Es heißt, dass kuhmilchgebende Milchkühe unter Beschallung klassischer Musik mehr oder zumindest doch entspanntere Milch gäben und wer schon einmal unentspannte Milch getrunken hat, der weiß die von Spannung befreite Variante zu schätze. „Minus S“ prangt auf den entsprechenden Milchpackungen im Supermarkt.

Nun war ich es, der vor einer Woche das Schreiben mit musikalischer Komposition verglich, wobei mir gerade einfällt, dass vermutlich cain Komponist auf die Idee käme, sein Werk mit dem Schreiben zu vergleichen. Daraus folgt: Irgendetwas. Ich kann hier unmöglich für alle mitdenken; ein bisschen Eigenleistung Ihrerseits dürfte nicht zuviel verlangt sein.

Meine Eigenleistung besteht nun darin, die beiden genanannten Aspekte miteinander zu verbinden. Dabei geht es mir aber nicht um einen Milcheinschuss, wenn ich mich in diesem Moment des Schreibens mit lauter Klassik beschallen lasse. Mir geht es eher darum zu überprüfen, ob diese Form der Musik bei mir einen Ideeneinschuss auslöst. Sie werden es in diesem Text merken, wennfalls es soweit ist! Geben wir der musikalischen Einflussnahme und meinem Geiste noch ein wenig Zeit zum Warmlaufen. Vielleicht wird es am Ende ja auch nur eine gesellige Musikschau werden.

Ich höre genau drei Richtungen von Musik, in dieser Reihenfolge: keine, Ska(-Punk) und klassische. Das Schöne an der klassischen ist ihre umsonste Verfügbarkeit, da sämtliche Rechteinhaber bereits tot sind und uns diesen unbezahlbaren Schatz kostenfrei hinterlassen haben (wobei natürlich immer noch das Urheberrecht dessen gilt, der gerade „spielt“).

Nun kommt das „Ave Maria“. Steht bei mir ganz oben auf meiner Hitliste, insbesondere die Version des London Philarmonic Orchestra und wer gerade etwas Zeit hat, dem lege ich diese zehnstündige Version ans Herz, dem Rest aber diese Variante:

Man kennt es, zweifelsfrei, es gehört zu den populärsten Klassikstücken. Beim Autofahren, voll aufgedreht, toll; katapultiert einen sofort in einen Tunnel – besser lässt sich die Welt um einen herum nicht ausblenden, sofern der Suizid keine Option ist. Beides lässt sich aber auch verknüpfen, doch rät das seppolog von Suizid ab.

Bislang löst meine derzeitige Beschallung immerhin eine große Begeisterung in mir aus. Hinter mir liegt eine mit drei Stunden eher kompakt gehaltene Nacht und bis vor wenigen Minuten war ich noch ein gerädertes Wrack. Die Klassik hat mich aus dieser Stimmung herauskatapultiert: Ich bin hellwach! Und es wird Zeit für ein Stück, das bei mir auf Platz zwei liegt: „Pomp and Circumstances, Op39: Land of Hope and Glory“. Feierlicher geht es kaum und die Engländer wissen, warum das bis vor einigen Jahren noch ihre Regionalhymne war. Jenes Stück ist auch die Hymne meines Jahres 2018, in dem ich mich, aber auch meine Mitbewohnerin etwas motivieren muss, da wir diverse Dinge anpacken. Wenn ich in etwa drei Wochen in Münster einmarschiere, lasse ich mich von einer kleinen Kapelle begleiten, die eben dieses Werk raustrompetet. Und ich werde singen:

Liebes Land der Hoffnung, deine Hoffnung ist gekrönt/
Möge Gott Dich noch mächtiger machen!

