Meine Mitbewohnerin und ich wohnen nun seit mehr als zwei Monaten in unserer neuen Wohnung, die ich am treffendsten als „Palast-Bungalow“ beschreiben könnte, um dem Leser die Herrlichkeit dieses Anwesens angemessen nahebringen zu können.

Beim Einrichten dieser Immobilie gehen wir mit zwei Tempi vor: Ich hab’s gerne schnell und heftig, sie hingegen hat die Ruhe weg. Beide Varianten haben ihre Vorteile: Mein Tempo führt dazu, dass man eben nicht jahrelang unter Baustellenlampen haust, ihres hingegen dazu, dass man niemals Gefahr läuft, Opfer von Fehlkäufen zu werden. Ich denke da gerne an unsere erste „Wohnwand“ unseres Wohnzimmers zurück, die wir 2012 günstig erwarben, als wir damals in Düsseldorf unsere erste gemeinsame Wohnung einrichteten. Nachdem ich jene Wohnwand zusammengebaut hatte, haben wir beide sehr schnell festgestellt, dass wir uns ein hässliches Ungetüm zugelegt hatten, das ein wenig an das Mobiliar der Stasi-Behörde, wie man sie aus Funk und Fernsehen kennt, erinnerte: braunes Sperrholz, irgendwie aus der Zeit gefallen und ähnlich deprimierend wie Loriots mausgraue Sitzgruppe.

Jene Wohnwand hatten wir dann zunächst an das Arbeitszimmer weitergereicht, wo schon der Fehlkauf-Schreibtisch (braun) stand, der vorher ebenfalls im Wohnzimmer für wenige Tage einen Platz hatte, bevor wir noch einmal ganz von vorne angefangen haben. Dieses Mal wurde alles weiß.

Für meine Mitbewohnerin ist das nach wie vor ein Trauma, vielleicht das
Beziehungstrauma schlechthin. Andere Frauen denken bei „Ritter“ oder „Held“ an ihren Lebenspartner, sie denkt bei „Wohnwand“ an mich. Also bat sie mich beim Einrichten in Münster um etwas mehr Muße und Zurückhaltung.

„Ich habe mich jetzt sieben Jahre lang angesichts unserer Blumentopf-Situation zurückgehalten!“, protestierte ich.

„Blumentopf-Situation?! Was stimmt denn mit unseren Blumentöpfen nicht?!“, sie dann bass erstaunt.

Ich ging mit ihr in unser neues Arbeitszimmer, das Platzhalter für vielleicht ein Kinderzimmer ist, wobei ein eventuelles Kind sich eher wie in einer Turnhalle fühlen wird, da wir gerade dabei sind, dort eine Sprossenwand zu installieren; dazu jedoch zu einem anderen Zeitpunkt mehr, denn es geht jetzt um dieses Blumentopf-Debakel:

„Hier!“, sagte ich und deutete auf die Fensterbank, „Dieser Blumentopf ist rot, dieser hier grün, der da ist handbemalt, der gelbe da vorne ist zu klein für diese seltsame Palme und dieses Gestrüpp hier vorne hat nicht einmal einen Blumentopf! Nichts gegen Zimmerpflanzen, aber ihre deko-benefits, wie der Botaniker so sagt, werden aufgefressen durch diese allgemeine Hässlichkeit der Blumentöpfe!“

Warum erzähle ich das?! Nun, zum einen habe ich mich verfranst, zum anderen ist diese Anekdote nicht unwichtiges Vorwissen angesichts unseres Besuches bei „Ikea“ in Kamen. Eigentlich – wie das immer so ist bei Ikea – wollten wir einen Kleiderschrank. Ich überspanne direkt den Spannungsbogen, doch der Leser wird wissen, dass man bei Ikea alles bekommt, nie aber das, wessenthalben man hingefahren ist. Ich nehme also den Schluss vorweg, als ich auf Höhe der Hotdog-Theke ausrief:

