Beinahe sträflich habe ich die Gattung der Reiseliteratur hier vernachlässigt! Darum und dessenthalben wird es nun wieder Cait für ein neues Abenteuer aus „Seppos Reisetagebuch“! Ich nehme Sie mit auf eine Reise durch atemberaubende und blühende Landschaften, bevor wir gemeinsam in Nordrhein-Westfalen meine Wahlheimat Düsseldorf erreichen, wo man mich zurecht bereits sehnsüchtig erwartet! Und vielleicht gelingt mir unterwegs ein schönes Foto, das ich bei Instagram posten kann. Denn ich habe gelesen, dass Reiseveranstalter inzwischen Menschen dafür bezahlen, dass sie genau das tun: schnell zu einer Sehenswürdigkeit dengeln, Foto machen, posten. Eine schöne, neue Welt, eine Brave New World, die wirklich eine schreckliche, schreckliche Dystopie geworden ist. Steigen wir ein in den

ICE 846

Berlin-Spandau – Düsseldorf


Wagen 21, Platz 46

Doch vor dem Einstieg in einen Zug der Deutschen Bahn ist da dieses Gefühl der Unsicherheit. Man nimmt als regelmäßiger Fahrgast eben nicht an, dass man wirklich dem Fahrplan gemäß reisen wird. Zwar suche ich mir jedes Mal einen Zug mit Abfahrt zu einer bestimmten Uhrzeit aus, doch weiß ich freilich, dass es sich dabei um einen Richtwert handelt. Heißt es also bei bahn.de, mein Zug fahre um 16.00 Uhr ab, weiß ich noch nicht, wann er abfährt. Aber ich weiß, dass ich ab 15 Uhr 55 mit der ersten Verspätungsmeldung rechnen kann. Denn dass ein Zug zu spät kommt, weiß auch die Bahn grundsätzlich erst immer fünf Minuten vor Abfahrtsbeginn. Möglichst lange will das Unternehmen den Fahrgast also in Sicherheit wiegen. So naiv bin ich seit meiner dritten Fahrt nicht mehr, als dass ich das nicht durchschauen würde.

Auch heute bin ich wieder mit Kollegen Simon unterwegs, der diese Fahrt einer „Toffifee“-Aktion zu verdanken hat; er fährt kostenlos! Uns hatte bereits am Mittag eine push-Nachricht der Bahnapp „DB Navigator“ verunsichert:

Technische Störung an der Strecke: Auf der Strecke Oebisfelde – Gardelegen zwischen Oebisfelde und Gardelegen Üst. Es kommt zu Verspätungen in beide Richtungen im Fernverkehr der Deutschen Bahn.

Die Meldung war in roter Farbe geschrieben! Es musste also etwas sehr Schlimmes vorgefallen sein!

„Fahren wir durch Oebisfelde?“, fragte Simon.

„Was ist Oebisfelde überhaupt? Oder Gardelegen?!“

„Üst, Seppo, Gardelegen Üst!“

„Ob das eine neue Himmelsrichtung ist? Üst?“

Routiniert checkte ich, ob die vor unserem abfahrenden ICE bereits Verspätung haben. Ich wartete kurz bis 13 Uhr 55, um dann zu erfahren, ob der 14-Uhr-Zug pünktlich kam. Er kam. Das machte uns Hoffnung. Vor jeder Fahrt setzen wir uns zusammen und machen uns gegenseitig Mut. Singen Lieder. Schmettern Durchhalteparolen.

„Wird schon klappen. Muss ja nicht wie damals laufen, als wir in Hamm strandeten.“

„Oder wie im Dezemeber. In Minden.“

„Ja, oder wie im Sommer, weißte noch?, in wo war das?“

„Ich weiß nicht mehr, wie der Ort hieß. Er wurde extra gebaut für liegenbleibende ICE.“

Irgendetwas ist immer. Vor einer Woche, gleicher Zug, da ging alles gut. Es war ein seltsames Gefühl. Wir hielten sogar in Wolfsburg! Auch die Zugtrennung in Hamm verlief reibungslos. Und das wird sie heute auch, denn:

Offenbar gab es Probleme bei der „Vereinigung“ der beiden ICE, die von Berlin bis Hamm hintereinandergekoppelt fahren, wo sie dann eben getrennt werden, weil der hintere eine andere Route nimmt. Heute kam nämlich nur die erste Hälfte des ICE (zum Glück unsere), wohingegen die zweite später in Berlin-Spandau eintreffen würde. Das hatten wir bislang noch nie, das war mal was Neues. Denn der übliche Triebwerkschaden ist auf Dauer langweilig, auch wenn dessen Ankündigung zu plötzlichem Unwohlsein führt, denn Triebwerkschaden ist ein anderes Wort für „Zug kaputt“. Man stelle sich vor, Flugzeuge hätten derart häufig Triebwerkschäden! In der Luft!

