Während meiner kreativen Pause im Mai ist dieser Blog still und heimlich drei Jahre alt geworden. Dieses ist sein 780. Beitrag, die 780. Geschichte, der 780. Artikel oder der 780. Text. Blicke ich zurück auf diese doch nicht unerhebliche Menge, erkenne ich in den Texten meine verschiedenen Lebensphasen wieder und stelle fest, dass ich mich wider Erwarten verändert habe. Für meine Person stelle ich eine positive Entwicklung fest, während einige Lebensbereiche arg zu wünschen übriglassen. Wobei ich mir immer bewusst mache, dass im Grunde alles nicht so wichtig ist, solange man klassisch gesund ist. Ich will nicht derjenige sein, der von einer, sagen wir mal, Krebsdiagnose überrascht ist, sondern der, der sagen kann:

Immerhin habe ich bis jetzt das getan, was ich wollte.

Es kann jederzeit vorbei sein mit der doch eigentlichen Herrlichkeit. Mag es hier und da enorm rumpeln im Leben, so kann ich doch mit einiger Zufriedenheit für mich konstatieren, dass ich – soweit es mir bekannt ist – gesund bin und ich am Ende eines jeden Lohnabrechnungsmonats mir zwar kein neues Auto leisten kann, doch aber was ordentliches zu essen, das ich dann auch noch in einer gemütlichen Wohnung zu mir nehmen kann. Mit einer Frau, die mann gerne an seiner Seite hat.

Fahre ich durch Berlin, wo ich drei Tage pro Woche arbeite, sehe ich Siedlungen (die es anderswo freilich auch gibt), die nach außen signalisieren: Hier wird gewohnt, aber nicht unbedingt gerne, sondern weil es muss.

Auch in der Stadt Düsseldorf, die als so reich gilt, die so peinlich viel auf sich hält, sehe ich das, was es überall gibt: Obdachlose, von Drogenkonsum Gezeichnete und Menschen jedes Alters, die die Pfandflaschen sammeln, die ich aus Gründen der Faulheit wegwerfe.

Ohne jede Arroganz, sondern mit gehöriger Demut, muss ich mir in diesen Momenten sagen, dass ich (noch?) nicht in dieser Situation bin. Nicht etwa, weil ich ein ganz toller Kerl wäre, sondern weil ich ohne mein Zutun Ausgeburt der oberen Mittelschicht bin. Zwar haben meine Eltern nicht studiert und cain Abitur gemacht, doch dank meiner bewunderswert enormen geistigen Kapazitäten habe ich das nachgeholt, auch wenn ich heute weiß, dass ich ohne das Studium der Politikwissenschaften und Wirtschaftspolitik genau so weit (oder eben nicht weit) gekommen wäre. Aber ich bereue dennoch nichts. Denn egal, wo ich einmal einen falschen Weg eingeschlagen haben sollte, es sind auch solche Wege, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin, womit ich ganz offensichtlich zufrieden bin. Zumal ich mir selbst hoch anrechne, dass ich das meiste im Alleingang für mich erreicht habe.

Da spielt auch keine Rolle, dass ich nicht viel im Verständnis unserer angeblichen Leistungsgesellschaft erreicht habe. So bin ich kein Großverdiener (was eine gute Schulung in Bescheidenheit mit sich bringt) und habe sogar acht Jahre für einen Lohn gearbeitet, der jeder Beschreibung spottet, den ich gefühlt sogar als schwer sittenwidrig beschreiben würde. Über den Lohn spricht man nicht. Aber als ich jenes Unternehmen vor einigen Jahren verlassen hatte, erzählte ich meinen dann früheren Kollegen, wie viel ich jeden Monat bekommen hatte. Einige reagierten geschockt. Ich konnte nur hysterisch darüber lachen. Und ich hatte Gründe, das mit mir machen zu lassen.

Diese Zeiten sind vorbei, diese Zeiten habe ich durch einige Monate der Arbeitslosigkeit abgerundet und wer weiß, dass das ALG I 60 Prozent des vorigen Nettolohnes beträgt, der kann sich nun qualitativ ausrechnen, dass ich mich doch sehr einschränken musste. Doch ich bin nicht verhungert und auch diese Phase hat mich eher gestärkt als geschwächt. Denn auch damals galt für mich:

Du bist gesund, dein Umfeld ist es auch. Und du bist nicht doof, wirst schon was Neues finden.

Wie sollte ich mich da beklagen?! Das wäre vermessen gewesen und so wurde aus mir jemand, der gezwungen war, seine Priorität nicht auf Geld zu legen. Diesen Blog beispielsweise, den könnte ich dazu benutzen, um Geld zu erwirtschaften. Ich bekomme immer wieder Angebote, Produkte hier zu placieren. Eine Firma bat mich sogar, schwer tendenziöse Texte zu verfassen. Doch da bei mir Moral über Geld steht, blieben solche Anfragen immer unbeantwortet. Denn mir geht es um etwas anderes. Um das Ausleben von etwas, das ich Kreativität nenne.

