In wenigen Wochen ziehe ich zusammen mit meiner mir Zugetrauten nach Münster. Münster ist zum einen schön, zum anderen relativ nazifrei. Münster war der einzige Wahlkreis in diesem verlorenen Land, in dem die AfD an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Aber natürlich gibt es auch in Münster sicherlich Nazis. Denn die Deutschen sind – traurige Feststellung in diesen Tagen – ein dummes Volk. Klar, diejenigen, die noch bei Verstand sind, sind vermutlich in einer atemberaubenden Überzahl, doch ist es mir unbegreiflich, wie es nach all unseren Erfahrungen möglich ist, dass wieder Menschen mit erhobenem rechten Arm siegheilend durch unsere Straßen laufen können. Wir kennen doch diese Bilder. Wir wissen doch eigentlich, was ihnen folgte! Marschierende Nazis – und marschieren können sie ja wirklich, das muss man ihnen lassen – sind marschierendes Unheil auf zwei Beinen.
Es lässt mich an diesem Land zweifeln. Ich gebe es im Grunde auch auf. Offenbar tummeln sich auf diesem Stück Erdmasse zufällig sehr viele Idioten minderen Verstandes. Ich kann mir anders nicht erklären, warum so etwas möglich ist in einem Land, in dem die Suche nach Sündenböcken mit deren anschließenden Vergasung zu einem Europa in Trümmern geführt hat. Geschichte wiederholt sich doch.
Sollte ich also nach Münster gehen oder direkt das Land komplett verlassen, auf das ich tatsächlich irgendwie stolz bin? Nein, war. Ich finde es nur noch beschämend. Mir fehlen auch die Worte. Ich kann es auch nicht schönreden. Egal, ob es nun ausgerechnet wieder Sachsen ist, es ist Deutschland: Die Nazis sind wieder da. Sie sind wieder laut und weiß der Teufel, warum, sie werden salonfähig. Ich kotze. Ich ertrage es nicht. Ich ertrage diese Dummheit nicht. Wie ist das nur möglich!?
In diesem Land, dem es so gut geht. Derart gut, dass es manch einer nicht mehr mitbekommt. Auch, weil er auf Propaganda hereinfällt, die ihm das Gegenteil vermittelt. Klar, es gibt soziale Ungleichheit. Natürlich gibt es „Abgehängte“. Aber bei allem Respekt: Es sind nicht immer die anderen schuld. Und nebenbei bemerkt: Ein engmaschigeres soziales Netz, das sich der Ärmsten annimmt, gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Aber egal. Das kapieren viele ja nicht. Weil Meckern einfacher ist, als sich selbst einfach mal aus der Scheiße zu ziehen. Ich meine, wenn da seltsame Gestalten mit krummen Nasen oder dunkler Haut, womöglich noch mit Vollbart, zu uns kommen und unsere Frauen vergewaltigen, ist es natürlich wirklich einfacher, die Schuld bei denen zu suchen. Allein wegen der Bomben, die sie ja permanent mit sich rumtragen. Sie sehen ja auch wahnsinnig unheimlich aus. Gar nicht wie wir. Die müssen ja bösartig sein!
Drauf geschissen, dass es im vergangenen Jahr lediglich 186.000 Menschen waren, die unsere Hilfe suchten. Wir glauben lieber der AfD, die so tut, als seien es nach wie vor fast eine Million, wie damals, 2015. Wir scheißen auf Fakten und glauben lieber die Dinge, die wir hören wollen und in unseren Echokammern in den sozialen Medien finden. Natüüüürlich ist Facebook viel glaubwürdiger … Natüüüüürlich ist alles eine riesige Verschwörung der Regierung, die das deutsche Volk auslöschen will.
Diese Dinge höre ich jeden Tag. Ich höre sie inzwischen sogar von Menschen, die ich meinem Umfeld zuordne. Ich sehe, was diese plötzlich bei Facebook teilen und verliere den Glauben an die Menschheit. Ich bin skrupellos und breche gnadenlos den Kontakt ab. Ich finde beispielsweise die FDP etwas zweifelhaft. Aber akzeptiere es selbstredend, wenn ihr jemand anhängt. Kein Ding, so läuft Demokratie, daran reibe ich mich gerne und denke an Loriot:
Liberal heißt im liberalen Sinne nicht nur liberal.
Aber wer demokratie- und menschenfeindlichen „Parteien“ anhängt, der ist für mich gegenstandslos. Er ist inakzeptabel. Was glauben diese Menschen, welchen Effekt es hat, wenn weltweit die Fernsehbilder skandierender Nazis in Deutschland zu sehen sind?! Als ich diese Bilder sah, wurde mir schlecht. Ernsthaft schlecht. Ich schaltete weg, weil ich es nicht ertrug. Schaltete wieder zurück, weil ich mich ja der Dinge stellen muss. Und dann denke ich, mein Land ist das auch nicht mehr. Wir genießen so unfassbar viele Freiheiten in diesem Land, dass es uns gar nicht mehr bewusst ist, weil es selbstverständlich ist. Es sind diese Freiheiten, die nun auf dem Spiel stehen. Wenn auch die letzten Idioten das gemerkt haben, ist es bereits zu spät. Schon wieder.
