Derzeit fahre ich gepäckbedingt viel dem Taxi. Und selbst, wenn es in Münster „Uber“ gäbe, würde ich es ablehnen, da ich kein Freund von diesem zersetzenden Wirtschaftsmodell bin, das zu ganzen makroökonomischen Verwerfungen führt, ähnlich dem unseligen „Airbnb“. Vorreiter dieser neuen Ökonomie ist übrigens „Ikea“, das den Zusammenbau der Produkte ebenfalls an den Konsumenten weitergereicht und gleichzeitig als Vorteil verkauft hat. (Offensichtlich bin ich wirtschaftskonservativ …) Außerdem fahren Uber nur solche, die auch meinen, hierzulande „Thanksgiving“ feiern zu müssen.

Doch zurück zur Logistik meiner Person. Entgegen meiner Art habe ich meinen vergangenen Taxi-Fahrern ein Gespräch aufgezwungen, zumal sich immer ein Anlass dafür aufdrängte. Normalerweise ziehe ich den Verzicht auf smalltalk aus naheliegenden Gründen vor.

Die Leerfahrt

Beginnen wir meine Reise in Münster, wo ich am Dienstagmorgen aus dem Fenster unseres Ostflügels blicke, wie ich es sonst nur tue, wenn ich einen DHL-Boten erwarte. Dieses Mal warte ich auch auf ein gelbes Auto, allerdings auf mein vorbestelltes Taxi, das mich und meinen nahezu leeren Koffer zum Bahnhof chauffieren soll. Münster verfügt freilich über einen ausgezeichneten ÖPNV, doch verweigere ich das Busfahren, wo es nur geht, denn Busse die Vehikel des Pöbels. Damit hier cain Missverständnis entsteht: Ich bin ebenfalls Pöbel, muss es aber nicht jedem unter die Nase reiben.

Inzwischen weiß ich natürlich, dass man nie selbst den Koffer in den Laderaum des Taxis befördert, da stets der Fahrer selbst sichergehen muss, dass die Ladung ordnungsgemäß verstaut ist. Wer einmal versucht hat, selbst sein Gepäck in den Kofferraum zu hieven, wird gelernt haben, dass das mit keinem Taxi-Fahrer zu machen ist, den ich ab sofort ohne Bindestrich schreibe, was wohl richtiger ist, womöglich sogar am richtigsten.

„Der ist aber leicht!“, staunt bass mein Fahrer.

„Ja, der wird erst auf der Rückfahrt sehr schwer. Das hier ist gewissermaßen eine Leerfahrt.“

„Sie zahlen aber, oder?!“, fragt er und ich bin nicht sicher, ob er scherzt.

„Äh, ja, sicher. Also ich fahre mit. Leerfahrt wegen leeren Koffers.“

Er guckt mich fragend an, murmelt etwas Unverständliches und startet den Personenbeförderungsvorgang.

Das Eis ist gebrochen und über die Münzstraße nähern wir uns dem neuen Bahnhofsgebäude, das die Stadt Münster meiner Rückkehr zu Ehren errichtet hat.

„Gar kein Berufsverkehr?“, will ich wissen, „Den hatte ich an sich mit eingeplant. Jetzt bin ich wieder einmal viel zu früh da!“

Grundsätzlich bin ich eine halbe Stunde vor Abfahrt an Bahnhöfen oder anderen Terminen, weil ich überwiegend in 30-Minuten-Blöcken denke, was bedeutet, dass eine halbe Stunde für mich die kleinste messbare Zeiteinheit ist. Muss ich also beispielsweise in fünf Minuten an einem fünf Minuten entfernten Ort sein, kann man davon ausgehen, dass ich bereits vor 25 Minuten losgegangen bin. Leider rechnet die Deutsche Bahn ebenso, nur in die Zukunft gerichtet, sodass mein stetes Zufrühkommen sich auf deren stetes Zuspätkommen addiert, wessenthalben ich viel Zeit auf Bahnsteigen verbringe.

