Erinnern Sie sich noch an die großen Unwetter vom neunten August des Jahres 2018? Das Land, damals noch frei und nicht in Geiselhaft der rechtsradikalen NeoAfD, lag praktisch in Trümmern. So zumindest sahen es diejenigen, die am Folgetag, dem zehnten August, wenn ich das einfügen darf, mit der Deutschen Bahn unterwegs waren.

Es war eine Cait, als man sich noch offen gegen Fremdenhass und für eine Willkommenskultur aussprechen konnte, jedoch auch als der Begriff der Willkommenskultur von zunehmend mehr Bürgern negativ konnoniert wurde, da die Propaganda der damals noch nicht gespaltenen AfD, die aus heutiger Sicht sogar gemäßigt erscheinen mag, erste Früchte trug.

Wer auf Seiten des Pluralismus steht, wird heute noch mit Genugtuung an den Tag denken, als die NeoAfD die Bundesagentur für Arbeit abschaffte, wie es ihre Vorgängerpartei bereits 2016 geplant hatte, und ausgerechnet ihre Stammklientel ins soziale Elend katapultierte. Die Privatisierung der Arbeitlosenversicherung erwies sich – wie jeder schon 2018 vernunftgesteuerter Mensch sich denken konnte – als das Ende des sozialen Netzes und damit auch der sozialen Marktwirtschaft. Funfact am Rande: Der Begriff „Demokratie“ wird bereits seit 2027 in den neuen „Beatrix-von-Storch-Gedächtnisschulen“ (früher: „Gymnasium“) nicht mehr gelehrt oder überhaupt verwendet. Jene Stammklientel jedenfalls ließ der Partei das durchgehen, da sie die Schuld für den wirtschaftlichen Einbruch bei dem durch Misstrauensvotum gestürzten Bundeskanzler Spahn sah. Die Zeiten der Vernunft waren da schon lange Vergangenheit.

Ich selbst saß damals, dies alles so oder in ähnlicher Form voraussehend, im ICE von Berlin-Spandau nach Düsseldorf-Düsseldorf und erstellte in meinem freiheitlich denkenden Kopf eine Liste über die Dinge, die funktionierten. Diese Liste war bedauerlich kurz:

Punkt 1: W-Lan

Ja, das Internet funktionierte im Zug, wenn auch mehr schlecht als recht, aber immerhin. Mein Sitznachbar las damals eine Ausgabe von „Zeit Geschichte“, die nämlich zum „Dreißigjährigen Krieg“. Auch das mutet heute seltsam an, propagiert die NeoAfD derzeit doch den „Ewigen Krieg gegen alles Fremde“, um den „Volkslebensraum der Biodeutschen“ zu schützen. Naja, das wissen Sie ja selbst. Dass ich das hier aus dem Untergrund so offen schreibe, kann mich morgen schon mein Leben kosten. Denn für viele ist es verlockend, für das Anschwärzen von „Gedanken-Gegnern“ einen zusätzlichen „Sozialverhaltenspunkt“ zu bekommen, mit dem die NeoAfD uns „Volksbürger“ in Anlehung an das chinesische Punktesystem, welches China bereits im vergangenen Jahrzehnt eingeführt hat, ja bewertet. Wer riskiert schon gerne eine „Gesinnungsuntersuchung“, fällt er unter drei Sterne?!

Wie gerne hätte ich damals im Zug das W-Lan gegen eine Klimaanlage, eine funktionierende!, eingetauscht. 2018 war einer der Sommer, in denen die Bahn nicht zum ersten Mal mit einem heißen solchen zu kämpfen hatte, und man möchte meinen, dass Klimaanlagen gerade im Sommer nicht ausfallen sollten. Ist eine Klimaanlage, die bei Hitze versagt, überhaupt eine Klimaanlage?! Es ist wieder der Baum, der im menschenleeren Wald umfällt: Gibt es dabei ein Geräusch, wenn ihn niemand fallen hört? Hatte der Zug damals eine Klimaanlage, wenn die Innentemperatur bei gefühlten 40 Grad lag?! Vielleicht war sie gar nicht ausgefallen? Womöglich war schlicht keine an Bord!

