Ich schicke ein „toi, toi, toi“ vorab, wenn ich nun von mir sage, dass ich einer von denen bin, der so gut wie nie Dinge verliert. Seit mehr als 25 Jahren trage ich beispielsweise meinen Schlüsselbund stets an diesen Dings

Tja, wie heißen diese Laschen an unseren Hosen, durch die sich der Gürtel seinen Weg um unsere Hüften bahnt? Ich frage Kollegen Christopher, der mutmaßt: „Gürtellaschen?“ Also gut, Gürtellaschen.

an diesen Gürtellaschen. Dort sind Haus- und Wohnungstürschlüssel, der meines Autos, der des Briefkastens und der meines Elternhauses vereint. Ich habe ihn noch nie verloren. Toi, toi, toi. Leider bin ich schwer abergläubig, wessenthalben mir diese Caylen nicht leicht fallen, zumal ich mich immer öfter in Umkleidekabinen in Hosen wiederfinde, die über keine Gürtellaschen mehr verfügen, was sich zum Problem auswachsen könnte, hält dieser Trend an.

Mein Portemonnaie habe ich ebenfalls noch nie verloren, lediglich fiel es ein-, zweimal  beim Hochziehen der Hose ins Klo. Seit zehn oder mehr Jahren hängt es ohnehin an einer Kette, deren anderes Ende wo befestigt ist? Richtig, an einer Gürtellasche. Toi, toi, toi.

Des Weiteren trage ich einen Klappkamm bei mir, dessen Verlust nicht dramatisch wäre. Anders als der Verlust dessen, der mir am zurückliegenden Freitag unterlief. Aus eigener Dummheit.

Freitag, der zehnte August 2018. Es ist zwölf Uhr am Mittag. Hinter mir liegt eine ausgesprochen bekackte Zugfahrt, die länger als geplant gedauert hat, da der Verkehr zwischen Wolfsburg und Hannover umgeleitet wurde. Gefühlt verlief die Umleitung über Burkina Faso mit Zwischenhalt in Ouagadougou, was aber wohl eher Braunschweig war. Hintergrund war natürlich das „Unwetter“ vom Vortag. Nebenbei bemerkt: Jene Störung sollte noch mehr als eine Woche lang anhalten und mir auch den Folgefreitag verleiden …

Ich bin platt, gerädert und infolgedessen natürlich müde mit einem Hang zur Unmotiviertheit, zur Demotiviertheit, und zwar in Bezug auf Sport. Doch ich weiß natürlich, einmal angefangen mit sportlicher Aktion, findet man umgehend Gefallen daran. Und nichts kann einen Tag mehr retten als eben Sport. Und so mache ich mich unter einem gewissen terminlichen Druck auf in den Parkour-Park in Düsseldorf-Flingern, dem In-Viertel Düsseldorfs. Dort gibt es Läden, in denen man gebrauchte Baby-Kleidung kaufen und gleichzeitig einen smoothie trinken kann. Das ist genau die Lebenswelt, die ich abstoßend und verachtenswert finde. Darum wechseln entsprechende Ladenlokale im Quartalsryhthmus auch ihre Pächter, weil diese Gschäftsmodelle vieles sind, aber eines eben nicht: Geschäftsmodelle.

Wie dem auch sei, ich versetze mich in die Lage meiner Laufschuhe, also, ich ziehe sie an, und laufe los. Aber nur bis zum Auto, denn der Freitag ist mein lauffreier Tag.

Bis zum Sportpark sind es etwa sechs Kilometer und diese sechs später stelle ich fest, dass ich meine Ringe noch an den Fingern (in Flingern) trage. Rechts der Verlobungsring, links der „Ich bin ein cooler Typ“-Ring, der seit 2003 den Mittelfinger ziert. Beide Ringe haben keinen materiellen Wert, zumindest aber der meiner Mitbewohnerin einen sehr ideellen, wie man sich denken kann.

Beim Sport stören diese Ringe. Nein, umgekehrt: Der Sport stört die Ringe, sie drohen, einem Verkratzen anheimzufallen. Und weil ich die Sportanlage zunächst für mich ganz allein habe, sage ich für mich deutlich vernehmbar:

„Ach scheiße, jetzt habe ich die Ringe mitgenommen!“

Nehme sie kurzerhand ab und verstaue sie in meiner Hosentasche, die immerhin abschließbar ist. Mit so einem Reißverschluss. Denn: Ich bin ja Seppo, ich verliere nichts!

„Was soll innerhalb der Hosentasche schon verlustiggehen können?!“, verhöhne ich das Universum, das ich unterschätze, wie sich noch zeigen soll.

Während ich so an den Stangen hänge, kommt Jerome dazu. Jerome ist immer da, wenn ich da bin, was daran liegt, dass Jerome jeden Tag am Sportpark ist. Jerome und ich reden nicht viel. Jeder zieht sein Programm durch, wobei Jerome absoluter Meister der Kallisthenie ist, was ich neidfrei anerkenne und auch bewundere. Vielleicht komme ich mal da hin, wo er bereits ist.

