So, dann legen wir mal los. Es ist fünf Uhr am Dienstagmorgen, ich wüsste nicht, was mich davon abhalten könnte, ein paar Zeilen niederzuschreiben. Sieht man mal von Schlaf ab. Schlaf wäre gerade das einzige, das ich diesem hier vorzöge. Wobei, nein. Ein Geldsegen in einer Höhe von, sagen wir mal, einer Million Euro würde mir ebenfalls zupasskommen. Aber sonst? Was wäre besser als zu schreiben? Gut, Sex vielleicht, aber das Bett ist von mir abgesehen relativ leer, sodass GV nun keine Option ist und sogar unwahrscheinlicher als jener Geldsegen.

Denn wahrscheinlicher als Beischlaf wäre gerade tatsächlich, ein mit Geld gefüllter Helikopter würde über dem Haus, unter dessen Dach ich gerade erwacht bin, abstürzen. Doch Wirtschaftswissenschaftler kennen ja das Bild des Helikoptergeldes, das letztlich nur zu einem Wertverfall führen würde, sodass ich nichts davon hätte, fiele mir eine Million Euro auf den Kopf. Denn was wäre die direkte Folge? Beispielsweise würde der örtliche Bäcker „Thonke“ seine Brotpreise sofort vertausendfachen, weil meine Kaufkraft schlagartig gestiegen ist und ich somit den höheren Preis zahlen könnte. Der Wert meiner neuen Million läge eben nicht bei einer Million. Das ist der Grund, warum man nicht ohne Weiteres Geld gegen Armut drucken kann: Es würde die Geldwirtschaft ruinieren.

Ich schinde Cait. In diesem Moment. Doch was nutzt all das Schinden, wenn sie ja doch vorübergeht die Zeit und meine Uhr an der Wand, einziger Einrichtungsgegenstand in diesem Raume, unaufhörlich tickt und ihr großer Zeiger sich auf die Zwölf zubewegt, um die siebente Stunde dieses Tages einzuläuten: Um sechs Uhr muss ich mich aufraffen und meinen Sport in Angriff nehmen.

Die Stunde bis dahin ist regressiv qualvoll. Im Augenblick des Aufwachens realisiert mein Geist ohne Verzögerung, was Sache ist; dass es losgeht. „Scheiß Sport“, ist es, was er formuliert. Weder bin ich verwirrt, noch gönne ich mir ein Weiterdösen. Ich bin sofort da. So alt kann ich also noch nicht sein, dass ich morgens verwirrt im Bett liegen würde. Es gilt also sofort, mein tägliches Programm abzuspulen, für das ich allerdings seelisch wie geistig wach sein sollte. Um kurz nach fünf kann ich mir nicht ansatzweise vorstellen, nur 60 Minuten später hellwach und vor allem beweglich zu sein. In meinen Knochen steckt Müdigkeit, da diese Nacht viel zu kurz war.

Auf meinem Nachtschränkchen – ich finde, man sollte es auch „Nachtschrank“ nennen dürfen, da ja wohl auch ohne dessen Diminutiv klar sein sollte, dass es sich nicht um ein drei Meter hohes Möbelstück handelt – stehen die üblichen zwei Tassen Kaffees, wobei ich froh bin, dass es sich nicht mehr um jenen Kaffee mit Karamell-Zusatz handelt, dessen Anschaffung Folge eines nicht genauen Hinsehens im „Lidl“ war. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es Kaffeepulver mit so einem Zusatz überhaupt gibt, kannte das freilich nur von Kapselkaffee. Es schmeckte mir nicht so richtig, karamellig schon einmal gar nicht.

Ich fühle ein seltsames Ziehen an meinem rechten Oberschenkel und sehe nach, was amboss ist. Es ist wie erwartet das Ohrstöpselkabel meines „iPods“, der mir gestern Abend zum Einschlafen die Einsamkeit nahm – der iPod als Menschersatz, so weit ist es schon gekommen. Über Nacht ist das Teil offenbar fußabwärts gewandert, wo es sich dann verfangen hat. Als Kind hatte ich immer Angst, mich mit den Ohrstöpseln des Walkmans zu strangulieren. Nun denke ich, dass das Teil meinem Hoden gefährlich nahegekommen ist.

