Was viele nicht wissen und auch für mich völlig neu ist, obwohl ich es besser wissen sollte, da es mich betrifft: Ich übe eine nicht angemeldete Nebentätigkeit aus. Diese Tatsache bitte nicht groß in die Welt hinausposaunen, aber ich weiß einfach nicht, wie ich das auf bürokratischem Wege legitimieren soll; Formulare überfordern mich, da meine Projektion der Welt deutlich simpler ist als diese selbst. In dem Zusammenhang erwähne ich immer wieder gerne, dass ich nur deshalb Deutsch und Bio als Leistungskurse in der Oberstufe gewählt hatte, weil ich mit den entsprechenden Formularen durcheinandergekommen war. Doch es sollte mein Schaden nicht sein, sieht man von dem Defizit in Bio einmal ab.

Oh, gerade fällt mir ein, dass diese Geschichte Distanz zu meinem lyrischen Ich aufbauen und in der dritten Person erzählt werden soll. Um Bisheriges nicht umschreiben zu müssen, deklarieren wir dieses zum Prolog.

Denn: Ich bin Privatdetektiv.


Es ist einer dieser typischen Regentage in Düsseldorf-Oberbilk: Sonnenschein, wohin man sieht. Doch Detektiv Seppo weiß, dass der Sonnenschein trügerisch ist. Seppo spürt den Nieselregen, der sich unauffällig seinen Weg durch die Sonnenstrahlen bahnt.

„Auffällig unauffällig“, murmelt der Düsseldorfer Star-Detektiv, kurz bevor er an seinem Kaffee nippt. Skeptisch betrachtet er hernach den Kaffeesatz. Sein Blick verdüstert sich.

„Üble Zeiten stehen ins Haus …“

Seppo schiebt sich mit seinem Stuhl einige Zentimeter von seinem Bürotisch weg, beugt sich zur Schublade und versucht diese zu öffnen. Sie klemmt.

„Üble Zeiten …“

Seppo lehnt sich zurück. Sonnenstrahlen fallen durch das Fensterroleau auf sein Gesicht, direkt in seine Augen. Doch Seppo blinzelt nicht. Im Gegenteil. Er reißt seine legendären Adleraugen auf und hält der Sonne stand.

„Du wirst nicht gewinnen!“, sagt er.

Und tatsächlich, die Sonne zieht sich zurück. Im selben Moment klopft es an Seppos Bürotür. Derart heftig, dass deren Scheibe mit der Aufschrift „Detektei Seppo“ bedrohlich vibriert.

„Ja?! Herein!“, ruft Seppo leicht erschrocken und zieht sich samt Stuhl an seinen Schreibtisch zurück.

„Seppo! Es ist etwas geschehen!“, ruft eine ihm bekannte Stimme, die einer Holdseligen. Doch Seppo kann sie nicht zuordnen. Wild gestikuliert er in der Luft herum.

„Seppo, was ist los mit dir? Hat man dich vergiftet?!“

„Ich sehe nichts! Die Sonne, diese verdammte Sonne!“

„Hast du schon wieder in die Sonne gestarrt?!“

„Nenne deinen Namen, Fremde, deren Stimme mir so wohlbekannt erscheint!“

„Äh, Melina!“

Melina. Ein Bild von einer Frau. Vor Jahren hatte Seppo sie kennengelernt, als er hinter dem Apothekenmörder her war, der bis heute noch auf freiem Fuß ist. Der Apothekenmörder – vielleicht Seppos größter Gegner, Seppos Erzfeind, der aus dem Schlund des Untergrundes heraus das Organisierte Verbrechen in Oberbilk steuert. Melina arbeitet in jener Apotheke, in der der Apothekenmörder zuletzt zugeschlagen hatte: Sein jüngstes Opfer war zugleich sein altersmäßig ältestes, der Apotheker Leonard Lessing. Auf grauenhafte Weise wurde Lessing geköpft, gehäutet und in Stücke gesägt, bevor der berüchtigte Fleischerharry sich seiner besten Filetstücke annahm und unter die nichts ahnende Oberbilker Bevölkerung verteilte, die glaubte, sich an den besten Pasteten der Stadt zu laben. Es war Seppo, der ihn zum Schafott brachte.

„Melina! Natürlich!“, ruft Seppo aus, „Das war mir natürlich klar. Melina, wo steht mein Kaffee?“

„Links … weiter links … nein, zu weit, rechts … Vorsicht!“

Ungeschickt stößt Seppo die Tasse mit dem Aufdruck „Sitzgruppe“ um. Eine Kaffeelache breitet sich über seinen Schreibtisch aus.

„Das Blut der Kaffeebohnenerntehelfer“, sinniert Seppo leise, „Üble Zeiten stehen ins Haus.“

Langsam aber sicher gewinnt der Verbrecherschreck sein Augenlicht wieder.

„Ah, Melina! Du bist es ja wirklich!“

„Ja, wer sonst?!“

Vielleicht der rachsüchtige Ganove Stimmenstenz, der seit einiger Cait sein Unwesen in Oberbilk treibt?! Er verfügt über die Fähigkeit, die Stimmen anderer Leute anzunehmen, was ihn zu einem Meister des Telefon-Trickbetruges gemacht hat.