Ach, der Mensch ändert sich nie. Er rennt immer und immer wieder sehenden Auges in sein Unglück. Ich gebe ihn auf. Ein bisschen. Und hoffe auf die breite Masse, die sich wehrt. Aber wir wissen ja, wie es läuft. Diese Muster wiederholen sich. Ich wandere aus. Nur, wohin?!
Es marschiert der Nazi auf allen Wegen,
In brauner Farbe prangt sein Kleid,
Wie seinen Hass und seinen Degen
Er um sich streut zu jeder Zeit.
Komm in die Schweiz – hier ist die Welt noch in Ordnung! Scherz beiseite, wir haben auch unsere Probleme, und der Zuspruch gegenüber solchen Meinungen ist leider auch gestiegen. Es kann einen wirklich an der Menschheit zweifeln lassen! Solltest Du aber ernsthafte Abwanderungsgedanken hegen: es lebt sich hier nicht schlecht :-) Vorerst mal guten Umzug!
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in der schweiz hab ich eine freundin die mir auf grund meiner “ zu roten“ eistellung die freundschaft nach gut zehn jahren gekündigt hat – ihre ansichten sind angsterregend
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Leider gibt es tatsächlich auch hier einen starken Strom dieser Art, gefällt mir auch gar nicht! Kommentarspalten in Zeitungen etc. sind ebenfalls voll mit entsprechenden Ansichten. Da hilft wohl nur dagegenhalten, in der Schweiz wie in Deutschland.
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ist allerdings sehr anstrengend und manchmal auch deprimierend wenn man sieht dass sich immer mehr freunde verabschieden.
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Das glaube ich! Ich habe es zum Glück bisher nicht so schlimm erlebt; mein Umfeld ist noch nicht so betroffen. Aber ich kenne auch Leute, die sich stark beeinflussen lassen. Und im Moment scheint der Gedanke, es könnte bald besser werden, einfach nur Wunschdenken zu sein. Was tun? Bei seiner Meinung bleiben, mit den Menschen, die sich noch erreichen lassen, im Gespräch bleiben. Aber irgendwo ist natürlich eine Grenze.
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du hast mir noch nie so tief aus dem herzen gesprochen wie mit diesem beitrag. als unsere eltern erzählten wie eine partei ganze falilien spalten konnte war es für uns , damals waren wir noch etwas jünger, kaum vorstellbar doch gerade seit jüngster zeit erlebe ich es selbst im allerengsten freundeskreis dass freundschaften an dieser unseligen politik zerbrechen – auch das hab ich selbst erst vor ein paar tagen erleben dürfen – ich habe angst vor dem was unter umständen noch auf uns zukommt ; gehofft hatte ich auf eine zumindest lebenswerte welt für meine kinder und deren nachkommen. ich bin zu alt , zu krank und auch zu müde um nochmal auf die straße zu gehen um zu demonstrieren – was mir bleibt , wie letztendlich uns allen , die wir diese braune brut ablehnen , ist ein letztes bisschen hoffnung auf ein wunder ….. und weil ich NOCH in einer recht friedlichen region lebe wünsche ich euch beiden einen schönen friedfertigen sonntag – viele grüße aus dem sauerland von einer recht nachdenklichen wolfskatze
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Danke für diesen Beitrag, Seppo!
Ich muss leider dem Kommentar meiner Vorrednerin Frau Dahinden anfügen, dass es in der Schweiz doch auch einige ziemlich deutliche Bestrebungen in die gleiche Richtung geht. Mal abgesehen davon, dass diese Kreise jetzt die Auflockerung von Rüstungsgütern auch in Bürgerkriegsländer „bewilligt“ haben. Manchmal traut man seinen Augen nicht!
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Dem ist leider so; ich kann die Schweiz da auch nicht in den Himmel loben! Und die neueste Lockerung des Waffenausfuhrgesetzes finde ich auch unfassbar zynisch und kurzsichtig. Wenn’s ums Geldverdienen geht, kann man bei der Ethik offenbar die Grenzen beliebig verschieben.
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Ich teile deine Bestürzung über die gegenwärtigen Zustände. Auch mir wird schlecht angesichts der Auswüchse. Älter als du habe ich in meiner Kindheit und Jugend sicher öfter verherrlichende Reden über die Nazizeit gehört. Gottlob nicht in der eigenen Familie. Schon immer hatte ich das Gefühl, dass dieser Aspekt in Deutschland latent vorhanden ist sowie ein gewisser Hang zur Großmannssucht. Mit meiner Darlegung im mündlichen Abi 1969, dass „so etwas“ in D. jederzeit wieder passieren könne, wenn durch Ausschlachten sozialer Missstände der Pöbel die Oberhand bekomme und wieder einmal die Chance sähe, nach oben zu kommen, Macht zu erhalten( stark verkürzt), habe ich mir bewusst die Note versaut.
