Zehn Uhr am Samstagvormittag. Recht besinnlich verharren meine Mitbewohnerin und ich noch lesend im Bett. Wobei wir eher mit der Lösung des Samstagsrätsels der Wochenendausgabe der Süddeutschen beschäftigt sind. Allerdings bleibt es bei bloßen Lösungsversuchen, da wir die harte Nuss nicht knacken können. Auch die Schwarmintelligenz meiner Instagram-Follower kam zu keiner Lösung; ich nehme an, sie sind alle nicht besonders helle. Wir werden wohl eine Woche lang auf die Auflösung in der SZ warten müssen – eine schöne Tradition übrigens, bei der wir jeden Samstag denken: Schon wieder ’ne Woche um?!

Es klingelt an der Tür.

Früher in unserer alten Wohnung in Düsseldorf-Marokanerviertel hieß das nichts. Bis zum Mittag klingelten da immer mehrere Postdienste, um Einlass zu den Briefkästen im Hausflur zu erbeten. Man reagierte also erst beim dritten Klingeln oder gar nicht. Sollten doch die anderen auch mal aufmachen. Viel Post hatte uns zu jener Zeit nicht erreicht.

Doch wenn es hier klingelt, ist es meist ein Klingeln mit dem Ziel, direkt Einlass in unsere Wohnstube gewährt zu bekommen, da die Briefkästen der hier drei Mitparteien vernünftigerweise außen angebracht sind.

„Das gefällt mir nicht“, sage ich zu meiner Mitbewohnerin, die sich an das einfachere Rätsel gemacht hat. Sie sucht jetzt den kleinen Hund auf den Kinderseiten der Wochenend-SZ. Ich habe ihn schon lange gefunden, darf ihr aber keine Tipps geben.

Was gefällt dir nicht?“, fragt sie.

„Dass hier jemand klingelt.“

Unsere Klingel hat zwei unterschiedliche Signaltöne. Der eine kommt dann zum Einsatz, wenn draußen vor der Haustür gebimmelt wird, der andere dann, wenn jemand schon vor unserer Wohnungstür in der ersten Etage steht. Frau Gernemann, die unter uns wohnt, ist es also schon mal nicht, da Signalton eins schellt.

„Erwarte ich ein Paket?!“, frage ich.

Wann erwartet du keins?“

„Hab ich wieder Hemden bestellt? Weißt du was darüber?“

Mein Handy leuchtet auf. Eine Whatsapp von Merugin: „Bist du zuhause? Stehe vor eurer Tür.“

„Es ist offenbar Merugin,“ kläre ich auf.

„Lass ihn nicht rein. Es ist zehn Uhr am Samstag. Er weiß, dass wir um diese Zeit den Hund suchen.“

Ich schreibe Merugin: „Wir sind da, aber suchen einen Hund.“

„Der Hund ist in der Kurzgeschichte versteckt“, schreibt Merugin zurück.

Ich: „Ich weiß das, ich hab ihn schon. Sie sucht noch.“

Er: „Dann kannst du mir ja öffnen!“

Es hat alles keinen Zweck, denn ich ahne, er lässt sich schneller abwimmeln, nachdem er sein Begehr vorgetragen haben wird. Ich schlüpfe aus meinem Nachhemd, wundere mich über den feuchten Flecken vorne und kommentiere das Anlegen adäquaterer Kleidung mit

„Ich werfe mir nur schnell was über.“

Denn was viele nicht wissen: Ich bin Schauspieler und spiele oft die Rollen derjenigen, die in Filmen aus dem Bett aufstehen, um sich „nur schnell was überzuwerfen“. Wann immer ein Filmproduzent diese Rolle vorsieht, meldet sich mein Manager bei mir. Moment, wie hieß der noch mal? Ganz alte Figur hier. Wie kriege ich das raus?!

KRAFTOLD KRAMER!!!! Den hatte ich ja komplett vergessen! Verzeihen Sie, dass ich an dieser Stelle die dritte Wand durchbreche!

Kraftold: „Die vierte, Seppo, die vierte Wand!“

Meine ich ja! Verrückt, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?!

„Ich bin wohl in Vergessenheit geraten!“

Gut, wir holen das alles nach! Aber ich muss nun diese wirre Geschichte zuende schreiben. Ich hab keinerlei Ahnung, in welche Richtung sie gehen soll. Ich hab mich da etwas verstrickt …

Und drücke den Türöffner, der bei mir auch in hundert Jahren vermutlich kaum Gebrauchsspuren aufweisen wird.

Merugin und ich lassen meine Mitbewohnerin weiter den Hund suchen und gehen ins Wohnzimmer. Merugin wirkt fröhlich, ein wenig überdreht.

„Seppo“, setzt er an, während ich einen Kaffee aufsetze, „… Moment, ihr habt eine Kaffeemaschine im Wohnzimmer?“

„Ja, toll, oder? Sie war plötzlich da. Ein DHL-Bote lieferte sie. Da wir in der Küche schon eine haben, hab ich sie hier aufgestellt.“

„Er hat den Überblick über seine Online-Bestellungen verloren!“, ruft meine Mitbewohnerin aus dem Schlafzimmer.

