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Lara, die blonde Lara, die Frau, die meine Fantasie bereichert, wenn ich unter mich bin, da sie wohl nie unter mir sein wird.

Vielleicht sind das die Sätze, die Lara einen schweren Stand bei meiner Mitbewohnerin bescheren, obwohl sie es ja einzuschätzen weiß.

Lara ist eine Nachbarin von uns, die vor kurzem in unser etwa 70 Jahre altes Wohnhaus eingezogen ist. Wohnungen kann man im Laufe der Jahrzehnte sanieren oder es sein lassen. Lässt man es, hat man viel Spaß mit Gas-Thermen oder der Elektrik. Wir hatten beides. Und auch Lara kommt derzeit in den Genuss nicht geerdeter Stromleitungen.

Ich kenne mich in Sachen Elektrik nicht groß aus, weiß aber soviel, dass Erden eine tolle Sache ist, die – und das war mir neu! – nach wie vor nicht überall in Deutschland selbstverständlich ist. Ich kam damit vor rund drei Jahren in Berührung, als ich unseren neuen von einem Elektriker installierten beleuchteten Spiegelschrank berührte. Während ich mir mit links die Zähne putzte, strich ich mit rechts über das metallene Lampengehäuse und bekam einen Schlag. Ich will es nicht dramatisieren, aber der Schlag kam mir eher ungelegen, da ich einen Zahnarzttermin hatte, den ich auch noch wahrnahm, nicht ohne schwere Kopfschmerzen und einen massiven Tattrigen zu haben. Ich weiß, man sollte nach so einem Vorfall zum Arzt gehen, aber ich meide Ärzte, solange ich mir nicht selber einen Tumor diagnostiziere. Und da ich noch lebe, ist die Sache wohl überstanden.

Wir riefen einen neuen Elektriker, der mir partout nicht glauben wollte, dass jener Spiegelschrank von einem Fachmann angeschlossen worden war, da ein Fachmann wohl kaum das Erdungskabel der Lampe an den Stromkreis anschließen würde. Das mag stimmen, auch ich erwarte mehr von einem Fachmann, aber es war eben so. Man legte mir nahe, jenen Elektriker zu verklagen, aber ich meide nicht nur Mediziner, ich meide auch Juristen. Ich lebte ja noch und scheute den Aufwand, den das mit sich gebracht hätte.

Bei dieser Gelegenheit stellte der Elektriker fest, dass bei uns im Grunde nichts geerdet ist, was auch das leichte Vibrieren erklärt, wenn man unsere Musikanlage berührt. Es ist bis heute so. Hier steht alles immer etwas unter Strom. Und nun offenbar auch die Sex-Bombe von nebenan, Lara.

Lara klingelt inzwischen nicht mehr bei mir, sondern sie meldet sich via Facebook, das sie bislang wegen eines unangenehmen Stalker-Vorfalls gemieden hat. Ich riet ihr einfach zu einem miesen Profilbild und überhaupt einem anderen Namen. Und da sie mich vollkommen zurecht als vertrauenswürdig einstuft, wagte sie also nun den Schritt ins Digitale mit Folgen für mich. Denn sie schreibt mir mehr als ich einer Freundin in den USA (die mir gestern mitteilte, dass ihr Handy bei einer Facebook-Nachricht keinen Ton mehr von sich gibt; ich vermute, sie hat es wegen mir stummgeschaltet ;) ) und das soll was heißen. Und so bekam ich gestern Abend folgende Nachricht:

„Kannst Du hochkommen? :) Hier vibriert alles!“

Ui, sie will mir vibrierende Geräte zeigen! Ich zögerte keine Sekunde, zog meine Hose hoch, stylte meinen Bart, wechselte die Unterhose und antwortete:

„Komme.“

Meine Mitbewohnerin reagierte etwas missmutig, da der Mittwochabend traditionell unser Abend ist, der einzige, an dem wir uns sehen. (An den anderen Abenden spielen wir Verstecken.)

„Musst Du denn immer zu Lara, wenn sie ruft?“

„Sie vibriert. Komm‘ mit! Wann vibriert schon mal jemand?! Nimm Kamera mit!“

„Sie vibriert?“

„Irgendwas vibriert bei ihr.“

„Mich würde wundern, wenn bei der irgendwas vibriert. Ich bleibe hier. Nebenbei: Dein Bart ist zu lang.“

„Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass Du mich nur noch einmal pro Tag auf die Länge hinweist.“

„Geh‘, alter Mann, geh‘!“

Ich bin erst 36, soll aber Weihnachten den Weihnachtsmann für meinen Neffen/meine Nichte spielen. Das ist gar nicht so einfach, trichtert mein Bruder doch seinen Kindern ein, dass sie gefälligst an das Christkind zu glauben haben. Nebenbei eine Frage an die Frauen: Kann ich mir den Bart temporär grau färben? Wobei temporär bedeutet: für einen Tag.

Nachdem ich mir noch die Augenbrauen gezupft hatte, gehe ich also hoch zu Lara, die mich schon aufgeregt an der Tür erwartet. An meiner!

