Anlässlich seines Abschiedes beeindruckte Sir Henry Walter-Scott im März 1815 mit einer beeindruckenden Rede vor dem Wiener Kongress, die das seppolog an dieser Stelle erstmalig beeindruckt abdruckt. Bis Ende vergangenen Jahres galt die nur noch auf Tonband erhaltene Rede als zumindest in verschriftlichteter Form verschollen, bevor sich 2017 das Investigativteam des sepplogs an die Herausforderung der Transkribierung gewagt hat – eine Unternehmung die in wissenschaftlichen Kreisen als nicht umsetzbar galt und dennoch im Vergleich zu Walter-Scotts Leistungen marginal wirkt.

Lesen Sie nun die Rede in ihrer ersten Übersetzung ins Deutsche, die sich möglichst nahe am Original bewegt und dennoch die feinen semantischen Nuancen Walter-Scotts einmaligen Duktus‘ wiederzugeben vermag. Es spricht für Sie: Sir Henry Walter-Scott!


[Tosender Applaus, als Walter-Scott zum Rednerpult schreitet, wobei er – gewollt! – stolpert. Die Zuhörer lachen, einige verlassen stirnrunzelnd den Saal. „Diese alberne Stolpernummer schon wieder“, sagt eine Dame, „Mehr konnte er eigentlich nie!“]

Danke, danke … meine Damen und Herren … ja … vielen Dank … bitte … beruhigen Sie sich!

[Walter-Scott wischt sich eine Träne aus dem rechten Auge.]

Harter Moment … Vielen Dank … Im Hinblick auf die Zeit … Danke … Man bat mich, mich einigermaßen kurzufas- … VIelen Dank, sehr freundlich.

[Das Auditorium erhebt sich von seinen Plätzen und applaudiert ryhthmisch.]

Genug der Ehre … Danke … Wir müssen anfangen, wir wollen doch alle nach Hause …

[Heiteres Gelächter im Saal, einige stehen auf und gehen geduckt Richtung Ausgang.]

Die ersten gehen schon. Das haben Sie davon!

[Walter-Scott lacht, der Saal nun auch, man setzt sich.]

Danke. Nun, verehrte Anwesenden, die Damen, nicht viele nebenbei!, die Herren! Liebe Freunde! Nun ist er gekommen. Nun ist der Tag gekommen, an dem ich hier vor Ihnen stehe und Ihnen das sage, was Sie inzwischen bereits wissen: Ich bin ein Gehender. Ich werde gehen und diese Gemeinschaft verlassen. Ich, den Sie kennengelernt haben als den rastlos Reisenden: montags hier, freitags dort. Sie alle, die, die mich mochten, aber auch alle anderen, Sie alle haben mich hier aufgenommen als denjenigen, der er war, von dem man nie so genau wusste, wo er Dienstag ist.

[Heiteres Gelächter, hier und da Getuschel.]

Bald weiß auch ich wieder, wo ich Mittwoch sein werde!

[Walter-Scott senkt seine Stimme, ebnet eine Pause für Gelächter und/oder Applaus – beides bleibt aus. Zwei Zuhörer verlassen den Saal.]

Nun. Sie sollen eines wissen: Auch wenn ich aus freien Stücken gehe, so gehe ich doch auch mit Wehmut. Auf meinem Sprechzettel steht „mit ein wenig Wehmut“.

[Walter-Scott schmunzelt, das Publikum tut es ihm nach.]

Aber das würde die Wehmut unnötig relativieren. Sehen Sie, ich bin auf Menschen getroffen, die Schwierigkeiten hatten, mich auch nur zu grüßen. Das mag auch an meiner Person gelegen haben, doch habe ich selten jemandem so laut „Hallo“ zugerufen wie hier bei Ihnen. Manchem habe ich morgens ins Gesicht schreien müssen, damit er mich wahrnahm.

[Walter-Scott ruft laut „Hallo!“ in den Saal, die Zuhörer lachen, vermehrt erntet er Hallo-Rückrufe.]

Geht doch! Sehen Sie, wir haben doch Spaß bis zum letzten Tag hier! Denn wir alle sind ja fast so etwas wie eine Familie. Und so wurde ich größtenteils auch aufgenommen. Vielleicht sollte ich genau den Umstand hier hervorheben: Ich wurde wirklich aufgenommen. In dem Zusammenhang gilt einem großer Dank. Ich habe es ihm damals gesagt, ich habe es ihm vor wenigen Tagen noch einmal gesagt. Ich weiß das absolut zu schätzen, das waren keinesfalls Selbstverständlichkeiten. Das war groß!

