Stille beim Lesen: zweifellos wichtig. Nur wenige Texte der Weltliteratur sind derart gut, dass man jegliches Hintergrundgeräusch bei der Lektüre ausblenden könnte. Obwohl ich die Meinung vieler Litaraturkritiker – sogenannter „Literaturpäpste“ – teile, dass die Texte aus jener Reihe, in die auch dieser sich einordnet, also in die der meinigen, …

Augenblick, nun bin ich Opfer meiner eigenen Verschachtelungen geworden, ich müsste das Vorige ganz kurz noch einmal überdenken und – wie man so sagt – „aufdröseln“. Bis dahin zur Überbrückung:

Also: Obwohl ich die Kritikermeinung teile, dass auch dieser Text aufgrund seiner hohen Qualität bei jeglichem Hintergrundgeräusch gelesen und verinnerlicht werden kann, schreibe ich – gewissermaßen aus einem Servicegedanken heraus – die Texte des hiesigen seppologs ab sofort mit gedämpftem Tastaturanschlag. Und wenn ich ehrlich bin, ist der Grund nicht nur der vorgetragene fremd-, sondern auch ein eigennütziger: Ich muss ab sofort leise sein. Im Prinzip bei allem, was ich tue, denn hier möchte jemand schlafen. Derzeit noch rund um die Uhr, was sich aber wohl sehr zu Ungunsten ändern wird. Daher lade ich den Leser ein, die neue Stille zu genießen und sich der einzigartigen Anordnung der Buchstaben meiner gedämpften Klaviatur hinzugeben, so wie jeder Text ein ganz eigene, individuelle Komposition aus den immer gleichen 26 Buchstaben plus Umlaute ist.

Moment, jetzt wird neben mir gequengelt. War ich doch zu laut? Was ist zu tun?! Warum wird gequengelt? Ich muss meine Frauhau rufen. Sie kann das besser einordnen. Oder doch direkt den Notarzt?! Ich will nicht überreagieren, schließlich bin ich neu in dem Geschäft. Aber lieber einmal zu viel den Notarzt rufen als zu wenig.

Der Urheber dieser Zeilen wechselt die Perspektive. Wir beobachten ihn dabei, wie er zu seinem Handy greift und die 112 wählt.

„Ja, Flotho. Mimigernafordstraße 22. Es quengelt! Bitte kommen Sie schnell!“

Am anderen Ende der Leitung hören wir eine beruhigende Stimme: „Ach, Herr Flotho. Warum habe ich immer Dienst, wenn Sie anrufen?! Jetzt holen Sie erst einmal tief Luft. Was ist denn dieses Mal passiert, Herr Flotho?“

„Ja, bin ich Arzt?! Es quengelt und das kann alles heißen. Es ist bei Weitem noch nicht so weit, dass es sich äußert und sich erklären würde. Ich bin also auf Dritt-Diagnosen angewiesen … Moment, warten Sie. Es hat aufgehört. Es atmet noch …“

„Weiter, beschreiben Sie weiter.“

„Unter seiner Nase – es hat ja meine Nase, wie ich schon oft gehört habe – sind kleine Schleimbläschen. Die waren eben noch nicht da.“

„Das ist Schnodder, dürfen wir annehmen, Herr Flotho. Beruhigen Sie sich und wechseln Sie wieder ins lyrische Ich.“

Angesichts der sich entspannenden Situation hinter den Gitterstäben beruhige ich mich tatsächlich etwas und ahne, dass der Anruf womöglich abermals eine Überreaktion war. Ich entschuldige mich bei der 112 und verspreche, ab sofort nur noch dann anzurufen, wenn irgendetwas oder irgendjemand übermäßig blau oder rot wird.

„Gerne auch bei Feuer, Herr Flotho. Machen Sie’s gut. Bis später.“

Meine Frauhau aka Mitbewohnerin kommt herein und begutachtet den neuen Mitbewohner.

„Was für lustige Bläschen unter seiner Nase. Nicht, dass du wieder den Notruf anrufst!“

„Wegen Schnodders?! Werd nicht albern.“

„Ich bin alberner“, sagt plötzlich unser albanischer Nachbar durchs offene Fenster. Er steigt durch und damit ein, schließt das Fenster und schreitet durch das Wohnzimmer in den Flur, über den er die Wohnung wieder verlässt.