„Meine Damen und Herren, liebe Fluggäste, willkommen auf unserem Flug nach Chisinau über Wuppertal. Leider stürzen wir vor Erreichen des Zielflughafens wegen eines Triebwerkschadens ab. Wir bedauern etwaige Unannehmlichkeiten und weisen ein letztes Mal auf unseren Bordservice hin …“

Als ich in Minden liegengeblieben war, also der Zug, nicht ich, kam nach einer Stunde des Stillstandes ein gut gelaunter Schaffner vorbei, der die „Fahrgastrechteformulare“ (Darum liebe ich das Deutsche!) austeilte. Da konnte man dann angeben, dass man wegen eines Triebwerkschadens in Minden abgestürzt war und gerne einen Ersatztriebwagen oder die Fahrpreisrückerstattung beantragen würde. Das schien mir zu kompliziert. Schon die Formulare zur Wahl meiner Oberstufenkurse in der Schule hatten mich überfordert, sodass ich mich im Bio-LK wiedergefunden hatte und etwas über die Drosophila gelernt habe, die im Sommer wieder meinen Biomülleimer besuchen wird.

Inzwischen nimmt man diese Verzögerungen gelassen hin. Resigniert-gelassen. Als mir der Ersatzzug dann vor der Nase wegfuhr, musste ich nur noch hysterisch lachen und dachte kurz darüber nach, mich auf die Gleise zu werfen. Letztlich wartete ich aber geduldig auf den nächsten Zug. Und ich hatte Glück. Denn das war der, der eigentlich schon zwei Stunden vorher in Düsseldorf hätte ankommen sollen, wegen einer „verspäteten Bereitstellung des Zuges“ und einer technischen Störung in Gardelegen Üst aber massive Verspätung hatte.

Unvergessen, wie ich im August vergangenen Jahres auf der Rückfahrt mich selbst auf der Hinfahrt getroffen hatte, so extrem verspätete ich mich auf der Hinfahrt. Das Zeitgefüge: in völliges Chaos aufgelöst. Das wurde aber getoppt: Im Oktober kam ich derart verspätet in Düsseldorf an, dass ich meinen Koffer direkt meinem Selbst übergab, das sich schon wieder auf dem Weg nach Berlin-Spandau aufgemacht hatte. Auf diese Weise mussten wir meinen Koffer nicht mehr hinter uns herziehen. Ich wünschte mir eine gute Reise nach Spandau, auf dass der Zug pünktlich komme! Als ich dann jedoch eine Woche später wieder aus Spandau zurückkam, stand ich da immer noch in Düsseldorf, während ein drittes Selbst zu uns stieß und wir uns nun um den Koffer stritten!

Inzwischen reservieren wir immer direkt mehrere Plätze, da ich hin und wieder schon mal aus Nettigkeit mit einem der anderen Selbsts mitfahre, damit es sich nicht so langweilt. Beim Warten auf den Zug.

Große Freude bereiten Kollegen Simon und mir stets die Durchsagen am Bahnsteig. Man hat natürlich nicht die geringste Chance, sie zu verstehen. Laut genug sind sie, aber leider nicht so laut wie der gerade in den Bahnhof einfahrende Zug. Die wichtigsten Durchsagen kommen immer dann, wenn neben einem ein Güterzug den Bahnhof passiert. Manchmal hört man noch die Zugnummer, weiß aber nicht, worum es genau geht. Was aber fast egal ist, denn meist handelt es sich um „verspätete Bereitstellung des Zuges“ oder „geänderte Wagenreihung“.

Gerade letztere sorgt immer für viel Bewegung am Bahnsteig. Wir warten nie im Sitzen. Es lohnt nicht. Denn während wir in Abschnitt A warten, wo unser Wagen 21 ankommen soll, kommt die Durchsage, dass sich „Wagen 21 bis 25″ heute in Abschnitt F“ befänden. Das erfährt man meist erst, wenn der Zug schon da ist. Manchmal aber auch kurz vorher. Dann beginnt das Rennen. Und der Bahnhof in Spandau ist seltsam lang. Von Abschnitt A bis G zu laufen kommt einem ausgedehnten Spaziergang nahe. Den aber müsste man alternativ später im Zug auf sich nehmen. Und das ist kein großer Spaß. Denn man muss damit rechnen, dass sich nicht nur die Menschen aus Wagen 21 zum anderen Zugende bewegen, sondern aus genau dessen Richtung die anderen Passagiere samt Koffern einem entgegenkommen.

„Verzeihung, ist das hier Wagen 37?“

„Nein, ich glaube nicht. Kommen Sie aus Wagen 21?“

„Ja, da müssen Sie nach ganz hinten durch.“

Bis Hannover dann hat jeder seinen Platz gefunden. Ich mache in solchen Fällen auch gerne mal einen dauerhaften Halt im Bordbistro, Wagen 25. Aus Erschöpfung. Zu gewissen Uhrzeiten ist dort immer was frei und im Grunde hat man dort mehr Platz.

Inzwischen aber sitze ich in Wagen 21, habe nicht einmal einen Sitznachbarn. Ich bin dennoch nicht alleine, da ich glaube, mich eben gesehen zu haben, auf der Rückfahrt von vor zwei Wochen. Ich kann ja dann mit mir bloggen. Wird bestimmt supi.

So, jetzt gucke ich „Rick & Morty“. Scheißeficken! Habe ich vergessen runterzuladen! Verdammich! Jetzt wäre natürlich funktionierendes, schnelles Internet im Zug toll. Aber dafür kann die Bahn tatsächlich mal nichts! Und immerhin funktioniert die Klimaanlage. Es sind 17 Grad!


Jetzt das große seppoPLUS erleben: auf meiner Facebook- oder meiner Webseite! Ich zitiere einen großen Mann in diesem Zusammenhang: „Geht doch mal auf Seiten!“