Notiz an mich selbst: „In den vergangenen Monaten, in denen ich nicht schrieb …“

Damit ich das nicht gleich vergesse, denn ich muss mit etwas anderem beginnen: Die Strohwitwer-Geschichten, derer es inzwischen 31 gibt, sind von jeher aus mir unerfindlichen Gründen immer wieder ein großer Klickerfolg, obwohl sie völlig struktur- und inhaltslos daherkommen, was vielleicht manchmal recht erquickend sein mag, wo doch heute in Caiten der horizontalen Erzählweise alles inhaltlich recht anspruchsvoll geworden ist. (Obwohl auch ich meinen Texten stets eine gewisse Sprunghaftigkeit zu verleihen pflege, nicht forcierend, es aber zulassend!) Und da freute ich mich, weitere Strohwitwer-Texte an diesem Oster-Wochenende folgen zu lassen! Doch dann überrascht mich meine abwesende Mitbewohnerin mit ihrer verfrühten Rückkunft, an der ich mich natürlich sehr labe, denn jetzt kann der feine Herr zumindest wieder gut schlafen … Aber man stelle sich vor, ich hätte mich im Moment ihrer Rückkehr an einer anderen Frau gelabt! Denkt denn niemand an die Kinder?!

Und so sabotiert sie damit natürlich diese Strohwitwer-Reihe, sodass ich zunächst überlegt hatte, dem Leser ihre Rückkehr einfach zu verschweigen. Doch ob der es nun glauben mag oder nicht, hier herrscht in weiten Teilen eine ungemein weite Offenheit, ja, hier lasse ich sogar tiefer blicken, als ich es im realen Leben tue. Und daher betrüge ich ihn nicht, den Leser, sondern mache ihn zum Komplizen: Er tue nun mit mir so, als sei meine mir Zugetraute noch in weiter Ferne, sodass ich hier nun alleine sitze, verlassen mit meinen Gedanken. Und zu denen hatte ich mir eingangs eine Notiz hinterlegt.

In den vergangenen Monaten, in denen ich nicht schrieb, da ich schlicht keine Lust dazu hatte – und nur das war der Grund, nicht etwa persönliche Schlaglöcher im Lebensweg, die zwar unangenehm sind, aber erst recht zum Schreiben antreiben -, kamen mir gelegentlich Ideen und Gedanken, Meinungen und Einlassungen, die ich gerne niedergeschrieben hätte, doch allein, siehe oben, mir fehlte die Lust. Diese Gedanken will ich hier nun kurz abarbeiten, damit ich Ruhe habe.

Ich bin hochgradig aktiv bei Instagram. Warum? Weil es geht. Das war anfänglich zumindest der Grund, später wurde die Sache etwas ernster und aus verschiedenen Gründen auch noch wichtig. Kurz: Es zahlt sich für mich aus, dass ich es getan habe, sehe es aber trotz alledem als einerseits einen Zeitvertreib, andererseits eine Plattform, um so etwas wie „sportliche Inspiration“ zu verbreiten, ganz so, wie ich sie auch durchaus als Rezipient bei anderen aufsauge. Innerhalb spezieller Interessensgebiete können soziale Medien trotz aller Kritik recht ertragreich sein. Niemand muss dort aktiv sein, aber jeder darf und kann.

Wie dem auch sei, dort folge ich einem Menschen, den ich nicht kenne. Ich weiß auch nicht mehr, warum ich ihm folge. Ich weiß aber, warum ich ihm nicht entfolge! Weil seine postings wie jener sprichwörtliche Unfall sind, bei dem man irgendwie nicht weggucken kann, obwohl ich bei den buchstäblichen Unfällen immer weggucke, sofern ich nicht helfen kann. (Sehr ausbalanciert formuliert, gemerkt? Zwei Drittel eines Textes schreibe ich nur, um reflexhafte und erwartbare Empörung zu verhindern.) Jener Typ, deutlich jünger als ich und ganz offenbar asiatischen Ursprungs

RASSIST! WARUM MUSS MAN DAS ERWÄHNEN?!?!?!?!!!!1111

macht permanent selfies von sich (während ich ja selfies immer nur von anderen mache …), wobei er stets vor seinem Badezimmerspiegel steht, was ich natürlich daran erkenne, dass sich mit ihm seine Badewanne spiegelt, und beides lichtet er ab. Sich und die Wanne, manchmal noch offenbar getragene Unterwäsche, die neben jener Badewanne liegt. Ein Bad als Hintergrund, nichts neues inzwischen. Frauen, die sich in irgendwelchen Clubs im „Waschraum“ ablichten, Standard. Da ich vielen influencern aus dem Fitness-Bereich folge, weiß ich, dass das bei Männern ähnlich ist. Wobei die es ehrlicher machen: Das Selbstverliebte versuchen sie erst gar nicht zu verstecken, wohingegen Frauen meist den Eindruck erwecken wollen, der Anlass des selfies sei ein ganz anderer und nicht etwa das selfie als solches, was es aber natürlich ist. Frauen haben meist ganz zufällig beim Fotografieren eine Hand im Haar, überwiegend die, die das Handy nicht hält. Männer hingegen schreiben noch drunter: „Bros, seht, wie geil ich bin!“ Die ehrlichere Variante.

(Vor einigen Tagen schrieb mich bei Instagram jemand mit einer Sprachnachricht an, was sich natürlich widerspricht. Er nannte mich die ganze Zeit „Digga“. Beim ersten „Digga“ spürte ich meinen inneren Blutsturz, beim zweiten „Digga“ schrie ich laut auf und beim dritten „Digga“ beendete ich seine Nachricht und ignoriere bis heute sein Anliegen.)

