Lange Cait wusste ich nicht, dass es so etwas gibt, das die Vertreterinnen des holdseligen Geschlechts „Bad Hair Day“ nennen. Da ich selbst seit meinem 17. Lebensjahr über kein Haupthaar mehr verfüge (wegen räumlicher Trennung), glaubte ich naiv, dass das morgendliche Frisieren der Haare nach immer demselben Schema ablaufe. Denn Haare tun ja an sich nicht viel, sie hängen so da, ob gelockt oder geplättet. Sie verfügen weder über Knochen, Nervenbahnen noch Muskeln, soviel ich weiß. Sie sind im Grunde tot. Tot, lange bevor der Träger es ist. Wachsen aber weiter, wenn dieser stirbt. Verrückt.

Doch wenn ich morgens feststelle, dass meine Mitbewohnerin von ihrer Morgenroutine abweicht, weil eine der dazu gehörenden Positionen mehr an Zeit in Anspruch nimmt, ahne ich, dass da etwas schiefläuft. Und meist handelt es sich dabei um die Position „Frisieren“, bei der es haken kann.

Ich bekomme ja mit, wenn sie länger als gewohnt vor dem Spiegel steht, zumal sie nicht zu denen gehört, die dort mehrere Stunden verbringen. Als ich zeitweise vor etwa einem halben Jahr noch Haupthaar trug, brauchte ich länger als sie, um es mittels Pomade in eine mir angemessene Form zu bringen. Obwohl ich rein quantitativ über deutlich weniger Haarfollikel verfüge als sie. Ich bin allerdings deutlich eitler als sie, wobei ich derjenige bin, der das gesunde Normalmaß dabei sprengt. Das ist mir aber egal. Das gehört zu meinem normcore oder so.

Wenn ich dann merke, sie steht länger vor dem Spiegel als gewöhnlich, weiß ich, dass ich sie nicht ansprechen sollte. Das weiß ich noch nicht seit langem; es bedurfte eines zähen Lernprozesses. Das bedeutet, dass meine Anwesenheit in einem solchen Moment, an einem bad hair day also, so wenig erwünscht wie hilfreich ist, da ihre Frisur ihre vollste Aufmerksamkeit beansprucht, für mich davon also nicht nur wenig, sondern gar nichts übrigbleibt.

Im Falle des absoluten Super-GAUs – das kam durchaus schon einmal vor – wiederholt sie sogar die komplette Haarwäsche. Das geschieht wahrlich nicht häufig, aber wenn, dann an Tagen, wo eine besonders tolle Frisur verlangt wird, beispielsweise bei unserer Hochzeit. Hochzeit und ein schlechter Haartag: miese Mischung, die das Zeug hat, die komplette Hochzeit zu sprengen, Tote nicht ausgeschlossen.

Gestern Morgen war wieder so ein Tag. Ausgerechnet als ich – wie immer viel zu früh fertig geduscht und frisiert – noch etwas Cait mit ihr verbringen wollte, bevor mein Zug mich für drei Tage nach Berlin chauffiert. Nur habe ich nicht gemerkt, dass sie sich in zeitlichen Schwulitäten einhergehend mit widerspenstigen Haaren befand, sodass ich mich fröhlich ins Frisierzimmer begab und ihr mehr oder weniger kluge Dinge des Lebens mitteilte. Gut, ich hatte gemerkt, dass von ihr wenig Resonanz kam, was mich schon hätte in Habachtstellung bringen müssen, aber ich war so fasziniert von dem, was ich zu erzählen hatte, dass mir die Tragweite der sich zuspitzenden Situation offenbar entging. Erst gestern Abend teilte sie mir in einem Telefonat, das von guter Stimmung getragen war, da ich abermals tolle Dinge zu erzählen hatte, mit, dass ihr die montagmorgendliche Situation durchaus missfallen hatte.

Dabei sollte ich es doch besser wissen. Denn den bad hair day, den kenne ich inzwischen auch von mir – allerdings in seiner Erscheinungsform des bad beard days. Ich hatte es damals, 2014, als ich das Rasieren dauerhaft unterließ, nicht glauben wollen: Auch der Bart vom Montag unterscheidet sich teilweise vom Dienstags-, Mittwochs-, Donnerstags- oder Freitagsbart. Montage sind nicht nur für den Menschen eine Herausforderung, auch einem Bart hängt steckt das Wochenende noch in den Knochen (Grüße!).

