Irgendetwas piept unerbittlich seit Minuten. Ich will es hier gar nicht groß darlegen, denn das Lamentieren über elektronische Haushaltsgeräte, die piepen, ist so abgedroschen wie das über die Deutsche Bahn. Höcke wird sich noch wundern, wenn sie wieder rufen „Räder rollen für den Sieg“. Da rollt wenig zur Zeit.

Des Piepens Ursprung liegt in der Waschmaschine, die mir etwas signalisieren möchte. Ich habe nahezu alle Signaltöne abgeschaltet, diesen einen aber nicht. Und daher weiß ich, was sie mir sagen will: Ich habe vergessen, das Wasser anzudrehen. Sie saugt also ins Nichts; ein Umstand, über den sich unser neuer Mitbewohner derzeit übrigens nicht beklagen kann.

Ich drehe das Wasser nach jeder Waschladung stets wieder zu. Trotz dieses Wasserstopps, mit dem man versicherunsgstechnisch im Falle einer Überschwemmung auf der sicheren Seite wäre. Aber wem wäre geholfen, wenn bei dessen Funktionsausfall unser „Waschkeller“ unter Wasser stünde?! Ist zwar alles wasserfest untergebracht, aber selbst bei unserem billigen Wasser hierzulande geht’s ja irgendwann auch ins Geld.

Derweil werden die Töne schriller: Sowohl in unserer Gesellschaft als auch in unserem Waschkeller. Ich stelle fest, dass ich das Tönen rund drei Stunden nicht gehört habe. Erst als ich diesen Dampfsterilisator aus dem Keller hole, bemerke ich es. Wir haben jetzt einen Dampfsterilisator für die … naja, das wird hier zu privat. Ich glaube aber, man kann auch Gemüse darin dünsten. Die Funktionsweise jedenfalls ist dieselbe. Als Ingenieur kann ich das beurteilen.

Aber das soll hier gar nicht alles Thema sein. Ich warte gerade auf meinen neuen Lektor. Ich bin es leid, meine eigenen Texte nach der Veröffentlichung – nach! – zehnmal auf Fehler zu lektorieren. Ich habe dabei immer Sorge, dass mir irgendwann auffällt, dass literarisch noch Luft nach oben ist. Um mein Deutsch etwas zu schleifen, habe ich seit Juli dieses Jahres 50 – der runde Wert ist schlicht Durch-, nein, Zufall – überwiegend deutschsprachige (biodeutschsprachige, würden die AfD-Nationalsozialisten sagen) Weltliteraturklassiker gelesen. Ich wusste vorher, dass die meisten mich zu Tode langweilen würden. Es wurde indes noch schlimmer, als ich es mir je hätte ausmalen können. Vieles dabei, bei dem ich dachte: „Kann ich besser.“ Ich halte das Gros auch für sehr überschätzt. Schiller beispielsweise. Immer dieselbe Leier – technisch allerdings zweifellos brillant. Letztlich jedoch langweilig. Kafka hingegen hat’s mir angetan: Er bewegte sich in Welten, die ich kenne. Aber natürlich auf einem deutlich höheren Niveau. Aber ich habe ja noch 50 Jahre. Zeit, die Kafka nicht hatte. Er musste schnell gut werden. Dass ich es noch nicht bin, ist ja irgendwo auch ein gutes Omen.

Es klingelt an der Wohnungstür. Es sind ja nie die Türen selbst, die schellen, es klingelt immer an den Türen. So auch hier gerade. Unseren neuen Mitbewohner ficht es nicht an. Seine Gattung verträgt Lärm in dem Alter – er ist null – sehr gut, haben wir heute bei der 32-Hebauf-amme gelernt, da im Mutterleib ein Pegel von rund 70 Dezibel herrsche, was einem lauten Gespräch oder auch Rufen gleiche. In meiner Frauhau lärmt es also. Man lernt viel in diesen Tagen …

Ich öffne die Tür und da ich nicht mehr weiß, ob ich es weiter oben schrieb: Es ist wie erwartet mein neuer Lektor, den mir mein ebenfalls neuer und erster Verlag schickt. Ich weiß nichts über ihn, vermute aber, dass er viel liest. Was ich hier noch nicht weiß: Er ist offenbar ein Spaßvogel – bzw. hält sich dafür.

„Guten Morgen!“, rufe ich mit 71 Dezibel, sodass unser neuer Mitbewohner wach wird. Da ich im SEPPOLOG nicht gendere, darf sich der Leser das Geschlecht unseres Mitbewohners übrigens ausdenken.

