Wie lange habe ich darauf warten müssen, diesen Artikel zu schreiben?! Es nimmt an sich Wunder, dass ich ihn nicht mit der Andeutung einer Erektion schreibe, derart gefühlchaotiert mich diese feierliche Thematik. Endlich kann ich rauslassen, was mich seit rund zwei Wochen auf ungeahnte Weise beflügelt, was meine Mitbewohnerin und mich seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Ich habe es für mich auch noch gar nicht vollumfänglich begriffen, was da am ersten Oktober dieses Jahres wahr wird.

Vor einer halben Stunde etwa bekam ich das go meiner Mitbewohnerin, ab elf Uhr 30 dürfe ich es in die Welt hinausschreien. Das tue ich hiermit:

Sie und ich ziehen dahin, wo wir hingehören, in die Stadt, die vollkommen zurecht einst zur „lebenswertesten Stadt aller Welten“ gekürt wurde.

Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich nicht habe treiben lassen, dass ich (freilich zusammen mit meiner Mitbewohnerin) etwas offensiv gegen alle Widerstände in die Hand genommen habe. Denn es ist nun eineinhalb Jahre her, als ich eines Morgens erwachte und den abwegigen Gedanken hatte

Und wenn man einfach wieder nach Münster zieht?

Es war nur ein Hirngespinst, ein seltsamer, unrealistischer Traum. Eine Utopie. Damals war eher die Stadt Berlin als neuer Wohnort eine Option als ausgerechnet Münster, die Stadt, in der ich geboren wurde und bis 2008 auch lebte. Dort traf ich 2005 auf meine Mitbewohnerin, als wir mit unseren Fahrrädern ineinanderkrachten, die selbst übrigens aus dem tiefsten Ostwestfalen stammt und zwecks Studium nach Münster gekommen war. Auch wenn ich das kaum für möglich halte, liebt sie Münster ähnlich innig wie ich. Aber das ist eben das, was Münster mit einem macht.

In den vergangenen Wochen habe ich mich an dieser Stelle in Andeutungen ergangen, die an sich offensichtlicher gar nicht sein konnten, dennoch musste ich noch auf die einen oder anderen offiziellen Fristen Rücksicht nehmen. Jetzt endlich kann ich den Artikel schreiben, auf den ich mich seit Monaten schon gefreut habe, den ich schon sooft in meinem Geiste formuliert habe. Ich habe immer gewusst, es kommt der Tag, da schreibst du diesen einen Artikel!

Während eines Laufes durch den Düsseldorfer Stadtwald hat Seppo mir im vergangenen Sommer vorgeschlagen, dass wir zurück nach Münster ziehen. Er hatte erwartet, dass ich die Idee abwegig finde, doch lief ich beflügelt durch seine Idee für den Rest des Laufes mit einem um eine Minute höheren Tempo. Er sagte mir mal, es habe Momente gegeben, wo er diesen Vorschlag bereut habe! Aber irgendwie gab es nun kein Zurück vom Zurück mehr. (Diese Formulierung hat Seppo mir in den Mund gelegt.)

Ich gebe zu, dass ein Umzug in eine andere Stadt etwas Alltägliches ist, doch neige ich zum einen zum Pathos und zum anderen ist Münster für mich mehr als einfach nur Heimat. Münster bin ich, ich bin Münster. Wäre mein Hirn, mein Geist, eine Stadt, seine Tomographie würde die Topographie Münsters zeigen. Münster ist so viel mehr, dass es mir schwerfällt, meine Gedanken zu sortieren und ich nicht weiß, was ich als erstes schreiben soll. Vielleicht den ersten Gedanken, der mir in den Sinn kommt, denke ich an die Rückkehr nach Münster:

Zieh dir das rein, Mitbewohnerin, ich werde wieder meine alten Strecken in Münster laufen! Am Kanal entlang, dem nicht einmal der Rhein das Wasser reichen kann, entlang dem Ring, ach, was sag ich, entlang der über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Promenade! Ich werde wieder zur Schleuse laufen! Nach Hiltrup, zu meinen Eltern! Schlosspark! Aasee! Ich kann wieder um den Aasee und um den nahen Zoo laufen! Da wo ich meine ersten Läufe in Münster absolviert habe! Sentruper Höhe! Mecklenbeck! Gievenbeck! Mein Gott, ich komme gleich!

Es sind diese Gedanken, die in mir das auslösen, was man so albern Schmetterlinge im Bauch nennt, die sonst zu wecken nur meine Mitbewoherin vermag. In nur acht Wochen wird wieder das normal sein, was es zehn Jahre lang nicht war.

