Heute ist „Internationaler Tag des Kusses“. Ich weiß das, weil ich gestern einigermaßen verzweifelnd nach einem Thema für die Sendung Haus2 gesucht hatte, die ich zusammen mit drei anderen Menschen moderiere

(was künftig unvermeidlicherweise öfter Thema hier sein wird, da es gerade nun einmal Thema in meinem Leben ist)

und da bietet es sich immer an, nach eben solchen „Tagen“ zu suchen, um die dann als Aufhänger für irgendwas zu nehmen. Im Grunde ist jeder Tag ein Tag des Irgendwas, so gibt es beispielsweise auch einen Welttoilettentag. Im Zuge des heutigen Tag-Tages küsste ich gestern – allerdings nicht zum ersten Mal in meiner beispiellos kometenhaften Karriere – einen Kollegen. Alles für die Quote eben. Ich habe in gewisser Hinsicht meinen Körper verkauft und notabene diese beeindruckende Liebesbekundung, die ein Kuss ja sein kann, verhöhnt. Dabei halte ich große Stücke auf einige Ausprägungen dessen, wobei ich gar nicht groß auf die Standardvariante eingehen will, mit der ich regelmäßig meine Mitbewohnerin beglücke, auf deren Landkarte nur noch wenige von mir bislang unbeglückte Körperregionen verzeichnet sind. Als Küssender ist man manchmal eine Art Kolonialist, der seine Eroberungen ungern wieder zurückgibt.

Ich selbst bin ungern Opfer solcher Landnahme, wenn  Kolonialherren mit gespitzten Lippen auf mich zukommen, weil sie glauben, ich freute mich über einen wenn auch möglicherweise distanzierten Wangenkuss als Teil eines Begrüßungsrituals, das ich ablehne. Das Reichen der Hand genügt mir völlig, ein nur flüchtig bekanntes Gesicht, wenn auch weiblicher Ausprägung, möchte ich ungern an meinem kleben haben. Diese Form des Wangenkusses empfinde ich als einen Vergewaltigungskuss.

Zumal er auch physisch schmerzhafte Ausmaße nehmen kann, dann nämlich wenn beide Beteiligten, also Täter und Opfer, nicht wissen, welche Wange als erstes rangenommen wird. Entscheidet sich der eine für die linke Seite, der andere aber für seine rechte, kommt es zum Zusammenprall der Gesicher und im schlimmsten Falle treffen die bereits gepitzten Lippen so unbeabsichtigt aufeinander, sodass es zum völlig unangemessenen Mund-auf-Mund-Kuss kommt.

Zwei Drittel der Menschen drehten beim Küssen ihren Kopf nach rechts, lese ich im Zuge meiner „Tag des Kusses“-Recherche, ein knappes Drittel demnach nach links, da ein kleine Widerstandsgruppe, zu der freilich ich gehöre, sich nach unten wegduckt und geschickt einen Herzanfall vortäuscht, um der unangenehmen Situation zu entfliehen – gemäß dem „Doug-Heffernan-Prinzip“.

Gestern jedoch war ich deutlich offensiver, weil ich vor der Kamera einigermaßen schmerzfrei bin, wobei mir ein anderer Aspekt der folgenden Szene Schmerzen bereitet:

Fällt Ihnen etwas auf? Klar, das ist alles anderer als ein leidenschaftlicher Kuss; auch ich hatte mir deutlich mehr erwartet, zumal ich ahnte, dass Moderationskollege „Grumm3l“ im Zweifel noch schmerzfreier ist als ich, da er selbst von sich sagt, sein Schamgefühl sei nicht unbedingt das ausgeprägteste. Aber es ist etwas anderes, was womöglich mehr über mich aussagt, als ich in dieser Situation zu offenbaren bereit war. Mir geht es auch mitnichten um mein völlig unangemessen weibliches Kichern danach, das leicht hysterisch wirkt und mir nicht selten bescheinigt wird. Auch das „sehr geil“, das ich von mir gebe, ist déplacé, weil es eigentlich meinem Sprachgebrauch nicht enstpricht. Wir sehen uns die Szene noch einmal an. Achten Sie bitte nun ausschließlich auf mich (rechts im Bild).

Ist es Ihnen nun aufgefallen? Nicht jedem, fürchte ich. Versuchen wir es also ein drittes Mal und richten wir nun unser Hauptaugenmerk wie auch die Nebenaugenmerke auf meinen rechten Arm (erst Bildmitte und dann …).