Mein Bart wird freilich gepflegt, wie es sich für einen metrosexuellen Spießer gehört. Der auch weiß, dass das an sich nicht nottäte. Der den überteuerten Bartprodukten aber weder widerstehen kann noch will. Das Wichtigste ist das Bartshampoo, das noch vor der Pomade kommt, und mir die Gelegenheit gibt, hier noch einmal zu erwähnen, dass in einem Bart nicht mehr Fäkalbakterien stecken als an anderen Oberflächen des Körpers. Zwar gab es mal eine Studie, die das Gegenteil andeutete, diese aber wurde unsauber durchgeführt. Doch der schlechte Ruf des verunreinigten Bartes, der bleibt nun einmal. Für meine Person sprechend kann ich sagen, dass ich meinen Bart mindestens zwei Mal am Tag einshampooniere, was auch mit dem fantastischen Pfefferminzduft meiner derzeiten Produktlinie zu tun hat. Außerdem schäumt es so toll. Selbstredend stecken in dem Shampoo ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe, wodurch der Preis von 20 Euro bereits gerechtfertigt ist. Ich käme nie auf die Idee, mir das Bartshampoo von „DM“ oder „Rossmann“ für lächerliche zwei, drei Euro zu kaufen. Das Statussymbol Bart hat mehr verdient und ist damit immer noch günstiger als die Statussymbole Auto und Frau. Außerdem kann man mit einem Toyota nicht viel reißen …

Unmittelbar nach der Bartreinigung kann man bereits vieles falsch machen. Das habe ich erst vor Kurzem rausbekommen: Trocknet man den Bart mittels Handtuch zu rabiat ab, also rubbelt man ihn kräftig durch, ist bereits der Grundstein für den bad beard day gelegt. Der durchwuselte Bart einmal getrocknet, fügt sich kaum noch der anschließenden Informbringung. Behutsames Abtrocknen ist also angesagt, durchaus möglich, dass ich bald zum Haartrockner meiner Mitbewohnerin greife, die sich darüber sicherlich sehr freuen wird.

Zweitwichtigstes Produkt ist also die Pomade. Ihre Funktion ist im Grunde die eines Haargels, nur dass Pomade mit zehn Euro und mehr teurer ist und somit gefühlt wertiger, was freilich Unsinn ist. Aber es gibt durchaus schlechte Pomade. Wasserbasierte beispielsweise gehört für mich dazu: Sie empfinde ich als blanken Hohn, kann ich ja gleich Lülle nehmen. Entscheidend ist der Härtegrad der Pomade. Ich greife eher zur weichen Pomade, deren Funktion auch ist, dem Bart einen gewissen Glanz zu verleihen. Doch obacht! Diesen Glanz verteilt man im Laufe eines Tages nicht nur in seinem gesamten Gesicht, sondern auch überall dort, wo man Dinge anfasst. Das ist der Fluch der Pomade.

Montagmorgens, wenn ich eine längere Zugfahrt inklusive Nickerchen vor mir habe, verzichte ich auf die Pomade, da ich nicht mehr bereit bin, einen Abdruck meines Bartes an der Innenseite der Zugscheibe zu hinterlassen. Außerdem fiel mir auf, dass ich beim Lesen im Zug dazu neige, mir hochinteressiert an der Lektüre mit der Hand den Bart zu kraulen. Ist Pomade im selben, ruiniert man nicht nur seine Bartfrisur, sondern hat auch erdölverfettete Finger, die überall Abdrücke hinterlassen. Diese Abdrücke finde ich gerne auf meiner Laptoptastatur, was mich rasend macht.

An den anderen Tagen muss ich permanent daran denken, mir bloß nicht in den Bart zu fassen: Ein Griff und alles ist hin. Das also ist die Kehrseite der Pomade, die einen jedoch – zweite Kehrseite – darin diszipliniert, eben nicht permanent irre im Bart rumzuwühlen, um eventuelle Essensreste vom Vortag zu finden, was durchaus mal passieren kann, hat man einmal die Waschung vernachlässigt. Brutto esse ich x Kilokalorien am Tag, netto hingegen x-y, da die Menge y es nur bis in den Bart hineinschafft, den Mund aber verfehlt. Mit meinem Gesicht kann man praktisch den Boden fegen.

Bad beard days habe ich aber meist dann, wenn der Bart über einen zu langen Zeitraum nicht mehr gekürzt worden ist. Meine Mitbewohnerin, die das bei mir erledigt, nennt es „contouring“, worunter ich das Anpassen der Konturen verstehe, sie aber das radikale Kürzen. Denn sie ist nicht unbedingt Fan meines Bartes, was ich dann verstehen kann, wenn selbst ich beim Küssen meiner Mitbewohnerin Barthaare in meiner Mundhöhle spüre.

Vergangene Woche geriet mein Bart versehentlich derart lang, dass mir einzelne Haare, die direkt unter der untersten aller Lippen wachsen, beim Essen in den Mund gerieten, ich dabei es irgendwie schaffte, mit den Zähnen an ihnen zu ziehen, was zu einem empfindlichen Schmerz führte. Das Frisieren eines Bartes mit seinen gesichtslokal unterschiedlichen Längenanforderungen ist eben nicht so einfach, wie man meinen möchte.

Am vergangenen Sonntag war es wieder so weit: Meine Mitbewohnerin durfte ran. An den Bart. Er ist wieder deutlich kürzer und wie herrlich ist es, ihn nun zu frisieren, geht es doch wieder deutlich schneller?! Heute also: ein guter Barttag! Und weil es so gut duftet mit Produkt Nummer drei: Bartöl. Macht ihn geschmeidiger. Auch Bartbalsam kann ich den Bartträgern unter den Lesern nahelegen. Er spielt eine große Rolle, wenn es zum Geschlechtsverkehr kommt.