„Moinsen, Seppo!“, begrüßt mich Merugin gestern Morgen als ich ihm widerstrebend die Wohnungstür öffne. Und ich denke an meinen kleinen Neffen, der inzwischen alles Gemensch mit „Moinsen“ begrüßt, was meiner Schwester, seiner Mutter somit, arg missfällt. Ich fand das kürzlich ganz niedlich, als er mich mit einem „Moinsen“ ansprach. Ganz der Onkel, dachte ich angesichts des ohnehin sehr humorigen Kerlchens, der den Schalk im Nacken mit sich trägt.

Wie dem auch sei, da steht nun Merugin vor mir, ganz außer Atem.

„Seppo, welch beschwerliche Reise es zu dir war!“, stöhnte er.

„Warum? Bist du mit dem Tretboot gekommen?!“

„Häh?! Tretboot?!“

„Ach, Gott, Merugin, das sollte ein kleiner Scherz sein. Tretboot – Asphalt – kein Vorankommen …“

„Achso. Nun, für deine lächerlichen Scherze habe ich keine Cait. Ich muss meine Hehlerware loswerden.“

„Seit wann hehlst du? Das hast du mir bislang verhehlt.“

„Ich habe das Zeug hier von Pavel“, sagt er und deutet dabei auf den Sack neben ihm, „Das sind Echos.“

„Das sind was?!“

„Das sind die zurückgegebenen Echos. Wegen Auschwitz. Westernhagen wird morgen Nachmittag ankündigen, seine sieben Echos ebenfalls zurückzugeben. Und Pavel hat da Kontakte zu dem Typen von der Homo-Akademie, der die eigentlich dann verschrotten soll, also einschmelzen. Daraus wird dann wohl die Lola gegossen“, erklärt er mir hastig.

Homo-Akademie?!“

„Ja, lustig, oder? Gewollte Provokation. Meinte natürlich Phono-Akademie. Aber zwecks Aufmerksamkeitserregung provoziert man heutzutage. Und dann bekommt man einen Preis. Weil die Preisverleiher von der Provokation profitieren wollen.“

„Warum hast du denn jetzt die Echos?!“

„Weil der fünfte Beatle seinen zurückgegeben hat. Jetzt Westernhagens sieben Echos. Das ist erst der Anfang! Und Pavel hat sie von diesem Typen, weil der Typ sie heimlich verkauft. Pavel verkauft sie dann weiter.“

„An dich offensichtlich.“

„Ja. Und nun wollte ich dich fragen, ob du Interesse an Echos hast? Du kannst sie weiterverkaufen.“

„Welcher Idiot zahlt denn Geld für illegal verkaufte Echos?!“

„Ich zum Beispiel. Ich würde dir einen guten Preis machen!“

„Merugin, du hast sie doch schon!“

„Was?! Ach Gott, ja. Fast hätteste mich gehabt! Ich bin etwas durcheinander. Weil ich auch den ganzen Skandal nicht verstehe.“

Ich bitte Merugin in die Wohnung – widerwillig – und betrachte die Echos, während Merugin sich einen Ingwer-Mango-Tee zubereitet.

„Schneid dir da noch echten Ingwer rein!“, lege ich Merugin nahe. Meine Mitbewohnerin hasst mich inzwischen für meinen Ingwer-Konsum. Ich selbst halte es derweil für möglich, dass ich mich mit dem Teufelskraut geradewegs ins Grab katapultiere.


seppolog-Leserservice aktuell: Eine Überdosierung Ingwers ist zwar möglich, jedoch nicht immer folgenreich. Im schlimmsten Falle kommt es zu unansehnlichem Durchfall, mindestens jedoch zu einem gehörigen Rumpeln im Magen-Darm-Trakt. Bei Schwangeren jedoch wirkt Ingwer eizellenverdoppelnd – es kommt zur Zwillingsgeburt.


„Ich schneid mir jetzt hier in deiner Küche Ingwer in meinen Tee?! Geht’s noch?! Ich habe eh den Eindruck, dass ich diesen Tee nur trinken muss, damit du irgendeine unwichtige Ingwer-Geschichte dazudichten kannst!“, klagt Merugin.

„Das sind schöne Echos. Aber weniger hochwertig, als ich erwartet hätte“, begutachte ich die Musikpreise und denke an mein vorgestriges „Bares für Rares“-Casting, bei dem ich voll verkackt hatte, da ich gedacht hatte, ich würde für das Gesundheitsmagazin „Grippe live“ gecastet.

„Wie lief eigentlich dein Casting, Seppo?“

„Supi! Sie melden sich.“

Doch etwas anderes interessiert mich mehr: „Merugin, fallen die Schwarzmarktpreise jetzt nicht enorm, da jeder seinen Echo zurückgibt?! Der Markt wird doch geradezu überschwemmt. Kann es sein, dass Pavel, der alte Hehler, dich da irgendwie über irgendeinen Tisch gezogen hat?!“

Merugin schwingt den Teebeutel durch die frisch befüllte Tasse und schweigt. Was mir Antwort genug ist.

