(Quelle: the-duesseldorfer.de/post-vom-rainer-liebe-jogger, abfotografiert)

Ich kenne Rainer Bartel nicht und vermute, dass er ein sehr netter Mensch ist. Immerhin verfügt der Publizist über einen Wikipedia-Artikel, was ich selbst nicht tue, da ich mir bislang die Mühe dazu nicht gemacht habe. Mir fehlt dazu die kritische Distanz zu mir selbst, da ich traditionell eher auf eine selbstverliebte Nähe zu meiner Person setze, da mir die Kritik durch andere schon genug ist, so wie ich mir selbst auch.

Ich möchte Herrn Bartel also im Folgenden nicht persönlich angehen, nur weil er nicht differenziert. Mir ist bewusst, dass ich mich nun mit einem Text auseinandersetze, der vermutlich bewusst provokant geschrieben ist, aber das muss das Sprachvermögen auch hergeben, sonst wird es platt und auch ein bisschen peinlich.

Rainer Bartel ist Schöpfer und Chefredakteur des Düsseldorfer Online-Magazins „The Düsseldorfer“, dessen „the“ mich an „The New Yorker“ erinnert, was leider mein Bild vom leicht abgehobenen Düsseldorfer an sich bestätigt. Möglicherweise ist der Titel jedoch auch selbstironisch gemeint, was allerdings dem Düsseldorfer Wesen widerspricht. Auf Facebook folge ich dem Magazin, doch war es meine Lektorin KM, die mich auf einen Artikel dort aufmerksam machte. Mit einem Kommentar, den ich hier leider nicht wiedergeben kann, der aber den Punkt traf.

Einigermaßen einfallslos ist der Titel der entsprechenden Rubrik: „Post vom Rainer“. Titel und Duktus der unter diesem label erscheinenden Kolumne- vielleicht soll es eine Glosse sein – erinnern an „Post von Wagner“ bei der „Bild“-Zeitung. Warum auch sich was Originäres ausdenken?! Und offensichtlich will Rainer wie auch Wagner provozieren. Allein dieser offensichtlich zur Schau gestellte Umstand verbietet an sich eine Reaktion meinerseits, denn nichts langweilt mehr als die gewollte Provokation. Doch da ich nun vier Stunden in einem ICE nach Berlin sitze, bin ich dankbar für jeden Gegenstand, über den ich mich zeitvertreibend auslassen kann – denn: Rainer schreibt über „Jogger“ und vielleicht meint er ja auch die Läufer. Doch dass er da differenziert, glaube ich nicht, lässt sein Text eher nicht vermuten.

Seinen rundum gewollt gewollten Text finden Sie in voller Länge hier.

Bartel hat einen quer sitzen, das wird relativ zügig klar, wenn er gegen die harmlose Spezies Jogger schießt. Es bleibt bis zum Schluss unklar, warum er das überhaupt tut. Was haben Jogger ihm angetan, dass er uns einen Zweidreizeiler entgegenschmettert?! Es gibt so vieles mit Relevanz, gegen das man seine sprachlichen Fähigkeiten einsetzen könnte, aber Nichtigkeiten tun es eben auch.

Der Mann, der sich im Jeanshemd ablichten ließ, ist der Meinung, wir Jogger seien „komisch angezogen“. In dem Punkt gebe ich dem schlechtgelaunten und pausbäckigen Publizisten Recht, mache ich mich doch auch gerne darüber lustig, dass viele männliche Läufer in Leggings unterwegs sind, was nicht immer jedem Körperunterbau schmeichelt. Anders als offenbar bei Bartel der Fall verharrt mein Blick dann aber nicht auf den sich in den Hosen abzeichnenden Konturen der Penisse, die Bartel verschämt als „Hasenpfoten“ bezeichnet:

Zumal ja auch niemand wirklich mit Größe und Form eurer Hasenpfoten konfrontiert werden will oder auch mit der Frage, wie glatt die laufende Dame untenrum denn nun rasiert ist.

Bartel sieht es also nicht gerne, wenn die Größe anderer Penisse die des kleinen Rainers übertreffen, was mir fast schon leidtut. Es muss Bartel ja auch nicht gefallen, aber er vielleicht unterschätzt er das weibliche Interesse daran. Vielleicht sollte ich künftig auch mehr darauf achten, wenn mir Läufer entgegenkommen. Beeindruckend finde ich allerdings Bartels Röntgenblick, der die Qualität der Intimrasur bei Frauen zu beurteilen vermag. Ich frage mich gerade, zwischen wessen Beine er wohl zuerst gucken würde, begegnete er einmal meiner Mitbewohnerin und mir, wenn wir laufen. Und wer sich schon einmal die Mühe gemacht hat zu laufen, der weiß, dass man gerade zwischen den Beinen schnell mal wund werden kann, sodass sich eine dortige Rasur schon aus rein taktilen Gründen anbietet, ja, geradezu aufdrängt.

Geschenkt, von mir aus könntet ihr auch nackt durch die Gegend kariolen.