„Guten Morgen, Herr Flotho. Wir haben einen Termin.“

„Rrrrichtig. Sie sind mein neuer Lektor, nehme ich an? Kommen Sie gerne rein.“

„Soll ich meine Schuhe ausziehen? Sie sind sehr sauber.“

„Gerne, wir haben hier extra dreckige Stiefel stehen, in die Sie unkompliziert hineinschlüpfen können … bitte, den Flur durch.“

Den Flur durch. Eine absolut skurrile Phrase. Das Schicksal eines jeden Flurs: Man verweilt selten in ihm. Man geht immer durch. Der Flur ist die Plazenta einer Wohnung. Egal, ob bei An- oder Abkunft. Geselliges Beisammensein im Flur? Vielleicht früher, auf „WG-Partys“. Da war aber schlicht Platzmangel der Grund.

Wir gehen also durch den Flur durch ins Wohnzimmer, wobei ich das kleine Bettchen hinter mir herziehe, wie ich es praktisch den ganzen Tag über mache. Totalüberwachung aus Angst vor plötzlichem Kindstod. Auch übrigens vor dem schleichenden. Das neue Sorgen-Level, das mir Mütter im Vorfeld in Aussicht gestellt hatten, habe ich bereits erreicht. Ich mache nachts cain Auge zu, da ich permanent seinen Schlaf überwachen will und Vitalzeichen messe. Alle zwei Stunden belebe ich wieder. Prophylaktisch. Und aus Übungszwecken.

„Wir müssen nicht leise sein“, erkläre ich dem Verlagshandlanger, „Bis 70 Dezibel können wir alles machen. Lautes Rufen wäre also auch noch drin. Hupen jedoch nicht.“

„Ich hatte nicht vor zu hupen.“

„Ich wollte nur sichergehen.“

„Sicher gehen oder sichergehen? Ha-ha-ha-he-he!“, scherzt mein Lektor.

„Lektoren-Witz, was?“, frage ich und setze ein künstliches Schmunzeln auf, von dem ich weiß, dass es von jedem sofort als fake enttarnt wird. Ich kann einfach nicht aus Höflichkeit lachen. Ich tue es immer wieder, merke aber der Mimik des jeweiligen Gegenübers (das mit schlechtem Humor ausgestattet ist) umgehend an, dass meine Höflichkeitslüge aufgeflogen ist. In diesem Fall schicke ich daher noch ein 60-Dezibel-Lachen hinterher.

„Herr Flotho, ich habe Ihr Gesamtwerk durchgeackert. Zum Glück bin ich ja nicht hier, um über Qualität zu urteilen …“

Eisiges Schweigen …, bis er fortfährt (also nicht „fort fährt“): „Ihre Texte sind voller Tipfehler. Da, schon wieder einer! Den lassen wir mal exemplarisch drin. Künftig aber werden wir daran arbeiten. Mein Name ist Lektor und ich bin Ihr Lektor!“

Ich bin verunsichert. Ist das auch ein Scherz? Schnell höflichkeitsschmunzle ich.

Hannibal Lektor!“, ergänzt er.

Und ich hoffe, dass das ein Scherz ist. Denn sollte ich jemals über diese meine erste Begegnung mit ihm schreiben, denke ich, wird dieser billige Gag mir angelastet! Und da ich nun gerade tatsächlich darüber schreibe: Sehen Sie es mir nach, ich bin nur der Botschafter! Ich distanziere mich von dem schlechten Wortwitz. Sie sind hier besseres gewohnt.

„Hannibal Lektor, lustig!“, sage ich, „Und originell! Kam bestimmt noch niemand drauf.“

„Hm?“, fragt er, „Worauf?“

„Sie heißen Hannibal?“

„Ja, wollen Sie meine Elefanten sehen?“

Wieder lache ich höflich. Der Mann ist nicht zu stoppen. Llleiiider.

„Elefanten, lustig“, bringe ich nur raus.

„Nein, im Ernst, ich habe eine Elefantenfarm. Illegal zwar, aber ich habe sie. Bleibt unter uns, bitte nicht darüber schreiben. Ich lade Sie gerne einmal auf die Farm ein. Bei lecker Elefantentatar!“

„Darauf komme ich gerne zurück, ich bin Elfenbein-Jäger. Ich baue mir gerade ein Klavier und mir fehlen noch die weißen Tasten. Derzeit spiele ich viel Cis. Cis, wenn Sie verstehen. CI-HIIIIS! Verstehen Sie? Verstehen Sie meinen Gag? CIIIIIIIIS! Muss ich das erklären?!“, raste ich vollkommen aus, was ich auf meine derzeitige Schlaflosigkeit schiebe.

„So kommen wir zusammen“, gibt der Mann nur zurück und ich bin ehrlich neugierig auf sein sehr wahrscheinlich illegales Treiben. Könnte mir vorstellen, dabei springt auch einiges an neuem Stoff für mich heraus.

Dazu erst einmal nicht mehr. Aber noch dieser Hinweis: Sie sind ein verehrter Leser, ich ein vermehrter Autor. Vestehen Sie? Muss ich das erklären? Demnächst, hier in Ihrem SEPPOLOG.

Sie lasen einen Artikel aus dem SEPPOLOG.
Das SEPPOLOG bei Instagram!
Mehr als 900 weitere Geschichten auf www.seppolog.com!