[Applaus. Einige nutzen die Unterbrechung, um den Saal zu verlassen.]

Nun, liebe Freunde und Freundinnen, dass ich kein großer Menschenfreund bin, ist wohl bekannt, doch manchmal wecken Menschen auch in mir eine Begeisterung, die ich kaum kontrollieren kann. Wer schon einmal von mir Komplimente bekommen hat, wenn ich betrunken war, der weiß, wovon ich spreche.

[Alle nicken im Chor, drei verlassen kopfschüttelnd den Saal.]

Ich darf Ihnen versichern: Ich meinte jedes Kompliment so, wie ich es gesagt habe und wiederhole an diesem für mich historischen Tag einige davon sehr gern und Sie dürfen sich ebenso gern angesprochen fühlen. Denn auch, wenn es einige nicht gemerkt haben, nicht merken konnten, weil ich Ihnen die Chance dazu nicht gab, habe ich hier viel Sympathie empfunden.

[Ein Mann mit Kladde erhebt sich und verlässt den Saal.]

Ich habe hier Menschen kennengelernt, die über einen derart feinen Humor verfügen, dass es mir mitunter die Sprache verschlug. Ohne ihn namentlich zu nennen verweise ich auf jenen Kollegen, der an Selbstironie die meiner Person nachgesagte überragt, dass ich mich mitunter im Neid erging. Ich forsche seit Jahren daran, warum ich Menschen, die über diese Fähigkeit verfügen, innerhalb kürzester Zeit in mein Herz schließe, warum ich nahezu zu ihnen aufsehe. Allein um die Antwort weiß ich nicht. Noch nicht!

[Walter-Scott räuspert sich.]

Kann ich … könnte vielleicht jemand so freundlich sein, und mir ein Wasser … an meinem Platz, da dürfte noch ein Glas …

[Sein langjährigster Kollege bringt ihm einen Kaffee, Schmunzeln im Saal.]

Da ist er! Danke, sehr freundlich. Also er weiß, was ich gerne trinke! Er trinkt selbst ja keinen Kaffee, riecht ihn aber gerne. Mann, mann, zehn Jahre haben wir zusammengearbeitet! Das ist wohl der schlimmste Verlust in diesen Tagen … So, wo war ich? Selbstironie. Sich nicht so ernst nehmen. Das ist in meinen Augen die Kunst des Lebens, die Kunst womöglich auch der Lehre der Sympathie: andere ernst nehmen, sich selbst nicht. Ich nenne es den Seppo’schen Imperativ – in zweihundert Jahren wissen Sie, warum. Das sollten Sie sich aber jetzt schon einmal aufschreiben …

[Gelächter im Saal. Vier Zuhörer klettern aus dem Fenster. Einer rammt sich einen Bleistift in den Hals und blutet aus.]

Aber nicht nur auf Selbstironie, auch auf Gelassenheit durfte ich hier treffen. Auf Gelassenheit selbst in den stressigsten Situationen. Mit selbst geht Gelassenheit – und offener werde ich heute nicht mehr! – ab. Darum bewundere ich Menschen, die eine Ruhe und unumstößliche Gelassenheit ausstrahlen, während ich mir eine düstere Zukunft ausmale! Doch hier wurde niemand laut, hier blieb man stets respektvoll, wobei ich – auch, wenn sich das nicht gehört – durchaus auf Ausnahmen verweisen möchte. Doch auch mit Respektlosigkeit kann man souverän umgehen und sie ins Leere laufen lassen. Kam mir jemand respektlos, so kam ich ihm anschließend gar nicht mehr. Es ist wichtig, die Fähigkeiten des anderen, über die man selbst möglicherweise nicht verfügt, dafür wohl in anderen Bereichen, anzuerkennen und eben zu respektieren: Und auf diese Weise hat es hier auch stets gut funktioniert, denn so muss, so soll!, es funktionieren. Jeder profitiert vom anderen, wovon letztlich das Gesamtkonstrukt profitiert. Hier und da sollte sich das der eine oder andere vermehrt zu Herzen nehmen, denn es mag manchen überraschen: Niemand ist besser als der andere, auch wenn er das selbst von sich glaubt. Und selbst wenn: Der andere möchte es gar nicht hören!

[Kunstpause, Walter-Scott trinkt erst jetzt von seinem Kaffee.]

Ausgezeichnet! Riecht auch wirklich gut!

[Walter-Scott blickt verschmitzt zu seinem langjährigsten Kollegen.]

Christopher, den Kaffeesatz darfst du zum Riechen behalten!

