Was viele ja nicht wissen: An mir ist ein Innenarchitekt verloren gegangen. Wobei, kann ja alles noch kommen, wechsele ich ja gerade die Berufung. Nun, wie dem auch sei, meine Mitbewohnerin leidet unter meinem Einrichtungswahn, zumal wir nun in unsere neue Wohnung einziehen, die konzeptionell unserem Neuanfang und unsere neuen Bedürfnisse widerspiegeln soll. In allen Bereichen unseres Lebens beginnen wir neu. 

„Wir lassen uns aber dieses Mal Zeit mit dem Einrichten, oder?“, fragte meine Mitbewohnerin mich auffällig oft in den vergangenen Tagen.

Denn sie hat Angst. Sie erinnert sich sehr gut an unsere letzte Wohnung, in Düsseldorf. 2012 zogen wir dort ein und erstmals zusammen. Beide hatten wir nichts: kein Sofa, keinen Tisch und keinen Kleiderschrank. Im Grunde musste das komplette Mobiliar neu angeschafft werden. Da ich kein Mensch des langen Diskutierens, sondern eher des Machens bin, weil ich es hasse, wenn man Dinge totredet, bevor man sie umsetzt, verging zwischen Planung und Umsetzung keine messenswerte Zeit. Ich setze erst um, um danach festzustellen, dass man über die eine oder andere Umsetzung vorher hätte diskutieren sollen.

„Ich erinnere an die braune Wohnwand, Seppo!“, mahnt sie mich zur Zeit mehrfach. Und leider hat sie damit Recht. Im Möbelhaus sah sie eigentlich ganz gut aus, die Wohnwand, entpuppte sich dann bei uns in der Düsseldorfer Wohnung, die jüngst in Schutt und Asche gelegt worden ist, als deplaciert. Unser Wohnzimmer, das als „Medienraum“ fimierte, erinnerte schwer an einen Konferenzraum der Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg. Kurzerhand bauten wir damals die Wohnwand wieder ab, reichten sie erst ans Arbeitszimmer, dann an den Recylinghof weiter. Auch die Gestaltung unseres Arbeitszimmers damals missriet mir völlig. Und das etwa drei Mal.

Ich würde die Aufgabe der Innengestaltung der Wohnung ja durchaus meiner Mitbewohnerin überlassen, doch – und das sage ich bei aller Vorsicht und jedem Respekt – würde unsere Wohnung dann eher provisorisch eingerichtet sein – und das auf Dauer. Wenn jemand ein Interesse daran hat, einen Blick in meinen Kopf zu werfen, dann verrate ich demjenigen, dass eine äußere Ordnung eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende!, Bedingung für meine innere Ordnung ist. Bin ich einmal innerlich nicht aufgeräumt, durch welche Ereignisse auch immer, muss ich zunächst immer erst die Wohnung aufräumen, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass unsere Wohnung stets ordentlich ist. Es gibt nicht einen Gegenstand bei uns, über dessen Verbleib ich nicht vollumfänglich informiert bin. Alles hat seinen logischen Platz, so etwas wie Dinge zu suchen kenne ich nicht. Jederzeit weiß ich, wo sich mein „Montblanc“-Kugelschreiber mit „Seppo“-Gravur findet, der ein Geschenk meiner Eltern war. Nie muss ich nach meinem elektronischen Hornhautraspler suchen, da er seine eigene Schublade hat. Und niemals käme ich in die Verlegenheit zu fragen, wo denn mein allererstes Käppi liegt, das ich 1998 in Frankreich trug, als ich versuchte, mit einer unfassbaren Schönheit am Strand Geschlechtsverkehr einzuleiten. Alles hat seinen Platz wie sonst nur das Jesuskind (oberste Schreibtischschublade vorne rechts).

So betrachtet ist ein Umzug der absolute Horror für meine innere Ordnung, da derzeit nichts mehr an seinem Platz, sondern in irgendwelchen Kartons liegt, die morgen mit einem LKW quer durch Münster chauffiert werden. Das sind Momente, in denen ich schlecht ansprechbar und ausgesprochen angespannt bin.

Morgen ziehen wir also um und morgen Abend wird – ceteris paribus – alles wieder an seinem Platz sein, da ich nicht schlafen kann, bevor das der Fall ist. Dass das aber möglich ist, zeigte unser vergangene Umzug vor rund neun Wochen, auch wenn das enorme Arbeit bedeutet.