Abgesehen davon, dass es ihm offenbar an Respekt mangelt und er auf die Großschreibweise der Anrede verzichtet, gelingt ihm ein erstaunlicher Missgriff beim Verb „kariolen“, das hier so gar nicht passen mag, aber Hauptsache, es klingt irgendwie elaboriert; der „The Düsseldorfer“-Leser merkt’s ja eh nicht, sondern ergeht sich in Bewunderung ob derartigen Ausdrucksvermögens. Das ist in etwa so, als würde jemand den Begriff „Geraffel“ völlig falsch verwenden, was mir nie passieren würde …

Bartel betont, dass ihm völlig egal sei, wie wir Läufer so rumlaufen. Er betont das, nachdem er es aber doch mal kritisieren musste. Ist ja auch ganz lustig, so als Aufhänger für seinen Text. Hasenpfote, hihi. Intimrasur, hohohoho! Nun sind seine Leser lustig eingestimmt, jetzt hat er die Aufmerksamkeit, die er braucht, wenn er mal so richtig auf die Kacke haut. Denn zwei Sachen störten ihn besonders: erstens, dass Läufer sich für bessere Menschen hielten, und

Zweitens – und das hängt mit erstens zusammen – dass ihr im Hof- und Volksgarten sowie im Aaper und Grafenberger Wald und dem Eller Forst nie nie nie ausweicht, wenn euch Mensch, Rad oder Hund entgegenkommt. [sic!]

Ad eins: Sie bestärken mich massiv in dem Glauben, ich gehöre zu jenen besseren Menschen. Denn diese Missgunst, die mir in Ihrem Text, der sicherlich gar nicht so ernstgemeint ist, womöglich sogar lustig (was ich nur mutmaßen kann, denn einen Beleg für Witz kann ich beim besten Willen an keiner Stelle im Text finden), entgegenschlägt, ist mir absolut fremd. Das macht mich de facto zu einem besseren Menschen. Überdies überschätzt Bartel das Denkvermögen des Laufenden während dessen Laufes; er selbst nennt es anfangs „Seligkeit“, die sich beim Läufer einstelle, womit er Recht hat. Der Läufer befindet sich in einer Art Tunnel, ist ganz in seiner eigenen Welt, während er läuft, und macht sich im Grunde keine Gedanken über ihm des Weges Kommende, die ihre Jeanshemden ausführen. Diese Gelassenheit geht Bartholomäus leider ab, wenn er sich über etwas so Belangloses wie dem Laufsport auslässt. Der Jogger genießt den Wald, geht voll in ihm auf, während Bartel sich zu Tode langweilt, weil ihm vielleicht alles zu grün ist. Die Nuancen entgehen ihm.

Grafenberger und Aaper Wald sowie der Volksgarten: drei Orte, an denen auch ich nicht selten laufe. Allen drei Orten ist gemein, dass sie von breiten Wegen gekennzeichnet sind. Dennoch scheint es eng zu werden, wenn Bartel des Weges kreuzt: Wer sich als ihm entgegenkommender Jogger nicht in die Büsche schmeißt, wird Bartel als Anti-Terror-Sperre kennenlernen, von denen übrigens in der Düsseldorfer Altstadt jüngst einige aufgestellt worden sind. Anders als Jogger haben sie sich als zu instabil herausgestellt, sie müssen nun nachträglich fixiert werden.

Ich selbst kenne das Problem des Nichtausweichens andersherum. Selten erlebe ich es, dass Fußgänger mir ein wenig Platz einräumen. Anders als offensichtlich Bartel würden mir etwa 50 Zentimeter des Weges genügen, oft genug weiche ich auch auf Straße oder Böschung aus. In Berlin bin ich vor Kurzem wegen eines störrischen Hundes auf die Straße geraten und fast von einem „Sprinter“ überrollt worden. In 99 Prozent aller Fälle allerdings passen mehrere Menschen nebeneinander auf den Weg. Möglicherweise aber hadert Bartel damit, dass viele Läufer sich dem Rechtsgehgebot, das es so ja nicht gibt, verweigern, und wenn er etwas nachdenkt, wird er wissen, warum viele Läufer wie auch ich stets auf der linken Seite von Wegen laufen. Und jetzt, wo ich Bartels Text gelesen habe, tue ich das erst recht, weil ich ihm unbedingt meine dicke Hasenpfote unter die Nase reiben möchte.