Was habe ich zum Einschlafen eigentlich gehört?, frage ich mich. „Sweeney Todd“, eine Hörspielfassung, die an sich ganz gut geraten ist. Seit einer Woche höre ich daran und schlafe immer bei derselben Stelle ein, die ich am Folgeabend natürlich nicht wiederfinde, sodass ich das Hörspiel Abend für Abend neustarte. Das hat Folgen für meine Mitbewohnerin und mich. Treffen wir morgen Abend wieder aufeinander und starten das Hörspiel, wird sie sich darüber beklagen, dass sie es immer und immer wieder von vorn wird hören müssen, weil ich es ja nicht schaffe, über jene Stelle X hinauszukommen. Aus diesem Grunde sind wir auch bei der „Insel des Doktor Moreau“ noch nicht einmal bis auf die Insel gekommen und haben das Unterfangen irgendwie auch stillschweigend aufgegeben. Nach diesem Dialog:

„Wie weit bist du bei Moreau, Seppo?“, fragte sie.

„Äh, ich bin eingeschlafen da, wo sie kurz davor sind, auf die Insel zu kommen, glaube ich. Sie sind da auf so einem Schiff irgendwie.“

„Du bist erst bei dem Schiff?!“

„Ja, wieso? Ich hatte doch nur drei Abende Zeit!“

„Das ist aber doch erst der Anfang! Es beginnt auf dem Schiff!“

„Ja, achso. Aber gut, da bin ich halt eingeschlafen.“

Eigentlich kenne ich ja die Geschichte von Sweeney Todd, sodass ich morgen Abend einfach so tun könnte, als wäre ich weit fortgeschritten. Allerdings kann ich mich, obwohl die Verfilmung mit Joshua „Johnny“ Depp gesehen, nicht ansatzweise an die Handlung erinnern. So geht es mir immer mit Filmen. Ich sehe sie, verstehe sie, bewerte sie – und habe sie nach wenigen Wochen komplett aus meiner Erinnerung gestrichen. Wie oft habe ich meiner Mitbewohnerin schon das Gucken von Filmen vorgeschlagen, die wir bereits gesehen hatten.

„Lass uns ‚The Segway‘ gucken, gerade bei ‚Prime‘ kostenlos.“

„Seppo, den haben wir vor ’nem halben Jahr gesehen!“

„Echt? Worum ging es da? Fand ich den gut?“

„Wir fanden ihn beide scheiße!“

„Aber da spielt Joshua ‚Johnny‘ Depp mit!“

„Nur deshalb wolltest du ihn sehen und du warst enttäuscht, weil Depp nur noch seltsame Sparrow-Typen spielt.“

„Da auch?!“

„Ja, Jack Sparrow auf einem Segway.“

„Klingt irgendwie gut, sollen wir gucken?“

„Seppo!“

Das ist zu meinem Bedauern nicht einmal übertrieben dargestellt und ich werde mir am Wochendende „The Segway“ noch einmal reinziehen, um zu überprüfen, ob Jack Sparrow auf einem Segway wirklich nicht funktioniert.

Offenbar kann ich mir nur die Handlungen von rund drei Filmen merken. Der Pate eins und zwei sowie „Good Fellas“. Mehr braucht man eigentlich nicht zu kennen. Auch du nicht, Sabrina … Sopranos …

Halb sechs ist es nun, ich bin in meinem Prozess des Erwachens deutlich fortgeschrittener als noch vor rund 30 Minuten. Halbzeit also, bevor ich gleich wirklich das Bett verlassen werde, von dem aus ich diesen Text schreibe. Vor mir liegen die vermutlich entspanntesten 30 Minuten des Tages, die so erdrückend wertvoll sind, dass ich panisch werde und sie letztlich nicht für Muße werde nutzen können. Und so geschieht nun, was immer geschieht. Ich erhebe mich aus dem Bett und beginne direkt meinen Sport, denn was soll ich noch groß warten? Und nun spüre ich sie. Sie, auf die ja doch immer wieder Verlass ist: diese Motivation. Diese seltsame Freude, nun in den Tag zu starten, der vielleicht sogar mit Sonnenschein aufwartet. Ich bin derart gut gelaunt, dass ich von mir selbst angewidert bin, da ich großer Morgenmuffel bin und Fröhlichkeit am Morgen abartig finde. Ich mache mich regelrecht aggressiv, sodass ich sofort die schweren Gewichte greife, um mich zu bestrafen.

Nein, so ist es freilich nicht. Aber dass Sport zu einer übertrieben guten Laune führt, das trifft zu. Jeden Tag aufs Neue. Mein 20-jähriges Ich hätte mich gehasst für so einen Satz.