(Schlossgarten Münster)

Es beginnt nun die Phase, die so surreal auf mich wirkt und dereinst nur eine utopische Idee meiner Mitbewohnerin, eher aber von mir war. Da wir – ich muss es für Neuleser immer wieder erwähnen – in zehn Tagen Düsseldorf den Rücken kehren, ergehe ich mich in der Phase, in der viele Dinge nach und nach „zum letzten Mal“ geschehen. Und ich bin jemand, der so etwas zelebriert, auch wenn es natürlich einigermaßen belanglos ist.

Ich werde im Folgenden angeben und prahlen. Man könnte sagen, das gehöre sich nicht. Ich aber sage, dass wir die guten Dinge im Leben, von denen der eine mehr, der andere weniger hat, bewusst und betont genießen sollten, da uns die schlechten möglicherweise immer wieder einholen werden. Hinter mir liegen teilweise unschöne Zeiten und ich wäre doch dumm und respektlos, würde ich jetzt nicht das Gute zelebrieren! Bescheidenheit sollte man bescheiden einsetzen und für Bescheidenheit ist derzeit bei mir weißgott kein Platz.

Heute ging ich zum letzten Mal zum Düsseldorfer Hauptbahnhof, von dem aus ich wöchentlich für drei aufeinanderfolgende Tage nach Berlin fahre, was künftig eben von Münster aus geschehen wird und mir im Übrigen zehn Euro sowie eine halbe Stunde Garzeit erspart. Nein, Fahrzeit. Verzeihung, sitze gerade im Bordbistro, wo Gares gegessen wird.

Die gesparten zehn Euro allerdings werde ich in Münster in die Taxifahrt zum dortigen Bahnhof investieren müssen, da wir dort nicht mehr bahnhofsnah wohnen werden. In dem Zusammenhang: Unsere Wohnungssuche konnten wir am Sonntag, zwei Wochen vor Umzug, erfolgreich abschließen. Nachdem wir vor sechs Jahren noch viele Kompromisse bezüglich unserer Wohnung eingegehen mussten, bedurfte es dieser nun nicht mehr. Wir freuen uns künftig über einen Balkon sowie einige Quadratmeter mehr. Allein der restaurierte Holzdielenboden ist eine Sensation! Bei Betreten der hellen Wohnung wussten wir beide sofort: Die wollen wir! Aufgrund meiner unfassbar sympathischen Art bekamen wir noch vor Ort den Zuschlag – nach so vielen Absagen in den vergangenen Wochen. Absagen unsererseits allerdings …

Wir freuen uns über ein großes Wohnzimmer, das wir ehrlicherweise „Wohnhalle“ nennen werden, einfach, um seinen Ausmaßen gerechtzuwerden. Beide Enden der Halle sind mit einer Haussprechanlage versehen, damit man sich innerhalb der Halle verständigen kann und eben nicht laut von einem zum anderen Ende brüllen muss.

Die Schlafhalle geht „nach hinten raus“. Bislang haben wir an einer Bahnlinie geschlafen und deshalb weiß ich auch, dass die Bremsen einer IC-Lok die lautesten sind. Gerade nachts. In Münster könnten wir nun auch problemlos „nach vorne raus“ schlafen, denn auch hier haben wir Glück, da wir an einer wenig befahrenen Straße wohnen. Mit massig Parkplätzen! Das überhaupt ist der ganz große Vorteil Münsters: Die Kombination aus ruhiger Wohnlage und „Zentrumsnähe“ ist kein Widerspruch. Keine zehn Minuten Fußweg weit stehen wir praktisch auf dem Prinzipalmarkt oder am Dom, in dem wir heiraten werden. So ’ne popelige Kirchennummer machen wir nicht; es muss schon der Dom sein. Dort, wo Kardinal von Galen steht, der uns vorgemacht hat, wie man sich gegen Nazis erhebt. Könnte wieder von Bedeutung werden …

Da ich weiß, dass einige Münsteraner hier lesen, lasse ich mir den Hinweis darauf nicht nehmen, dass wir einen Garten haben: den Schlossgarten! Flothos parken immer am Eingang und wohnen künftig am Schloss. Samt Teich: dem Aasee! Die Wohnlage ist zweifellos eine Sensation und wir dürfen uns auch darüber freuen, in einem Haus zu wohnen, von dem ich auf Anhieb die Anzahl der Mietparteien weiß: drei. Im derzeitigen Mietshaus in Düsseldorf sind es deutlich mehr und ich war sechs Jahre lang zu beschäftigt, die Klingelschilder zu zählen. Doch erinnere ich mich an meine Vorstellungstournee damals nach Einzug durchs Haus: Kaum jemand öffnete und diese Anonymität wird auch heute noch groß in diesem Haus geschrieben, womit ich aber durchaus leben kann. Die Fluktuation ist ohnehin extrem hoch, ein Kennenlernen lohnt nicht. Ich erinnere mich, wie ich das schwule Pärchen aus drei Männern bestehend kennenlernte. Nach wenigen Wochen war es schon wieder weg. Wir kennen lediglich Fahrgescheits, Herrn Albrecht und „den Wesselmann“! Herr Albrecht heißt allerdings nicht Albrecht. Ich verwechsle ihn aber immer mit Herrn Albrecht aus der Serie „Pastewka“, Folge zwei der zweiten Staffel, wenn ich jetzt nicht irre. Ich habe immer große Angst, ihn mal mit Namen anzusprechen, da ich mir sicher bin, ihn versehentlich Herrn „Albrecht“ zu nennen. Sein wirklicher klingt so ähnlich, aber ich kann ihn mir einfach nicht merken!

