Mein Auftrag war klar definiert: die zwei Schamottsteinplatten binnen zwei Tagen über die Grenze zu schaffen. Über drei Grenzen allerdings, denn Zielort war der Vatikan.

Der eine oder andere wird wissen, dass ich zu einem Achtel Italiener bin, was meiner Großmutter väterlicherseits zu verdanken ist. Und so ist es auch einer ihrer Söhne, der die staatseigene Pizzeria des Vatikans betreibt, da Papst Johannes Paul II. großer Pizzafan war. Auch wenn dessen Nachfolger, unser Papst!, Pizzen nicht einmal von hinten angeguckt hat, konnte meines Onkels kleines Restaurant dessen Amtszeit überleben, wenn auch mehr schlecht als recht. Mit Franziskus hat sich das Blatt nun wieder gewendet, ist der doch wie der polnische Papst ganz versessen auf Pizza! Im Vatikan nennen Sie ihn hinter verschlossenen Türen deswegen scherzhaft „Papst Pizza“.

Onkel Angelos Laden brummt also gewissermaßen, und hinderlich wäre ihm dabei sicherlich sein eigentlicher Name, der ganz profan und deutsch Franz lautet, was im Vatikan aber niemand erfahren darf, da es seinem Pizzabäcker-Image schaden würde, wie er fürchtet. Und er hat ja Recht, wer will schon Franz‘ Pizza, wenn es doch Angelos Pizza gibt?! Richtig, niemand.

Ich sage franz und frei, dass ich mit meinem italienischen Teil meiner Familie im Grunde nichts zu tun habe. Man lebt so vor sich hin und nebeneinander her. Man weiß, da ist noch im Ausland ein Familienzweig, mehr aber auch nicht. Nicht einmal zu Weihnachten gibt es eine Karte geschweige denn einen Anruf. Doch im Vatikan brach Not aus und hier kam ich ins Spiel. Denn mit mir konnte man es ja machen.

Das Geheimnis, oder zumindest eines der vielen Geheimnisse um Angelos Pizza, ist der spezielle Steinofen, der aus Schamottstein gefertigt ist. Aus Schamottstein aus dem Münsterland, aus meiner Heimat also. Diese ist nicht reich an Rohstoffen, hat ja auch das Ruhrgebiet knapp verfehlt. Doch immerhin besteht sein Erdreich zu einem großen Teil aus Schamottstein, worauf sogar die sonst an Seltenen Erden nicht armen Chinesen neidisch sind. Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Münsteraner Schamottsteinförderunternehmen von Chinesen gekauft werden, da unsere Regierung ja weitestgehend und aus teilweise guten Gründen auf eine aktive Industriepolitik verzichtet. Egal. Wichtiger ist zu wissen, dass Schamottstein wahnsinnig teuer ist und Onkel Angelo plötzlich vor den Trümmern seiner Existenz stand: Sein Schamottsteinofen, uralt, war in Folge einer Sammelbestellung zusammengebrochen.

Hinweis des Autors: Ich weiß jetzt schon nicht, wohin diese Geschichte sich entwickelt und noch weniger, wie ich sie zuende kriege. Im Sinne des Transparenzgedankens wollte ich, dass Sie das wissen. Was Sie mit diesem Wissen nun anfangen, sei dahingestellt, aber vielleicht entwickeln Sie dadurch ein gewisses Verständnis für das womöglich abrupte Ende dieser wahren Geschichte.

Und so erreichte mich kürzlich ein Telegram aus dem Vatikan:

ersuche deine hilfe STOP 2 schamottsteinplatten in vatikan zu liefern mit ablauf dieser woche STOP nutze er dazu familienunimog STOP beste gruesse STOP muendlich mehr = o. angelo

Der Familien-Unimog! Ein Erbstück ebenjener Großmutter, die, kleine Anekdote nebenbei, als erste deutsche Unimogfahrerin den Weg in die Geschichtsbücher geschafft hätte, würde sich jemand für diesen Superlativ interessieren, was außerhalb unserer Familie bislang nicht der Fall ist. Aber auf diese Weise kam auch ich zu einem Unimog-Führerschein – als einziger Nachkomme meiner Großmutter. Und das war wohl der Anlass Onkel Angelos, ausgerechnet mich mit seiner Bitte zu behelligen.