Wann immer ich etwas geschrieben habe, auch gleich am Ende dieses Textes, bin ich geistig befriedigt. Ich habe ein Anliegen und genieße den Luxus, dieses einer nicht ganz kleinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen – ob sie will oder nicht -, dererseits Reaktionen zu erhalten und diese beantworten zu können. Das kann kein Geld aufwiegen. In diesem Zusammenhang wird Sie wundern, dass das seppolog ab August eine Bezahlschranke einführen wird.

Kleiner Scherz.

Wenn ich auf alte Texte von mir stoße, auf gute, dann stelle ich mir immer die Frage, in welchem Kontext ich sie geschrieben habe. Wann sind geistige Ergüsse nach meinen Qualitätsmaßstäben am gehaltvollsten? Ich teile grob ein in zwei Phasen.

Phase eins: Meine Lebensumstände sind schlecht, es läuft nicht, ich bin mies drauf. In den Nächten plagen mich Sorgen und nehmen dem Schlaf jeden Raum. Nennen wir sie eine tragische Situation. Ich behaupte, dass das die Phasen sind, in denen es sich am besten schreiben lässt. Schreiben als Ventil, vielleicht auch als Eskapismus. Und ich bin jemand, der gerne flüchtet. Nicht zu ändernde Missstände muss ich auch mal ignorieren können, verdrängen.

Wie wirkt die gegenteilige Lebensphase zwei? Alles läuft supi, ich blühe auf. Rückblickend wurden in solchen Epochen die Texte schlechter.

Doch dann rutschte ich in eine Phase, in der ich – und das muss ich so drastisch sagen – geistig auf höchstem Niveau unterfickt war. Das war ein schleichender Prozess, dessen Ergebnis man gar nicht so richtig realisiert. Man möchte meinen, dieser Blog, das Schreiben sei da das geeignete Ventil gewesen, doch – achtung, mega Vergleich folgt! – was nützt einer verwelkten Zimmerpflanze ein gut gedüngter Blumentopf, der neben ihrem vertrockneten steht?! Erst jetzt, wo sich die Dinge ändern, merke ich erst, was fehlte.

Nun bin ich durch Gottes Fügung wieder in einer beruflichen Situation, in der Kreativität gefragt ist, in der ich aufblühen kann und das bisweilen bereits tat. Das Moderieren einer Livesendung unabhängig von der Zuschauerzahl ist für mich ein Geschenk des Schicksals, auch wenn ich es nicht überbewerten will und auch durchaus ohne leben könnte, was ja den überwiegenden Teil meiner bald 39 Lebensjahre der Fall war. Ich strebe nicht nach „Wetten, dass ..?“, ich strebe lediglich nach einem Publikum, dem ich gefalle, das sich auch mal von mir beleidigen lässt und den Gag dahinter versteht. Am Ende musst du selbst immer der „Verlierer“ sein, dann macht es den Zusehern Spaß. Ganz einfaches, uraltes und klassisches Humorprinzip. Unzählige Sitcoms bauen darauf auf. John Cleese ist unerreicht in dieser Kunst.

Moderieren mit Livepublikum bedeutet ein enormes Feuerwerk an den Schnittstellen zwischen den Synapsen, ein permanentes Nachdenken über das, was man als nächstes von sich gibt. Man muss hellwach sein, für die Dauer der Sendung auf positive Weise unter Starkstrom stehen. Mir wurde oft etwas gesagt, was ich weder überraschend noch irgendwie sonderbar finde. Vor der Kamera sei ich ein anderer Mensch. Ich weiß, wie es gemeint ist, und merke nebenbei etwas spitz bemerkt auch, dass mich seit einer Woche Menschen ansprechen, die mich ein Jahr lang nur unter massivster Motivation meinerseits überhaupt bis kaum gegrüßt haben. Vor der Kamera bin ich rein äußerlich in der Tat das Gegenteil dessen, was ich sonst so an den Tag lege, aber dennoch ist es natürlich ein Teil von mir, den ich gerne auslebe, aber zwei Jahre lang auszuleben nicht vermisst habe, als ich eher hinter der Kamera tätig war. Mit müdem Lächeln blicke ich gerne auf die, die unangenehm militant vor die Kamera drängen, um da dann festzustellen, dass es doch einer gewissen Abgeklärtheit bedarf, um dort auch zu bestehen – auf welchem Niveau auch immer. Es gibt Wichtigeres, als sich vor der Kamera zu produzieren, was ich freilich unverblümt und massiv tue. Ich tue es auch ja auch hier und auf anderen sozialen Kanälen, die niemand zu verfolgen gezwungen ist.