„Münzstraße immer frei eigentlich“, gibt er mir zurück und ergreift die Chance des neu aufflammenden Gespräches, um nach meinem Koffer zu fragen: „Warum Koffer leer?“

„Ich fahre nur für eine Nacht nach Berlin.“

„Warum dann ganze Koffer?“

„Weil ich viel zurücknehmen werde. Ich gebe dort gerade eine Art Zweitwohnsitz auf.“

Und muss daher etappenweise meine dortige zweite Sportgeräte-Garnitur zurückportieren. Reportieren. Bei meinem Einzug hatte ich damals schon geahnt, dass das mal ein Problem werden würde, aber da ich immer nur 30 Minuten nach vorne plane, schien mir das irrelevant. Das habe ich nun davon.

Was mir ebenfalls nicht bewusst war, ist die Tatsache, dass man inzwischen in jedem Taxi mit EC-Karte zahlen kann. Kollege Butzi wies mich auf diesen technischen Fortschritt jüngst hin, der mir entgegenkommt, da ich nie Bargeld bei mir trage, da mein Eindruck ist, dass ich es ohnehin ausgebe und mein Portemonnaie permanent umständlich nachladen müsste. Die drohende Abschaffung des Bargeldes ist allerdings nicht in meinem Sinne.

Am Bahnhof angekommen stellt sich heraus, dass der Akku des magischen Kartenlesegerätes leer ist.

„Was ist zu tun?“, frage ich, „Ich habe kein Bargeld. Ich habe Ihnen nichts im Gegenwert von acht Euro 90 zu bieten. Fahren Sie mich jetzt etwa wieder zurück?“

„Können Bargeld holen?“

Ja, kann ich natürlich und gehe in den Bahnhof. Als Pfand lasse ich mein Gepäck zurück, zumal es ja nur ein leerer Koffer ist. In dieser Anekdote geschieht nichts mehr, darum nutze ich die Gelegenheit für den Hinweis darauf, dass das Zitieren gebrochenen Deutsches nicht rassistisch ist, da er nun einmal so spricht. Sein Deutsch ist besser als mein …. äh … Ausländisch. Man muss solche Dinge wegen der Überempfindlichkeiten jetzt immer dazuschreiben. Kürzlich sah ich wieder mal einige Folgen aus „King of Queens“, die inzwischen rund 20 Jahre alt sind. Einige der Gags dort würde man heute wegen der überzogenen politischen Korrektheit nicht mehr machen können, was ich unerträglich finde. Die überzogene Sensibilität hat aber den Vorteil, dass es immer leichter wird, politisch inkorrekt zu werden. Ich wünschte mir mehr Gelassenheit und weniger Aufgeregtheit. Früher haben die Deutschen sich noch über die political correctness der Amerikaner lustiggemacht. Inzwischen haben wir aufgeholt, ja, lassen uns sogar durch US-Konzernmonopole – Facebook und Co. – genau diese oktroyieren. Darf man in Deutschland an sich zu jeder Tageszeit Nippel aller Art in Print und TV zeigen, ja auch Penisse und Mumus, sofern nicht bis zu einem gewissen Grad angeschwollen, wird bei Facebook eine Burstwarze schon zum Problem. Diese uns eigentlich fremde Norm übernehmen andere, deutsche Medien ebenfalls nach und nach, obwohl es kein genuin gesellschaftlicher Wandel dahintersteckt.

Der Schlagstock

Es ist Mittwoch. Mein Koffer ist nun prall gefüllt. Zwei, drei Kilometer ziehe ich ihn genervt hinter mir her, warte nur so darauf, dass die billigen Plastikrollen unter der Last des Eisens brechen. Es steht meine letzte Bahnfahrt an. Mir reichte es vollkommen, der Koffer hielte bis zur Wohnungstür in Münster, danach werfe ich das Teil ohnehin aus dem Fenster, um symbolisch mit etwas abzuschließen. Wenn ich Dinge abschließe, werfe ich immer etwas aus dem Fenster. Ich habe exakt nur eine Ex-Freundin. Und mit ihr schloss ich ebenfalls einmal ab. Sie wohnte im vierten Stock.