„Pax am Arsch!“

Wir suchen seit Wochen, wenn nicht Monaten, nach einem Kleiderschrank. Natürlich, für mehrere tausend Euro bekommt man schnell ein Exemplar, das alle Wünsche erfüllt. Hätte ich aber mehrere tausend Euro über, so würde ich in Koks und Nutten investieren und nicht in Kleiderschränke. Ich möchte für einen Kleiderschrank nicht großes Geld ausgeben. Und wir ahnten ja, dass auch Ikea unsere Wünsche nicht würde erfüllen können. Denn natürlich haben wir schon im Vorfeld uns online einige „Pax“-Kombinationen zusammengestellt und wie ein roter Faden durch das Konfigurationsgedöns auf ikea.de zog sich die bittere Erkenntnis, dass unser drei Meter breite Wunschschrank sehr, sehr günstig zu haben ist.

Nein, zu haben wäre! Denn sobald man bei der Konfiguration auf das Auswahlfeld „Drehtüren“ klickt (die nichts anderes als Scharniertüren meinen und nicht etwa wirklich sich drehende Türen, wie man sie von „Topfschränken“ aus Küchen kennt), sobald man also den Wunsch äußert, dass der Schrank über Türen verfügen solle, verdoppelt sich nahezu der prognostizierte Preis auf das Dreifache.

Münster hat keinen eigenen Ikea. Das liegt daran, dass der Münsteraner sich eher im Landhausstil einrichtet und für diesen neumodischen Scheiß keinen Sinn hat. Der Münsteraner will Qualität, er will, dass seine Möbel den Zusammenbau überstehen. Der Münsteraner will nicht am Ende seines Lebens eine unüberschaubare Sammlung an Inbus-Schlüsseln vererben müssen, sich auch nicht fragen wollen, warum zur Hölle wieder ein Holzdübel übriggeblieben ist.

Es ist Samstag, wir – nicht Sie!, meine Mitbewohnerin und ich!, nehmen Kurs auf die A1 Richtung …

„Scheiße!“, rufe ich aus, „Schon wieder!“

„Was denn?!“, sie.

„Bremen. Ich fahre immer einen zu früh auf die Autobahn.“

„Was willst du in Bremen?!“

„Ich will ja nichts in Bremen! Ich habe mich in gewisser Hinsicht verfahren! Wir mussten Richtung Köln!“

„Warum fährst du dann in die Gegenrichtung?!“

„Es ist ein Missverständnis gewesen! Das Navi sagte ‚In 200 Metern nehmen Sie die Ausfahrt auf die A1 Richtung …‘ und da habe ich nicht weiter zugehört, weil ich dachte, kann ja so schwer nicht sein! Im Grunde müssen wir nur 30 Minuten geradeausfahren!“

„Es ist ja auch nicht schwer“, meine Mitbewohnerin weiter, „Sofern man nicht in die falsche Richtung fährt.“

„Das entwickelt sich hier gerade ganz ungünstig!“

„Und wir sind erst seit drei Minuten im Auto!“

„Ganz, ganz ungünstig!“

Nach eineinhalb Stunden finden wir uns im 30 Minuten entfernten Ikea Kamen wieder. Kamen hat einen Ikea. Warum hat Kamen einen Ikea?! Warum hat Ikea ein Kamen?!

„Man ist ja normalerweise auch von Münster aus schnell da!“, erklärt meine Mitbewohnerin, „Wenn man nicht in die Gegenrichtung fährt …“

Die Stimmung ist bereits auf dem Tiefpunkt, noch bevor wir das Auto überhaupt verlassen haben. Wir suchen einen Parkplatz.

„Das Schöne am Ikea Kamen ist ja, dass sie nur diesen einen Parkplatz haben!“, schwärme ich meiner Mitbewohnerin vor, „Wir müssen nicht entscheiden, ob wir in die Tiefgarage fahren oder doch aufs Parkdeck. Wir parken einfach da, wo Flothos immer parken …“

Flothos parken immer am Eingang!„, wir beide im Chor.

Das kommt von meinem Vater, dessen Anspruch es immer war, stets an den Eingängen zu parken. Das ging solange, bis sich dort die Frauenparkplätze ausgebreitet haben. Und irgendwie hat es dieses Prinzip nicht ganz in die meine Generation geschafft: Zwar töne ich immer, wir parkten stets am Eingang, tatsächlich parken wir aber schon mal direkt an der Parkplatz-Ausfahrt.