Ein etwas seltsamer Typ, der uns da seit Kurzem gegenüber wohnt. Als er das erste Mal mitten in der Nacht in unserer Wohnung stand, waren wir skeptisch. Wollten aber auch nichts sagen. Ich meine, er ist Albaner, und nur, weil er nachts bei uns durchs Fenster einsteigt, heißt das ja nicht, dass wir direkt großes Aufsehen darum machen. Und das zurecht. Er lud uns lediglich zum Kaffee am Samstag ein, was wir wegen unserer neuen Lebenssituation zunächst ausschlagen mussten, obwohl Milch zum Kaffee gerade genug da wäre. Aber nur wegen eines Milchüberhanges sich krampfhaft zum Kaffee einladen zu lassen, wäre übertrieben. Außerdem wissen wir nicht einmal, ob er den Kaffee schwarz oder mit Milch trinkt. Abgesehen davon lässt sich auch schwarzer Kaffee hervorragend mit Milch trinken; ich lasse die Milch aber meist weg, unterstütze aber durchaus den Konsum von Kuhmilch.

„Oh, es ist 19 Uhr 39!“, rufe ich meiner Frauhau zu. „Zeit für Adolf Höckes tägliche Fernsehansprache! Wer nicht einschaltet, wird deportiert!“

Während ich das sage, sehe ich, wie sie draußen unseren albanischen Nachbarn abholen. Tja, denke ich, sie sind wieder da. Und wir haben nichts dagegen unternommen. Schon wieder nicht. Selten ein so doofes Volk erlebt, das sich in Teilen für einb Über-Volk hält. Wenn das alles nicht so skurril wäre …

„‚Heil Höcke vor Acht im Ersten‘ wird Ihnen präsentiert von Knüller Milch“, donnert es aus dem Fernseher, der uns dabei zusieht, wie wir zusehen. Wie in Orwells ‚1984‘. Nur eben 2024. Und es riecht nach 1933.

Während Höcke in Über-HD, dem neuen Reichsfernsehstandard, rumdemagogiert, gehe ich in mich. Wie bin ich nur in dieses Paralleluniversum geraten? Eben noch in einem freien Deutschland, das stolz war; nicht auf eine standardisierte Schädelform, die arisch sein wollte, sondern auf seine Vergangenheitsbewältigung. Ich hatte auch daran geglaubt. Hatte wirklich an das „Wehret den Anfängen“ geglaubt. Es ist anders gekommen. Ein großer Teil der Deutschen wählt nicht Protest, er wählt bewusst rechtsextrem, rechtsradikal, faschistisch usw. Zur Wahrheit gehört, dass er die Idee der Deportationen gut findet und sie umgesetzt sehen möchte. Zur Wahrheit gehört, dass ein großer Teil der Gesellschaft Lust auf Hass hat. Lust auf Gewalt. Wir irren uns, wenn wir glauben, die Menschlichkeit siege. Wir haben das Gewaltpotenzial, das der körperlichen und verbalen, nur einige Dekaden einhegen können. Auch soziale Medien haben dazu beigetragen, dass wieder salonfähig ist, was vor zehn, zwanzig Jahren undenkbar und unaussprechbar war. Wer schon vor zehn Jahren hier gelesen hat (Frauke Petry in meiner Abstellkammer), der wird die unfassbare Entwicklung mitbekommen haben, die sich auch durch meine Texte zieht: Er ist wirklich wieder da. Und dieses Mal sogar wirklich blond wie damals nur Blondie.

Meine düstere These: Wir werden den Nationalsozialismus nicht aufhalten können. Er wird moderner sein, sich anders nennen, aber am Ende zu den selben Ergebnissen führen. Das muss kein Weltenbrand sein (Der kommt aus anderen Richtungen.), aber sukzessive werden wir uns verabschieden können von dem, was viele gar nicht als Freiheit erkennen. Aus einem sehr simplen Grund, der mir viel zu selten ausgesprochen wird: Weil sie dumm sind. Es geschieht wieder: Eine dumme Minderheit stürzt alle ins Unglück, weil die „Wir sind mehr“ unfähig sind, es zu verhindern, da sie lieber woanders an Scheindebatten zerbrechen. Und wer ein Verbot der Nationalsozialisten fordert: Dafür ist es zu spät. Den Caitpunkt haben wir verpasst.

Bleiben wir zumindest: lustig. Ich muss mich ausruhen. Eine krasse Woche liegt hinter uns. Ein neues Leben: vor uns.

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