[Der Saal lacht, Christopher verdreht die Augen und lacht nun ebenfalls.]

Guter Mann. Zehn Jahre. Mann, Mann! Viele wissen vielleicht nicht, dass ich als sein Praktikant anfing!

[Der Saal applaudiert. Ein Zuschauer hat sich erhängt.]

Nun, keine Zeit für Rührseligkeiten. Sie wissen ja, dafür bin ich nicht zu haben!

[Wieder Lachen. Walter-Scott wischt sich eine Träne – jetzt aus dem linken Auge.]

Tja, die Dinge sind im Fluss. Alles, was ist, bleibt nicht, alles, was ist, das geht auch. Und ich darf offen sagen: Hier sitzen Menschen im Saal, die ich sehr wahrscheinlich heute zum letzten Mal sehe. Wege führen zueinander, Wege trennen sich wieder. Ich blicke in Gesichter, in die ich mehr als zwei Jahre geblickt habe. Freilich mit Unterbrechungen! Ich hoffe, niemand fühlte sich angestarrt!

[Die Zuhörer lachen, einer sagt: „Mich hat er nicht eines Blickes gewürdigt, dieser arrogante und selbstverliebte Arsch.“]

Einige will ich unbedingt wiedersehen, doch machen wir uns nichts vor, ein Abschied wie der heutige ist in einigen Fällen auch ein endgültiger. Aber kein dramatischer und ich erinnere mich an traurige Abschiede. Dieser Abschied ist für mich selbst, das darf ich sagen, ein Aufbruch. Ins Ungewisse zwar, aber glauben Sie mir, ich habe einige Ideen und erlaube mir nichts anderes als ein „Goldenes Zeitalter“, das für mich bald bereits an einem anderen Ort eingeläutet wird … Ich muss mich heute verabschieden von Menschen, mit denen zusammen ich Projekte umgesetzt habe, die – sofern sie mich betrafen – nun Vergangenheit sind. Nicht alle, eher wenige, dürfen wir heute einen Erfolg nennen. Doch abseits des quantitativ messbaren Erfolges waren sie dennoch ein Erfolg für jeden Einzelnen und da ich nun hier stehe, darf ich von meinem Erfolg sprechen: Ich durfte das tun, was ich schon als zarter Jugendlicher so gerne einmal tun wollte, nachdem ich als Kind aus unerfindlichen Gründen immer Zoowärter werden wollte. Da war sie schon, die seltsam faszinierte Annäherung an Tiere, diese Wesen mit ihrem ganz eigenen Willen … Ich durfte, auch wenn es im Grunde niemand mitbekommen hat, mich ohne Rücksicht auf irgendetwas ausleben und ich sehe für mich als ein sehr großes Glück, das auf – wie ich meine – andere Weise zu tun, als es üblich ist. Üblichkeiten, notieren Sie das bitte, weil es mir gefällt, Üblichkeiten sind nicht meine Welt, was sie nicht unbedingt zu einer einfachen für mich macht, weil es leider oft zu Fehleinschätzungen meiner Person durch andere, nicht durch jeden!, führt. Da ist die eine, die mich einschätzen kann, die mich nun begleiten wird in eine neue Ära, in die ich sie begleite. Und da ist die, die sowieso alles live von mir getickert bekommt …

Liebe Freunde, glauben Sie mir: Ich bin und bleibe Beobachter von Ihnen – und dieser Welt. Ich wünsche Ihnen – zumindest der großen Mehrheit – sehr ernst gemeint alles Gute. Denn ich weiß ja, wie viel Herzblut Sie investieren. Es ist dieses Herzblut, das ich künftig für andere Dinge aufbringen werde. Und eines Tages, da komme ich überraschend vorbei und möchte sehen, ob Sie meinen letzten Wunsch haben erfüllt werden: Ob Sie aus meinem Büroplatz, den ich alsbald verlasse, eine Gedenkstätte, freilich zu meinen Ehren, gemacht haben. Denn eines ist gewiss: Ich hinterlasse Fußstapfen, die nun wirklich kein Mensch auf dieser Welt zu füllen in der Lage ist!

[Gelächter. Die ersten merken, dass nichts mehr kommt, sodass Applaus aufbrandet. Man erhebt sich. Sir Henry Walter-Scott lässt sich feiern, wie man es wohl von ihm erwartet hat. Einige Zuhörer verschwinden unauffällig durch den Notausgang. Einer sagt: „Wer war das?“]


Bleibt die Frage offen, wie es das Tonband vermocht hat, visuelle Informationen zu transportieren, die hier in den eckigen Klammern angeführt sind …