Es gab zwei Schlüsselmomente, die uns auf diese Idee gebracht hatten. Vor ziemlich genau einem Jahr gastierten wir in Münster zwecks Besichtigung der Skulpturen-Ausstellung, die auch manchem Nicht-Münsteraner bekannt sein wird. Wie es so unsere Art ist, haben wir uns die überall in der Stadt aufgestellten Skulpturen joggend angesehen; es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich wieder durch Münster joggte.

Seppo blieb alle 50 Meter stehen und sagte sowas wie „Ach, hier bin ich früher auch immer hergelaufen! Guter, alter Kiepenkerl …“ Es gipfelte darin, dass wir in Laufmontur in einen seiner alten Hörsäle gegangen waren, in denen gerade eine Vorlesung stattfand, gegenüber vom Schloss, der H1 dürfte das gewesen sein. Er ging richtig auf in seiner Nostalgie. In einem „Edeka“ am Aegidiimarkt sagte er: „Hier hab ich mal eine Nachdurst-Fanta gekauft!“ Er ist ein bisschen seltsam in diesen Dingen. Aber seine Augen leuchten dann. Strenggenommen sieht es auch etwas gestört aus. Ich meine, wegen einer Fanta?!

Ich nehme das als Kompliment. Irgendwie. Wie dem auch sei, nach dem Lauf setzten wir uns in ein Café in der Stubengasse. Auf genau diesen Tag bezog ich mich hier. Das war der Moment, wo ich realisierte, dass es für mich einen massiven Unterschied macht, ob ich in einem Düsseldorfer Café oder einem Münsteraner sitze.

Stell dir vor, wir könnten hier jedes Wochenende sitzen! Aber das ist kaum zu realisieren. Vielleicht sitzen wir bald eher in Berlin.

Sagte ich zu ihr, denn ich arbeite dienstags bis freitags in Berlin. Münster blieb also ein Traum, den wir zu realisieren gar nicht in Angriff nahmen.

Obiges Beitragsfoto zeigt mich (Überraschung!) in Münster. Es war Weihnachten und wieder träumten wir davon, dauerhaft in Münster zu bleiben. Und nicht erst zurückzuziehen, wenn wir das Rentenalter erreicht haben. Es war der Caitpunkt, als wir beschlossen, das durchzuziehen, was unweigerlich mit einem Jobwechsel verbunden sein würde – allerdings nur seitens meiner Mitbewohnerin. Dass dieser gelungen ist, wissen wir seit rund zwei Wochen. Mich ereilte die gar nicht mehr so wahrscheinliche Nachricht an einem Mittwoch, als ich rummoderierte.

Sie nehmen mich!

Ruhe bewahren. Nicht sofort jedem erzählen. Mund halten. Sofort erzählte ich es jedem. Ich moderierte gerade unsere Sendung Haus2 und konnte kaum an mich halten. Denn nun war es offiziell, nun sollten die üblichen Schritte folgen. Kaum hatten wir das Notwendige schriftlich, kündigten wir unsere Wohnung, wobei uns unser Vermieter sogar früher gehen lässt, als die Fristen vorsehen. In acht Wochen ist Düsseldorf das, was Münster zehn Jahre lang war: Vergangenheit.

Historiker werden herausfinden müssen, wie es mich überhaupt nach Düsseldorf verschlug. Es war natürlich mein erster Job nach dem Studium, die Aussicht auf Reichtum und Weltruhm. Aber ich landete beim weltgrößten Regionalsender aller Zeiten, NRW.TV, der finanziell ähnlich gut aufgestellt war wie ich nach meinem Studium. Wir passten also zueinander, nur bei der Außendarstellung sollte ich das Mediumimperium schnell überholen, was aber caine große Cunst war …

Ich bereue Düsseldorf nicht. Ich bereue grundsätzlich nichts Vergangenes, da dies mich zu dem gemacht hat, was ich derzeit bin. Und außerdem ist man nachher immer schlauer. Dennoch bleibt mir schleierhaft, mit welcher Verve ich Münster verließ. Es passte irgendwie nicht zu mir, so wenig die Düsseldorfer Mentalität zu mir passt.

