhalten geworden ist, koche ich nahezu täglich (sofern ich nicht in Berlin weile, wo ich drei Tage pro Woche arbeite und mich von (kohlenhydratefreiem) Dreck ernähre) selbst. Auch das wurde mir erst vor einigen Tagen bewusst, als ich wieder einmal irgendein Gemüse kleinschnibbelte. Das gab es so früher nicht. Und so wage ich mich im Wochentakt an immer wieder neue Kreationen ran: Manches gelingt, manches ist Müll. Erst vor zwei Wochen gelang meiner Mitbewohnerin und mir der erste Pizzaboden, der ohne Kohlenhydrate funktioniert und am Ende auch einer herkömmlichen Pizza nahekommt! Blumenkohlpizzateig, Thunfischteig oder Quarkboden – kann man alles vergessen, hat mit Pizza nichts zu tun. Etikettenschwindel. So wie eine Tofuwurst natürlich nichts mit einer ordentlichen Wurst aus Tier zu tun hat. Wer einen Teig aus Blumenkohl herstellt, sollte sich selbst gegenüber so ehrlich sein und eingestehen, dass der Begriff Teig dafür vergewaltigt wird.

Kartoffeln, Reis oder Nudeln habe ich seit zwölf Monaten nicht mehr gegessen. Bei Reis und Nudeln war ich konsequent, wohingegen ich mich an eine halbe Kartoffel im Spätsommer erinnern kann, die ich bei meiner Mitbewohnerin in der Pfanne gefunden hatte. Alle drei Dinge schmecken sensationell, keine Frage. Aber ich vermisse sie nicht ein bisschen. Von Beginn an fiel mir der Verzicht, der sich ja über noch viel mehr Produkte (Teigwaren!) erstreckt, kein bisschen schwer. Das war für mich die größte Überraschung: dass es möglich ist, ohne Verzicht abzunehmen.

Dabei war das Abnehmen gar nicht mal das eigentliche Ziel. Vielmehr wollte ich Fett- in Muskelmasse umwandeln. Inzwischen weiß ich, dass das natürlich nicht möglich ist, aber es klingt immer so toll. Doch mit damals 78 Kilogramm und einem Schlauch, der sich um meine Taille legte, wollte ich mich mit unter 40 Jahren nicht abgeben. Ich habe da ganz andere Ansprüche und bin in dem Zusammenhang inzwischen ein Nazi geworden: Ich dulde den Verfall meines Körpers nicht. Nicht in diesem noch jungen Alter. Aber auch hier gilt, dass ich das nur für meine Person so sehe. Was andere tun, ist mir egal, solange der Kategorische Imperativ gilt. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn jemand kein Problem damit hat, dass er sich zum Anziehen der Schuhe hinsetzen muss. Ganz im Ernst.

Von vielen Seiten wurde ich gewarnt: Ich nehme zu viel Eiweiß zu mir – Nieren in Gefahr! Das ist einigermaßener Unsinn. Die Nieren sind nicht in Gefahr. Oft höre ich, dass man gerade im Sport Kohlenhydrate brauche. Das stimmt (auch wenn viele Profisportler kurz vor der Wettkampfphase dazu übergehen, keine Kohlenhydrate mehr zu sich zu nehmen). Daher mache ich ja auch kein no carb. Ich muss mir von Menschen anhören, die billigste Fertigprodukte essen (Was absolut okay ist!), dass ich mich einseitig ernährte! Ich habe mich nie vielfältiger ernährt!

Aber ich bin kein Kalorienzähler. In diversen Facebook-Gruppen sind die viel größeren Nazis: Da wird alles, was auch nur nach Kohlenhydraten riecht, verteufelt. Da werden Ernährungspläne erstellt. Da errechnet sich manch einer seinen Nährstoffbedarf jeden Tag aufs Neue. Da werden apps propagiert, die die alltägliche Nahrungszufuhr bis auf das letzte Gramm dokumentieren. Ich hätte dazu gar nicht die Geduld und möchte ungern aus meinem Essen eine Wissenschaft machen.