Kleine Anekdote: Vor einer Woche sollte und durfte ich meinen Instagramaccount in der Sendung vorstellen. Vielleicht traut man es mir nicht zu, aber es war mein unangenehmster Moment in fünf Jahren des Moderierens. Ich habe es danach auch bereut. Das war defintiv ein Moment, in dem ich eben nicht ich selbst war, sondern jemanden spielte. Man kann sich selbst beweihräuchern, aber nicht auf ernstgemeinte Weise. Mein Glück in der Sendung war, dass meine Instagram-App abstürzte.

Selbstdarsteller muss man nicht mögen, man kann sie verachten, sich über sie lustigmachen oder einfach, das empfehle ich, ignorieren, da sie eines ganz sicher nicht sind: relevant. Ich halte meine Person auch nicht für relevant. Aber ich bin nun einmal da und mache das, was ich gerne tue. Vor einigen Jahren habe ich dabei noch darauf geachtet, wie andere in meinem Umfeld dazu stehen; ich darf sagen, dass es nicht gut ankommt. Doch inzwischen ist es mir auf eine sehr erfrischende und erleichternde Weise egal. Und zwar ehrlich egal. Denn ich stehe hier und kann nicht anders. Warum also sollte ich es dann anders versuchen? Die Lebenszeit vergeht zu schnell, als dass man sich darüber Gedanken, Sorgen gar, machen sollte. Es ist ja auch alles nicht wirklich wichtig!

Als derzeit bestes Beispiel aus meinem Tun dienen meine sportlichen Aktivitäten, die ich derart raushängen lasse, dass ausgerechnet ich, der Turnbeutelvergesser von einst, den Ruf eines sportlich Aktiven habe. Das hätte man mir vor fünf Jahren nicht weismachen können, wie auch die Tatsache nicht, dass ich nackten Oberkörpers Fotos von mir mit Hantel im Gesicht poste. Mein Kollege und Freund Christopher sagte jüngst zu mir:

„Seppo, ich like gerne alles von dir, aber nicht diese Fotos!“

Wir schmunzelten herzhaft, denn er hat ja recht. Mir ist völlig klar, dass manche in meinem sagenumwobenen Umfeld sich darüber das Maul zer- oder verreißen. In dem Moment, wo ich solche Bilder hochlade, sehe ich die Reaktionen vor meinem geistigen Auge. Ich sehe ja auch die Blicke anderer  und würde es übrigens selbst genau so tun. Aber – und das ist genau der Punkt -: Es ist mir völlig gleichgültig. Ich habe mich komplett davon gelöst, was mich in eine sehr komfortable Situation verfrachtet hat. Ich tue, was ich will, da ich es für einen Fehler halte, sich selbst in seinem Streben zu bremsen, nur um es anderen rechtzumachen. Freilich gilt dabei immer der Kategorische Imperativ, ich denke ja nicht, nach mir die Sintflut. Ich nenne es keine Egalhaltung, ich nenne es Gelassenheit. Eine Gelassenheit, die ich nur empfehlen kann. Denn es ist auch gar nicht wichtig, ob ich irgendwo bei Instagram einen auf Poser mache oder nicht. Das ist nicht weltbewegend. Weltbewegend sind andere Dinge. Ein Trump. Ein wider die Vernunft zerbröselndes Europa. Ein Innenminister, der nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Ist es nicht angenehm in diesen Zeiten, wie Angela Merkel ohne jede Hysterie sich der Hysterie stellt?! Aber genau das lastet man ihr ja paradoxerweise an. Weil’s geil ist, zusammen mit den Wutbürgern rumzubrüllen, um so eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu in Gang zu setzen. Leute, hat jemals in der Geschichte Rechts funktioniert?! Ist Polen unser Vorbild, wo derzeit die Justiz ausgehebelt wird?! Man kann sich nur an den Kopf fassen ob der Unvernunft, mit der immer mehr Menschen sehenden Auges, obwohl doch so blind, alle ins Unglück stürzen. Angesichts dessen sind doch so viele andere Dinge wirklich irrelevant. Und deshalb lesen Sie gerade auch den Irrelevanzlieferanten.

Wir setzen falsche Prioritäten.

Die Synapsen, sie feuern also wieder bei mir, wie ich hoffe. Ich bin gespannt, ob dadurch eine lange brachliegende Kreativität reaktiviert wird. Denn die brauche ich, da ich auf handwerkliches Geschick und damit auf körperliche Arbeit nicht setzen kann …


Kleines Update zu meinem firmeninternen WM-Tippspiel: Ich bin auf Platz 37 aberutscht, während Knochen sich in den Weg in die Top Zehn bahnt und auch Christopher Plätze gutmacht.