Wann immer es mich nun im Wohnzimmer nach Kaffee gelüste, erzähle ich ihm, müsse ich einfach nur Kaffeepulver und Wasser aus der Küche holen und könne hier bequem meinen Kaffee zubereiten, ohne dazu in die Küche … naja … also es ist sehr bequem.

„Stichwort ‚bequem'“, so Merugin, „Ihr alle macht es euch schön bequem mit eurer CO2-Vermeidung! Ihr meint, hier und da ein bisschen CO2 vermeiden und schon ist unsere Zukunft gerettet!“

„Ähh … Also ich bin jetzt nicht sooo der große CO2-Vermeider. Habe ja auch keine Kinder oder Haustiere, die vom Aussterben bedroht sind.“

„Bis auf euren Eisbären.“

„Ja, aber der stirbt schon vor dem Klimawandel. Davon abgesehen ist er uns entlaufen. Andere Geschichte. Schwieriges Tier. Mochte die Heizungsluft nicht.“

„Gut, gut. Also alle außer du vermeiden CO2.“

„Außer dir.“

„Richtig, denn ich blicke viel weiter in die Zukunft. Ich vermeide jetzt schon CO3!“

„Ich hab die Töle gefunden!“, ruft es aus dem Schlafzimmer! „Sie war zwischen den Zeilen der Kurzgeschichte für Kinder!“

„Du vermeidest was?! CO3?!“

„Ja, das ist das nächste große Ding. Trump spricht von nichts anderem nicht! Er schweigt es tot! Und wenn der es totschweigt, kann man sich denken, das ist was, was er totzuschweigen gedenkt! Aber nicht mit mir! Nicht jetzt zu Beginn der Post-Trump-Ära! Ich meine, was hat uns der Verzicht auf FCKW gebracht? Nichts!“

„Naja, also …“

„Ihr verschließt eure Augen vor den wahren Gefahren! Ihr lebt im Heute! Ich hingegen blicke ins Übermorgen! Wenn ihr alle glaubt, das Problem mit eurem CO2-Vermeide gelöst zu haben, fliegt uns CO3 um die Ohren!“

Der Kaffee ist durch. Ich serviere zwei dampfende Tassen, wobei die Tassen selbst natürlich nicht dampfen.

„Da! CO3! Ihr Umweltsäue!“

„Oh, das wusste ich nicht. Was kann ich tun?“

Merugin erzählt mir, dass er grundsätzlich auf Gase jeder Art zu verzichten versucht, da er dann sicher sein könne, dass er auch CO3 vermeide.

„Beispielsweise erwärme ich nichts mehr. Und kühle auch nichts mehr ab. Ich lasse auch alles zu, was geschlossen ist, und schließe nichts Geöffnetes. Ich schalte nichts an, was bereits an ist, oder aus, was aus ist. Meine Fenster halte ich immer geschlossen, damit das Rest-CO3 nicht in die Umwelt entweichen kann. Das ist natürlich keine langfristige Lösung, meine Wohnung kann nur ein Zwischenlager sein. Und jetzt kommen wir zu dem Grund meines Besuches.“

„Bitte.“

„Wie man hört, seid ihr bald Immobilienbesitzer.“

„Was?! Naja, also da muss noch etwas Cait ins Land ziehen.“

„Die haben wir nicht, mein naiver Freund. Mir geht es darum, eure dann ja bald frei werdende Wohnung zu einem CO3-Endlager zu erklären. Platz wäre ja.“

„Merugin, du hast nicht alle Latten am Zaun. Dir ist dein Exoskelett zu Kopf gestiegen!“

Während der Autor dieser Zeilen gerade nach einem Ausweg aus dieser Geschichte sucht, kommt meine Mitbewohnerin zu uns ins Wohnzimmer:

„Merugin, es war ein so schönes Jahr ohne dich. Es war so ruhig! Kein ungebetener Gast bei uns, keine vom Wahnsinn geprägten Geschichten! Was kommt als nächstes?“

„CO4“, schlage ich vor.

„Moooooment! Eins nach dem anderen! Tetroxidkohlenstoff ist absolut harmlos! In eurem Aktionismus verteuert ihr künstlich das Gas der Armen, weil ihr euch ja das teure leisten könnt, ihr als Münsteraner Neubonzen!“

Ich muss zugeben, damit schmeichelt er mir.

„Wenn das doch alles ein Problem der armen Bevölkerung ist, warum behelligst du dann mich damit? Ich als Reicher kann mich unmöglich auch nochn um die Armen kümmern“, erkläre ich.

Leute, ich komme nicht raus aus dieser Geschichte. Alles fing damit an, dass ich meiner Kollegin heute Morgen schrieb: „Ich vermeide CO3.“ Sie hat übrigens nicht darauf reagiert. Das hätte mir schon Zeichen genug dafür sein müssen, dass es für eine Geschichte zu wenig Stoff ist. Aber: Ein Gutes hatte die Geschichte! Mir ist Kraftold Kramer wieder eingefallen, eine Figur aus den Annalen des seppologs. Ich bin sicher, von ihm werden wir schon sehr bald wieder hören.

„Danke für den Kaffee“, sagt Merugin und verlässt die Wohnung.

Meine Mitbewohnerin und ich werfen uns wieder die Seiden-Nachthemden um und gehen zurück ins Bett.

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