Ich hingegen muss zugeben, ich mache es eher wie die Frauen und trage nur ganz zufällig in den unpassendsten Situationen ein Käppi mit Schirm nach hinten, was ich privat nie tue, denn da zeigt der Schirm nach vorn. Nun gut, zurück zu diesem Typen. Ich bin immer wieder kurz davor, ihm eine „PN“ zu schreiben. Weil es mich inzwischen (völlig grundlos) aggressiv macht, dass er auf jedem seiner Fotos vor dem Spiegel – er fotografiert also sein Spiegelbild, wie das so Usus ist – nicht in die sich spiegelnde Kameralinse blickt, sondern auf sein gottverdammtbeschissenes Handy-Display! SO FUNKTIONIERT DAS NICHT! SIEH DEN BETRACHTER AN!

Natürlich, ich könnte ihm entfolgen und meine Nerven schonen. Zumal er immer diese Lebensweisheiten unter seine Badezimmer-selfies schreibt:

Ein wahrer Freund fragt nicht, wann oder wieso… Wenn du sagst, „Ich brauche Dich!“, ist die einzige Frage, die er stellt: „Wo bist du?“ [sic!]

Es treten viele Menschen in unser Leben, aber nur die richtigen bleiben ein Leben lang – von diesen Leuten kann man behaupten, dass sie Freunde sind.

Früher hat man noch mit Anstand per SMS Schluss gemacht. Und heute ändert man einfach seinen Facebook-Status auf Single …

Jeden Tag ein bis zwei dieser Phrasen, aus dem Netz kopiert, deren schiere Masse auf eine nicht ganz intakte Seele schließen lassen. Und gerade das dritte Bonmot stellt mich vor die Frage, ob das messerscharfe Ironie ist, wobei ich die Antwort bereits befürchte.

Ein anderer Fall fällt mir da noch ein, der mich hysterisch lachen machte. Ein Fitness-Girlie, so würde ich es beschreiben, das noch eine Menge Fitness vor sich hat, was zu sagen gemein ist, festzustellen jedoch nicht. Sie war ihren Statusmeldungen zufolge bei der „Fibo“, der Leitmesse für Fitness und so weiter. Mein kompletter Instagram-feed war da und ich habe eine knappe Woche nichts anderes mehr gesehen als das Messegelände in Köln, auf dem ich mal ein Bällebad betreut habe, was nicht jetzt erst sich wie ein schlechter Witz liest. Anie heißt die Dame in etwa, die sich dort mit den einschlägigen Fitness-influencern hat ablichten lassen, was man da wohl so tut, wogegen nichts einzuwenden ist und überhaupt ist meine Meinung lediglich genau das und schon gar nicht maßgebend!

Nach der Fibo ging es los. Sie postete ein selfie mit sich und irgendeinem Typen, den man in dieser influencer-Blase gut kennt. Das Foto verzierte sie mit Herz-Emojis und schrieb eine unerträgliche lange Liebeserklärung darunter, hier nur auszugsweise:

Der Raum, der dein Wesen eingenommen hat [sic!], war wärmer als die Sonne und deine Energie war stärker als jeder Magnet.

Gut, kann man so machen, mein Stil ist es nicht, ich muss eher würgen und/oder lächeln. Zumal mich verwirrt, dass nicht etwa das Wesen Raum eingenommen hat, sondern es sich wohl umgekehrt verhielt.

Am darauffolgenden Tag folgte wieder ein Foto. Sie hing dieses Mal am Hals eines ganz anderen Fitness-Models und schrieb dazu:

Ich fand Dich ja schon immer zauberhaft, aber jetzt noch um einiges mehr […] Kai, Du schöner Mensch, vielen Dank [Herz] Fühle Dich umarmt von mir.

Am dritten Tag habe ich meinen feed gezielt nach ihr durchsucht, weil ich wissen wollte, ob sie sich noch einem weiteren an den Hals warf. Tat sie! Ich lachte hysterisch auf und zeigte nun auch meiner Mitbewohnerin, was sie dem dritten schrieb:

Wenn so ein schöner Mensch vor mir steht, dann fehlen mir schlichtweg die Worte […] Fühle Dich ganz lieb umarmt. [Herz]

Es ging noch weitere Tage so weiter. Sie, immer am Hals eines Models hängend, immer mit einer neuen Liebeserklärung! „Diese Fitness-Schlampe!“ rief ich, mich auf dem Sofa amüsierend.

Aber gut, warum auch nicht. Jeder, wie er will, zumal ich weiß, wie sich das Maul über mein Tun auf Instagram zerrissen wird. Soll es mich stören? Nein. Denn es ist nur Instagram.

Meine Mitbewohnerin hat übrigens in genau diesem Moment ein Foto gepostet, auf dem ich versuche, mich einem Pferd zu nähern. Die Szene ereignete sich am heutigen Vormittag, als wir versehentlich beim Laufen in ein militärisches Sperrgebiet gerieten, wo man uns mit Strafverfolgung drohte und vor Blindgängern warnte. Aber niemand warnte mich vor den Pferden! Dazu muss man wissen, dass ich vor diesen Tieren eine wahnsinnige Angst habe, da ich glaube, immer befürchten zu müssen, dass sie jeden Moment austreten oder ausrasten und mich zu Tode trampeln. Es scheinen mir sehr sensible Wesen zu sein, wie es mir mal Pferdeflüsterer gesagt haben, ich hingegen nenne sie labil und übernervös mit Hang zum Amoklauf. Natürlich weiß ich, dass das nicht stimmt. Aber muss man denn immer alles korrekt und richtig sehen? Es sind Bestien. Es sind die Schläfer unter den Tieren.

Guten Abend.

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