Und „der Wesselmann“ ist unseres Alters, aber irgendwie immer auf Reisen oder schon lange tot. Er heißt „der Wesselmann“, da ich mir seinen Vornamen nicht merken kann. Ich denke immer, er heißt Matthias, aber so heißt er eben nicht. Dann frage ich mich allerdings, warum er so aussieht, wie ein Matthias in der Regel aussieht. Selbst schuld.

Ganz oben wohnte mal jemand, der kurz nach unserem Einzug von der Polizei abgeholt wurde.

Das neue Haus, das von außen unverkennbar ein typisch Münsteraner Haus ist, teilen wir uns mit einer Lehrerin sowie mit der „Dame mit Leibrente“. Hier erwarte ich viel Erzählstoff für diesen Blog. Namentlich darf ich sie schon einmal als Frau Apf einführen.

Zu meiner nicht mehr zu bändigenden Euphorie konnte ich am Wochenende, als ich mir stundenlang Münster von oben bei „Google Earth“ angesehen habe, feststellen, dass wir unweit eines „Calisthenics“-Park wohnen, was uns natürlich massiv entgegenkommt. Als ich diesen sah, wurde ich schwerst melancholisch, befindet er sich doch genau an dem Sportplatz, wo ich vor rund dreizehn Jahren meine ersten Intervallrunden drehte, als ich noch im Geistviertel wohnte, zusammen mit Pavel, der sich leider verabschiedet hat. Überhaupt, ich komme an so viele Orte zurück, mit denen ich so vieles verbinde. Ich spüre geradezu, wie ich einen Lebensabschnitt „vorziehe“, den meine Mitbewohnerin und ich eigentlich erst für unser hohes Alter vorgesehen hatten. Ich glaube, diese massive Verbundenheit zu dieser Stadt kann von kaum jemandem in meinem sozialen Umfeld nachempfunden werden. Sabrina USA bestätigte mir noch vor wenigen Minuten einen Münster-Fetisch. Selbst meine Mitbewohnerin ist etwas irritiert, aber durchaus erfreut ob meiner Euphorie. Für mich selbst ist sie keine Überraschung, wohl aber ihr Ausmaß. Ich habe fast den Eindruck, dass Düsseldorf ein großer Fehler war, dass ich jetzt erst wieder werde aufblühen können! Ich gönne mir den Luxus des Heimkehrens bereits im mittleren Alter. Und das hat weniger mit Glück zu tun, als mit dem Anpacken von Dingen, um diesen kleinen Traum zu verwirklichen. Und es wird nicht nur dabei bleiben. Wir sind dermaßen motiviert, dass wir uns nun unser „Goldenes Zeitalter“ ermöglichen wollen. Wir haben Luft geschnuppert, wir haben gemerkt, dass man die Dinge lediglich anpacken muss und Widerstände nur so lange Widerstände sind, wie sie nicht überwunden wurden.

Als ich vor wenigen Stunden das letzte Mal meine dreizehn Minuten von der Haustür zum Düsseldorfer Bahnhof ging, sog ich die gewohnten Eindrücke bewusst auf. Da war der Metzger, an dem ich immer vorbeikam, der schon einmal Teil einer Geschichte hier war.

Diese Geschichte wird heute noch oft geklickt. Der Grund ist unheimlich: Wer bei Google nach „frau zu hack verarbeiten“ sucht, landet genau dort. In den Blogstatistiken habe ich ja Einsicht darin, wie die Menschen sich auf diese Seiten verirren. Das ist kein Witz. Probieren Sie es aus, aber ich warne vor den digitalen Spuren, die Sie mit einer solchen Suchanfrage hinterlassen!

Ich passierte ein letztes Mal die Sisha-Bar, in der ich sooft nicht Gast war, aus der jedoch dieser angenehme Duft strömte, den ich jede Woche kostenfrei aufnahm. Und kurz vor der Ellerstraße kam der Gemüseladen mit seiner großen Außenauslage, die täglich be- und entstückt werden muss, was wahnsinnig viel Arbeit bedeutet, wie ich immer wieder beobachtete.

Da ist die Fußgängerampel, die wirklich jedes Mal rot war, wenn ich kam. Die wie fast jede Düsseldorfer Ampel eine Gelbphase anzeigt, von der das Stadtmarketing selbst schreibt: Ist nur Marketing. Und weil es Düsseldorf ist, lehne ich es ab.

Die Willi-Becker-Allee! Über sie enterte ich von hinten heute zum letzten Mal den Bahnhof. Ein letztes Mal vorbei an der langen Schlange vor dem Bürgeramt. Ein letztes Mal durch die Schlange vor den Integrationskursen. Ein letztes Mal Geld abheben. Ein letztes Mal hoch zu Gleis 18. Ein letztes Mal „geänderte Wagenreihung“ in Düsseldorf.

Bin ich wehmütig? Nein. Denn mit dem Düsseldorfer Hauptbahnhof verbinde ich keine schönen Dinge.