„Zu eng … da, da ist einer, nein, ein kack Smart … da! Nein, da nicht. Ich parke nicht neben einem Kadett. Ohne mich! Ich bin ja nicht irgendeiner, der sich neben so einen … da! Da ist … nein, behindert. Das ist für Behinderte. Behinderte parken immer am Eingang. Schon mal aufgefallen?! Fällt mir erst in diesem Moment auf. … War nicht ganz am Anfang ein freier Platz?! Da an der Ausfahrt?“

Nach einer halben Stunde und viel Gebrüll, das hoffentlich die anderen Kunden sehr persönlich nehmen, finden wir uns im Ikea wieder. Und ich eröffne meiner Mitbewohnerin eine neue Errungenschaft von mir:

„Folgende Situation: Wir suchen primär einen Kleiderschrank. Für den uuuuunwahrscheinlichen Fall, dass ich Pax scheiße finde und wir keines Schrankes fündig werden, habe ich etwas entwickelt!“

Ihre Augen verdrehen sich: „Seppo, können wir nicht einfach wie die tausend anderen Menschen auch durch diesen Ikea gehen?! Musst du denn immer Dinge entwickeln?! Können wir nicht wie ganz normale Menschen einkaufen?!“

„Nein. Offen gesagt: nein! Sieh sie dir doch mal an! Hier am Eingang sind sie alle noch voller Hoffnung! Aber am anderen Ende, nahe der Kinderzimmer-Möbel, den Toiletten und dem Kötbullar siehst du nur noch Zombies! Und ich bin sicher, würde man die Menschen am Eingang und am Ausgang zählen, so würde man unweigerlich zu dem Ergebnis kommen, dass vorne mehr reingehen als hinten wieder rauskommen. Die Wissenschaft spricht vom ‚Ikea-Exitus‘.“

„Nein, das tut sie ganz sicher nicht. Das hast du dir in diesem Moment ausgedacht. Und jetzt zeig, was du entwickelt hast!“

„Ich präsentiere“, krame in der Hose und ziehe hervor, „den B-Einkaufszettel!“

„B-Einkaufszettel?“, sie ganz ruhig.

„Exakt! Alles, was wir heute kaufen wollen, steht auf unserem A-Einkaufszettel.“

„Ich habe keinen Einkaufszettel. Ich habe mir ‚Kleiderschrank‘ einfach so gemerkt!“

„Wir gehen hier ohne Einkaufsliste rein?!“

„Es ist nur ein Kleiderschraaaaaank!“

„Gut, dieses Mal, ja. Aber angenommen …“

„KLEIDERSCHRAAAANK!“

„Verstehe. Nun, sollten wir feststellen, dass wir unseren nicht vorhandenen A-Einkaufszettel nicht abarbeiten können, ist der B-Einkaufszettel unsere Trumpfkarte! Denn ich verlasse diesen Ikea nicht ohne einen randvollen Kofferraum!“

„Was steht auf diesem B-Einkaufszettel?“

„Wie du das sagst! So abschätzig!“

„Weil wir hier neben dem Bälleparadies stehen und über A- und B-Einkaufszettel diskutieren!“

„Bälleeeeebaaaaad! Zu Bällebad kann ich dir Sachen erzählen! Aber gut, heute nicht, das ist ein anderes Trauma. Nun, also gut. Ich will ja nur sagen, wenn wir merken, dass wir nicht fündig werden, kommt der B-Einkaufszettel ins Spiel!“

Natürlich fanden wir keinen Kleiderschrank. Im Grunde habe ich das auch schon aufgegeben. Wir fanden jedoch die Dinge, die auf dem B-Einkaufszettel standen: die erste von fünf noch zu kaufenden Decken-Lampen sowie 14 Blumenübertöpfe! Diese Töpfe machen mich glücklicher als jeder Kleiderschrank es vermag! Doch wir werden nicht aufgeben und nun jedes Wochenende uns auf die Suche nach einem passenden Schrank machen – immer dabei: mein B-Einfkaufszettel

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