Damals in Düsseldorf angekommen (vermutlich kam ich tatsächlich aber nie an), abonnierte ich die Lokalzeitung „Rheinische Post“. Ich war überwältigt von dem Lokalpatriotismus, der mir entgegenschlug. Die Düsseldorfer – das ist ihr gutes Recht – finden ihre Stadt erst einmal sehr toll und wagen daher auch den Vergleich mit der wirklichen Großstadt Köln. Mehr noch, Düsseldorf sieht sich, hier darf man schlucken, in der Liga internationaler Großstädte. Das lernte ich, während ich durch Stadtteile wie Rath oder Garath joggte und mich im Osteuropa des Kommunismus wiederfand. Unvergessen mein erster Lauf durch Rath. Mir entglitten die von Münster verwöhnten Gesichtszüge, als ich die Ruinenstadt durchstreifte und mir die Endzeitstimmung ungebremst ins Gesicht schlug. Offenbar war ich verwöhnt, was Stadtästhetik anging.

Natürlich gibt es schöne Ecken in Düsseldorf. Überall da, wo die Stadt sich präsentieren will, wird investiert und gebaut, sieht alles supi aus. Ich bin absoluter Fan der Großbauprojekte, die immer noch laufen. Ich schätze den Kö-Bogen und begrüße auch dessen derzeitige Erweiterung am Schauspielhaus. Ich bin Freund der neuen U-Bahn-Linie, die Maßstäbe setzt. Aber ich bedaure, dass die Bezirke, in denen der Mensch wohnt, teilweise aussehen, als hätte man sich Detroit zum Vorbild genommen. Als ich das Nach-Wende-Prag sah, war ich weniger schockiert als von Düsseldorf 2008. Mir ist klar, wie ein beispielsweise Duisburger das sehen muss. Und mir ist meine triefende Arroganz klar.

Damit mache ich mir keine Freunde, aber diese provokante Überheblichkeit, die leiste ich mir jetzt einfach mal. Es soll ja sogar Irrgeleitete geben, die Münster nicht mögen … Aber ein Beispiel muss ich nennen, tue es nicht zum ersten Mal: Wer zur Hölle glaubt eigentlich, dass die Düsseldorfer Kö, die Königsallee, eine „Prachtmeile“ wäre?! Menschenunfreundlicher kann man eine „Einkaufsstraße“ kaum gestalten. Wer einmal in seinem Leben den menschenoffenen und von Autos befreiten Prinzipalmarkt in Münster gesehen hat, der wird die Kö zur no-go-area erklären, die nur noch von ihrem Mythos aus den 50er-Jahren zehrt. Will man die sprichwörtliche Düsseldorfer society treffen, muss man zur Kö. Und zwar mit seinem popeligen Toyota Yaris.

Seit, ich glaube, sechs Jahren fahre ich meinen Yaris und habe mich bis heute geweigert, ihm auf dem Nummernschild ein „D“ zu verpassen. Heute betrachte ich es als Omen, dass ich stolz mein „MS“ auf dessen Brust durch die Gegend kutschierte. Es war mein statement.

Münster gilt als spießig. Mal davon abgesehen, dass Spießigkeit ein sehr missverstandender und oft falsch verwendeter Begriff ist, finde ich Düsseldorf um Längen spießiger als die Münsteraner Mentalität. Münster ist für mich neben einer Bürgerlichcait die Bescheidenheit in Region und offener für die Dinge des Lebens, als es Düsseldorf ist. Und ich tue mich schwer, abzustreiten, dass ich spießig bin. Wenn eine gewisse Bodenständigkeit, eine mir durchaus eigene Bescheidenheit und innere Ordnung spießig sind, dann bin ich gerne spießig. Wer krampfhaft nicht spießig sein will, der ist es vermutlich erst Recht. Er ist wie der Punker, der sich mit seinem style von der gleichgeschalteten Masse abheben will: Er trägt ohne es zu merken lediglich eine andere Uniform und ist eben nicht individuell. Nichts gegen Punk, denn ich bin ja Münsteraner und gestehe jedem alles zu und außerdem ist skapunk seltsamerweise die einzige Musikrichtung, die Eingang in meinen Gehörgang findet. Wer in Düsseldorf glücklich ist, nicht wenige sind das ja, soll das sein. Für mich spielt das caine Rolle, denn ich bin es dort nicht.

Düsseldorf hat mich aber auch nicht unglücklich gemacht. Ich mag die eine oder andere Ecke. Zum Laufen ist die Stadt, wohnt man mittendrin, ideal. Ich kann dort durch Menschenmengen in der Innenstadt joggen, kann aber am nächsten Tag durch totales Grün laufen. Das würde ich durchaus vermissen, würde das in Münster nicht gehen. Tut es aber.