Nun ist es also „endlich“ wieder hoffähig geworden, diesen ganzen Dreck über das Land zu ergießen und wie in einer giftige Druckwelle die Menschen zu verseuchen. Eine weiterhin schweigende Mehrheit wird das nicht verhindern. Nur ein klares und lautes Bekenntnis gegen diese Strömungen auch der Politik kann Umkehr schaffen. Eine Einbindung dieser Personen in das demokratische System – womöglich noch durch Annäherung – halte ich persönlich für widersinnig. Wollen diese doch – da machen wir uns nichts vor – genau diese Demokratie abschaffen. Wie blöd kann man sein, möchte ich fast sagen. Klare Abgrenzung, Ausschöpfung aller juristischen Möglichkeiten tun not. Jetzt.
Wie groß die Gefahr ist, zeigt sich mir durch die Angst vieler im Umkreis der Neonaziszenen, sich öffentlich dagegen zu wehren. Das weiß ich aus vielen Gesprächen, die ich geführt habe. Die Brutalität der Unterdrückung, Bedrohung und Androhung ist gewaltig. Sie reicht mitunter bis in Kindergärten und Schulen. Beängstigend finde ich auch, dass ausgerechnet bei den Staatsorganen von zu vielen diese Gesinnung geteilt wird. Gestern wieder zwei Polizisten in Rosenheim mit Hitlergruß.
Bisher hab ich mich nur für gewisse Deutsche im Urlaub schämen müssen. Nun aber auch im Land selbst.
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Da kann der HERRGOTT im HIMMEL uns auf der ERDE auch nicht helfen,
wenn Immer mehr MENSCHEN sich auf BILDER katastrophaler AUSWIRKUNGEN konzentrieren,
anstatt die von der POLITIK provozierten URSACHEN beim NAMEN zu nennen
und dementsprechend ihre WAHL zu treffen !
*
Es sollte nicht verschwiegen werden:
Der rechte und der linke RAND sind
unter maßgeblicher BETEILIGUNG der GroKO –
> GROTESKE KOMMÖDIE <
von der gesellschaftlichen MITTE gestärkt worden …
AUSGRENZUNG kann verheerende FOLGEN haben!
DAZU auch meine letzten WochenendBetrachtungen:
https://einladungzupachtsblog.wordpress.com/2018/09/01/01-09-18-meine-redsame-wochenendbetrachtung/
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Mir geht es da wie Dir, im Grunde gebe ich es auch auf. Das Land, sowie den Versuch, einigen seiner Einwohner Vernunft beizubringen. Mir bleibt eigentlich nur noch, zuerst auf die erste Regierungsverantwortung der AfD zu warten und dann auf den LKW, der mich im frühen Morgengrauen abholen wird. Hoffentlich gibt es da dann wenigstens einen Sitzplatz, langes Herumstehen ist nicht so meins.
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Ach Seppo, Du sprichst mir soooo aus dem Herzen. Die ganze Situation in Deutschland ist für mich sehr beängstigend. Demonstrieren habe ich leider nicht gelernt, denn die Amerikaner haben im Juli 1945 meine Heimatstadt Plauen an die Russen getauscht, so dass ich gelernte DDR-Bürgerin wurde.
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Niemals aufgeben, nie, nie, nie! Wer kämpft, hat noch eine Chance – wer aufgibt, hat schon verloren! Ich will dieses Land nicht an die braunen Unverbesserlichen abtreten, auf gar keinen Fall!!
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Ja, es ist durch nichts zu rechtfertigen geschweige zu entschuldigen.
Und ja, es GIBT Abgehängte, sehr, sehr viele, die es nicht „selbst schuld“ sind. Wäre es nicht toll, wenn unser Sozialsystem nur einige auffangen müsste statt solcher Massen, die auch noch mehr werden, wenn alle Prekärbeschäftigten ins Rentenalter kommen?
Es werden sich weiter Arme mit Armen an ‚Tafeln‘ prügeln und wenig-Besitzende auf die dreschen, die noch weniger haben, und es wird immer genug Menschen geben, die das für ihre Machtbedürfnisse ausschlachten.
Braune Kacke bleibt braune Kacke, aber es wird keinen sozialen Frieden geben ohne faire Politik, die die Gleichwertigkeit der Menschen ernst nimmt, und nicht nur hierzulande.
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Ja, wir haben ein Migrationsproblem, leider auch mit Terror.
Aber die neuen Nazis werden es nicht lösen, hoffentlich bleibt das der Mehrheit klar.
Zwei auf Facebook wiedergefundene Jugendfreunde verstrickten mich in garstige Diskussionen, brachen dann den Kontakt ab. Ich war ihnen nicht rechts genug.
Der eine schrieb zuletzt, er hoffe, dass ich und „meine geliebte Frau Merkel“ in Berlin-Neukölln von Ausländern abgestochen würden. Keine tolle Gesprächsgrundlage …
Nun traf ich nach Langem seine Schwester wieder, sprach sie auf den Bruder an. Sie lachte kurz und sagte, sie brauche „keinen Kontakt mehr zu diesem Subjekt“.
Es gibt also noch Hoffnung.
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