Doch wie sollte ich nun mit meinen bescheidenen Mitteln Schamottsteine aus dem Münsterland erwerben? Von Onkel Angelo war keine Hilfe zu erwarten – zumindest nicht eine annehmbare. Auf meine Rückfrage (freilich via Telegramm), ob er mir entsprechende Geldmittel zur Verfügung stellen würde, kam zurück:

keine ausreichenden mittel STOP mafia hilft STOP steinbruch hiltrup dienstag 16h STOP man erwartet dich STOP mit unimog STOP bei nichterscheinen erscheint mafia bei mir STOP dann bei dir = o. Angelo

Nun gut, dachte ich, er macht Geschäfte mit der Mafia, nichts, was irgendjemanden in unserer Familie verwundern würde. Dass ich da nun mit reingezogen wurde, fand ich allerdings nicht sooo gut. Doch welche Wahl hatte ich angesichts seiner unverhohlenen Drohung? Und welche Drohungen sind nicht unverhohlen? Eine gute Drohung muss unverhohlen sein, um sie als Drohung zu erkennen. Und diese, die hatte ich erkannt! Derart unverhohlen war sie!

Dienstag, 16 Uhr. Ich befuhr mit dem Familienunimog den Hiltruper Steinbruch. Dieser war schon lange stillgelegt und zum Steinersee umgewandelt worden. Doch findige Sucher, suchende Finder, wissen, wo sie noch einige Schamottsteinplatten finden können – illegalerweise freilich, da Hiltruper Schamott unter Naturschutz steht.

Es dauerte nicht lang, da kamen zwei schwarze SUV auf meinen Unimog und mich zugefahren. Etwas albern fand ich das schon, dass Mafiosi tatsächlich in solchen Karren unterwegs sind, aber andererseits kann ja auch nicht in jedem SUV ein Mafiosi sitzen. Dieses konnten genauso gut zwei wohlhabende Hausfrauen sein, die sich zum Freiluftyoga am See verabredet hatten.

Tatsächlich entstiegen den Karossen allerdings insgesamt sieben Herren in schwarzen Anzügen. Für mich war nun klar, dass es sich nicht um zwei Hausfrauen handelte, sondern um bestenfalls sieben. Doch da alle sehr klein und dunkelhaarig waren und wild gestikulierten, war mir bewusst, dass dieses nicht zwei sieben Hausfrauen waren, sondern bestenfalls sieben italienische Hausfrauen in Männerverkleidung.

„Bist du Angelos Neffe?“, fragte mich die eine Hausfrau und nun war ich mir sicher, dass es sich nicht um zwei sieben männliche Hausfrauen handelte, sondern um meine neuen Geschäftspartner.

„Ja. Der bin ich. Hallo!“, sagte ich albern fröhlich, um meine Angst zu überspielen.

„Musst nicht Angst haben. Du bringst zwei Schamottsteinplatten über die Grenzen. Mehr musst du nicht tun.“

„Ginge das nicht ohne Beteiligung der … äh … also ihrer Organisation?“, fragte ich mit echtem Interesse, da mir das Vorgehen doch etwas unverhältnismäßig erschien.

„Du bist nicht hier, um Fragen zu stellen, Neffe Angelos. Du wirst dir auch nicht die Schamottsteinplatten genauer ansehen, schon gar nicht die markierte“, sagte der Kleinwüchsige Mafiosi zu mir. Die Diskrepanz zwischen seiner Körpergröße und seiner Autorität, die er auszustrahlen versuchte, konnte größer nicht sein. Nur schwer konnte ich mir ein Lachen verkneifen.

Die sieben Mafiosi beluden meinen Unimog und stellten mir netterweise mein Navi ein. So konnte ich losfahren und ins Grübeln geraten. Was meinten sie mit dem „genauer ansehen“?! Was hat es auf sich mit den Schamottsteinplatten?! Bin ich Schmuggler?! Eine aufregende Reise sollte vor mir liegen. Eine Reise in den Vatikan!


Spannung pur hier im seppolog! Wie es weitergeht, erfahren wir im zweiten Teil!