Vor etwa einer Woche verfiel ich einer Weihnachtsstimmung. Selbst für mich als großer Fan der Weihnachtszeit ist das recht früh. Anlass war eine Weihnachtsfeier, auf der unter anderem „Rudolph the red-nosed reindeer“ angestimmt wurde, was in meinen Augen natürlich Blasphemie ist, da das ja mit deutscher Weihnacht nichts zu tun hat und wir ja nicht zwanghaft jede amerikanische Tradition importieren müssen, die in diesem Fall auf einem Kinder-Malbuch basiert. Ich finde nicht, dass es zu unserer Weihnacht passt, doch ich erwähne auch, dass es sich um die Weihnachtsfeier eines international tätigen Unternehmens handelte, das aber durchaus manch deutsche Tradition auch den ausländischen Gästen hätte nahebringen können. Aber diese kennen nun immerhin Schrottwichteln, was eine geschickte Form des Recyclings ist, wofür man die Deutschen ja kennt.

„Ich singe da nicht mit!“, sagte ich zu meinem bereits schwer angeheiterten Kollegen, den ich  deshalb nicht näher benenne. Aber Christopher war anders als ich durchaus angetan:

„… had a very shiny nose … and if you ever saw it …“

Ich wollte nun meinem Protest durch eine Simultanübersetzung Ausdruck verleihen. Gar nicht zu singen, fand ich schwierig, da ich auf meiner letzten Weihnachtsfeier nicht als Spalter dastehen wollte. Also sang ich parallel auf Deutsch mit.

„… hatte eine sehr scheinende Nase … und … äh … wenn du … also wenn du jemals … saw iiiit …“

Ich brach mein Unterfangen ab und bestellte Gin Tonic Nummer fünf, den man, wie ich von Kollegen Flo gelernt habe, „über die Gurke trinkt“.

„Entschuldigung, ich tue was?!“

„Du musst den über die Gurke trinken!“

„Welche Gurke?! In meinem ist keine Gurke. Hätte ich Gurken mitbringen müssen?!“

„Na, du hättest den Gin ja auch mit Gurke bestellen müssen!“

„Flo, das wird mir zu kompliziert, ich trinke ihn wie gewohnt über die Zunge. Nebenbei, hast du noch ‚Captain Morgan‘?“

Christopher kam an die Theke:

„… They never let poor Rudolph join in any reindeer games …“

„Christopher, sie singen längst ‚Silent night‘!“

Da war ich wieder textsicher, natürlich aber auf Deutsch. Davon abgesehen singt man „Stille Nacht“ nie im November! Das geht nun wirklich nur in der Heiligen Nacht.

Ich bin ein Freund von Traditionen und Ritualen. Meine Mitbewohnerin kann ein Lied davon singen, sie leidet sehr darunter und sieht dieses Leid als den Preis für meine vielen liebenswürdigen Macken. Doch Weihnachten ist immer besonders hart für sie, denn Weihnachten ist als solches ja schon ein Fest der Traditionen: Treffen Weihnachten und ich aufeinander, beginnt für sie und meine Familie die schwerste Cait des Jahres. Denn bei uns schreibe ich das Drehbuch für sämtliche weihnachtlichen Familienfestivitäten und ich bin überdies ein kompromissloser Regisseur. Ich bin ein Weihnachtstyrann. Doch dazu in den kommenden Wochen mehr, wenn es so weit ist.

Ein Wort richte ich wie jedes Jahr an „Weihnachtshasser“. Es ist in Ordnung, Weihnachten nicht zu mögen. Doch was Weihnachtshasser überschätzen, ist das Interesse der Weihnachtsfreunde an ihrer Ablehnung, die sie jedem ungefragt mitteilen. Klassisches Beispiel: Dass bereits im August Spekulatius in den Supermarktregalen stehen, kann einen doch nicht ernsthaft stören! Es steht so vieles im Supermarkt ganzjährig rum, das man gar nicht wahrnehmen muss. Tampons beispielsweise. Ich weiß, dass sie da irgendwo stehen, aber da sie mich nicht interessieren, wüsste ich nicht mal, wo sie liegen. Bei der Alufolie? Ich weiß auch nie, wo die Alufolie ist.

Weihnachtshasser investieren mehr Energie in ihren Hass als ich in meine Freude, sodass sie ihrem Objekt des Hasses viel zu viel Aufmerksamkeit schenken, als es einem zu hassenden Objekt eigentlich zustünde. Das ist Zeichen eines gering ausgestatteten Verstandes, was nun eine Überleitung zur AfD wäre, die ich aber liegenlasse.

