Guten Abend, verehrter Leser. Es fehlte nicht viel und wir hätten zu diesem Text nicht zusammengefunden, da mein Kollege und ich gerade fast den ICE 844 nach Düsseldorf verpasst hätten, aus dem heraus ich gerade diesen Beitrag verfasse.

Hinter mir liegen rund 120 Zugfahrten zwischen Düsseldorf und Berlin und ich bilanziere, dass nur etwa zehn derer sich tatsächlich an den Fahrplan gehalten haben. Ich sage das ganz ohne Groll, da ich wie oftmals erwähnt das Schimpfen auf die Bahn für etwas kurzsichtig halte. Vielmehr ärgert es mich, dass ausgerechnet dieser Zug seine Reise fahrplangetreu angetreten ist, denn knapper hätte der Zeitraum zwischen unserer und seiner Ankunft am Bahnsteig in Spandau-Berlin nicht sein können: Schweißgebadet hörten wir bereits im Bahnhofsgebäude die Durchsage:

„Achtung an Gleis 4 – Einfahrt: ICE 844 nach Köln über Hannover, Dortmund, Essen und Düsseldorf“.

In der Regel ist die erste Durchsage, die wir sonst stets hören:

„Informationen zu ICE 844 nach Köln über Düsseldorf: Heute etwa 15 Minuten später. Grund dafür

  • ist eine verspätete Bereitstellung des Zuges
  • ist ein verspäteter vorausfahrender Zug
  • sind Personen im Gleis
  • ist ein Triebwerkschaden
  • ist ein Oberleitungsschaden in München
  • ist eine vereiste Weiche
  • ist ein Sack Reis in Seppo-Low-Carb-Land.“

Mit anderen Worten: Pünktlich kommen sie nie, aber wenn man die Verspätung eeeeeiiiin Mal einpreist, demonstriert das sympathische Unternehmen, zu was es eeeeeiiiigentlich in der Lage ist. Also, komfortabel war es heute nicht, doch immerhin ist mein Schweiß inzwischen verdampft und wabert leicht süffig durch Wagen 21.

Doch nun wird es komfortabel, denn darum sollte es hier gehen. Die Bahn gibt sich Mühe. Und das meine ich völlig ironiefrei, denn zu guter Satire – dieses ist weder gute noch schlechte – gehört, dass man die Standardthemen, die abgedroschenen, erst gar nicht anfasst. Witze über die Deutsche Bahn?! Ach, bitte, das langweilt, das macht jeder und überhaupt wurde jeder Witz darüber schon gemacht. Nur die „Heute-Show“, die sich meinen Bindestrich wird gefallen lassen müssen, samt Oliver Welke würde noch Bahn-Witze machen. Aber darum ist es ja auch die Heute-Show und keine Satire-Show. Auch dann nicht, wenn Oliver Welke mittels seines eigenen Lachens seine Pointen markiert … Ich finde ihn aber sympathisch. Nur als Tipp: Satire trägt man nicht mit einem fordernden Dauergrinsen vor. Das macht mich gerade nahezu aggressiv! So geht Ironie nicht! Eben so nicht!

Juti, wo war ich?! Bei der Bahn. Schweiß getrocknet und bevor ich in vier Stunden bei meiner Ankunft meiner Mitbewohnerin in oder um die Arme falle (der genaue Vorgang ergibt sich im Einzelfall), werde ich duschen müssen. Wenn man sich selbst schon riechen kann, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Sie werden sich nun fragen, warum ich wieder nicht zum Punkt komme. Zum einen tue ich das nie und verkaufe das Kritikern als Stilmittel und zum anderen informierte man mich gerade darüber, dass einer Leserin aus Münster – welch‘ Zufall! – ihr Handyakku zuneigeging, während sie diesen Text auf der Toilette las. Wir würden also nun einen kurzen Moment innehalten, während sie das Nötigste erledigt und ihr Endgerät wieder mit Strom versorgt hat. Müsste eigentlich schnell gehen. Und es wäre ja schade, wenn wir hier ihres Unglückes ungeachtet fortfahren würden. Menschlichkeit ist ja ein enormes Anliegen des seppologs, sodass ich auf Ihr Verständnis baue.

Gut, so langsam müsste sie aber wieder Strom haben. Menschlichkeit gerne, aber bitte nicht im Übermaß. Sonst wollen alle.

Gut, folgendes. Wir machen ohne sie weiter. Ich bin ja schließlich nicht die Bahnhofsmission.