Dieses Mal allerdings wird es schwieriger, da wir uns von Möbeln getrennt haben und unsere Raumaufteilung eine andere sein wird. Highlight wird das Sportzimmer sein, das wir uns mit dem Nachwuchs werden teilen müssen, da Sport Priorität hat. Höhepunkt darin wird der mit Matten ausgelegte Boden sein, damit ich weich falle, wenn ich aus der „Kraftstation“ rutsche, wie sich das zweite Highlight offenbar nennt. Ziel ist ein autarkes Fitnessstudio in unserer Wohnung und natürlich habe ich das auch schon mal alles durchgerechnet.

„Du hast waaas?!“, fragte sie mich vorgestern bass erstaunt.

„Ich habe es durchgerechnet. Ganz unverbindlich. Hantelbank, Krafttstation, Boxsack, Matten, Ringe, Klettergerüst … klingt erstmal teuer, ist es aber gar nicht! Bei den Matten könnte ich sogar einen Mengenrabatt raushandeln.“

„Wir wollten es langsam angehen!“

„Ja, aber ‚langsam angehen‘ kann ja nicht bedeuten, es gar nicht anzugehen! Und wie gesagt, ich hab’s nur mal grob geplant. Und wir wollten doch immer das Sportzimmer!“

„Was ist das da?“, fragte sie und zeigte auf meine Skizze.

„Das ist optional. Das ist der ‚Kettler Fitmaster‘. Sieht erstmal wuchtig aus, kostet aber nur 600 Euro! Ein Muss für jeden Kraftsportler!“

„Und was ist das da für ein Ungetüm?!“

„Oh, das bin ich. Habe mich selbst in die Skizze eingebaut, um zu sehen, ob mir noch Platz bleibt, wenn erstmal alles drinsteht.“

Ein Zimmer nur für den Sport – ein absoluter Traum, den wir uns beide erfüllen wollen, ein weiterer Traum, der nun Wirklichkeit wird, auch wenn ich auf den Fitmaster werde verzichten müssen. Aber allein dieser Boxsack entlastet meine Mitbewohnerin sehr …

Was ich meiner Mitbewohnerin darüber hinaus verschwiegen habe, ist das neue Wohnkonzept, das mir vorschwebt. War unsere alte Wohnung in Düsseldorf deutlich kleiner als die neue und dadurch zwangsläufig sehr vollgestellt, will ich nun das andere Extrem, da ich ein Mensch der Extreme bin, wie meine Mutter mir seit 20 Jahren unter die Nase reibt.

„Das fängt schon beim Kaffeekochen an! Du nimmst viel zu viel Pulver!“, klagt sie gerne.

„Ja, aber wenn’s doch schmeckt! Ich mag den Kaffee gerne schwarz, sonst würde ich ja Tee trinken.“

„Wenn’s ihm doch schmeckt!“, pflichtet mein Vater dann gerne bei, eher verschmitzt aber, denn er weiß, von wem ich meine liebenswerte extreme Art geerbt habe. Und davon abgesehen: Wer Kaffee trinken will, der sollte sich nicht über ein „zu stark“ beschweren, da Kaffee per definitionem gar nicht „zu stark“ sein kann. Man trinkt Kaffee nicht, um in einen Dämmerschlaf zu fallen (Für die bereits die Feder zückenden Besserwisser: Mir ist der einschläfernde Charakter von Kaffee unter bestimmten Bedingungen bewusst.).

Wie kam ich jetzt drauf?! Achja, mir schwebt das andere Extrem vor: eine große, helle Wohnung mit hohen Decken beziehungsweise Wänden, in der aber nicht viele Möbel stehen. Das Wohnerlebnis soll von einer gewissen freigeistigen Elegenz getragen sein. Und wer „Wohnerlebis“ schreibt, der weiß, wovon er redet oder hat nicht mehr alle Latten am Zaun. Ich will mich an jedem Quadratzentimeter unseres sanierten Holzdielenbodens laben können!

Der ganze Scheiß kommt in den Keller. Alles, was ich im Alltag nicht gebrauche, landet in unserem Keller. Es mag mir ein gutes Gefühl geben, dass ich noch von jedem Drucker das USB-Kabel archiviert habe, doch solche Dinge werden nun in den Keller outgesourcet. DVDs, von „Der Pate“, „Good Fellas“ und „Sopranos“ (SOPRANOS, SABRINA!!!! SOPRANOS!!!) abgesehen, landen im Keller, werden eh nicht geguckt. Stattdessen will ich von Dingen umgeben sein, die ich lese oder gelesen habe, was nicht für meinen extremen Kaffeesatz gilt.

Das sind so Träume, die man hat, und von denen man bemerkt, dass man sie lediglich anpacken muss, damit sie real werden. Und gerade ist die wohl beste Zeit, sich die Dinge so zu biegen, dass man sich wohlfühlt. Allein das Sportzimmer beflügelt mich gerade wieder!

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