Wie unaufmerksam von mir, ich sollte Sie auch daran teilhaben lassen:

Sensationell! Wie für mich geschrieben! Ich muss einige Sekunden innehalten und mich der Komposition hingeben … diese stille, aber doch feierlichen Takte zu Beginn … man ahnt, gleich geht es los … JETZT! … Taaaaammm! Tammtammmtataaaaamtaaam! Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie ich in Münster aus dem Umzugswagen steige … die Münsteraner Bürger Spalier stehen, mir zujubeln und Blumen werfen! Wie Gehbehinderte ihre Krücken zur Seite werfen und vor Freude ob der Rückkehr des verlorenen Sohnes freudetrunken tanzen! Wie Oberbürgermeister Markus Lewe mit offenen Armen auf mich zukommt, mit dem Goldenen Buch der Stadt in der Hand …

Was für ein Rausch!

Kommen wir zu den vier Jahreszeiten. Den Frühling lasse ich links liegen, das Werk finde ich unerträglich und halte es für stümperhaft. Ich selbst habe dereinst eine optimierte Variante verfasst, die derart kompliziert zu spielen ist, dass es dem bekannten Geigenspieler Heinrich von Heinrichsohn den Arm zersplittert hatte. Seitdem weigern sich die Musiker der Welt, meine Partiruren überhaupt nur anzusehen. Und den Sommer vergessen wir auch, die Musikalie schätze ich ebenso wenig. Beide haben mir nun auch die Stimmung verdorben; ich muss eiligst gegensteuern. Das geht am besten mit – und wir kehren zurück nach England -: „Rule Britannia“, noch so einer britischen Hymne, die als die inoffizielle gilt. Die populärste Umsetzung hier von Malcom Sargent; bis heute Teil der „Last Night of the Proms“.

Die Briten, die wissen eben, wie es geht. Meinen Erstkontakt mit diesem patriotischen Gassenhauer hatte ich vor vielen Jahren, als ich den Film sah, der nach „Der Pate“ zu meinem Lieblingsfilm geworden ist: „In 80 Tagen um die Welt“, freilich die korrekte Version mit David Niven aus dem Jahr 1956. In dem Zusammenhang kann ich vollkommen zusammenhanglos die Hörspielumsetzung vom Mitteldeutschen Rundfunk mit Axel Milberg empfehlen, die als unerreicht gelten darf, falls sich Verirrte fragen, wozu sie einen Rundfunkbeitrag zahlen – für Kultur und Pluralismus.

Geben Sie mir einige Minuten, ich verliere mich gerade völlig bei Youtube.

So, wieder zurück, völlig dem Rausch verfallen. Selten, dass ich derart euphorisch in einem ICE der Deutschen Bahn sitze, in dem ich diesen Text gerade schreibe. An sich sollte ich mich jetzt schleunigst betrinken, aber ich sehe ein, dass das um neun Uhr 47 eine etwas ungeeignete Zeit ist. Ein Stündchen sollte ich besser noch warten. So ist auch noch Zeit für ein abschließendes Stück. Ich entscheide mich für den Gefangenenchor aus der Oper Nabucco, beispielhaft diese Variante:

Kennt jeder. In jener Oper geht es ja um Selbstüberschätzung. Und ich finde, hier schließt sich der Kreis zu mir, sodass wir hier einen guten Abschluss gefunden habe. Etwas unpassend allerdings die Tatsache, dass sich der ausgerechnet jetzt ereignet, während mein Zug in Bielefeld steht. Ich bitte Sie eindringlich, von den „Bielefeld“-Scherzen abzusehen. Die sind schon lange durch und abgedroschen. Ich hole mir nun einen Kaffee aus dem Bordbistro.

Achja, das Experiment: Nun, von wegen freigesetzter Kreativität. Hatte gedacht, kommt ’ne tolle Geschichte bei dem Ganzen raus. Stattdessen nun dieses. Aber geht ja auch irgendwie.

Noch majestätischer sollst du aufsteigen,
noch schrecklicher durch jeden fremden Schlag;
weil das laute Krachen, das die Himmel zerreißt,
nur dazu führt, deine eingeborene Eiche zu verwurzeln.