Der letzte Klimmzug ist getan, ich sage:

„Ciao.“

Und Jerome sagt:

„Ciao.“

Dann gehe ich. Man sagt hier „Ciao“. Ich sage an sich immer eher „Tschö“, was aber nicht mit dem unerträglichen rheinischen „Tschö“ verwechselt werden darf, da ich kein Rheinland-Fan bin. In Münster sagt man schon seit Potho von Pothenstein „Tschö“. Potho von Pothenstein hört sich an wie ein von mir ausgedachter Name, war aber tatsächlich im 14. Jahrhundert Münsters Bischof. Der Leser kann das sehr schnell bei Wikipedia verifizieren. Pothenstein ordnete damals an, dass Messen stets mit einem „Thoe“ beendet werden, was wir heute als „Tschö“ kennen. Doch dieses Tschö ist hier im Sportpark nicht angemessen, hier muss es das fast schon zeitlose „Ciao“ sein. Wir sprechen hier vom codeswitching. Oftmals switche ich nicht den Code. Das ist der Grund dafür, dass viele mich etwas merkwürdig finden. Das wollte ich bei Jerome vermeiden und so switchte ich bei ihm schnell den Code.

Während ich über die vetrocknete Wiese zum geparkten Auto tapere, nestele ich in meinen Hosentaschen herum. Suche meine Ohrstöpsel, dann meinen „iPod“. Hole meine Sporthandschuhe aus, stecke sie in die linke Tasche, dann doch in die rechte. Und setze meinen Toyota Yaris ins Gewerk mit Ziel Heim.

Einigermaßen durchgeschwitzt, entledige ich mich dort meiner Klamotte, die direkt in die Waschmaschine soll, die albernerweise ein Waschprogramm für Sportkleidung für mich bereithält, das nur 15 Minuten dauert. Dabei fällt der 2003er-Ring auf den Boden.

„Achja, die Ringe! … Moment, nur einer?! Nein!“

Ich werfe mich auf den Boden und suche den Verlobungsring. Finde ihn nicht. Schweißausbruch. Greife in die Hosentasche. Nichts drin. Nicht einmal ein Loch.

„Beim Nesteln! Er muss mir beim Nesteln aus der Tasche gefallen sein! Ausgerechnet mir!“

In der Tat große Doofheit, sowas darf mir nicht passieren. Dass es passierte, ärgert mich mehr als der Verlust als solcher. Ich überlege hin und her. Will an sich nicht nochmal zurück zum Park fahren, aber was hilft’s?! Bis 16 Uhr habe ich noch Zeit, bevor ich Teilnehmer eines Telefon-, nein, Skype-, nein, Brief-, nein, Discord-meetings sein muss, und an sich musste ich noch Dinge vorbereiten.

„Der Ring ist wichtiger“, entscheide ich und informiere umgehend meine Mitbewohnerin über den Verlust dessen, während ich betont schlecht gelaunt mein Auto besteige. Quäle mich durch den nun einsetzenden Feierabend-Verkehr auf der Werdener Straße und hupe alles an, was in mein Blickfeld gerät.

Wie auch eine Polizeistreife. Und so lerne ich, dass es ein Bußgeld für „unangemessene Schallzeichen im Straßenverkehr“ gibt. Das zahle ich und setze die Fahrt aggressiver denn je fort.

Angekommen beim Sportpark treffe ich Jerome, der freundlich grüßt:

„Hi!“

„Hi. Ich habe meinen Ring verloren.“

„Oh. Ehering?“

„Nein. Vorehering.“

„Ich hab hier nichts gefunden.“

Ich suche die Anlage ab, was schnell geht, anders als das Absuchen der Wiese, die sich mir völlig vertrocknet hingibt. Einen silbernen Ring auf einer saftigen Wiese zu finden, kein Problem. Aber auf dieser hitzegeplagten?! Und wo zur Hölle war ich denn eben entlanggetapert?!

Ich gebe nach einer halben und aussichtslosen Stunde auf und setze bei Facebook ein Schreiben an meine Mitbewohnerin auf:

„Nichts zu machen, er ist weg.“

„Wer?“

„DER RING!!!!“

„Bald ist mein letzter Arbeitstag!“

„Ja, das mag ja sein, aber der Ring ist weg!!!!!!!“

„Wir ziehen nach Münster!“

„Das weiß ich, aber ohne den Ring!“

„Das ist ein Zeichen! Es braucht nun einen anderen Ring!“

Sie will romantisch werden, ich jedoch bin nach wie vor hochaggressiv und sauer auf mich selbst:

„Das ist kein Zeichen, das ist meine Dummheit!“

Ich steige wieder ins Auto und sehe beim Einsteigen den Ring unter dem Sitz liegen. Sofort schreibe ich meiner Mitbewohnerin:

„Wir müssen doch nicht heiraten!“

Und dieses wird keine Ring-Trilogie …