„Seppo, ich sterbe in dieser Wohnung.“

„Ja, nicht jetzt. Ausgerechnet am Mittwochabend. Du machst Dich sehr unbeliebt bei meiner Mitbewohnerin. Stirb an einem anderen Tag.“

Lara ignoriert meinen kleinen Gag, wie sie es meist tut, was auch der Qualität meiner Scherze geschuldet sein könnte, und wir gehen hoch. Sie rennt, ich gehe.

„Lara, ich bin, wie ich gerade erfuhr, ein alter Mann. Ich renne nicht. Nicht am Mittwochabend. Färbst Du Deine Haare eigentlich? Könntest Du mir Weihnachten den Bart grau färben?“

Lara ist bereits oben und ich höre ein lustiges Kreischen und fürchte, dass sie nun gestorben ist. Kein Grund für mich, das Tempo zu erhöhen, denn es ist ja Mittwochabend. Angekommen in Laras Welt

Das ist ohnehin eine Sensation. Ich selber habe ja eine eher spießige Wohnung. Wobei, silberne Wand, Käppi-Kette, einen Katzenbaum, in dem ein Hund lebt, sowie einen Betonmischer als Garderobe, vielleicht doch nicht sooo spießig. Aber Laras Wohnung: eine Sensation. Flur pink. Pink ist für mich in Zusammenhang mit blonden Frauen gleichzusetzen mit pornopink. Kann man mir das verübeln? Vielleicht bin ich da sehr simpel gestrickt. Lara trägt auch Käppis. Pinke. Also schon ’ne Tussi ein bisschen. Geschmacksfrage. Es kann durchaus gut aussehen. Lara ist ein Gesamtkunstwerk, das Gegenteil von mir. Das macht es wohl aus.

„Lara, wenn Du hier im Flur eine Kette von einem zum anderen Ende spannst, kannst Du da Deine pinken Käppis dranhängen! Warum hast Du eigentlich zwanzig pinke Kappen?!“

„Das mit der Kette hab‘ ich bei Euch gesehen, ich find’s nicht so toll. Zusammen mit dem Presslufthammer sieht Euer Flur aus wie eine Baustelle.“

„Das ist kein Presslufthammer, das ist eine Betonmischmaschine. Das eine hämmert, das andere mischt. Und Dein Flur sieht nach Porno aus.“, erwidere ich beleidigt.

Lara führt mich ins Schlafzimmer und ich denke, jetzt ist es soweit, ein Traum wird wahr. Aber ausgerechnet an einem Mittwochabend! Doch weit gefehlt, es kommt mitnichten zu Beischlaf, sondern sie bittet mich, ihren Rechner zu berühren. Und in dem Moment wusste ich, worum es geht. Und tatsächlich, sobald man das Gehäuse mit der Handfläche berührt, vibriert es leicht. Wie bei unserer Musikanlage. Ein Kribbeln, schwer zu beschreiben.

„Joa, Lara, das nennt man in diesem Haus ’normal‘. Hat was mit den veralteten Leitungen zu tun. Erdung. Weißt schon.“

Weiß sie nicht. Ich ja auch nicht. Ich hab’s nie verstanden. Ich rate ihr, einen Elektriker zu holen, der die Leitungen überprüft und dann auf seltsame Umwege erdet, wie das auch bei uns passiert ist. Über den Nullleiter? Ich weiß es nicht. Man hat es mir mehrfach erklärt.

„Hast Du einen Spiegelschrank mit Lampe im Bad?“

„Ja.“

„Fass‘ die Lampe nicht an. Es könnte Dein jähes Ende sein.“

Wir gehen ins Bad und Lara bittet mich, die Lampe anzufassen.

„Lara, ich fasse keine Lampen mehr an. Hol‘ ’nen Elektromann, der wird das richten.“

„Sebastian, das ist das erste Mal, das Du mir nicht hilfst!“

„Ja, soll ich jetzt die Leitungen aus der Wand reißen?!“

„Könntest Du das denn?“

„Nicht an einem Mittwochabend. Kaputtmachen kann ich immer, aber langfristig hast Du da nichts von.“

Ich sage ihr, sie solle sich keine Sorgen machen und einfach nichts mehr anfassen.

„Nur Dich selbst.“

„Ha-ha.“

Auch ich, der an diesem Abend offenbar sehr sexualisiert ist – ist ja Mittwochabend -, rüge mich für diesen Kommentar und gehe wieder runter zu meiner Mitbewohnerin, die derweil „Modern Familiy“ widerrechtlich ohne mich weitergeguckt hat. Eine Serie übrigens, die ich lange ignoriert habe, um jetzt festzustellen, dass sie angenehm humorig ist.

„Lara hat nun endlich festgestellt, dass sie in eine Ruine gezogen ist!“, erkläre ich die Situation, „die Stromleitungen. Auch bei ihr nichts geerdet.“

„Hoffentlich stirbt sie!“