Ich freue mich dort auf die Abwesenheit enervierend bimmelnder Straßenbahnen. Münster hat seine Straßenbahn 1954 abgeschafft. Vermutlich ist Münster zu klein für sowas. Aber wer in Düsseldorf mal Straßenbahn gefahren ist, wird festgestellt haben, dass man zu Fuß schneller ist, selbst wenn man rückwärts ginge. Erst jetzt bekommen nach und nach mehr Streckenabschnitte ihre eigene Fahrspur. An der Lichtstraße beispielsweise, unweit von ihr habe ich die ersten vier Jahre in Düsseldorf gelebt. Jedes Wochenende bin ich nun dort, weil es da einen calisthenics-Park gibt, den ich nur dann vermissen werde, sollte es in Münster keinen solchen geben (Allerdings ist für unsere neue Wohnung dort ein Zimmer vorgesehen, in dem alles an Stangen, Hantelbänken und Boxsäcken steht, was unsere Herzen begehren.) Dort ist auch die Arbeitsagentur ansässig, an die ich tolle Erinnerungen habe. Gleich vor deren Tür ist die Haltestelle „Schlüterstraße/Arbeitsagentur“, wo alle zwei Wochen eilige Menschen auf dem Weg in die gerade abfahrende Bahn von dieser erfasst werden. Meist von der 709, mit der ich hoffentlich nie wieder werde fahren müssen.

Das sind jetzt schon so Erinnerungen, die mir demnächst kommen werden. Mit dem Auto ist Düsseldorf von Münster aus innerhalb von 75 Minuten zu erreichen. Gelegentlich werden wir noch dort sein, da meine Mitbewohnerin an ihrer Kampfkunstschule Kurse für Frauen gibt, die Männern gegebenfalls zwischen die Beine treten. Ich werde dann vielleicht durch die Stadt joggen und dabei meine rechte Hand heben, wobei ich alle Finger vom mittleren abgesehen zum Handballen hinziehe.

Kürzlich ein Zwei-Personen-selfie von meiner Mitbewohnerin und mir geschossen. Ich sagte danach zu ihr, dass sie auf dem Foto sehr schön aussähe. Sie sagte darauf:

So sieht man aus, wenn man mit dir nach Münster ziehen kann.



Etwas in eigener Sache, wobei hier alles in eigener Sache ist: Tatsächlich wollte ich diesen Blog einstellen, hatte aber immer vor, den Umzug nach Münster hier breitzutreten. Doch habe ich zwischenzeitlich nicht mehr damit gerechnet, dass das noch in diesem Jahr passieren würde. Es kam dann schneller als erwartet. Und dann waren da Eure Kommentare zum Ende des seppologs. Natürlich hatte ich ein wenig mit ihnen gerechnet, aber in der Masse, auch per E-Mail, haben sie mich dann doch überrascht und vor allem berührt. Da waren ausgesprochen nette Dinge dabei, für die ich mich hier endlich einmal bedanke. Nicht alle Menschen im Internet sind epochale Idioten, AfD-Wähler oder andere Verschwörungstheoretiker. Hier geht es immer sehr freundlich zu, sehe ich einmal von der Dame ab, die mir seit fast drei Jahren verschiedene Formen des Missbrauchs unterstellt, was zeitweise eine ziemliche Belastung für mich war. Ich weiß nicht einmal, wer sie ist.

Und dann kam mir ein weiterer Gedanke: Warum ausgerechnet das Einzige beenden, das ich kann?!

Doch Abschiede wird es geben. Die guten alten Fahrgescheits, unsere Nachbarn, die keine ausgedachten Figuren sind, sie werde ich vermissen. Rudine hingegen nicht, sie werde ich getreu meiner Gewohnheiten irgendwann hier umbringen, obwohl sie bereits angedeutet hat, ebenfalls nach Münster zu ziehen. Aber was mache ich mit dem guten Merugin? Er wird mir abgehen. Schornack! Der Kioskmann! Melina! Ordophob Ohßem! Hercules und Sägemann! Herr Kitzler! Eine ganze Welt bricht da in sich zusammen! Gut, dass ich in zehn Jahren Düsseldorf kaum reale Freunde gefunden habe. Und die wenigen, die da sind, die mit dem Grill, die lassen sich ja einfach besuchen! In Münster, hahahaaha, da muss ich gerade lachen, freue ich mich besonders auf das Pärchen, das partout nicht wahrhaben will, dass ich kein Nazi und/oder Antisemit bin! Alte Geschichte, muss ich hier mal breittreten, wenn ich das nicht eh schon mal habe.

Und jetzt genieße ich den für mich historischen Moment und klicke auf „Veröffentlichen“. Der Moment, den ich ersehnt habe.