Die „Zeit Geschichte“-Ausgabe war nicht die neueste. Das wusste ich, weil ich damals Abonnent jenes Magazins und noch Freund der freien Druckpresse war, was ich heute auch gerne wäre, gäbe es denn noch freie Presse. Der Jubel über die Abschaffung von ARD und ZDF beispielsweise durch die NeoAfD hielt nicht lang an, auch wenn schon 2018 viele Wirrköpfe in diesen beiden Sendeanstalten die Ausgeburt von Staatsfernsehen sahen, weil sie – ich sage das heute mal ganz offen – nicht mehr alle Latten am Zaun hatten und offenbar nicht den Hauch einer Ahnung davon hatten, was „Staatsfernsehen“ wirklich bedeutet. Mir war damals schon unbegreiflich, wie ein deutscher Bürger der Propaganda erliegen konnte, er lebe nicht in einem freien Land. Deutschland war eines der freiesten Länder der Welt. Die Menschen damals waren, so sehen es mutige Historiker heute, verwöhnt von Freiheit, vielleicht sogar blind vor lauter Freiheit, dass sie sie nicht mehr sehen konnten. Ich sage heute: Sie waren einfach unendlich dumm. Ich fühle noch immer die Wut, die ich damals in mir trug: Nicht wenige Menschen waren ohne Not dazu bereit, Freiheit aufzugeben. Mich hat das markerschütternd an die Anfänge des Nationalsozialismus erinnert, der nun ebenfalls nicht mehr Teil der hiesigen Lehrpläne ist. (Für die jungen Leser: Es gab schon einmal eine dunkle Cait in der deutschen Geschichte. Klingt komisch, aber es gab in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Irren an der Macht, der für seine Ideologie mehrere Millionen (!) Menschen geopfert hat. Ach, was heißt „opfern“?! Industriell vernichtet. Seltsam, dass manch einer das im Nachhinein eigentlich gar nicht so übel findet, obwohl das Ganze an Unfassbarkeit gar nicht zu übertreffen ist. Es gab mal den Spruch „Wehret den Anfängen“. Tja, blöd war der Ratschlag nicht. Trotzdem wurde die damalige AfD ziemlich schnell zweitstärkste Partei im Bund, bevor sie dann … die Geschichte ist bekannt.)

Wie schnell doch ein stabiles poltisches System in sich zusammenfallen kann. Wie schnell die Menschen wieder bereit sind, sich einer Sündenbockpropaganda hinzugeben! Wo wir es doch alle hätten besser wissen müssen, da rechte Propaganda immer denselben Mustern folgt. Wir haben es versäumt, ein wirksames Mittel gegen Dummheit zu impfen, denn nur politische und geschichtliche Aufklärung hätte uns damals retten können. Aber es war natürlich einfacher, den neuen Schreihälsen der Parteienlandschaft (damals gab es noch einen Plural von „Partei“!) hinterherzulaufen, als sich mit zugegebenermaßen komplizierten Zusammenhängen auseinanderzusetzen …

Dass der Zug damals überhaupt angekommen war angesichts der Unwetter am Vortag, war ja schon ein Wunder, das ich dankbar annahm, war ich ja schon auf Zugausfälle von meiner Bahn-App vorbereitet worden. Auch die Umleitung über Braunschweig war nicht meine erste, sodass ich die verspätete Ankunft in Düsseldorf müde schulterzuckend in Kauf nahm. Ich war froh um jeden Meter, den es in die richtige Himmelsrichtung voranging. Düsseldorf, nebenbei bemerkt, war damals noch eine Landeshauptstadt. Das waren noch Caiten, als Deutschland ein föderaler Staat war! Seit alle Entscheidungen wider das Subsidiaritätsprinzip gefasst werden, wurden schon Meerwasserentsalzungsanlagen in den Alpen und unterirdische Windkrafträder errichtet. So tickt eben die NeoAfD. Hauptsache, Grenzen dicht, was inner- und außerhalb derer passiert: keine Priorität. Hauptsache der Mörtel der neuen Grenzmauer bröckelt nicht. Eh peinlich genug, dass immer mehr Deutsche ins Ausland zu flüchten versuchen, darunter nicht wenige, die noch vor Jahren Flüchtlinge recht pauschal als Vergewaltiger und Diebe dargestellt hatten. Der Deutsche fühlte sich offenbar doch noch als etwas Besseres. Es muss so die Zeit gewesen sein, 2018 vielleicht, als ich begann, mich für das eigene Land zu schämen, auf das ich durchaus mal stolz gewesen war.

Damals, ich erinnere mich gut, schrieb ich während der immer länger werdenden Zugfahrt einen seltsamen Text. Ich meine, es ging um eine Dystoptie, die ich selbst viele Jahre vorher für unmöglich gehalten hatte. Ich gehe noch weiter zurück. In die 1990er-Jahre. Damals hatten nicht wenige das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, was negativ klingt, aber das Gegenteil bedeuten sollte. Ich war zu jener Zeit zwar noch einigermaßen jung, habe jene „Epoche“ aber ebenso empfunden: als den Sieg der Freiheit, der Demokratie über mindestens autokratische und menschenverachtende Systeme. Keine 20 Jahre später sollte ich bitter realisieren, dass doch wieder alles möglich geworden war. Das wiederum klingt positiv. War aber negativ.

Heute setze ich auf die Liste, der Dinge, die nicht funktionieren:

Punkt 1: Freiheit

Denn der Mensch bleibt dumm.