„Melina, was ist los? Du siehst irgendwie … irgendwie … naja, durchgefi-“

„Ich bin in Aufruhr! Zur Mittagsstunde wurde Oberst Obersten tot aufgefunden – ermordet!“

„NEIN!“, ruft Seppo, „NEIEEEN!“

Er springt von seinem Stuhl auf, stößt sich dabei den Kopf an seinem Kronleuchter, der ein Geschenk der Witwe Granterich war, reißt das Fenster auf, lehnt sich aus diesem und ruft abermals: „NEEEEEEEEIN!“

Dreht sich um, schließt das Fenster, sammelt sich und sagt zu Melina:

„Melina, das ist ein Fall für …“

„Detektiv Seppo?“

„Richtig. Für Detektiv Seppo.“

„Also für dich?“

„Ja, sag ich ja. Ich bin Detektiv Seppo.“

„Das weiß ich. Es steht ja auch an deiner Tür.“

„Ja, ich wollte es ja nur noch einmal sagen.“

„Bisschen theatralisch, oder?“

Melina ist eine Frau ganz nach seinem Geschmack. Nach dem Geschmack eines Mannes, der nicht ohne, aber schon gar nicht mit Frauen leben kann. Ein einsamer Streuner in einer viel zu hektischen Welt. Ein Mann mit einem Talent, das die Welt zu einer besseren macht. Einem Talent, das Verbrecher in aller Welt schaudern lässt. Er kriegt sie alle. Fast alle.

Doch sein Drang, die Welt zu retten, hat ihn einsam gemacht, den „Wolf von Oberbilk“, wie sie ihn auch nennen, die Bürger einer Stadt, die in Kriminalität versinkt. Lange hat Seppo sich gegen seine Berufung gewehrt, verfiel dem Alkohol und suchte sein Heil im endlosen Sex mit Frauen. Doch es war auch dieser beliebige Sex, der ihn zerstört hat. Und natürlich der Alkohol.

Melina jedoch hat ihn stets mit Respekt behandelt, ist seinem gestählten Körper nie verfallen. Vielleicht ist sie die einzige, die den Menschen im Superhelden Seppo sieht. Und dass sie seinen Avancen widersteht, imponiert ihm, macht sie interessant. Er respektiert sie auf höchster Ebene.

„Melina, führe mich zum Tatort!“, Seppo fast in einem Befehlston. Er stürmt zu dem alten Garderobenständer, ein Geschenk der Witwe Granterich, reißt seinen braunen Mantel vom Haken und vergisst seinen Hut.

„Dein Hut, Seppo!“

„Achja, mein Hut.“

Es schmeichelt ihm, dass sie an seinen Hut gedacht hat. Sie kennt mich, denkt er.

Melina und Seppo verlassen stürmisch das Büro, hasten durch das Treppenhaus des alten Güterbahnhofes raus auf den Hof. Seppo rennt nach rechts, Melina nach links.

„Seppo?! Wo rennst du hin?!“

„Achso, ja, ich wusste ja nicht, wohin.“

Seppo korrigiert seinen Kurs: „Wie wurde er ermordet?“

„Wer?“

„Na, der Oberst!“

„Achso. Sieben Schüsse ins Gesicht“, erklärt Melina.

„Großer Gott! Der Siebenschüssige ist wieder in der Stadt!“

Der Siebenschüssige war einst Seppos Erzfeind, bevor er diesen ins Zuchthaus beförderte, aus dem er vor einigen Jahren wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde. Seine Sozialprognose war gut, hatte er doch versprochen, niemanden mehr zu töten.

„Wie konnte er rückfällig werden? Haben sie ihm nicht die Arme abgenommen, damit er nicht mehr schießen kann?“, fragt Seppo.

„Nur den rechten Arm!“

„Verdammt! Dieser Teufelskerl! Er hat auf links umgeschult!“

„Wie schnell du immer so etwas schlussfolgerst, Seppo!“, schwärmt Melina.

„Es ist ein Fluch, Melina, es ist ein Fluch. Doch wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass Oberst Obersten nur zufällig durch sieben Schüsse ermordet worden ist. Oder dass jemand versucht, diesen feigen Mord dem Siebenschüssigen in die Schuhe zu schieben, um vielleicht eine alte Rechnung zu begleichen!“

„Faszinierend, Seppo! Wie du dir mehrere Möglichkeiten offenlässt!“

„Melina, wir werden, pardon, ich werde in verschiedene Richtungen ermitteln müssen.


Wer also ist der Mörder von Oberst Obersten, dem hochdekorierten Militär, der in beiden Weltkriegen für das Gute gekämpft hat? Welches Motiv kann jemand haben, einen solchen Helden das Leben zu trachten? Oder gibt es da noch ein dunkles Geheimnis im Leben des Oberst Obersten? Wir erfahren es schon bald im nächsten Kapitel der „Detektei Seppo“!

Alle bisherigen Fälle der Detektei Seppo: hier!