Ich hasse zum Beispiel Karneval. Zehn Jahre lang habe ich in Düsseldorf gelebt und selbst am Rosenmontag relativ wenig davon mitbekommen. Nicht ein Mal war ich bei dieser seltsamen Parade, bei der blondierte, fünfzigjährige Frauen randvoll irgendwo mit verrauchter Stimme grölen und mit Körperkontaktaufnahme drohen. Männer geben freilich kein besseres Bild ab. Und für Verkleidungen hatte ich noch nie Verständnis. Das alles kann man aber ignorieren, ohne es den anderen schlechtzumachen.

Und um es mal deutlich zu sagen: Wer mir Weihnachten schlechtmacht, bekommt einen vor seine Mappe. Blut und Weihnachten schließen sich bei mir nicht aus. Ich lasse mir durch nichts diese besinnliche Zeit vermiesen. Denn sie hat eine hohe Bedeutung für mich.

So gesehen ist für mich Weihnachten das Fest des Egoismus. In dem Punkt weiche ich von dem eigentlichen Sinn des Festes leicht ab. Während ich meine Geburtstage zur Jahresmitte stets ignoriere, weil sie mir egal sind und ich das Lamentieren über das angebliche Altern unerträglich finde, zelebriere ich zu Weihnachten, dass ich ein weiteres Jahr gelebt habe. Und so alles gutgeht, sind auf dem traditionellen und freilich von mir initiierten Familienfoto genauso viele Menschen abgelichtet wie im jeweiligen Vorjahr, doch weiß ich natürlich, dass baldige Verluste zwangsläufig sind, sodass es sich erst recht gehört, dieses Fest inbrünstig zu feiern.

Weihnachten, ich schreibe das hier im seppolog nun bereits zum vierten Mal, ist die einzige Zeit im Jahr, wo man von außen nicht gestört wird, wo man sich wirklich einmal ins Private zurückziehen kann, das ja jeder anders für sich definiert. Ich will im Grunde Weihnachten keinen Menschen sehen müssen, den ich nicht liebe

„Seppo feiert ganz alleine! Hihi ….“

Dieses Weihnachten ist überdies ein ganz Besonderes für meine Mitbewohnerin und mich. Und damit ist der Moment, wo der Name „Münster“ fällt, nun gekommen, denn dieses ist das erste Weihnachten, das wir in unserer neuen alten Heimat Münster verbringen werden. Vor einem Jahr etwa haben wir das zwar entsprechend geplant, dass es jedoch Wirklichkeit wird, war so sicher nicht. Und so war ich vor einigen Tagen das erste Mal nach mehr als zehn Jahren wieder auf einem Weihnachtsmarkt. Aus diesen mache ich mir wenig, da ich mich dort wegen des Gedränges zu gegangbangt empfinde – Zwankskörperkontakt als eine Form des Terrors, der dem IS-Terror in wenig nachsteht.

Gelungene Überleitung zu den Antiterrorpollern, die wir natürlich auch vor den Münsteraner Weihnachtsmärkten platziert haben. Hier hat man ihnen Mützen aufgesetzt, damit sie nicht so unästhetisch wirken. In Düsseldorf hat man Sitzbänke an sie drangeschraubt, doch warne ich davor, sich überhaupt in deren Nähe aufzuhalten, da sie ja dafür gedacht sind, dass LKW in sie reinkrachen. Wer also will da sitzen?!

Als ich aber laufend unsere Märkte passierte, ging ich kurzerhand „drüber“, da man immer „über“ Märkte geht, obwohl an sich ja mittendurch. Und da packte sie mich wieder, diese Weihnachtsstimmung, und mir wurde klar, dass ich in Münster zunächst einmal alles toll finde, jetzt also auch Weihnachtsmärkte, ohne dass ich Glühwein trinken muss, um sie zu ertragen. Ich glaube, nur deshalb gibt es die Glühweinstände – es käme sonst niemand und der Terrorist würde ein langes Gesicht machen.

Sie geht wieder los: die Besinnlichkeit. Wie jedes Jahr werden meine Mitbewohnerin und ich unsere Adventskalender befüllen. Und wie jedes Jahr werde ich damit eine Woche in Verzug sein. Doch dieses Mal habe ich eine gute Ausrede: Wir ziehen Anfang Dezember in unsere neue Wohnung um. Und in der – das darf sie als Drohung verstehen – ist Platz für einen noch größeren Weihnachtsbaum, da wir hohe Decken haben werden. Ich liebäugele in diesem Jahr mit einem Weihnachtswald und einer „lebenden Krippe“. Entsprechende Jesuskind-Darsteller habe ich bereits von einer Entbindungsstation gestohlen und gecastet.

Ich stimme nun abschließend mit Ihnen ein in das Weihnachtslied meiner Mitbewohnerin und mir nach der Melodie von Hape Kerkelings „Witzischkeit kennt keine Grenzen“:

„Besinnlichkeit … kennt caaaaaine Grenzen!“

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