Und damit wären wir thematisch wieder bei der Bahn. Die hat sich nämlich etwas Sensationelles ausgedacht: den Komfort-Check-in. Und den halte ich für eine der größten Innovationen der vergangenen Jahre. Global betrachtet. Denn er bedeutet: mehr Komfort. Und weniger Kontakt zu Menschen, was mir in vielen Lebensbereichen durchaus entgegenkommt. Nur ein Beispiel: Ich bin nicht in der Lage, in aller Ruhe bei „McDonald’s“ etwas zu bestellen, da ich mir deren Produktnamen nicht merken kann. Es gibt dort tolle Burger aus der neuen „Signature“-Reihe, doch deren Namen sind schlimmer als jede geänderte Wagenreihung der Deutschen Bahn. Und so stehe ich in der Schlange an der Kasse und versuche in einem ersten Schritt mir ein Menü zusammenzustellen und im zweiten diese Bestellung auswendig zu lernen, um sie dem Handlanger, meist schlecht gelaunt, zu übermitteln, damit er sie wiederum an das Küchenpersonal weitergibt. Doch kaum bin ich an der Reihe, kenne ich den Unterschied zwischen „McChicken“ und „Chickenburger“ nicht mehr und bestelle aus Verlegenheit beide, damit der richtige letztlich dabei ist. Weil McDonald’s mein Problem erkannt hat (und weil Automaten billiger als Menschen sind), stellen sie nun diese Bestellautoamten in ihren Lokalen auf, wo man in aller Ruhe ordern und bezahlen kann. Und genau daran hat sich die Bahn ein Beispiel genommen. Nun, meine Damen und Herren, komme ich endlich zum Punkt! Und wie der Zufall es will, ist nun auch unsere Münsteraner Leserin wieder mit an Bord. Viel haben Sie nicht verpasst, ich erzählte von diesen Bestellautomaten von McDonald’s, die ich viel menschlicher finde als die richtigen McDonald’s-Menschen, unter denen sicherlich auch sehr nette sind. Das gilt aber nicht für die aus der Filiale an der Grafenberger Allee in Düsseldorf! Dort meint mich stets eine Dame bedienen zu müssen, die sich betont langsam bewegt und außerdem auf inakzeptable Weise ihre Augenbrauen nachgezogen hat. Ich bin weißgott ein überaus toleranter Mensch, doch diese Augenbrauen sind nicht hinnehmbar. Außerdem guckt sie mich immer so irritiert an. Ich weiß, woran es liegt, verschweige es hier aber. Ich fühle mich ja doch nur ertappt und projiziere mein Unwohlsein auf sie.

Zur Bahn. Wie oft habe ich schon hier im seppolog darüber geschrieben, dass mich Schaffner aus dem Schlaf reißen, um meinen Fahrschein auf Echtheit zu überprüfen? Etwa zweimal. Aber immerhin. Andere Themen wiederhole ich noch viel öfter!

Und das führte dazu, dass ich den Schlafvorgang im Zug immer erst dann einleitete, wenn der Schaffner mich kontrolliert hatte. Blöd, wenn er das erst in Duisburg tut, also nach mehr als drei Stunden Fahrt. Der neue App-basierte Komfort-Check-In ermöglicht nun die Abschaffung des Fahrkartenhandlangers, denn der Bahnkunde erledigt das jetzt selbst. Das ist ja durchaus Zeichen unserer wirtschaftlichen Entwicklung, dass ganze Produktionsabläufe auf den Kunden übertragen werden. Bestes Beispiel ist das „Ikea“-Prinzip. Ein kompletter Arbeitsprozess wurde dem Kunden anvertraut, der inzwischen für normal hält, was früher undenkbar war. Er baut seine Ware selbst zusammen. Das ist weniger trivial, als es klingt. Dem Kunden wird das als Vorteil verkauft. Tatsächlich will das Unternehmen aber nur Kosten reduzieren. Doch werden diese Reduktionen an den Kunden weitergegeben? Hahahahahaha …

Sobald ich im ICE meinen Platz eingenommen habe, öffne ich in der Bahn-App nach Wegwischen der Verspätungsbenachrichtigung mein Online-Ticket und klicke auf „Komfort-Check-In“. Damit bestätige ich, dass ich auf dem von mir reservierten Platz – das ist Voraussetzung – sitze, nachdem ich eine gebrechliche Nonne mit Behinderung weggejagt habe, die besser hätte reservieren sollen.

Nun soll es im Idealfall wie folgt ablaufen und ich nehme vorweg, dass im Idealfall die Züge der Bahn ja auch pünktlich kommen sollten. Dieser Idealfall tritt selten ein: Der Schaffner empföngt nun auf seinem geheimnisvollen Schaffnergerät, das ein Schaffner immer mit sich rumträgt, die Meldung, dass der Kunde in Wagen 21 auf Platz 42 selbst „eingecheckt“ hat. Dass ich eine Fahrkarte besitze, weiß die Bahn über meine App. Und so muss der Schaffner – ich verzichte auf Schaffnerin, da Schaffner als generisches Maskulinum selbstverständlich auch Frauen einschließt – mich nicht mehr kontrollieren.

In der Praxis hat das bei mir bislang ein Mal geklappt. Meist werde ich nämlich kontrolliert, wonach der Handlanger sagt:

„Ach, Sie hatten ja eingecheckt! Hätte ich Sie ja gar nicht kontrollieren müssen!“

Einige Male merkte der Bahner dies etwas früher, mitten im Kontrollvorgang:

„Ach, ich seh grad, lassen Sie stecken, Sie haben ja schon dieses Komfort-Ding … Gute Fahrt!“

Anfang dieser Woche stupste mich ein Schaffner an, um mir mitzuteilen, dass er mich nicht kontrollieren würde:

„Sie haben ja selbst eingecheckt! Da kann ich Sie ja in Ruhe lassen!“

Natürlich gibt es Schlimmeres als im Zug kontrolliert zu werden. Ich werde nur immer etwas nervös wegen des Bombengürtels, den ich trage. Früher durfte man solche Scherze machen, heute ist das schon schwieriger. Dabei ist das doch eine ganz wesentliche Funktion von Humor: auf Missstände aufmerksam zu machen. Selbstironisch sind meist die Menschen, die ihr eigenes Leben in Teilen als Missstand empfinden. Ich gehöre nicht dazu. Auch wenn ich derzeit meinen Bombengürtel etwas enger schnallen muss.

Ich gehe mir nun einen Kaffee holen und werde den Kaffee-Handlangern vorschlagen, einen Kaffeeautomaten aufzustellen. Genießen Sie weiterhin meine Fahrt!