Der wohl schönste Effekt des Verzichtes auf Kohlenhydrate ist der, dass vom ersten Tag an das Phänomen des Heißhungers verschwunden war. Das hängt freilich mit dem konstanten Insulinspiegel zusammen. Auch fühle ich mich nie überfressen, selbst dann nicht, wenn ich eine komplette Auflaufschüssel leergemacht habe. Denn auch die Mengen der Nahrungsaufnahme spielen keine Rolle mehr. Ganze Komposthaufen sind vor mir nicht mehr sicher … Noch nie konnte ich so uneingeschränkt essen! Allerdings stelle ich fest, dass Hackfleich, vorzugsweise vom Rind, mein Fetisch geworden ist. Hack geht immer, Geflügel auch. Hier kräuseln sich nun vermutlich die Fingernägel der veganen Leser (sofern die noch nicht ausgefallen sind). Moralisch seid Ihr zweifelsfrei auf der Gewinnerseite. Aber von einem Veganer, der auf seiner Ledercouch an einem Porree nuckelt, lasse ich mich wohl kaum beeindrucken. Ich hab auch nichts gegen Veganer. Ich kenne mindestens zwei, von denen ich weiß, dass sie vegan leben, die aber es nicht bei jeder Gelegenheit jedem mitteilen und sich aktiv und militant abgrenzen. Denn: Jeder, wie er mag.

Gelegentlich poste ich auf meiner Facebook-Seite selbstgekochte Gerichte. Halte das für sehr innovativ, Mahlzeiten zu posten. Bin ich sicher der erste! Sie enthalten stets Fleisch. Inzwischen weiß ich, dass nach nur wenigen Minuten irgendwer genau diesen Fleischgehalt bemängelt und raushängen lassen muss, dass es ja auch ohne Fleisch gehe. Ich bin da die falsche Adresse, bei mir geht es nicht ohne Fleisch. Und dafür will ich mich nicht entschuldigen müssen. Selbst mein Eier-Konsum wurde dort mal zum Gegenstand einer Diskussion. Sie wollen uns jetzt schon die Eier nehmen! Mein Hauptnahrungsmittel! Weil gesund und nährstoffreich – auch in großen Mengen völlig unbedenklich. Ich lasse sie aus Argentinien mit Umweg über China einfliegen. Wegen der Umwelt.

Anfangs hatte ich geglaubt, ich mache das ein paar Wochen, das mit dem low carb. Jetzt, nach einem Jahr, dünkt mich, ich mache es, bis ich zwangsernährt werde. Wobei ich mir freilich Ausnahmen gönne. „McDonald’s“ ist mir nicht fremd und auch selbstgemachte Burger sind ohne entsprechendes Brötchen natürlich albern. Eine Ananasscheibe kann kein Burgerbrötchen ersetzen!111!!!11!!!11!

Jeder hat seinen Weg sich zu ernähren. Es lohnt nicht, sich gegenseitig mit Paradigmen zu bewerfen, denn immerhin genießen wir in unseren Breiten den Luxus, auf Dinge bewusst zu verzichten und andere wiederum im Übermaß zu uns zu nehmen. Beides geht leider zu Kosten Dritter. Das ist der Skandal.


Kleine Ergänzung noch, bevor es jemand merkt: Natürlich ist man mit 78 Kilogramm nicht fett. Die Verteilung der Masse macht es allerdings und die war bei mir nicht optimal. Außerdem ist es ein Unterschied, was diese 78 Kilos ausmacht: Fett- oder Muskelmasse? Bei mir war damals entscheidend, dass die 78 nur eine Momentaufnahme war und es zügig auf die 80 zuging. Diesen Trend wollte ich umkehren. Es ist wie bei unseren Autobahnbrücken: Man kann solange warten, bis sie zusammenbrechen – oder aber vorher handeln!


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Ende gut, alles gut. Auch auf meinem Instagram-Profil, wo wirklich jeder Mist ein „Like“ bekommt. Wann die Blase wohl platzt?