Ich greife dem Kollegen offensiv hinter seinen Kopf und ziehe ihn an mich heran und kann im Nachhinein und im Zuge der Männer-knallen-ungefragt-Jede-Debatte froh sein, dass ich Sekunden vorher sichtbar für den Zuschauer unserer Sendung sein Einverständnis eingeholt habe, denn es ist ja wohl klar, sein Körper gehört ihm. Aber was sagt es aus über mich, dass ich den oder die zu Küssende offenbar an mich heranziehe? Mache ich das eigentlich auch bei meiner Mitbewohnerin, die ich ja aus ganz wahrhaftigen Motiven heraus küsse? Handelt es sich hier um ein triebgesteuertes Dominanzverhalten? Oder hat mein Unterbewusstsein für einen Moment vergessen, dass sich lediglich ein „Show“-Kuss anbahnte, sodass es nur versehentlich meine natürliche Verhaltensweise hat raushängen lassen? Vor der Kamera verhalte ich mich stets äußerst kontrolliert und vor allem kalkuliert. Nichts wird dem Zufall überlassen, ganz genau weiß ich, was ich sage und welche Wirkung es hat. Bin ich mir hier erstmals entglitten?!

Vielleicht wollte ich durch diese Körpersprache ausgleichen, dass Grumm3l höher als ich saß. Vor der Kamera durchaus ein Alphatier, abseits dieser eher nicht, wollte mein Unterbewusstsein diesen Umstand womöglich so nicht stehenlassen. Diese Deutung gefällt mir, mit der kann ich leben. „Spektrum der Wissenschaft“ hilft weiter, wenn es schreibt:

Als dominante, meist unbewußt eingesetzte Verhaltensweise der Menschen gelten z.B., den untergeordneten oder niederrangigen Partner häufiger zu berühren […] mehr Raum zu beanspruchen (breite Armstellung und Beinstellung) […]

Ganz klar, ich legte Dominanzverhalten an den Tag, was ich aber keinesfalls negativ werten will, auch wenn sich die gesellschaftliche Rolle des Mannes gerade dezent wider seine Natur entwickelt, was bitte nicht so verstanden werden soll, dass er sich gegenüber Frauen daneben benehmen darf. Man muss das dazusagen. Wegen der Hysterie derjenigen, die alle Geschlechter gleichmachen und die doch eigentlich so reizvollen Unterschiede neutralisieren wollen.

Drei Jahre ist es her, da war hier schon einmal die von mir oftmals ausgeführte Variante des Stirnkusses Thema, die ich gerne pflege gegenüber Frauen, seltener (aber durchaus auch Männern), bei denen ein Zungenkuss unangemessen und ein bloßes Handschütteln geradezu albern wenig wäre, da ein Handschlag echte Zuneigung freilich nicht auszudrücken vermag. Blicke ich nun auf diese drei Jahre zurück, so fällt mir nur eine Person ein, die ich seither mit einem Stirnkuss beglückte, der jedoch die Stirn verfehlte, da sie saß und ich eher stand, sodass ich praktisch ihre Schädelplatte traf. Gestern Nacht dachte ich bereits über diese Thematik nach und fragte mich, ob ein Stirnkuss nicht auch etwas sehr Dominantes hat, da er ja im Grunde von oben gereicht wird.

Jetzt, nach einer zugbedingten Schreibpause innerhalb dieses Textes, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es eben keine Dominanz ist, sondern eher ein sehr respektvoller Ausdruck von Zuneigung in einer Mischung aus Distanz und doch Nähe. Der Stirnkuss ist möglicherweise das Maximum an Intimität, das man einer in meinem Falle platonischen Freundin gegenüber demonstrieren kann, da ein Fremd-Zungenkuss womöglich meiner Mitbewohnerin übel aufstoßen würde.

Das erinnert mich an eine Szene, die Jahre zurückliegt. Zusammen mit meinen damaligen Arbeitskollegen war ich in der Düsseldorfer Alstadt unterwegs. Mehr um Alkoholkonsum als um Sehenswürdigkeiten ging es uns dabei, und möchte doch betonen, dass ich trotz dieses Konsumes noch bei klarem Verstand war, als mir völlig unerwartet ausgerechnet eine Praktikantin (volljährig!) ihre Zunge in den Hals schob. Ich weiß, gerne werden solche Vorfälle den Männern angelastet, doch war für mich in dieser Situation und auch in cainer anderen mit dem Eindringen der Zunge zu rechnen. Wie ich im obigen Video zog sie untvermittelt meinen Kopf an den ihren und schon ward es geschehen. Ich will jetzt nicht behaupten, dass es nicht ganz nett war, aber es war angesichts der Tatsache, dass auch meine Mitbewohnerin zugegen war, mindestens etwas gewagt. In diesem Falle also war jene Praktikantin, die mir durchaus sympathisch war, die dominante. Die sich auf diese Weise um einen Stirnkuss gebracht hat, der, obwohl weniger feucht, doch so viel mehr ausdrücken kann.