„Kann es sein, dass du nun dasselbe mit mir versuchst? Hältst du mich für so blöd?!“

„Du musst ja nur jemanden finden, der noch blöder ist als du! So habe ich es auch gemacht!“

Und nun werde ich nachdenklich: „Wie viel willst, nein wie viel hast du für die Dinger bezahlt?!“

„5.000.“

„Mehr nicht? Ich gebe dir 6.000“, schlage ich vor.

„6.500.“

„7.000!“

„Gebongt!“

„Arrrg! Verdammt. Ich und Handeln. Das ist wie beim Weihnachtsbaumkauf mit meiner Mitbewohnerin. Habe uns mehrfach die Preise hochgehandelt. Seitdem darf ich beim Baumkauf nicht mehr reden. Aber gut, weil ich es bin: 7.000.“

Denn mir ist völlig klar, wer mir 10.000 und mehr für die zurückgegeben Echos zahlen wird. Nachbarin Rudine. Und erstmals bin ich froh, sie noch nicht umgebracht zu haben.

Rudine wohnt zwei Etagen über mir und wie das in Geschichten so ist, muss niemand irgendwann arbeiten, sodass all die spannenden Dinge jederzeit an einem beliebigen Werktag geschehen können. Jeder ist entweder zuhause oder in einer In-Kneipe. Es gibt keine Seifenoper ohne Kneipe oder Bar.

Wir klingeln an Rudines Tür. Sie öffnet nicht.

„Dann ist sie in der Bar“, kombiniere ich.

„In welcher?!“

„Es gibt immer nur die eine Bar, in der dann alle sind.“

Also gehen Merugin und ich ins „Seppo’s“ mit Deppenapostroph.

„Ist halt Englisch“, rechtfertige ich mich, „Wegen der jungen Leute, die das cool finden.“

Ich begrüße Norgal. Norgal schmeißt für mich den Laden und frisiert die Bilanzen, da es ziemlich beschissen läuft, das Seppo’s. Ich hab von Gastronomie auch wirklich cainerley Ahnung, fand es aber irgendwie ganz pfiffig und an der Zeit, eine Bar mit dem Namen „Seppo’s“ zu eröffnen. Aber gut, das nur am Rande, denn wir stoßen nun erwartungsgemäß auf Rudine, die ich abgrundtief verachte, was sie aber nicht merkt. Und das kommt mir nun zugute.

„Rudine! Behandelt man dich gut hier?“, frage ich betont pfiffig. Ich will gut Wetter machen.

„Ich habe immer das Gefühl, dass Norgal mehr abkassiert, als ich getrunken habe“, sagt sie.

„Ja, das ist wohl wegen der Bilanzen. Ich müsste sonst dichtmachen. Und was wäre Düsseldorf-Oberbilk ohne den Szenetreff ‚Seppo’s‘?!“

„Genauso beschissen“, anwortet sie.

„Rudine, folgende Situation. Ich habe eine tolle Anlagemöglichkeit für dich. Hörst du ‚Kollegah‘?“

„Nur die Bonustracks.“

„Dachte ich mir. Folgendes: Gib du mir 15.000 Euro und verdiene dir 500!“

„Krass! Wie geht das?!“

„Ganz einfach. Ich verkaufe dir eine noch näher zu bestimmende Anzahl von Echos. Die Zahl wird vermutlich noch steigen. Du gibst mir 15.000 Euro. Dann verkaufst du die Echos weiter an einen, der noch blöder ist als wir beide zusammen – für 15.500!“

Rudine willigt naiv ein.

Gestern Abend gucke ich in der Mediathek des ZDF eine Auschwitz-Doku, während meine Mitbewohnerin reinkommt.

„Seppo! Ich hab ein heute Rudine getroffen und ein riesen Schnäppchen machen können!“, ruft sie.


Puh, schwieriges Ende. Erstmals verkaufe ich meine Mitbewohnerin für einen miesen Gag. Wie wird sie darauf reagieren? Denn tatsächlich ist sie in beängstigend vielen Dingen des Lebens deutlich klüger als ich. Sie würde das abstreiten, glaube ich, aber zu Unrecht. Und nun gebe ich meinen Echo zurück, werde das aber vorher auf meiner Facebook-Seite verkünden. Sonst kriegt es ja keiner mit.

Und falls meine Meinung zu dem Gedöns interessiert: Natürlich gehen solche Textpassagen gar nicht. Billigste Provokation, sehr durchschaubar, die aber leider konsumiert wird von Menschen in einem Alter, die es vielleicht eben nicht besser wissen. Bedenklich ist aber, welche Generation bislang öffentlich protestiert. Die junge ist es nicht.