Ich kann nun nachvollziehen, dass Menschen andere Menschen erschießen. Ich rate davon ab und finde es zumindest moralisch bedenklich, das Leben eines anderen, ob man ihn mag oder nicht, auszulöschen. Aber es gibt Situationen, in denen ich froh bin, nicht im Besitz einer Schusswaffe zu sein, auch wenn ich ohnehin nicht zielen kann, deshalb auch Sitzschiffer bin.

Ich kam kürzlich in die Verlegenheit, ein bis zwei Menschen totzumachen, um mit den Worten Fritz Haarmanns zu sprechen, eben jenem Totmacher, mit dem ich aber nichts gemein habe. Wenn man vom Drang zu töten absieht. 27 Opfer wurden ihm zur Last gelegt, ich liege weit darüber. Also in der Theorie. Mein jüngstes theoretisches Opfer ist ein Handwerker. Mich wundert, ganz nebenbei gedacht, dass nicht regelmäßig Handwerker ermordet werden. Und eines sage ich ganz deutlich:

Jeder, nahezu wirklich jeder, darf einmal versehentlich ein Wasserrohr anbohren! Aber muss es nicht eine Gattung Mensch geben, der exakt das nicht passiert?! Der Grund, warum ich keine Badezimmer saniere ist der, dass ich mit Sicherheit irgendetwas dabei kaputtmachen und sehr wahrscheinlich Rohre durchlöchern würde. Darum greife ich auf einen Handwerker zurück, der ja deshalb Handwerker ist, weil er das Handwerk beherrscht und weiß, dass die Möglichkeit besteht, Rohre anzubohren.

Ich bin jeden Donnerstag ein ausgesprochen müder Mensch. Donnerstags bin ich ein Wrack. Das ist in Ordnung so, sofern man mich dabei in Ruhe lässt. Das Wracksein ist so schlimm nicht, es wird nur dann unangenehm, wenn Handwerker die über uns liegende Wohnung von Grund auf gründlich sanieren – und das über Wochen. Und wer gründlich saniert, der saniert mit einem Stemmhammer, auch bekannt als Abbruchhammer. Der entsprechende Lärm ist unbeschreiblich, er bringt den Körper des Zuhörers zum Beben. Kein Geräusch ist, von zehn bis 17 Uhr durchgehend (!), enervierender als das eines Stemmabbruchhammers, der direkt über einem schwebt. Das Damoklesschwert ist nichts dagegen.

Donnerstags mache ich Heimarbeit. Oder Telearbeit. Cooler klingt natürlich home office, aber meine Wohnung ist eben kein Büro. Diese Arbeit ist unmöglich unter der Begleitung eines Stemmhammers im Turbomodus, über den auch unser neuer Pürierstab verfügt, dabei aber wesentlich leiser ist.

Ich rief einen Freund an. Ich musste ihm mein Leid klagen, doch ich verstand ihn und er mich nicht. Der Stemmhammer war stärker. Aus Sicht jenes Freundes war es, wie er mir nachher berichtete, ein beängstigendes Telefonat: Er ging ans Telefon, begrüßte mich und hörte nur ein lautes RRRRRUUUUUUUMMMMMMMMMM, begleitet von seltsamen Brüllen, was an sich nur mein freundliches „Hallo!“ sein sollte. Gefolgt von:

„ICH HOFFE, DU KANNST MICH HÖREN! SEIT DREI WOCHEN HABE ICH BEKACKTE HANDWERKER ÜBER MIR! WAS DU DA HÖRST IST EINE ABRISSBIRNE! … HALLO?! … HÖRST DU MICH?!“

Der Verbleib in der Wohnung war nicht mehr möglich, sodass ich mich in den nahen Volksgarten legte, um mit allem abzuschließen.

Heute Abend geht es wieder zurück in meine Wohnung und ich harre gespannt der morgigen Geräuschkulisse, die mich da womöglich erwartet.