Weil das linke Rad bedrohlich eiert und mir vor einer Woche bereits ein Griff des Koffers gerissen war, beschließe ich, den Rest des Weges mit einem Taxi in Anspruch zu nehmen, zumal ich so den Spandauer Weihnachtsmarkt umgehen kann. Dieser wird wie vermutlich alle Märkte derzeit bewacht von mit Maschinengewehren ausgestatteten Polizisten und wir wissen ja auch nun wieder sehr genau, warum das so ist, ahnen aber, dass das wenig bringt. Ein aberwitziges Bild: Besinnlichkeit, wohin man sieht, garniert mit schweren Waffen. Schlimm finde ich das nicht. Schlimm finde ich, dass es notwendig ist. Und ich will nicht unnötig Aufsehen erregen, wenn ich mit einem Koffer, in dem Eisenteile aneinander klappern, zwischen Antiterrorpollern rumrangiere.

Der von mir auserwählte Taxifahrer – ich nehme immer den ersten in der Schlange – greift sich meinen Koffer, während ich mir meinen Kopf an der geöffneten Kofferraumklappe des Touran stoße, was mir bei Großraumtaxen immer passiert. Aufmerksame Taxifahrer schieben einen vorher vorsichtig zu Seite, habe ich inzwischen ebenfalls gelernt. 

„Junge! Was ist da drin? Goldbarren?!“, fragt er.

„Leichenteile“, gebe ich zurück untermalt von einem souveränen Gesichtsausdruck.

Er stockt. Überlegt. Dann: „Ne, sachma, was ist drin? Ultraschwer!“

„Deine Mudda“, erwidere ich. Nein, kleiner Scherz, hätte ich das getan, wäre mir der Schlagstock um die Ohren geflogen. Dazu gleich mehr.

„Da sind Gewichte drin.“

Wir steigen ein, er zuerst, da er noch den Beifahrersitz von Gedöns befreien muss. Ich sehe, wie er einen Schlagstock auf die Rückbank räumt.

Nach einigen Minuten Fahrt will ich es dann wissen: „War das eben ein Schlagstock? So ein Prügel?“

Er weiß gar nicht, was ich meine.

„Das Teil, das Sie eben weggeräumt haben.“

„Achso! Neeeeein!“, sagt er lachend und greift wieder nach hinten, holt den Prügel hervor, „das ist mein Handy-Ladekabel. Weil mir das hier im Wagen immer bricht, habe ich es zuhause mit Heißkleber umwickelt!“

Ich verstehe sofort, was er meint. Vor einigen Jahren habe ich meinen eiligen „Aygo“ mit einem Autostaubsauger gesaugt. Beim Zurückschieben des Beifahrersitzes rollte dieser über das Saugerkabel und durchtrennte es.

„Keine schlechte Idee!“, lobe ich und denke daran, wie meine Mitbewohnerin zuhause auch immer alles heißklebt, „dachte, wäre ein Schlagstock. Gegen zahlungsunwillige Mitfahrer oder so. Oder Betrunkene.“

Er lacht und stimmt mir zu, senkt das Niveau dann aber mit: „Könnte auch ein Dildo sein.“

Nun habe ich Bilder vor mir, wie mein Taxifahrer sich das heißgeklebte Ladekabel … naja.

Im Zug

Inzwischen sitze ich im Zug, der Koffer liegt weiter vorn im Gang, weil man ihn nicht auf die Ablage gehievt bekam. In Münster angekommen wird mich meine Mitbewohnerin abholen und damit, verehrter Leser, endet heute eine Ära. Nie wieder, so Gott es zulässt, werde ich Sie an dieser Stelle mit Zuggeschichten belästigen. Das seppolog ist immer Spiegel meines Lebens gewesen, sodass sich eineinhalb Jahre des Bahnpendelns hier natürlich niederschlagen mussten. Seien Sie versichert, es hat nicht nur einige aus Ihren Reihen genervt, am meisten hat es mich selbst genervt. Ich verbuche es als eine große Sozialstudie, als eine Erfahrung also, aus der ich sicherlich einiges werde mitnehmen können. Übrigens, und das ist kein Witz, die Bahn hat ihre Kaffeepreise gesenkt. Jetzt erst, zu meiner letzten Fahrt. Allerdings befürchte ich, nur der nominale wurde gesenkt, der reale durch Füllmengenverringerung erhöht. Doch das werde ich nun nicht mehr erfahren. Ich beende ein durchaus stressiges Kapitel und bin selbst gespannt, womit ich Sie in Zukunft penetrieren werde!

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