Um es kurz zu machen: In den erwähnten Gebieten mit Joggern zu kollidieren, ist im Grunde unmöglich. Da muss man es schon darauf anlegen. Aber ich will auch konstrukiv wirken: Gerade die Wege des Aaper Waldes sind gesäumt mit Pferdepfaden. Bartel sollte sich einen Zossen zulegen, denn denen gegenüber zieht der verirrte Jogger auf jeden Fall den Kürzeren. Zumindest ich leide unter einer panischen Angst vor Pferden, weil ich Pferde für ziemlich gestörte Tiere halte: übernervös und empfindlich. Kommt mir gerade so in den Sinn … komisch …

Noch ein Wort zum von Bartel angesprochenen Hund: Es ist unmöglich, Hunden auszuweichen! Navigiert man nach links, tut der Hund das auch (nach rechts freilich, weil er ja entgegen kommt). Navigiert man dann wieder nach rechts, passt sich Bello ebenfalls wieder an. Das übrigens geschieht auch gerne – jeder wird das kennen – mit Menschen: Der eine weicht aus, im selben Moment tut sein Gegenüber ihm das gleich und es kommt unweigerlich zum Zusammenprall. Aus diesem Grunde korrigiere ich beispielsweise meinen Kurs nie kurzfristig, sondern setze eher darauf, direkt deutlich zu machen: Ich bleibe auf Kurs, weichen Sie aus! Nicht, weil ich der bessere Mensch wäre, sondern weil dieses Vorgehen das ewige Hin und Her direkt unterbindet. 16 Jahre Lauferfahrung …

Bartel beschimpft nun die Wochenendjogger, die unter der Woche nur auf dem Arsch säßen. Nicht jeder hat wie Publizist Bartel so viel Freizeit, dass er auch unter der Woche durch den Aaper Wald flanieren kann. Und außerdem wäre das doch bereits die Lösung. Er nutzt den Wald montags bis freitags gefahrlos, während am Wochenende dann die Jogger randürfen.

Bartel gemäß bildeten die sich einen darauf ein, dass sie etwas Gesundes täten:

Was ja erwiesenermaßen Quatsch ist. Wie gesund soll es denn sein, sich in den innerstädtischen Parks die Lungen so richtig mit Feinstaub und Stickoxid vollzupumpen? Außerdem weiß jeder Orthopäde, dass die meisten Einmal-die-Woche-Jogger irgendwann nach Erreichen des 55. Lebensjahrs auf dem OP-Tisch landen, weil an den malträtierten Knien herumgeschnitzt werden muss – Arthrose lässt auch grüßen. Ebenfalls geschenkt…

Schon wieder schenkt er seinem Leser etwas. Wieder erwähnt er ausschweifend (in Relation zu der eher dürftigen Gesamttextlänge) etwas, das er am Ende relativiert. Zwei Textdrittel haben wir nun hinter uns, beide hat er jedes Mal „geschenkt“ und damit selbst dem Überfluss überlassen. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich hier kurz zu erregen, da der Publizist, der Journalist (zwinker, ungeschützter Begriff)!, es hier mit journalistischen Maßstäben nicht so genau nimmt, da er vermutlich weiß, dass manch Leser knackig hingerotzte Behauptungen erst gar nicht hinterfragen. Dass Arthrose eine Folge des Laufens ist, ist ein unsäglicher Unsinn, der aber nach wie vor von vielen Laufkritikern propagiert wird. Tatsächlich ist das Gegenteil richtig. Ich höre das sooft, ich bin inzwischen müde, dagegen an zu argumentieren und sehe mir inzwischen diejenigen, die das von sich geben, sehr genau an. Und dann wird aus meiner Wut eine geschmeidige Gelassenheit, dem ich durch ein müdes Lächeln Ausdruck verleihe, während ich im Geiste eine arme Wurst formuliere. Laufen beugt Arthrose vor, übrigens insbesondere bei Personen jenseits des 55. Lebensjahres. Bei bestehender Arthrose kann Laufen sogar ratsam sein, ihr Fortschreiten dadurch gebremst werden. Es ist ja auch einigermaßen logisch, sofern man der Logik zugeneigt ist: Das Benutzen des Knies schadet diesem nicht. Das Nicht-Benutzen hingegen durchaus.

Bartel grüßt uns nicht. Das haben wir jetzt schwarz auf weiß:

Das ist auch der Grund, warum ich Jogger niemals grüße – wäre eh zwecklos: Rennmenschen ignorieren alles, was nicht läuft, weil sie ja die besseren Menschen sind.

Hier ist aber einer beleidigt! Und da habe ich mich doch schon sooft gefragt, warum Herr Bartel mich nicht grüßt! Wo ich doch unbedingt von diesem mir Fremden gegrüßt werden will! Tage- und nächtelang habe ich mit der Frage gehadert, warum mich dieser Mensch nicht grüßt! Liegt es an mir? Hab ich was falsch gemacht? Rieche ich? Hab ich ihn schief angesehen? Er muss mich doch grüßen! Wobei, es grüßt ja erst der Jüngere. Es ist mein Fehler …

Ganz einfache Nummer: Grüßen alle Spazierenden sich? Also, wirklich alle?! Natürlich nicht. Grüße ich als Jogger den Nichtjogger? Kommt nur gelegentlich vor. Guckt mich aber ein Passant schon leicht griesgrämig an, lasse ich es. Und nicht, weil ich mich für was Besseres halte.

Niemand muss laufen, vielen täte es gut und alle sollten den Läufern das Laufen lassen. Ich würde halt aufpassen, mich am Wochenende nicht zu nahe am großen Trimmdich-Pfad im Aaper Wald aufzuhalten.