Doch das Benutzen des Stemmhammers ist kein Mordmotiv, das sich mit dem fünften der Zehn Gebote vertragen würde. Denn ich sehe ein, dass solche Arbeiten nun einmal verrichtet werden müssen. Es waren andere Mordmotive, die mich umtrieben:

Umgangssprachlich würde ich ja sagen: „Die Penner haben ein Rohr angebohrt!“

Meine Mitbewohnerin interveniert in diesem Moment via Whatsapp:

„Das würdest Du nicht sagen! Du würdest irgendwas mit Arschfickerhurensohnfotzenscheiße sagen!“

„Aber das kann ich so nicht schreiben! Das ist ja in viele Richtungen arg beleidigend!“

„Jeder redet privat ganz anders als öffentlich!“

„Ich nicht.“

„‚Arschfickerhurensohnfotzenscheiße‘ höre ich sehr oft bei Dir, lese es aber seltsamerweise nie!“

Gut, also ich habe im Privaten unfassbare Ausbrüche, wenn meine Nerven überstrapaziert sind. Ich merke, dass das immer dann der Fall ist, wenn sich mir Dinge rational nicht erschließen. Wie eben jene Sache mit dem Wasserschaden.

„Seppo, guck mal da oben in die Ecke!“, forderte mich meine Mitbewohnerin vergangene Woche auf.

Ich spähte hoch und sah eine Herde dicker, gelber, triefender Flecken und blieb noch sehr, sehr ruhig: „Wir haben einen Wasserschaden. Die haben ein Rohr angebohrt.“

Ich ging ein paar Runden durch den Flur. Überlegte und kam schließlich zu dem Schluss:

Das jetzt auch noch!“

Denn derzeit läppert sich das ein oder andere bei mir. Neben einem erheblichen Problem mit unserer Stromversorgung kam nun also auch noch diese Wasserüberversorgung dazu.

Noch immer ruhig sagte ich zu meiner Mitbewohnerin: „Nun. Es kommt ja einiges zusammen. Ich werde ruhig bleiben, denn ich habe beschlossen zu resignieren.“

„Das heißt, du gehst jetzt wieder in den Volksgarten?“

„Nein. Ich werde hier gebraucht.“

Dann geriet ich in eine Gedankenspirale und damit zu der Frage:

„Warum passiert das eigentlich Fachleuten? Ich meine, dann kann man es ja auch selbst machen, wenn ausgerechnet der, dem es nicht unterlaufen sollte, es auch nicht kann?! Ich meine, ich suche mir ja auch keinen Fahrlehrer, der keinen Führerschein hat. Ich lasse mir meine Leiste nicht von einem Gärtner operieren, nur weil er gut im Schneiden von Hecken ist.“

Nun wurde ich lauter, da ich mir Recht gab.

„ICH BEGREIFE ES NICHT!“

Das sage ich immer, wenn ich in Rage Dinge nicht begreife. Irrationalität begreife ich nicht und lehne sie ab.

„ICH BEGREIFE DIESE ARSCHFICKHURENFOTZENSCHEISSE NICHT! WENN MIR DAS PASSIERT – OKAY! ABER EINEM FACHMANN?! UND MERKT ER ES NICHT?!“

Hat er aber. Heute, eine Woche später, kam er, nachdem wir vergangene Woche bereits beim Vermieter Alarm geschlagen hatten.

„Ja, das dachte ich mir schon, dass das Wasser zu Ihnen durchsickert. Wir hatten für ’nen Moment die Kontrolle über den Stemmhammer verloren. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das Teil abging!“

„Doch, kann ich. Kann ich von zehn bis 17 Uhr. Jeden Tag. Es ist ununvorstellbar.“

„Ist aber nicht akut. Wir haben das Leck sofort abgedichtet am Freitag.“

„Sofort. Ja. Es tropfte aber bereits am Donnerstag. Aber gut. Nicht akut. Ist nur komisch, wenn man hier sitzt, Wasser lässt und es dann von oben auf den Kopf tropft.“

„Streichen wir über. Da sehen Sie nachher nichts mehr von. Müsste generell mal saniert werden hier.“

„Mit ’nem Stemmhammer … Mitbewohnerin, hol die Waffen.“

Inzwischen bin ich gelassen. Es spielt für mich keine Rolle. Meinetwegen soll es schimmeln. Meinetwegen kommt die Decke runter. Denn mit dieser Wohnung haben meine Mitbewohnerin und ich abgeschlossen. Wir werden ausziehen. Nicht wegen des Wasserschadens. Sondern aufgrund anderer Ereignisse. Und bei der Gelegenheit verlassen wir auch Düsseldorf.